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Alice Cooper: Ode an die Straße

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Das Tourleben ist Sehnsuchtsort und Paralleluniversum gleichzeitig – ein fahrender Rock’n’Roll-Zirkus, von dem viele Musiker*innen träumen. Einer, der davon nicht mehr träumen muss, weil er seit Mitte der 60er fast nichts anderes tut, als auf Tour zu gehen, ist Alice Cooper. Und weil der inzwischen 75-jährige Meister des Schockrock es immer noch liebt, durch die Lande zu reisen und mit seiner grandiosen Liveband für seine Fans zu spielen, hat er sein neues Album ROAD um eben jenen Kosmos herum konzipiert. Es geht um schmerzliche Abschiede, flüchtige Liaisons, nicht enden wollende Highways, Groupies, Exzesse, die Roadcrew und den Adrenalinrausch bei Konzerten. Beim Songwriting hat er dabei konsequenterweise seine Liveband – bestehend aus Tommy Henriksen, Ryan Roxie und Nita Strauss (Gitarren), Chuck Garric (Bass) und Glen Sobel (Drums) – ins Boot geholt. Außerdem sind die Gastmusiker Kane Roberts, Tom Morello (Rage Against The Machine), Keith Nelson (Buckcherry) und Wayne Kramer (MC5) auf ROAD zu hören. Die genauen Hintergrundinformationen zur Genese der wirklich gelungenen Platte und das Geheimnis, wie man das Tourleben körperlich und psychisch unversehrt übersteht, verriet uns Mr. Cooper im Telefoninterview:

Ist ROAD die logische Konsequenz daraus, dass Alice Cooper nach der Pandemie wieder touren darf?

Oh ja! Und außerdem kommt es nicht allzu oft vor, dass du eine Tourband hast, die so gut ist, dass du unbedingt mit ihr angeben willst. (lacht) Ich wollte meine Band in den Albumprozess integrieren. Eigentlich schreiben Bob Ezrin [Coopers langjähriger Produzent und Arbeitspartner. Anm. d. Red.] und ich die Songs, diesmal wollte ich jedoch, dass die Band das tut. Anschließend dokterten Ezrin und ich an ihren Ideen herum, um sie zu unseren Liedern zu machen. Darüber hinaus wollte ich, dass sie all diese Tracks live im Studio einspielten – es gibt nur wenige Overdubs. Und da ich diese Menschen eigentlich nur sehe, wenn wir gemeinsam unterwegs sind, haben wir diese Platte logischerweise über das Leben auf Tour geschrieben. Über die Busfahrer, die Hotelzimmer, darüber, deine Frau zuhause zurückzulassen – mit meinen Texten habe ich diese Tracks zu ROAD-Songs werden lassen.

copyright_earMUSIC_photo_credit_Jenny_Risher

Hast du deiner Band irgendwelche Vorgaben gemacht?
Nicht wirklich, die wissen ja, wie Alice Cooper klingen muss. Nita beispielsweise ist jünger als alle anderen, sie ist viel stärker von Bands wie Rage Against The Machine beeinflusst – also sagte ich: kein Problem, dann arbeite an Nummern, die in diese Richtung gehen. Der einzige Unterschied zwischen Metal und Hard Rock ist am Ende eh nur die Haltung dahinter, aber es ist schon klar, dass wir nicht in die heavy, heavy Metal-Ecke abdriften bei Alice Cooper.

ROAD kommt ja nur zwei Jahre nach DETROIT STORIES heraus – ein solider Workflow für einen beschäftigten Mann wie dich. Wann habt ihr mit den Arbeiten an ROAD begonnen?

Wir denken immer weit im voraus. Ezrin und ich haben ja nicht nur ROAD fertig gestellt, sondern gerade auch schon 75% einer weiteren Platte abgehakt. Alice Cooper hat eine lange Historie und viele Menschen lieben besonders die alten Alben. Das verstehe ich, lebe jedoch überhaupt nicht in der Vergangenheit. Fast täglich erzählt mir irgendwer: ‚Hey, heute ist der Jahrestag von PRETTIES FOR YOU‘ oder so etwas und ich habe keinen blassen Schimmer, weil mich das nicht wirklich interessiert. (lacht) Ich denke lieber an das nächste und übernächste Album nach. Und dann steht ja mit den Hollywood Vampires auch noch irgendwann ein Album an.

Wieder mal hast du herrlich spitzzüngige Texte auf ROAD versammelt. Wie viele der Textideen hast du aus deinem persönlichen Erfahrungsfundus geschöpft?

Ich denke, ich suche in jeder Situation nach dem gewissen Quäntchen Humor. Zum Beispiel diese Geschichte über ein paar Typen, die an der Raststätte halten, um etwas zu essen. Die Kellnerin kommt, einer der Typen schaut auf ihre Schuhe und sagt: „She’s got big boots“ [„Sie hat große Stiefel.“ Anm. d. Red.] Jeder denkt, dass er auf ihre „big boobs“ [große Brüste. Anm. d. Red.] anspielt, doch er redet von ihren Schuhen. So etwas finde ich einfach lustig. (lacht) Es gibt natürlich auch Lieder, die nicht sonderlich witzig sind. ›Baby Please Don’t Go‹ beispielsweise erzählt von der Situation, wenn du dein Zuhause für die Tour verlassen musst. Der Typ im Lied steht morgens auf, ist schon fast bei der Tür draußen und seine Frau oder Freundin sagt: „baby, please don’t go!“ Das bricht dir das Herz, weil du ja weißt, dass du losziehen musst. Und sie weiß auch, dass du losziehen musst. Dieser letzte Versuch einer Bitte, das kann echt hart sein. Diesen Herzschmerz wollte ich einfangen. Tracks wie ›White Line Frankenstein‹ hingegen sind wieder sehr ulkig.

Wie bist du mit diesen Baby Please Don’t Go-Momenten in deiner Karriere umgegangen?

Meine Frau war Teil der Band ab WELCOME TO MY NIGHTMARE, sie war damals 18. Nach vier oder fünf Jahren bekamen wir unser erstes Kind, also musste sie die Tour verlassen, was echt schwer für sie war, weil sie als Primaballerina ja dort aufgewachsen war. Doch es half nichts, sie zog die Kinder groß, ich suchte nach einem Ersatz für sie. Als unsere Kinder schließlich alt genug und aus dem Haus waren, sagte ich sofort zu meiner Frau: „Sheryl, du musst wieder mit auf Tour kommen!“ Seit etwa acht Jahren ist sie also wieder mit dabei. Das ist herrlich, weil ich diese Abschiedsmomente jetzt nicht mehr durchmachen muss. Doch es gab Zeiten, da war es anders und das war schwer. Ich habe ein Foto im Haus davon, wie wir uns am Flughafen in Los Angeles voneinander verabschieden – puh, ganz schön hart! Wahrscheinlich habe ich deshalb diesen Song geschrieben.

Das glaube ich, du hast ja nicht nur deine Frau, sondern auch deine Kinder verabschieden müssen.

Absolut. Und inzwischen sind noch meine fünf Enkelkinder dazugekommen, großartige kleine Menschen, die auch alle einen tollen Sinn für Humor haben. Sie alle kapieren komplett, worum es bei Alice Cooper geht. (lacht)

Apropos: Der Opener I’m Alice ist eine kleine Vorstellungsrunde mit einem herrlichen Spoken-Word-Teil, in dem du wortreich erklärst, dass Alice eine Projektionsfläche ist. Wofür eigentlich? Was projizieren die Leute in diese Figur?

Ich glaube, die Menschen haben inzwischen verstanden, dass Alice Cooper ein Charakter ist, den ich spiele. Ansonsten wäre ich schon im Knast oder tot! (lacht) Ryan Roxie brachte diesen Song rein und ich brachte Alice Cooper hinein, diesen arroganten Bösewicht, der dem Publikum erzählt, wie großartig er doch ist. Das bringt mich zum Lachen! (lacht) Er erklärt, wer er ist. Ich wollte das Ganze sehr theatralisch gestalten, ein bisschen, als würde Captain Hook sich selbst vorstellen. Dann gibt es auch noch den Song namens ›Rules Of The Road‹, darin kommt ein Typ vor, der mit jungen Rockmusikern spricht und ihnen nur falsche Ratschläge gibt. (lacht) Nach dem Motto: ‚Wenn ihr all diese Regeln befolgt, verreckt ihr bevor ihr 27 Jahre alt seid‘.

Die Frage, die sich nach Hören dieses Songs aufdrängt: Wie oft hast du im Laufe deiner Karriere dein Geld nach einem Gig nicht bekommen? Das betonst du ja mehrmals.

Shep Gordon ist ja seit Ewigkeiten mein Manager, genauer gesagt seit 55 Jahren. Wir haben nicht mal einen Vertrag oder so etwas, wir arbeiten einfach zusammen. Das ist wahrscheinlich die einzige frühe Künstler-Manager-Geschichte in der Historie der Rockmusik, die gut gegangen ist. (lacht) Er sagt immer zu allen: ‚erste Regel – hol das Geld. Zweite Regel – vergiss nicht, das Geld zu holen. Dritte Regel: Denk immer daran, nicht zu vergessen, das Geld zu holen!‘ (lacht) In den frühen Tagen mussten wir echt öfter Mal um unsere Gage kämpfen, deswegen ist das quasi ein running Gag unter uns. Ich erinnere mich daran, wie wir mal eine Show in Mexico spielten, das war eh schon immer ein wenig riskant. Also wollte Shep das ganze Geld haben, bevor wir einreisten, was echt eine gute Idee war, weil der Promoter der Show einen Tag vor unserem Konzert ausgeraubt wurde – die ganze Kohle wäre also weg gewesen. Das sind so Dinge, die ein guter Manager für dich regelt. (lacht)

Ich finde es spannend, dass dieses Album eine Hommage an das Tourleben ist. Viele deiner Altersgenossen erzählen mir, dass das Touren für sie ziemlich anstrengend geworden ist.

Jeder hat einen anderen Tour-Stil. Erst letztens sprach ich mit Johnny Depp und Joe Perry über dieses Thema. Die beiden bleiben immer in ihren Hotelzimmern. Meine Frau und ich hingegen stehen morgens auf und gehen raus, wir bummeln, essen zu Mittag. Ich könnte das nicht aushalten, nur in meinem Hotel herumzusitzen. Aber für Johnny und Joe ist das der beste Weg. Jeder muss einen Weg finden, um mit der Straße klarzukommen. Ich habe mein halbes Leben auf ihr verbracht, ich habe gelernt, sie zu lieben. Ich mag es immer noch sehr, zu reisen.

Die Tour ist ja wie ein mystisches Paralleluniversum, das viele sehr anzieht. Wie du in einem Song ironisch erzählst, birgt dieses Paralleluniversum durchaus Gefahren, vor allem für junge Musiker*innen. Kann das Leben auf Tour den Charakter verderben?

Ohja, ich denke schon. Alice ist meine Art, damit umzugehen. Ich habe Alice erfunden, um meinen persönlichen Lieblingsrockstar verkörpern zu können. Ich habe mich gefragt, wie ich mir als Zuschauer meinen persönlichen Rockstar vorstellen würde. Ich kann also ehrlich sagen, dass Alice mein liebster Rockstar ist und ich es liebe, ihn zu spielen.

Aber da liegt der Unterschied: du spielst ihn…

Ganz genau! Es gab Zeiten, als ich trank und Drogen nahm, wo ich nicht mehr wusste, wo Alice aufhört und ich anfange. Als ich vor 40 Jahren nüchtern wurde, habe ich gelernt, die beiden zu trennen und seitdem liebe ich es, Alice zu mimen. Ich weiß nicht, ob es anderen Künstlern da draußen ähnlich geht. Bei Mick Jagger ist es bestimmt auch so, der ist auf der Bühne auch anders.

Birgt das Tourleben die Gefahr, dass man schlechtes Verhalten an den Tag legt? Man andere Menschen respektlos behandelt, weil man sich in diesem Paralleluniversum verliert?

Ich denke durchaus, dass das möglich ist. Schon als ich jung und auf Tour war, war ich stets sehr vorsichtig. Meine ganze Band war vorsichtig. Damals war das, als würde man ein Kind in einem Süßigkeitenladen loslassen. Du bekamst alles, was du wolltest. Und trotzdem bzw. gerade deswegen darf man seinen eigenen moralischen Kompass nicht verlieren. Und es gibt Bands, die haben so etwas gar nicht – Moralvorstellungen oder ähnliches. Sie nehmen sich alles, was sie kriegen können. Und eventuell müssen sie irgendwann dafür bezahlen. In den 60ern und 70ern war alles total verrückt und da ich das alles mitbekommen habe, kann ich nur sagen: Ja, wenn man als Band rücksichtslos handelt, ist das durchaus möglich.

Was sind einige ehrliche Tourregeln, wenn man nicht vor dem 27. Geburtstag das Zeitliche segnen will?

Die Show muss der wichtigste Teil des Tages sein. Wenn du drei Monate unterwegs bist, schaffst du es besser, ordentlich durch den Tag zu navigieren, so dass du zur Showtime dann 100 Prozent geben kannst. Bei mir ist das so: gegen 16 Uhr mache ich ein etwa eineinhalbstündiges Schläfchen, weil es mir einen Energiekick gibt. Früher nahm ich dazu Drogen, heute ist jeder brav und gesund. Alle nehmen Vitamine, schlafen viel, essen gesund – wenn du dir das zur Regel machst, eine großartige Show ablieferst und tolle Platten machst, dann kannst du solange auf Tour gehen, wie du willst.

Led Zeppelin: John Bonham – Seine letzten Tage

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John Bonham hat nicht einfach nur getrommelt: Er konnnte Led Zeppelin Durchschlagskraft ver­leihen. Daher war nach seinem Tod rasch klar: Bonham ist nicht ersetzbar, das Ende der Band ge­­kommen. CLASSIC ROCK erinnert sich an den Mann, der zwar stets so spielte, als würde er ein Erdbeben imitieren, sich im tiefsten Inneren aber nach einem ruhigeren Lebensstil sehnte.

John Bonham ist mehr als ein Drummer: Er ist der Herzschlag von Led Zeppelin. Und als der aussetzt, endet nicht nur sein Leben, sondern auch das der Band. Alle Energie scheint aus dem Körper von Led Zeppelin zu entweichen, als sich der 32-Jährige in der Nacht zum 25. September 1980 erstickt.

Eine Tragödie, selbstverständlich. Noch dazu eine, die zu einem unerwarteten Zeitpunkt passiert. Denn gerade erst haben sich die Dinge für die Gruppe zum Guten gewendet. Nach einer Reihe von dramatischen Ereignissen, die das Bandgefüge in den Mittsiebzigern erschütterten, ist die Lage im Spätsommer 1980 relativ stabil, alles läuft rund. Die Musiker proben für die größte Led Zep-Tour seit Jahren, als das Unglück seinen Lauf nimmt…

Der Grund, warum John Bonham in so jungen Jahren sterben muss, ist nicht der Alkohol allein, sondern das Phänomen ›Led Zeppelin‹ generell. Die Musiker stehen unter enormem Druck – schließlich spielen sie in einer der größten Rockbands der Welt. Das bringt den Vier zwar Ruhm, Ehre, Geld und Anerkennung ein, verändert aber nach und nach ihre Persön­lich­keit und zerstört ihre Gesundheit.

Dabei kann anfangs noch niemand ahnen, dass die Band später in einem monströsen Star-Strudel enden wird. Im Gegenteil: Für alle Beteiligten ist es ein wundervoller, bewegender Tag, als Bonham, ein Junge aus den britischen Midlands, im Jahr 1968 Mitglied der neuen Band von Jimmy Page wird. Er ist bodenständig, großzügig und umgänglich, also genau der Typ Mensch, von dem man denkt, dass er den Versuchungen des Rock’n’Roll locker widerstehen kann. Bonham stammt aus einfachen Verhältnissen, hat als Maurer und Bodenleger gearbeitet und seine gesamte Freizeit dem Schlagzeugspielen gewidmet. Er ist gut. So gut, dass er gerade erst von Tim Rose engagiert worden ist. Die Bezahlung stimmt. Daher denkt Bonham anfangs gar nicht daran, bei Page einzusteigen, als dieser die New Yardbirds (wie Led Zeppelin anfangs heißen) formiert und den Drummer an Bord haben möchte. Erst nach einer Reihe von Betteltelegrammen von Manager Peter Grant sagt er schließlich zu.

Page ist froh über das Ja, denn er will Bonham unbedingt für sich gewinnen. Der Drummer ist nämlich niemand, der sein Kit nur zärtlich streichelt. Wenn er es für nötig hält, kann er kräftig zulangen und auf die Kessel eintrümmern. Allerdings tut er das mit Bedacht, Sinn und Verstand – anders als beispielsweise Keith Moon von The Who, dessen Drumming sich durch eine natürliche, aber auch unkontrollierte Aggressivität auszeichnet.

The Dead Daisies: „Sowas von bereit!“

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Als man John Corabi im Juli anzoomt, sitzt selbiger gerade in seinem Auto in Long Island, New York, wo er am selben Tag eine Solo-Akustik-Show im Vorprogramm von Tom Keifer und Winger spielt. Der mehr als rüstige 64-jährige Sänger ist gut drauf und erklärt frei heraus, wie es, pünktlich zum 10. Jubiläum der Dead Daisies, zu seiner von vielen Fans lang ersehnten Rückkehr zur Band kam, warum Glenn Hughes ausgestiegen ist und was das Publikum von den kommenden Jubiläumsshows des hochkarätigen Rock-Kollektivs (aktuell bestehend aus Corabi, Bandkopf David Lowy, Gitarrist Doug Aldrich, Drummer Brian Tichy und Bassist Michael Devin) erwarten darf.

Lass uns von vorne anfangen: Warum hast du die Dead Daisies 2019 verlassen und warum bist du jetzt zurück?

Eigentlich nur, weil ich etwas ausgebrannt war. Wenn man sich unseren damaligen Terminplan ansieht, war das schon krass. Ich möchte nicht narzisstisch klingen, aber als ich bei den Daisies einstieg, gingen wir nach REVOLUCION plötzlich voll durch die Decke, waren mit Kiss und Whitesnake auf Tour. Wir spielten auf der ganzen Welt, nahmen ein Album auf, und tourten sofort wieder. Der Terminplan war verrückt. Außerdem lag mir mein Sohn in den Ohren damit, dass wir mit meiner Solo-Band mehr machen wollten. Er spielt Schlagzeug für mich und meinte nur: „Toll, Dad, jetzt bist du bei den Daisies und hast keine Zeit mehr für unser Projekt.“ Also musste ich mal kurz aus diesem Karussell aussteigen, mich ausruhen und ein paar Shows mit meinem Jungen spielen. Dann kam Covid und ich war ja eh mit David und Doug in Kontakt geblieben – es gab kein böses Blut. Einmal ging es Glenn nicht sonderlich gut und ich sprang für ihn in den Proben ein. Dann stieg Glenn aus, weil er sich auf seine Deep-Purple-Show und eine neue Black-Country-Communion-Platte konzentrieren wollte. Also riefen die Daisies an und fragten, ob ich mich genug ausgeruht hätte. (lacht)

Euer kommender Tourplan sieht wieder straff aus. Stehst du das diesmal besser durch?

Ja klar. Weißt du, wir haben alle aus dieser Zeit gelernt. Unser Terminplan war absoluter Irrsinn, manchmal spielten wir zwei Festivals an einem Tag. Dann gab es „Daisyland“: morgens standen Fernseh- oder Radiotermine an, dann eine Akustik-Show in einem Plattenladen oder so mit Signierstunde, danach Soundcheck, ein schnelles Abendessen und ab auf die Bühne. Oder wir spielten zehn Tage am Stück ohne Pausen. Das war einfach viel, zu viel. Schon während seiner Zeit mit der Band hat Glenn die Zügel angezogen, er bestand auf einen Off-Day nach zwei oder drei Shows. Ich habe die Daisies während meiner Auszeit noch mehr schätzen gelernt und die Band hat eingesehen, dass es vielleicht ein bisschen viel war. David Lowy selbst meinte zu mir, dass er das Touren in einem Tempo halten möchte, das uns nicht umbringt. (lacht) Weißt du, Dude, mir geht’s gut, allen geht es gut… Oh sorry, jetzt hab ich Dude zu dir gesagt!

Als Sänger ist der ganze Zirkus ja doppelt anstrengend…

Absolut, wenn du ein Schlagzeugfell durchhaust, ziehst du ein neues auf. Wenn mir die Stimme wegen Überbelastung wegbricht, habe ich Pech gehabt. Aber das sollte alles glatt laufen.

Achtest du besonders auf deine Stimme?

Ach weißt du, ich habe noch nie irgendwas in meinem Leben exzessiv betrieben, das hilft. Außerdem hat mich Deen Castronovo auf Ken Tamplin gebracht, einen Gesangscoach. Der gab mir einige Übungen mit auf den Weg und so lerne ich gerade, ein bisschen auf meine Stimme zu achten. Früher war mir das egal, aber jetzt bin 107 Jahre alt, da wird so etwas relevant. (lacht)

Hast du dir die Daisies-Platten mit Glenn damals angehört?

Ja klar. Unsere aktuelle Tour fällt ja mit der neuen BEST-OF zusammen, auf der alle Sänger der Daisies vorkommen. Da wäre einmal John Stevens, der erste Sänger, dann ein gutes Stück Musik aus meiner Zeit und nochmal ein Brocken aus Glenns Zeit. Ich mag jede Phase der Daisies! Als wir mit den Proben begannen, entschieden wir, dem Publikum etwas aus jeder Ära zu liefern. Ich hatte die Platten schon gehört und sie wirklich toll gefunden, jetzt muss ich mir überlegen, wie ich die Parts der anderen Sänger am besten umsetze.

Welche Songs performst du live am liebsten?

Wir haben so viele tolle Lieder, doch live mag ich besonders jene, die das Publikum zum Mitmachen anregen. So etwas wie ›Make Some Noise‹ oder ›Long Way To Go‹. Wir sind sowas von bereit, da rauszugehen, Spaß zu haben und eine Kickass-Show auf die Beine zu stellen

Wieso funktioniert das Konzept der Dead Daisies so gut, wo Fans sich doch immer wünschen, dass ihre Bands im selben Line-Up zusammenbleiben?

David wollte immer tolle Musiker in der Band. Und tolle Musiker wie Marco Mendoza oder Glenn Hughes oder Dizzy Reed haben viel zu tun. Also ließ er es immer für alle offen, wie lange sie bleiben. Auch wenn es einen festen Kern gibt, ist der Name Dead Daisies ein Markenname. Wie Coca Cola – wenn jemand den Job wechselt, ändert sich der Geschmack von Coca Cola nicht. Das ist ein super Konzept und es macht die Arbeit für alle Beteiligten sehr angenehm.

Ihr habt euer Ego scheinbar gut im Griff, sonst würde das nicht funktionieren, oder?

Ungezügelte Egos ruinieren Bands. Ich hab das schon einmal erlebt, bei der einen Band, auf die du mit deinem Grinsen gerade anspielst [er meint Mötley Crüe. Anm. d. Red.] und die hauen sich bis heute die Köpfe ein. Bei den Daisies darf jeder mitreden, es gibt keine Egos. Das hat David von vorneherein klar gemacht. Es geht um die Musik, um Freundschaft und um verdammt viel Spaß!

Video der Woche: Bruce Springsteen ›Jungleland‹ (Live 1980)

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Heute erheben wir unser Glas auf Bruce Springsteen. Der Boss feiert heute seinen 74. Geburtstag.

Um Bruce Springsteens 74. Geburtstag zu feiern, möchten wir heute einen seiner epischsten Songs ehren: ›Jungleland‹. Der letzte Song seines Erfolgsalbums BORN TO RUN (1975) ist bis heute ein fester Bestandteil vieler seiner Konzerte.

Springsteen selbst beschreibt den Song in seiner Autobiograhie als eine Aneinanderreihung wunderbarer musikalischer Momente mit großartigen Leistungen der beteiligten Musiker. Melissa Etheridge – bekennender Springsteen-Fans – sagte einmal: „Wenn Springsteen anfängt wortlos zu schreien, wie er es etwa am Ende von ›Jungleland‹ tut – das ist für mich DIE Definition von Rock’n’Roll. Er singt mit seinem ganzen Körper und erzeugt dadurch diese enorme Kraft, Emotion und Leidenschaft.“

Werkschau: Unser Album-Guide zu Bruce Springsteen

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Nicht umsonst gilt Springsteen als einer der besten Songwriter seiner Generation – sein Katalog strotzt nur so vor unvergesslichen Klassikern und Hymnen.

Unverzichtbar

BORN TO RUN (Columbia, 1975)


Das Album, das Springsteens Karriere rettete, nachdem die Verkaufszahlen der ersten beiden enttäuscht hatten. Es bewies, dass er hymnischen Rock schreiben konnte, der Phil Spector Konkurrenz machte. Während das Titelstück und ›Thunder Road‹ von jeher zu den Live-Standards zählen, sind romantischere, orchestralere Tracks wie ›Backstreets‹ und ›She‘s The One‹ die übersehenen Juwelen. Es finden sich nur acht Stücke auf BORN TO RUN, doch Bruce schuftete fast zwei Jahre daran. Er schrieb jede Textzeile Dutzende Male um, experimentierte mit Streichern und verbrachte zahllose Stunden damit, die Reihenfolge festzulegen. Das Ergebnis dieser Folter ist sein Meisterwerk.

DARKNESS ON THE EDGE OF TOWN (Columbia, 1978)


Wo Springsteen mit BORN TO RUN nach Größerem innerhalb des Amerikanischen Traums strebte, war DARKNESS ON THE EDGE OF TOWN das genaue Gegenteil. Die Texte waren einfach, direkt, überschaubar und fast Hemingway-esk. Der ewige Optimismus von BORN TO RUN war ausgelöscht, sowohl inhaltlich als auch in der Produktion, die sich bei Hardrock-Stücken wie ›Adam Raised A Cain‹, ›Prove It All Night‹ und ›Streets Of Fire‹ auf die Gitarren konzentrierte. Das klavierbasierte ›Racing In The Street‹ stellt den Höhepunkt dar. DARKNESS… markiert das erste Mal, das Depression – echte Dunkelheit – in seinem Schaffen durchschien, und zwar besser als je zuvor oder danach.

Wunderbar

THE RIVER (Columbia, 1980)


Sein erstes Doppelalbum gab ihm den Raum für einige der Popsongs, die er für frühere Alben geschrieben, dann aber doch weggelassen hatte. ›The Ties That Bind‹, ›Jackson Cage‹ und ›Stolen Car‹ waren Juwelen, die zwar nicht so eingängig waren wie einige früheren Sachen, im Kontext von THE RIVER jedoch grandios zur Geltung kamen. Der Text des Titelstücks erstreckt sich von einer ungewollten Schwangerschaft über einen verlorenen Job, eine Autofahrt entlang eines Speichersees, einen Fluch bis zu einem Spuk. Lauter essenzielle Elemente eines jeden guten Springsteen-Lieds.

NEBRASKA (Columbia, 1982)


Sein düsterstes Album und vielleicht eines der düstersten der Popgeschichte. Auf einem Kassettenrekorder aufgenommen, erschien es erst nach einem Kampf mit dem Label, das ein Popalbum wollte. NEBRASKA ist das Springsteen-Album, das am häufigsten von späteren Indierockern als Inspiration genannt wird, doch es bekam einige der schlechtesten Kritiken seiner Karriere, zumindest anfangs – ein Kommentar lautete „Born To Crawl“. Mit den Jahrzehnten hat sich diese Meinung jedoch grundlegend geändert und heute erscheint es oft in den oberen Rängen von „Die besten Alben aller Zeiten“-Listen.

BORN IN THE USA (Columbia, 1984)


Sein meistverkauftes Album, das ihn zum Superstar machte. Das Cover mit der Flagge ist zum festen Bestandsteil seiner Ikonografie geworden. Gleichzeitig ist es auch die Platte, der man selbst als Fan am ehesten überdrüssig wird, da die fünf US-Top-10-Singles damals so unausweichlich waren. Dennoch hatten ›No Surrender‹, ›I‘m On Fire‹ und sicher ›Downbound Train‹ ihre brodelnden Kehrseiten, während das Titelstück wohl einer der missverstandensten Hits aller Zeiten ist – Springsteen schrieb es sarkastisch und desillusioniert, doch der Refrain wurde zum Schlachtruf tumber Patrioten.

TUNNEL OF LOVE (Columbia, 1987)


„Mann trifft Frau und sie verlieben sich.“ Doch Liebe ist alles andere als das und TUNNEL… dokumentiert die Zweifel des damals frisch verheirateten Sängers. Man fragt sich, was seine Frau Julianne Philips wohl von dieser Zeile hielt: „The house is haunted and the ride gets rough“ („Es spukt im Haus und die Reise wird be-schwerlich“). Bruce hat stets behauptet, dass seine Texte nicht autobiografisch sind, aber TUNNEL OF LOVE ist so stark, weil sie es hier eben doch sind. ›Walk Like A Man‹, die Ode an seinen Vater, ist das bewegendste Lied, das je über eine Vater-Sohn-Beziehung entstanden ist.

Anhörbar

THE WILD, THE INNOCENT & THE E STREET SHUFFLE (Columbia, 1973)


Für jeden anderen Künstler wäre dies ein karrieredefinierendes Album gewesen, allein schon wegen ›Rosalita‹ und ›Fourth Of July, Asbury Park (Sandy)‹, doch für Bruce wurde es aufgrund seines anfänglichen Scheiterns – nur 75.000 Verkäufe, 65.000 davon in Philadelphia – zum Problem. Seite 2 ist jedoch die beste Seite aller seiner Alben. Sie fängt mit dem romantischen ›Incident On 57th STreet‹ an, geht über zur verrückten Liebe in ›Rosalita‹ und endet mit der majestätischen Ballade ›New York City Serenade‹. Allein die Stärke dieser Seite hielt seine Karriere am Leben.

THE GHOST OF TOM JOAD (Columbia, 1973)


Eine Hommage an Woody Guthrie, John Steinbeck und John Ford und dabei fast so düster wie NEBRASKA. Springsteen fand hier endlich seine Stimme als Solokünstler, und nachdem das Missverständnis zu ›Born In The USA‹ offenbar immer noch schmerzte, zeigten ›Youngstown‹ und ›Galveston Bay‹ ganz klar die Schattenseiten des Vietnamkriegs. ›Sinaloa Cowboys‹ hingegen behandelt den aktuelleren Drogenkrieg, während es in ›Across The Border‹ um Ein-wanderung geht. Höhepunkt ist jedoch eindeutig das Titelstück mit seinem direkten Text, im dem die Hauptfigur auf der Suche ist, wie alle seine Charaktere.

THE RISING (Columbia, 2002)


Kurz nach der TUNNEL…-Tour feuerte Springsteen die E Street Band, was seinem kreativen Output in der Folge sehr schadete. Für THE RISING fand er wieder mit seinen alten Brüdern zusammen und das Ergebnis war eine Rückkehr zur Topform. Thematisch war es Bruces Antwort auf 9/11, und ein wütender Springsteen ist immer auch ein leidenschaftlicher. Das Titelstück oder auch ›My City Of Ruins‹ zeigten, dass seine Songwriting-Muse ihn noch nicht verlassen hatte. Zwar fehlte dem Werk ein wenig der Zusammenhang, doch dank einiger starker Lieder war das Album den direkten Vorgängern letztlich dann doch überlegen.

Sonderbar

HUMAN TOUCH (Columbia, 1992)


Bruce hatte sich von der E Street Band getrennt, als er mit der Arbeit an diesem Album begann, und auch wenn er hervorragende Musiker als Ersatz eingestellt hatte, war es doch nicht dasselbe, wie mit einer Band zu spielen, die er seit Teenager-Zeiten kannte. Außerdem war die Platte überproduziert. Er behauptete später, sie sei gescheitert, weil er versucht habe, „glückliche Lieder“ zu schreiben, aber es war einfach nicht sein bestes Material, ob glücklich oder traurig. HUMAN TOUCH erschien gleichzeitig mit LUCKY TOWN – zwei unterdurschnittliche Werke, die erstmals seinen Status als Kritikerliebling erodieren ließen. Er überlebte diese Phase. Seine Fans auch.

She Rocks : Joan Jett

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Joan Jett: Denn sie weiß, was sie tut! Wie ein Teenager von den Runaways zu einer erwachsenen Visionärin für Musik mit Attitüde, humanistische Politik und Gleichberechtigung reifte.

„Nichts ist bedrohlicher als ein Mädchen mit einer Gi­­tarre“, sagte Joan Jett bekanntlich 1999. Über 20 Jahre später hat sich ihre Haltung nicht geändert. Sie hat sich noch nie davor gefürchtet, ihre Meinung zu sagen oder der Welt ganz genau zu zeigen, wie sie sich diesen schlimmen Ruf verdient hat, über den sie singt. „Der einzige Grund da­­für, dass ich diesen Ruf überhaupt habe, ist dass ich ein Mädchen bin und es wage, die Dinge zu tun, die sonst nur die Jungs dürfen“, echauffiert sie sich.

Wenn sie ein Motto hätte, wäre es wohl tatsächlich etwas wie „Na los, bring mich doch dazu“. Schon von Anfang an war sie mutig, frech und von der Kraft des Rock beseelt. Sie liebte es, ihre Gitarre provokativ zwischen die Beine zu nehmen und ihren großen Helden Marc Bolan oder Keith Richards nachzueifern. Und über die vergangenen vier Jahrzehnte hat sie der Welt immer wieder bewiesen, dass sie genauso hart rocken kann wie die Jungs, vielleicht sogar noch härter. Doch es war nie Jetts Absicht, im Ge­­schlechterkampf für Gleichstand zu sorgen. Sie hatte höhere Ziele. „Oh ja, absolut“, betont sie, „aber wann immer jemand etwas dagegen hatte, dass Mädchen Rock’n’Roll spielen, war ich bereit, in den Krieg zu ziehen.“ Und das tat sie auch. „The Runaways eröffneten mal für Rush, ich glaube, es war in Detroit. Ich weiß noch, wie diese Typen am Bühnenrand standen und uns auslachten. Und ich dachte nur, wenn ich Rush wäre, würde ich uns nicht auslachen. Dann waren da Molly Hatchet. Sie sagten: ‚Ich kann es nicht fassen, dass wir für eine Bitch Vorgruppe sind.‘ Und die Scorpions waren sauer, weil sie eine deutsche Band waren und wir in Deutschland mehr Erfolg hatten als sie. Manche Leute wollen einfach nicht sehen, wie Mädchen Dinge tun, die sie ihrer Meinung nicht tun sollten.“

Doch das hat Joan nie davon abgehalten. Über die Jahre hat sie Songs voller Galle und Draufgängertum geschrieben, ob ›Bad Reputation‹ oder das ironische ›Black Leather‹, das nicht die Vorzüge ihrer bevorzugten Bühnenklamotten preist, sondern unterstreicht, dass sie genau das tun wird, was sie tun will: „Black leather, I wear it on stage/Black leather, I’m gonna wear it to my grave/Black leather, I will wear it anywhere/Because my name is Joan Jett and I don’t care.“ Dabei ist es ihr tatsächlich alles andere als egal. „Ich denke, das, was mich immer am Leben gehalten hat, ist der Glaube, dass Rock’n’Roll dein Leben verändern kann. Womit ich ihn nicht wichtiger machen will, als er ist, aber manchmal kann dich ein Song in einem bestimmten Moment richtig berühren. Er kann dir den Mut und die Kraft geben, um weiter deinen Traum zu verfolgen.“ So wie das David Bowies ZIGGY STARDUST-Album für sie tat: „Die ganze Platte drehte sich darum, dass jemand ein Star sein will, und ich konnte mich mit den meisten Texten sehr identifizieren.“

Heute hat Jett einen fast schon messianischen Status erreicht. Der einstige US-Präsident Bill Clinton schrieb ihr einen Fanbrief, in dem er schwärmte, dass er all ihre Alben besitze und sie seit ›Fake Friends‹ von ihrem 1983er-ALBUM zu seinen absoluten Lieblingskünstlerinnen zähle. Der frühere Schwergewichts-Boxweltmeister Mike Tyson sah sie als seine Glücksbringerin und rief sie als Ritual vor jedem seiner Kämpfe an. Billie Joe Armstrong von Green Day bezeichnet sie als Vorbild und hat ihren Song ›Don’t Abuse Me‹ gecovert. Der gefeierte Punk-Künstler Shepard Fairey veröffentlichte einen limitierten Kunstdruck von Jett, der an Andy Warhols Ar­­beiten erinnert. Jett wird außerdem ge­­meinsam mit Todd Oldham eine Kleidungslinie präsentieren und produziert ein Album für die Rockabilly-Legende Wanda Jackson. Zudem steht eine Dokumenation über Joan an, bei der Kevin Kerslake Regie führte, gefeiert für den tragischen „As I AM: The Life And Times Of DJ AM“. Der Mythos Joan Jett wächst immer weiter.

In jüngerer Vergangenheit hat sie Songs mit Dave Grohl und Laura Jane Grace von Against Me! geschrieben. Pearl-Jam-Gitarrist Mike McCready postete unterdessen ein Bild von sich mit Jett, wie sie backstage in Seattle breit in die Kamera grinsen. Billy Corgan von Smashing Pumpkins vergöttert sie fast unterwürfig. Doch Jett ist nicht nur ein weibliches Vorbild und eine Stilikone (auch wenn definitiv beides zutrifft, inklusive ihrer eigenen Barbie-Puppe und Pinterest-Seiten, die ihren Kajal, ihre Schuhe und ihre humanistische Politik thematisieren), sie ist eine Referenz. Sie verkörpert, was es bedeutet, ihre Mission auf dieser Erde mit maximalem Fokus zu verfolgen, ohne Kompromisse, aber mit Anstand und Würde.

2008 veröffentlichte die norwegische Girlpop-Band The Launderettes einen Song namens ›What Would Joan Jett Do?‹. Der Slogan erschien auf T-Shirts, bezeichnenderweise getragen von u.a. Kathleen Hanna von Bikini Kill, sowie auf Autoaufklebern mit der Abkürzung WWJJD unter Jetts Gesicht – ein Zeichen dafür, dass sie zum Symbol einer Art von Integrität ge­­worden war, mit der sich eine neue Generation identifizierte.

Über die Jahre hat sie als spirituelle Ratgeberin für Ian MacKaye, Paul Westerberg oder Peaches fungiert. Man hat sie die „Godmother Of Punk“ genannt, das Original-Riot-Grrrrl und die „Queen Of Noise“ (nach dem Titel des zweiten Runaways-Albums). „Es ist schön, dass die Leute diesen Eindruck von mir haben. Aber ich vereinfache das viel mehr: Ich sage immer, ich bin einfach Rock’n’Roller. Ich kann nicht be­­haupten, dass ich das als erste Frau ge­­macht hätte. Aber es wäre schön, wenn man sich an mich als eine der ersten Frauen erinnert, die wirklich Hardrock gespielt und es ernst gemeint haben.“

In ihrer Dankesrede für die Rock And Rock Hall Of Fame sagte sie 2015, Rock’n’Roll sei „eine Idee und ein Ideal. Rock’n’Roll bedeutet mehr als Musik, mehr als Mode, mehr als eine gute Pose. Er ist die Sprache einer Subkultur, die alle, die ihr folgen, zu ewigen Teenagern gemacht hat. Das ist eine Subkultur der Integrität, Rebellion, des Frusts, der Entfremdung – und der Klebstoff, der Generationen aus unnatürlicher Unterdrückung befreit hat. Rock’n’Roll ist politisch. Er ist ein bedeutsamer Weg, Widerstand auszudrücken, eine Revolution in Gang zu bringen und für Menschenrechte zu kämpfen.“
Die Politik sollte erst später kommen. Zunächst war sie nur ein Teenager mit einem Traum.

Es wäre leicht zu sagen, dass wenn Joan Jett nicht existierte, wir sie erfinden müssten. Zum Glück war das nicht nötig. Sie erfand sich selbst. Mit 13 hatte sie schon Black Sabbath live gesehen. Doch wenn man nach einem Zündfunken sucht, könnte man den New York Dolls die Schuld für Jetts Karriere in die Schuhe schieben. Sie war kaum ein Teenager, als sie die trashigen Auf-die-Fresse-Kunstprovokateure in einem Club nahe ihres Zuhauses in der Vorstadt von Maryland sah. Dass sie minderjährig war, spielte dabei keine Rolle. Die Geschichte sollte zeigen, dass ein unbedeutendes Detail wie ihr Alter sie nicht aufhalten kann – damals wie heute. „Ich war in der ersten Reihe und ließ nach der Show David Johansens leere Bierflasche mitgehen“, erinnert sie sich. „Das war mein erstes Rock’n’Roll-Souvenir.“ Diese Bierflasche war sicher nicht das einzige, was sie von den Dolls mitnahm. Ihr roher, ungelernter Ansatz in ihrer Musik zeigte ihr, dass alles möglich war, wenn man nur die richtige (schlechte) Einstellung hatte.

Nicht mal ein Jahr nach dem Dolls-Konzert wurde dieses ernste, intensive Mädchen ohne Aufhebens kurz vor seinem 14. Geburtstag in die Vorstadt von Südkalifornien verfrachtet. Andere, weniger reife Teenager hätten sich von so einem Umzug nach Westen vielleicht entfremden lassen, doch nicht Jett. Sie war nur 40 Kilometer und ein paar Busfahrten von Rodney Bingenheimers English Disco entfernt, einem Club am Sunset Boulevard. Das war die Keimzelle für die Glam-Bewegung in den USA und Jett wusste, dass dort ein magischer Schlüssel auf sie wartete. „Als ich nach L.A. kam, merkte ich, dass ich in einer Rock’n’Roll-Band sein wollte“, erklärt sie. „Und zwar einer nur aus Mädchen, die aber ernsthaft spielen wollen. Ich las von diesem Ort in Hollywood, der auf Teenager zielte und britische Musik spielte, die es nie zu uns rüber schaffte.“

Es stellte sich heraus, dass Rodneys Club zum perfekten Labor für Jett werden sollte. Dort gab es Gefahr, einen Hauch von Rockstar-Dekadenz, doch vor allem eine Gruppe von Menschen, die durch die Musik zueinander fanden, in diesem winzig kleinen Abgrund zwischen Glam und Punk. „Ein prägender Moment im Leben jedes jungen Außenseiters ist es, auf Gleichgesinnte zu treffen, selbst wenn man nichts gemeinsam hat außer dem Ge­­fühl, nirgends sonst dazuzugehören.“

Sie entwickelte ihren ganz eigenen Glam-Klamottenstil, stellte sich an, um Keith Moons Autogramm zu bekommen (mit Erfolg), und sah einmal auf ihrem Weg in den Club eine Leiche. Sie wusste, dass sie exakt da war, wo sie sein musste – Leiche hin oder her. „Alle trugen diese riesigen Plateausohlen und Glitter. Die Jungs waren geschminkt. Alle waren auffällig und alles war androgyn. Dort entdeckte ich dann Bowie, T. Rex, Sweet, Slade und Gary Glitter.“ Es war auch der erste Ort, an dem ihr Suzi Quatro zu Ohren kam. „Als ich ›48 Crash‹ hörte, dachte ich: Da ist doch ein Mädchen, das Rock’n’Roll spielt! Wenn Suzi Quatro es konnte, konnte ich das auch, und es musste noch andere geben.“

Und so kam es, dass Jett sich im März 1975 in der Lobby des Continental Hyatt House in West Hollywood niederließ, um einen Blick auf Quatro zu erhaschen. Sie saß dort den ganzen Tag mit einer Freundin und sprach Quatro nicht an, sondern starrte sie nur an, wenn sie vorbeiging. „Was ist los mit dem Mädel da, das mich die ganze Zeit anschaut und genauso wie ich aussieht?“, fragte die Sängerin ihren damaligen Pressesprecher und Tourmanager Toby Mamis. Um 23:00 Uhr trat Mamis schließlich an Jett heran und sagte ihr, Suzi sei ins Bett gegangen. „Ich kann jetzt nicht nach Hause fahren“, erwiderte sie. „Der letzte Bus ist schon weg und ich habe meiner Mutter erzählt, dass ich bei einer Freundin übernachten werde. Ich komme hier schon klar.“ Mamis war gerührt und er­­laubte der jungen Joan und ihrer Freundin, in seinem Hotelzimmer auf dem Boden zu schlafen.

Ihrem Idol sollte sie dann erst Jahre später begegnen, doch Mamis würde noch eine entscheidende Rolle in ihrem Leben spielen. Nach dieser mutigen Nachtwache schienen sich die Dinge für Jett zu beschleunigen. Im folgenden Monat hatte sie durch Kari Krome, eine etwa gleichaltrige Freundin aus dem Rodney’s, den Hollywood-Impresario Kim Fowley kennengelernt. Krome schrieb Songs, die Fowley veröffentlichte. „Ich erzählte Kari, dass wir eine Band nur aus Mädchen gründen sollten“, erinnert sich Joan. „Sie sagte, sie spiele kein Instrument, sie schreibe nur, und vielleicht sollte ich mich darüber mit Kim unterhalten.“

Sie kontaktierte Fowley, sagte ihm, sie spiele Rhythmusgitarre und dass sie eine Mädchenband gründen wolle – und zwar keinen Scherz-Act, sondern mit richtigen Musikerinnen. Wenig später stand Fowley auf dem Parkplatz des Rainbow Club. Eine gewisse Sandy West erkannte den et­­was unheimlichen, zwei Meter großen Songwriter und erzählte ihm ihrerseits, dass sie Schlagzeugerin sei, in Bands in Huntington Beach spiele und auch eine Mädchenband gründen wolle. Er gab ihr Jetts Telefonnummer und sie rief sie an. Jett nahm vier verschiedene Busse nach Huntington Beach und die beiden jammten.

Fast umgehend fingen die neuen Kolleginnen (plus Kro­me) an, andere zum Vorspielen einzuladen. Sie stellten schließlich Bassistin Micki Steele (später ersetzt durch Jackie Fox), Gitarristin Lita Ford und Sängerin Cherie Currie ein – das erste Line-up der Runaways war ge­­boren. Fowley führte dann sogenannte „Zwischenrufer-Drills“ durch, bei denen er und andere brüllten und Sachen warfen, um die Mädels für die Bühne „abzuhärten“.


„Es wäre mir nie eingefallen, dass ich die Bastion des Rock’n’Roll nicht stürmen könnte. Aber ich dachte schon, dass die Leute von einer nur aus Frauen bestehenden Rock’n’Roll-Band in Aufruhr versetzt werden würden“, sagte sie 2000. „Und so war es dann auch.“

Neuheiten: Ab heute im Plattenladen

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Es ist wieder Freitag, das heißt, dass die Regale der Plattenläden wieder prall gefüllt werden mit Neuerscheinungen. Heute u.a. von Teenage Fanclub, Staind, Bruce Soord und Rising Wings.

Teenage Fanclub: NOTHING LASTS FOREVER

„Ab ihrem fünften Album SONGS FROM NORTHERN BRITAIN (1997) hatten sie sich eingependelt. Seitdem liefern sie mit jeder Platte konstant feine Ohrwürmer, geprägt von lebensweiser, ausgeglichener Melancholie.“

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Staind: CONFESSIONS OF THE FALLEN

„Der vertraute Sound des Quartetts aus Springfield, Massachusetts wird so in das dritte Jahrzehnt des neuen Jahrtausends katapultiert, ohne aufgesetzt zu wirken. Ein paar Samples hier, ein Growl-Part da, gepaart mit einer auf den Punkt eingespielten, zeitlosen Instrumentierung, die eine perfekte Basis für die enorm ausgefuchsten Lyrics und packend eingesungenen Vocals von Lewis bildet.“

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Bruce Soord: LUMINESCENCE

„Auch wenn Experimentierfreude in Form von elektronischen Instrumenten, Loops und durchaus komplexen Arrangements gegeben ist, fehlt am Ende doch der letzte Kick, um die Stücke frontal in die Aufmerksamkeit des Hörers zu treiben.“

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Rising Wings: REACH

„REACH hätte ein bisschen mehr Zeit für Abwechslung und Feinschliff gebrauchen können. Dennoch lässt sich die Platte gut als stimmige AOR-Hintergrundbeschallung hören. Und dass Florian Bauer über all die Jahre an sein Herzensprojekt geglaubt hat, ist wirklich aller Ehren wert.“

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Teenage Fanclub: NOTHING LASTS FOREVER

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Wenn die Perfektion erreicht ist, muss man nichts mehr verändern

Klar, wir alle bewundern David Bowie dafür, dass er ein ewiges Chamäleon war und sich immer wieder neu erfand. Aber es gibt auch ein Argument dafür, alles genauso wie immer zu machen – und das heißt Teenage Fanclub. In den frühen 90s tauchten die Schotten als melodiöse Schrummel-Band zwischen Big Star und Dinosaur Jr auf, etwa ab ihrem fünften Album SONGS FROM NORTHERN BRITAIN (1997) hatten sie sich eingependelt. Seitdem liefern sie mit jeder Platte konstant feine Ohrwürmer, geprägt von lebensweiser, ausgeglichener Melancholie. Der Ausstieg/Rauswurf von Gerard Love, einem der drei Songwriter in der Gruppe, nach HERE (2016) hätte ein Problem sein können – die anderen fühlten sich durch seine Unlust zu touren gebremst. Aber mit Neumitglied Euros Childs (früher Gorky’s Zygotic Mynci) wurde sein Abgang ideal kompensiert. Auf ENDLESS ARCADE (2021) hielt sich Euros noch höflich zurück, auf NOTHING LASTS FOREVER kann man seinen Stempelabdruck im Harmoniegesang und der Melodieführung schon klarer erkennen. Eine willkommene Nuance an Veränderung auf Teenage Fanclubs sanfter Reise durch die Beständigkeit auf höchstem Niveau.

8 von 10 Punkten

Teenage Fanclub
NOTHING LASTS FOREVER
PEMA/ROUGH TRADE

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