Eigentlich hört die Gitarrenlegende ja „keine Songs, sondern Sounds“, doch diese Favoriten konnten wir Michael Schenker für das CLASSIC ROCK-Roulette dann doch noch entlocken.
Ghost B.C. – IF YOU HAVE GHOST
Schwarze Cover-Messe mit Humor.
Dave Grohls Begeisterung für Ghost B.C. ist kein Geheimnis; für die neue EP der okkulten Priesterriege hat er sogar auf dem Produzentenstuhl Platz genommen. Nicht nur das ist außergewöhnlich: Bei IF YOU HAVE GHOST handelt es sich um die wohl kurioseste und deswegen unterhaltsamste Coversammlung, die es in den letzten Jahren von einer düsteren Rockband zu hören gab – unerreicht geniales „Nosferatu“-Artwork inklusive! Eingebettet in einen weit weniger weichlichen und konturlosen Sound als noch auf dem letzten Album, musizieren sich Ghost B.C. munter durch die Musikhistorie, starten natürlich mit ›If You Have Ghosts‹ von Psychedelic-Gott Roky Erickson und machen die Nummer gleich zu so etwas wie ihrer neuen Bandhymne. Noch besser wird es allerdings bei ›I Am A Marionette‹, einem der weniger bekannten ABBA-Songs, der nicht nur durch seinen Inhalt, sondern auch durch die leicht dissonante Musikführung perfekt zu den geheimnisvollen Schweden passt. Der Army-Of-Lovers-Schinken ›Crucify‹ kommt morbide und schwarzmagisch daher, passt ebenfalls überraschend gut in den hymnischen Rocksound der Band. Übertroffen wird das alles von ›Waiting For The Night‹ (Depeche Mode), das nach der Geisterbehandlung eine Art doomiger Romantik-Schmachtfetzen geworden ist. Eine kuriose Mischung, die man bei allem Kitschpotenztial gehört haben sollte. Ghost B.C. – immer für ein teuflisches Schmunzeln gut.
SAMSARA BLUES EXPERIMENT – KEIN ZUCKERSCHLECKEN
Samsara bedeutet im Alt-Indischen „endloser Kreislauf von Tod und Wiedergeburt“, aus dem die Religion den Menschen befreien soll. Die indische Kultur ist einer von vielen Einflüssen der Berliner Hippie-Rocker Samsara Blues Experiment, die schweren Blues mit mäanderndem Prog Rock verbinden.
Bei genauem Zuhören finden sich die Klänge einer indischen Sitar im Mix von Samsara Blues Experiment. Dazu heißt der erste Song ›Shringara‹: „So bezeichnet man in der hinduistischen Philosophie die Beziehung zwischen Mann und Frau“, informiert Christian Peters. Der 33-Jährige ist Sänger und Gitarrist des Quartetts, dazu verfasst er die Texte und den Großteil der Songs. In den Zeilen von ›Brahmin’s Lament‹ „geht es mich fasziniert“, wie Peters verrät. „Dabei bin ich keinesfalls Hindu, sondern Atheist. Aber ohnehin scheint es mir unmöglich, als Mitteleuropäer in wenigen Jahren zu verstehen, was der Hinduismus bedeutet. Das erfordert Jahrzehnte.“
Das dritte Album der Hauptstädter WAITING FOR THE FLOOD sei „wesentlich positiver ausgefallen“ als der recht pessimistische Vorgänger REVELATION & MYSTERY (2011). Das aktuelle Werk offeriert vier ausgedehnte Werke, die jeweils mehr als zwölf Minuten dauern. Musikalisch nennt Peters die Bands der „Canterbury Szene“ als wichtigen Einfluss, speziell Caravan, Khan und Camel. Wie schon der Name andeutet, ist der Blues das Fundament: „Der Blues ist das Gefühl, was in mir ist. Ich hatte auch mal eine Metalband namens Terraplane, die ein Album gemacht hat. Aber ich fühle mich bluesig und mag besonders die Bands der 70er Jahre“, meint Peters, der seine Bandkollegen 2008 suchte und fand.
Erfreut berichtet er von der wachsenden Popularität, die Samsara Blues Experiment genießen. So waren die Hippie-Rocker zu Gast im WDR-„Rockpalast“. Ihr Gig wurde auf der Live-Scheibe LIVE AT ROCKPALAST festgehalten. „Unsere Szene ist im Kommen, was man an den vielen Black-Sabbath-Revivalbands wie Orchid sehen kann, Kadavar laufen sogar im Radio. Jüngst haben wir auf einem Festival vor 2.000 Leuten gespielt. Wenn wir Headliner sind, kommen in Berlin 500 Besucher.“ In den nächsten Wochen geht der Vierer auf eine 23-Städtetour und durchquert den Kontinent von Südeuropa bis Skandinavien.
„Obwohl wir unser letztes Album über 10.000 mal verkauft haben, verdienen wir mit der Musik kein Geld“, bedauert Peters, der nebenher als Graphikdesigner seinen Lebensunterhalt verdient. „Immerhin zahlen wir nicht drauf, die Band trägt sich, aber sie bedeutet auch sehr viel Arbeit. So verschicke ich das Merchandise selber, sogar aus Australien sind schon Bestellungen gekommen.“ Für den Idealisten ist der Bonus des Musikerlebens „das Reisen und die sozialen Kontakte. Wir sind bis in die USA gekommen. Im Lauf der Zeit haben wir tolle Beziehungen entwickelt, einfach, weil ich in aller Welt Bands angeschrieben habe, ob die nicht Bock hätten, mit uns ein Konzert zu organisieren. Dann sind wir da hingefahren und wurden als Gäste aufgenommen. So bekommst du viel mehr mit von dem Land, als wenn du bloß Tourist wärst.“
Wilde Parties nach den Konzerten sind freilich nicht drin, „das würde mein Körper nicht mitmachen. Unsere Shows dauern zwei Stunden, da muss ich fit sein. Als Frontmann muss ich meine Stimme schonen, die anderen können schon mal feiern, aber ich gehe ins Bett“, sagt der Mann mit dem Mittelscheitel ohne das geringste Bedauern. „Rock’n’Roll ist kein Zuckerschlecken, aber er ist trotzdem unser Leben. Das passt schon.“
DUNCAN EVANS – Alte Farben, neue Bilder
Dass sich Duncan Evans in den letzten Jahren als Gitarrist der Avantgarde-Black-Metal-Band A Forest Of Stars einen Namen erspielt hat, hört man seinem Einstand als Solist nicht an. Auf LODESTONE wandelt der Brite in erster Linie auf düsteren Akustik-Pfaden und knüpft textlich wie musikalisch an den britischen Folk der späten 60er Jahre an, ohne sich allerdings als traditioneller Fackelträger zu verstehen. Für das spätabendliche Interview mit CLASSIC ROCK hat sich Evans in sein spärlich beleuchtetes Wohnzimmer zurückgezogen, und im Hintergrund läuft leise die Musik der deutschen Jazz-Größe Eberhard Weber.
Soundmäßig ist LODESTONE ziemlich genau das Gegenteil von A Forest Of Stars. War diese musikalische Kehrtwende von Anfang an beabsichtigt?
Die Idee für ein akustisches Soloprojekt hatte ich schon, lange bevor A Forest Of Stars überhauüt existieren. Erst jetzt war allerdings der richtige Zeitpunkt dafür gekommen. Ich empfinde es als musikalisch sehr befruchtend, sich einer ganzen Reihe unterschiedlicher, eklektischer Stile zu widmen. Die wichtigste Frage ist doch nicht, wie ein Genre heißt, sondern ob die Musik gut ist oder nicht!
Dein Album besticht durch natürliches „Live”-Feeling. War das im Studio schwer zu erreichen?
Die Platte wurde ohne Click-Tracks aufgenommen, und das hatte spürbar Einfluss auf das Gefühl, das die Aufnahmen vermitteln. Das Tempo der Songs variiert dadurch auf, so hoffe ich, natürlich fließende Art und Weise. Ich finde, Musik sollte, wo immer möglich, „atmen“ können und ihr eigenes Tempo, ihren eigenen Groove ohne die Hilfe eines Metronoms finden.
Das Zusammenspiel von akustischen und elektrischen Gitarren verleiht LODESTONE eine sehr markante Klangfarbe. Steckte ein vorgefertigter Plan dahinter?
Ich wollte für das Album einen „akustisch” gefärbten Sound haben, doch im Laufe der Produktion wurde mir klar, dass ich den Songs mit Stromgitarren-Overdubs und einigen weiblichen Backing Vocals noch etwas Licht und Schatten hinzufügen konnte, um sie melodisch und harmonisch interessanter zu gestalten. Die Akustikgitarre sorgt so für das Hauptgerüst der Musik, das von der elektrischen Gitarre durchbrochen wird, wodurch Spannung und Atmosphäre entstehen.
Folk hat in den letzten Jahren in verschiedenen Formen ein Comeback erlebt. Fühlst du dich dem Genre verpflichtet?
Ich zögere, meine Musik „Folk“ zu nennen, weil ich darunter in erster Linie traditionelles Liedgut, und nicht akustisch-basierte Musik generell verstehe. Natürlich greife ich auf viele Folk-Traditionen zurück, aber ich bin kein Folk-Künstler wie etwa Martin Carthy, dessen Hauptinteresse darin zu bestehen scheint, traditionelle Lieder zu überarbeiten und weiterzutragen. Anstatt dieses „Ein neues Bild im alten Rahmen“-Ansatzes geht es mir eher darum, ein völlig neues Bild zu malen, auch wenn ich bisweilen auf die alte Farbpalette zurückgreife.
Wie bist du überhaupt zu dieser Art Musik gekommen?
Mein Interesse erwachte, als ich im Teenageralter akustische Songs auf den Platten von Heavy-Rock-Bands wie Led Zeppelin entdeckte. Als ich zum ersten Mal ›Black Mountain Side‹ hörte, war ich vollkommen baff, dass letztlich nur eine einzelne Akustikgitarre für diesen Sound verantwortlich war. Später fand ich heraus, dass Jimmy Page das Arrangement des Songs von Bert Janschs ›Black Waterside‹ kopiert hatte. Das führte mich zu Janschs Band Pentangle, gemeinsam mit Fairport Convention und Steeleye Span die Speerspitze des British Folk der 60er. Die Fäden begannen zusammenzulaufen, und bald war ich nach Richard Thompson genauso verrückt wie zuvor nach Black Sabbath.
EAT THE GUN – Keine Tricks
Passend zum Titel besinnen sich Eat The Gun auf STRIPPED TO THE BONE auf ihre Essenz: Das von H-Blockx-Bassist Stephan „Gudze“ Hinz erdig produzierte Viertwerk kommt geradlinig-ballastfrei daher, rückt die metallische Seite der Band in den Hintergrund und ihr Gespür für eingängigen, melodiestarken Alternative Rock der Marke Foo Fighters in den Fokus.
„Wir waren an ähnliche Bedingungen wie die Foo Fighters bei ihrem letzten Album gebunden. STRIPPED TO THE BONE produzierten wir quasi gänzlich dort, wo wir auch proben: in einem alten Lagerhaus am Rande unserer Heimatstadt Münster“, berichtet Sänger und Gitarrist Hendrik Wippermann. „Weil wir – anders als Herr Grohl und Co. – mit einem mickrigen Budget arbeiten mussten, waren wir gezwungen, das Beste aus den räumlichen Gegebenheiten herauszuholen, die uns kostenfrei zur Verfügung standen. Das Schlagzeug nahmen wir in einer großen, alten Lagerhalle auf und bauten aus Paletten und Kartons Räume, die unseren klanglichen Vorstellungen entsprachen.“
Zuvor hatte Wippermann erstmals in Eat The Guns elfjähriger Geschichte alle Stücke eines Albums ausschließlich auf einer Akustikgitarre komponiert. Erst im Anschluss arbeitete er die Nummern gemeinsam mit Schlagzeuger Gereon Homann und Bass-Neuzugang Peter Bergmüller aus. „Ich schreibe am liebsten ganz klassisch mit der Westerngitarre, weil für mich Texte und Gesangsmelodien die Basis eines guten Songs ausmachen. So kann ich meine Entwürfe musikalisch am besten auf den Punkt bringen“, verrät Eat The Guns Vordenker. „Ich stelle den Jungs dann meine Ideen bei unseren Sessions vor, und wir fangen an, auszuwählen und an Liedern zu arbeiten. Ich glaube, durch diese Arbeitsweise habe ich weniger klassische Riffs geschrieben. Weil der Schwerpunkt weniger auf der Gitarrenarbeit liegt und die Songs im Vordergrund stehen, fällt das Album insgesamt etwas ‚alternativer‘ aus. Je ausgedünnter und versierter man musikalisch arbeitet, desto mehr Platz haben die einzelnen Instrumente. Dadurch klingt das Endresultat viel intensiver. Wir mögen keine überproduzierten Alben, sondern arbeiten gerne mit dem, was wir haben. So müssen wir live nicht tricksen, und die Leute bekommen genau das, was sie auch auf dem Album hören.“
Von vier Musikern eingespielt, wäre STRIPPED TO THE BONE ausgefallen. Anders ausgedrückt: Auf sicherlich deutlich weniger reduziert Album Nummer vier profitieren Eat The Gun erstmals in großem Maße von ihrer Schrumpfung vom Quartett zum Trio im Jahr 2007. „Ich habe darüber nie nachgedacht, aber die Frage ist gut. Vielleicht ist es uns auf STRIPPED TO THE BONE zum ersten Mal gelungen, unsere Vorstellung des Eat-The-Gun-Sounds so umzusetzen, wie wir es immer wollten“, überlegt Hendrik. „Man findet sein aktuelles Album ja meistens am besten, wobei ich im Kopf schon längst wieder mit neuem Material beschäftigt bin. Unserer Meinung nach spiegelt STRIPPED TO THE BONE die Gruppe so gut wider wie kein anderes Eat-The-Gun-Album zuvor – wobei wir unsere alten Platten nach wie vor sehr mögen. Wir sehen uns eigentlich als Live-Band und stellen immer sehr hohe Ansprüche an uns. Ich habe manchmal schon viel zu tun auf der Bühne, aber das Zusammenspiel als Trio begrenzt uns musikalisch nur im positiven Sinn: Wir lassen gezwungenermaßen alle überflüssigen Elemente weg und versuchen, aus dem, was wir haben, das Maximum herauszuholen.“ Mit Erfolg, wie der Gute-Laune-Garant STRIPPED TO THE BONE beweist.
WILLIE NILE – Die Macht der Musik
Ein Ritt durch die Vereinigten Staaten, ausgehend von New York: Willie Nile beschwört den Geist des Rock‘n‘Roll.
Es herrschte eine Zeit, da New York den Takt vorgab. Im legendären Musikclub CBGB erschufen Bands und Künstler wie die Ramones, Talking Heads, Patti Smith, Graham Parker, Richard Hell und viele andere eine neue, aufregende Art von Musik. Im Publikum: Ein junger Singer/Songwriter, der sich schon bald anschicken wird, die Welt der Rockmusik mit eigenen Perlen zu bereichern: Willie Nile.
33 Jahre nach seinem Albumdebüt führt uns Nile auf seinem im Sommer erschienenen Album AMERICAN RIDE in diese Ära zurück, ohne antiquiert zu klingen. Die zwölf wild-romantischen Songs des New Yorkers nehmen den Hörer nicht nur auf einen Trip durch die US of A mit, sie wecken auch ganz klassisch und zudem ungemein fröhlich Sehnsüchte. ›Life On Bleecker Street‹ etwa, angereichert mit einem keck-famosen Frauenchor, beschwört den alten Geist von Greenwich Village.
„Wenn ich aus dem Fenster meines Apartments schaue“, sagt der inzwischen 65-Jährige gutgelaunt durchs Telefon, „blicke ich direkt auf diese Straße hinunter. Früher traf man dort Allen Ginsberg oder Bob Dylan, weil sie dort zu Hause waren. Eines Morgens wachte ich auf und hatte den kompletten Song im Kopf.“ Auch ›This Is Our Time‹ oder das stürmische, dezent an Jimi Hendrix’ Version von ›All Along The Watchtower‹ erinnernde ›Holy War‹ sprühen uns noch einmal die Gischt der späten 70er und frühen 80er Jahre ins Gesicht, als New York die Keimzelle innovativer Musik war, berstend vor Einfällen, die frisch und fremdartig klangen und dennoch schnell in den Mainstream vordringen sollten. Leben – das war Gegenwart. Und endete für viele Weggefährten des Gitarristen jäh und unerwartet, wie uns ›People Who Died‹ ebenso sarkastisch wie charmant erzählt. Niles Bruder John etwa, von dem es im Text heißt „Johnny, I miss you more than all the others“, starb vor sechs Jahren. „Wäre er krankenversichert gewesen, hätte er sich durchchecken lassen können. So jedoch starb er viel zu jung an einem Herzinfarkt“, schildert der Sänger mit eindringlichen Worten.
Und dann spricht der tatendurstige Großstädter über das moderne, heutige Amerika, das ihm nicht mehr gefällt. „Die Menschen sind uninformiert. Sie lassen sich daher leicht manipulieren. Vieles läuft falsch.“ Und mit Überzeugung in der Stimme fügt er hinzu: „Aber ich glaube noch immer an die Macht der Musik. Ich glaube, dass sie die Welt zu einem besseren Ort machen kann.“ Wer AMERICAN RIDE hört, ist geneigt, diesem Statement zu glauben.
Feuer und eine aufrichtige Leidenschaft stecken in diesen Songs, ein loderndes Funkeln, das verzaubert und ansteckt. Mal kommen diese Songdiamanten unvermutet swingend daher wie ›Say Hey‹, in anderen Stücken hört man Niles Vorliebe für Buddy Holly (›God Laughs‹) und Bob Dylan (›The Crossing‹) heraus. Immer jedoch klingt er eigenständig und nach sich selbst, wovon man sich im November live überzeugen lassen kann. Erstmals ist der mit Bruce Springsteen befreundete Künstler nicht nur auf Promotion-Tour in Deutschland unterwegs, sondern spielt auch reguläre Konzerte. Selbst schuld, wer sich die entgehen lässt. AMERICAN RIDE hat alles, was es braucht, um in Zeiten wie diesen den Kopf über Wasser zu halten: altmodischen Rock’n’Roll-Spirit, eine Prise Punk und etwas Swing, klassischen Rock, bezwingende Melodien und etwas, was inzwischen seltener ist als ein Teenager, der weder Handy noch iPhone besitzt: Seele. Und zwar jede Menge davon.
Henrik Freischlader – Blaue Kappe
Die Mütze ist sein Markenzeichen. Der Mann aus Wuppertal ist ein Allrounder, für sein Ende November kommendes Album NIGHT TRAIN TO BUDAPEST spielte er wieder alle Instrumente selber ein – bis auf die Hammond-Orgel. Damit nicht genug, er betreibt auch noch seine eigene Plattenfirma: Cable Car Records.
Der 33-jährige Blueser verfügt über eine höchst angenehme Eigenschaft, er hat Humor. Auf die Frage, ob etwas an ihm typisch für einen Wuppertaler sei, antwortet er: „Ja, die Schwebebahn! Wir sind uns sehr ähnlich, wir hängen beide ständig in der Luft.“ Dabei kann von einem Durchhänger in Freischladers Karriere keine Rede sein, im Gegenteil, für Henrik geht’s bergauf. So folgte auf sein letztes Studioalbum HOUSE IN THE WOODS eine 14-wöchige Tournee im In- und Ausland. Zudem haben sich die Hallen, in denen der Autodidakt aufspielt, in den letzten Jahren stetig vergrößert und die verkauften Tickets damit vervielfacht.
„Die neue Platte wird sehr rockig und brachial, wenn man sie aufdreht, tut sie weh“, kündigt Henrik augenzwinkernd an. „Wir haben mit acht Amps aufgenommen und die waren ständig gleichzeitig in Betrieb – die Heizung im Studio war also größtenteils aus… Es wird aber auch schöne Balladen geben, sehr intim und offen.“ Zum Albumtitel sagt er: „Das neue Album heißt NIGHT TRAIN TO BUDAPEST. Ich bin ein paar Mal mit dem Zug nach Budapest gefahren und habe das als überaus kreative Erfahrung erlebt. Das Vorüberziehen der Weite dort draußen ist bestens geeignet, vieles aus einer übergeordneten Perspektive zu betrachten. Die Vorfreude auf diese wunderschöne Stadt und die rührend herzlichen Menschen dort brachten immer viel in Bewegung und wirkten inspirierend.“
Freischlader empfindet es als Herausforderung, den blauen Noten anno 2013 neue Seiten abzuringen. „Man muss sich daran erinnern, dass der Blues für fast jede andere Musikrichtung die Wurzel ist“, unterstreicht er. „Trotzdem kann man von einem 18-Jährigen nicht erwarten, dass er beim ersten Hören schon die simple Magie von Muddy Waters empfinden kann. Vieles funktioniert gerade bei der jüngeren Generation durch den Groove“, hat der rastlose Reisende in Sachen Blues heraus gefunden. „Mit drei Akkorden ist es nicht getan. Es geht um das Weglassen von Tönen, die richtige Platzierung, Timing, Sound, Ausdruck! Wenn man sich ein Slow- Blues-Solo von Derek Trucks anhört, dann weiß man, was man in diesem Leben vermutlich nicht mehr lernen wird“, lacht er bescheiden.
Als großen Lehrmeister preist Freischlader vor allem Gary Moore (1952– 2011), dieser sei vor allem ehrlich und innovativ gewesen. „Das Wichtigste war die Leidenschaft für Musik, die Gary in mir entfacht hat. Vom Moment an, als ich ihn zum ersten Mal hörte, fühlte ich auf einmal einen tieferen Sinn. Meine Liebe zur Musik bekam einen Fokus und die vielen verschiedenen Instrumente und Klangerlebnisse der Vergangenheit wurden plötzlich zum Fundament für eine machbare Zukunft mit und durch die Musik. Ich habe begonnen, mich zu interessieren, mich begeistern zu lassen. Ich begann nach immer mehr Musik und Einflüssen zu suchen und selbst kreativ zu sein! Ich zitiere mal den bekannten Satz von Dali: ‚Wer nichts nachahmt, bringt nichts hervor.’ Ich habe Gary sehr viel zu verdanken und bin ihm zutiefst verbunden und absolut davon überzeugt, dass wir uns irgendwann in einer anderen Welt wiedersehen werden“, sagt der bekennende Christ. Zum Schluss muss natürlich noch eine ganz bestimmte Frage kommen: Wie viele Mützen nimmt Freischlader eigentlich mit auf Tournee? „Genug, um einen klaren Kopf zu behalten!“
WOODEN SHJIPS – Im Westen ist’s am besten
Auf den Bandnamen Wooden Shjips kann man sich leicht einen Reim machen. Man denkt an den Song, der fast genauso heißt, von Crosby, Stills & Nash sowie Jefferson Airplane aufgenommen und von beiden Bands 1969 auf dem Woodstock-Festival gespielt wurde. Tatsächlich liegt man mit dieser Assoziation nicht völlig falsch. Das, was Erik Ripley Johnson mit Wooden Shjips veröffentlicht, geht eindeutig in die psychedelische Richtung.
Es gibt in San Francisco heute wieder viele Musiker, die sich dem Sound der späten 60er verbunden fühlen. Sie heißen Sleepy Sun, Ty Segall, Sic Alps, The Fresh & Onlys oder Thee Oh Sees. Auch Wooden Shjips gehörten dazu. Bandleader Johnson hat vor fünf Jahren das Festival „Frisco Freakout“ auf die Beine gestellt, auf dem alle wesentlichen Bands der heutigen psychedelischen Generation spielten. Ähnliche Veranstaltungen wird er nun nicht mehr organisieren, denn er musste die Bay Area aufgrund von Gentrifizierungsprozessen verlassen. „Für Musiker und Kreative ist San Francisco immer noch eine gute Basis“, findet Johnson. „Aber man darf nicht erwarten, dass alles von selbst geht. Man kann sich keine langen Pausen erlauben. Dafür ist die Stadt einfach zu teuer geworden. Die meisten Leute arbeiten für Technologieriesen, die sich in der Umgebung der Stadt angesiedelt haben. Es verkehrt jetzt eine private Google-Buslinie, mit der die Leute von San Francisco in die anliegenden Gebiete zur Arbeit fahren. Mieten und Preise gehen ausgerechnet in der Nähe der Haltestellen in die Höhe. Für einfache Arbeiter ist es schwer, dort zu bleiben.“ Johnson hatte selbst Jobs in der Technologiebranche, mit ihnen konnte er sein Leben und das Musikmachen finanzieren. Irgendwann wurde ihm beides zu viel, zumal es mit der Musik ständig voranging. Wooden Shjips gibt es seit 2006, das parallel laufende Projekt Moon Duo mit Gattin Sanae Yamada existiert seit 2009. Vor gut zwei Jahren gingen die beiden zunächst nach Colorado, wo sie in einem Haus eines Bekannten unterkamen. Das war aber nur eine Option von begrenzter Dauer. Das Paar spielte andere Varianten durch und konnte sich vorübergehend für Detroit wegen der Musikgeschichte und für Miami wegen des Wetters erwärmen.
Am Ende zog es sie wieder an die geliebte Westküste nach Portland, wo Johnson das Material für das neue Wooden-Shjips-Album BACK TO LAND geschrieben hat. „Die Stadt hatte großen Einfluss auf die Entstehung der Songs. In Portland herrscht eine entspannte Atmosphäre. Der Winter war mild und im Frühling wird alles grüner als anderswo. Die Wälder, die sich um die Stadt herum ziehen, sind atemberaubend schön.
Wir fühlten uns dort sofort zu Hause. Ich konnte in Ruhe arbeiten und mich auf das besinnen, was die Band ausmacht.“ Auf den bisherigen Alben der Wooden Shjips hörte man experimentellen Space- und Drone-Rock, aber jetzt lassen sie sich vermehrt von klassischem Rock inspirieren, mit dem Johnson schon als Kind in Kontakt kam. „Mein Vater besaß eine umfangreiche Plattensammlung. Einige seiner Anschaffungen waren nicht der Rede wert. Mit Seals & Crofts oder Kenny Loggins kam ich nicht klar. Ich hatte immer den Verdacht, dass er in den Plattenladen gegangen ist und sich wahllos etwas herausgegriffen hat. Aber es waren auch einige großartige Veröffentlichungen dabei. Alben von Creedence Clearwater Revival, Neil Young, Dylan und den Stones. Ab 1978 kaufte sich mein Vater keine Platten mehr. Er war wohl zu sehr vom Punk-Rock erschrocken.“