Greta Van Fleet, die wunderbaren Hüter der ewigen Flamme des Rock’n’Roll, haben sich mit STARCATCHER von der Dunkelheit und Ungewissheit der letzten Jahre befreit. Das Album ist ein Retro-geschwängerter Feuerball an kosmischem Licht und Liebe, das vielleicht die Jahrhunderte überdauern wird.
„I’m singing in the rain, just singin‘ in the raaaiiin….“, Greta Van Fleets Leadsänger Josh Kiszka, mit Undercut und buntem Printshirt, singt in einer spaßigen Musical-Stimme. Es regnet. Genauer gesagt tröpfelt es ein wenig an jenem schwülen Juninachmittag. Eben gerade nicht stark genug, um uns von der Dachterrasse des Soho-House in Nashville, Tennessee zu vertreiben. Vor mir sitzen Josh, sein Zwillingsbruder und Gitarrist Jake, der jüngere Bruder, Bassist und Keyboarder Sam und der Ehrenbruder und Drummer Daniel Wagner – gut gelaunt und in legerer Rockstar-Garderobe, zum Plaudern aufgelegt und sich ständig gegenseitig aufziehend, so wie Brüder es eben tun.
Bevor wir loslegen, erzählt Josh die Geschichte des glücklichen Zufalls, der dazu führte, dass Malcolm McDowell ›Singin‘ In The Rain‹ im Film „A Clockwork Orange“ sang. Diese Typen sind echte Musik- und Popkultur-Nerds und während unseres einstündigen Gesprächs kommen wir auf Jimi Hendrix, George Harrison, Eric Idle, Pete Townshend, Peter Sellers, Blind Faith, die Rolling Stones, David Bowie, Freddie Mercury und Led Zeppelin. „Das ist alles ein Teil von „The Infisonicosm“, erklärt Jake mit einem Grinsen. „Wir sind so nerdig, dass wir uns einen eigenen Begriff für das Greta-Van-Fleet-Universum ausgedacht haben.“ Josh klärt auf: „Das ist die Kurzform von „infinite sonic cosmos“, das Konzept beruht auf dieser Idee aus dem Hinduismus, dass viele Welten in vielen Welten eingeschlossen sind.“
„Keiner von uns ist besonders religiös. Wir sprechen über die Idee eines Gottes, nicht zwingend eines christlichen Gottes“ (Sam Kiszka)
Musikalisch gesehen ist dieser „Infisonicosm“ ein Ort von auf den ersten Blick unpassenden Zusammenschlüssen. Epische Gitarrenriffs erklingen neben dem transzendentalen Humanismus eines Ralph Waldo Emerson, Kehlkopf zerschreddernde Hymnen vereinen die klassische poetische Sprache von Dante und Chaucer in sich. Da die Band im Durchschnitt 25 Jahre jung ist, mag dies von Zeit zu Zeit etwas überraschend wirken, ja manchmal gar ein wenig gekünstelt oder suspekt. Doch ein Interview mit den Gretas lässt keinen Zweifel an ihren ehrlichen Absichten. Schon seit ihrem Debüt aus dem Jahr 2018 gibt es daran keinen Zweifel – ihre seltsame Retro-Alchemie hat sie in eine Arenen füllende Sensation verwandelt und gleichzeitig in begeisterte Fackelträger der Rock-Traditionen. Und auch zum Lieblingsziel einiger Kritiker. Fiese Ausdrücke wie „derivativ“ oder „blutsaugend“ wurden ihnen schon an den Kopf geworfen. Wahrscheinlich vor allem wegen des nur schwer zu leugnenden Misty-Mountain-Zeppelinismus auf dem ersten Album. „Seit Anfang an stehen wir unter Beschuss aus allen Ecken“, erklärt Jake und sieht dabei immer noch leicht verletzt aus. „Doch viele Menschen verstehen auch, woher wir kommen“, ergänzt Josh. „Sie verstehen, wie wichtig es für uns ist, ein Teil des Stammbaums zu sein.“ Sam fügt hinzu: „Wir mussten uns deren Respekt verdienen.“ Daniel meint: „Die eigenen Helden zu ehren bringt viel Verantwortung mit sich. Im Grunde stehen wir auf den Schultern jener Riesen, die vor uns waren.“
Auf ihrem neuen Album STARCATCHER spürt man definitiv, wie sie ihre Füße von jenen ehrwürdigen Schultern heben, über ihre Einflüsse hinausschreiten und nach etwas Reiferem greifen. Ihren Ursprung fand die Platte in dem Willen, der Angst und Ungewissheit jüngster Zeiten zu entfliehen. „Nach zwei Jahren der Dunkelheit und Stille durch Covid, wollten wir einen klanglichen Lichtblick schmieden, wie ein Feuerschweif, der aus der Leere führt.“, so Jake. Gleichzeitig wollten sie einen anderen Ansatz verfolgen als die akribischen Herangehensweise, die hinter ihrem zweiten Album THE BATTLE AT GARDEN’S GATE von 2021 steckte. „Was wir von der letzten Platte mitnahmen, war, dass wir es diesmal etwas lockerer angehen lassen, dem kreativen Prozess mehr vertrauen wollten. Also hatten wir die Songs vorher noch gar nicht fertig.“, so Josh. Es war gar nicht so einfach, einen Produzenten zu finden, der für diese doch etwas riskante und unsichere Herangehensweise bereit war. Sam meint: „Wir trafen uns mit zwei oder drei Produzenten, denen unsere Idee gar nicht gefiel. Sie konnten nicht einen Song nach dem anderen machen und dabei mit gutem Gefühl dem Flow vertrauen. Doch Dave Cobb konnte das und so wurde er zu einem aktiven Ehrenmitglied der Band.“ Cobb, am besten bekannt für seine Arbeit mit Jason Isbell und Chris Stapleton, lud die Band in das historische „RCA Studio A“ in Nashville ein – ein akustisches Wunder, das von Country-Produzent Chet Atkins und Sounddesigner John Volkman eingerichtet wurde.
Der Hauptraum ist etwa so groß wie eine Turnhalle, groß genug für Chöre und Orchester, und verleiht STARCATCHER eine verblüffende Tiefe und Klarheit. „Dieser große Raum war wie ein Spielplatz“, erinnert sich Daniel zurück. „Wir gingen hinein, krallten uns unsere Gitarren, jammten, sangen. Und Dave war stets als Vertrauensfaktor da, er gab jeder Idee eine Chance.“ So formte sich eine Art kreatives Relais – jedes Mitglied verzog sich mit einem Inspirations-Nüsschen wie ein Eichhörnchen in einen der privaten Räume des Studios, entwickelte die eigenen Parts und gab sie weiter, bevor man wieder im Hauptraum zusammenkam, um die Songs mit glühender Energie einzufangen. „Ein Greta Van Fleet Song muss sich durch die Gruppe selbst filtern“, erklärt Jake. „Jedes Mitglied muss diese Idee einmal angefasst haben, bevor wir die Essenz daraus herauslesen können.“ Nach einigen Wochen intensivsten Studiolebens waren die Basic-Tracks im Kasten. Danach mussten sie auf eine zehnmonatige Welttournee gehen, wo sie einige der neuen Songs live antesteten. Anfang 2023 trafen sie Cobb in einem Studio in dessen Heimatstadt Savannah, Georgia, um die Aufnahmen nochmal mit frischen Ohren zu bewerten und um Overdubs hinzuzufügen. Das Ergebnis dieser einjährigen Aufnahme-Reise, STARCATCHER, klingt nach zehn individuellen, handgefertigten Flaschen – jede davon enthält nicht nur eingefangene Sterne, sondern auch Blitze. Von der himmelsähnlichen Majestät eines ›Fate Of The Faithful‹ über den Thor’schen Hammerangriff namens ›The Falling Sky‹ bis hin zur andersweltlichen Ballade ›Meeting The Master‹ – ein beeindruckendes Beispiel für Josh Oktaven-überspannende Stimme – hört man hier den Sound einer Band, die ihr Potential ausschöpft. Mit Betonung auf potent.