Killing Jokes neues Album ABSOLUTE DISSENT klingt wie ein Querschnitt durch die Karriere der englischen Post-Punkrocker. Eine gute Gelegenheit, das bisherige Werk von Jaz Coleman zu bewerten.
Killing Joke sind zurück in ihrer Urbesetzung, also mit Sänger Jaz Coleman, Gitarrist Kevin „Geordie“ Walker, Martin „Youth“ Glover am Bass sowie Trommler Paul Ferguson. Auch musikalisch knüpfen die Briten stellenweise auf ihrer Anfang Oktober veröffentlichten Scheibe ABSOLUTE DISSENT an ihre Anfangstage an. „Diese Besetzung fühlt sich wieder richtig gut an“, lässt Jaz wissen. „Wir sind ein kreatives Kraftwerk und immer noch so frisch wie früher – auch wenn die Versager von damals inzwischen zu Komponisten, Professoren, einem Kunstkurator, einem praktizierenden Priester sowie zu einem Druiden geworden sind.“
Die Frage nach einem Rückblick auf sein Werk wimmelt der geweihte Priester seiner eigenen Kirche in Neuseeland mit der Formel „Ich mag alle unsere Alben, aber das Neue ist definitiv unser bestes“ kurzerhand ab. Stattdessen stürzt er sich mit einer flammenden Predigt auf seine Lieblingsthemen, die sich auch in den Texten von ABSOLUTE DISSENT wiederfinden: Bankenkrise, genetisch manipulierte Nahrungsmittel und die Klimakatastrophe spiegeln sich in neuen Songs wie ›Absolute Dissent‹, ›The Great Cull‹ oder ›Fresh Fever From The Skies‹ wider. „Wir leben im totalen Widerspruch“, erläutert der Sänger und Komponist seine Weltsicht. „Die Menschen wollen keiner Elite von Bankern folgen. Wir brauchen eine grüne Revolution. Der Weg von Aktionärsfamilien wie den Rockefellers führt in die Sklaverei. Dagegen hat Mahatma Gandhi die Idee der Weltfamilie gesetzt.“
Für Jaz Coleman handelt sich bei Killing Joke um keine gemeine Rockband, sondern eine soziale Funktion und ein Werkzeug der Aufklärung. Mit einem Bono möchte er aber keinesfalls verglichen werden. „Bono saugt Satans Schwanz“, drischt Jaz verbal auf den U2-Missionar ein. „Der Mann könnte mit seinem ungeheuren Reichtum doch den Hunger auf der Welt ganz alleine beseitigen. Dieses Symbol der Gier stellt sich aber lieber mit Kriegsverbrechern wie Tony Blair vor die Kameras.“
Starker Tobak, aber genau das macht seit 1979 den besonders bissigen Charme von Killing Joke aus!
Unverzichtbar
Brighter Than A Thousand Suns
E.G., 1986
Die Kontroverse um das sechste Killing Joke-Album hält bis heute an: Handelt es sich um kommerziellen Ausverkauf oder einen progressiven Geniestreich? Im Zweifel ist für den Angeklagten zu entscheiden. Kein weiteres Werk der Engländer wirkt derartig konsequent und in sich geschlossen. Jeder Song ist für sich ein Volltreffer, und doch scheinen alle Stücke atmosphärisch miteinander verbunden. Insgesamt entwickeln die ungewohnt sanften Töne aus Jaz Colemans Kehle, Keyboardklängen und subtilen Gitarreneinsätzen einen atmosphärisch dichten Kontrast aus Dunkelheit und luziferischer Erleuchtung.
Killing Joke
Zuma, 2003
Nach sechs Jahren Abwesenheit kehren Killing Joke zu ihren Wurzeln zurück, und erreichen damit einen weiteren Höhepunkt ihres Schaffens. Daran hat auch Dave Grohl (Foo Fighters) seinen Anteil, dessen tribales Trommeln perfekt zu dem sehr ritualistischen Songmaterial passt. Coleman zeichnet vor dem Hintergrund des Irak-Kriegs mit rauer Raspelstimme apokalyptische Endzeitbilder voller korrupter Politiker und gieriger Megakonzerne – oder lässt gleich einen Asteroiden auf die Erde krachen. Der grobe Gitarrensound dieses Meisterwerks beeindruckt ebenso wie die Wucht der modernen Produktion.
Wunderbar
Night Time
E.G., 1985
Wer Dark Wave liebt, wird dieses Album ganz oben auf seiner Liste haben. Düster, aber doch tanzbar, eingängig, aber trotzdem schräg: Killing Joke treiben den Zeitgeist vor sich her. Joy Division, New Order und Kollegen haben den Punk begraben, doch die Briten beugen sich weder der neuen Weinerlichkeit noch dem Halb-Dilettantismus. Rhythmisch messerscharf wird dem Kontinent mit ›Europe‹ eine neue Hymne beschert. Der zynische Abgesang auf das Jahrzehnt heißt ›Eighties‹. Das Tanzbein zuckt zu ›Kings And Queens‹, die Gänsehaut bringt jedoch ›Love Like Blood‹ mit seinem gespenstisch leiernden Über-Intro.
Pandemonium
Butterfly, 1994
Ihre kommerziell größten Erfolge heimste die Band während ihrer metallischen Phase ein. PANDEMONIUM verstärkt die rituellen Elemente, da die Drums Verstärkung durch programmierte Loops und Beats erhalten. Einflüsse aus der orientalischen Musik sorgen für okkulte Untertöne. Vom krachenden Titelstück über das hypnotisch treibende ›Communion‹ bis zum beschwörenden ›Millenium‹ brennen Killing Joke ein Feuerwerk harter Riff-Einsätze ab. Über diesen dunkel gemusterten Klangteppichen schwebt Jaz’ kehlige Stimme. Es lohnt sich, bei seinen Texten zwischen Mystik und Politik genau hinzuhören.
Hosannas From The Basement Of Hell
Cooking Vinyl, 2006
Auch ohne Dave Grohl an den Drums liefern Killing Joke Großes ab. Auf HOSANNAS FROM THE BASEMENT OF HELL konzentrieren sich die Engländer auf das Wesentliche: Roher, ungeschliffener Rock mit der ganzen Palette ihrer Einflüsse von Punk bis Metal dröhnt aus den Boxen. Die Produktion ist ebenfalls bewusst einfach und spartanisch gehalten. Dazu hat sich Colemans Stimme endgültig in knirschendes Rabenkrächzen verwandelt, die seinen Predigten schwefeliges Feuer verleihen – ebenso elementar und tribal wie essenziell.
Democracy
Butterfly, 1996
Kurz nach PANDEMONIUM entstanden, wirkt DEMOCRACY wie dessen sanfterer und reiferer Zwilling. Besonders die Einbeziehung der akustischen Gitarre in den Gesamtsound trägt dazu bei. Erst im Rückblick wird deutlich, wie prophetisch Colemans Lyrik auf diesem Album war. Der schleichende Verlust repräsentativer Demokratie, der raffende Machtzuwachs des Kapitals, gebrochene Arbeitsverhältnisse – all dies findet sich hier wieder. Musikalisch überzeugt das wilde ›Savage Freedom‹ ebenso wie das epische ›Aeon‹ oder das getragene ›Lanterns‹, so dass schwächere Nummern ausgebügelt werden.
Anhörbar
Killing Joke
E.G., 1980
Aus dem Punk geboren und doch längst zwei Schritte weiter, machen Killing Joke bereits mit ihrem Debüt auf sich aufmerksam. Dass BBC-Kultmoderator John Peel das Quartett in seiner Sendung vorstellt, hilft natürlich ungemein. Ihre Verarbeitung von Phrasen aus dem Heavy Metal inspiriert sogar Bands wie Metallica, die eine Coverversion von ›The Wait›‹ aufnehmen. Vor 30 Jahren war das Songwriting der jugendlichen Revoluzzer natürlich noch nicht ausgereift, doch Klassiker wie ›Requiem‹, ›Wardance‹ oder ›Bloodsport‹ verströmen auch heute noch ihren primitiven und spröden, aber stets erfrischenden Charme: naiv und ungestüm.
Absolute Dissent
Spinefarm, 2010
Dem aktuellen Studiowerk fehlt natürlich noch die Patina. Aber auch ohne die nötige Reifezeit muss Absolut Dissent zumindest als „anhörbar“ eingestuft werden. Weltweit gärt Aufruhr gegen die zerstörerische Gier und Dummheit der Mächtigen, und Killing Joke schreiben den Soundtrack dazu – so sieht es jedenfalls Jaz Coleman. Nüchtern betrachtet erweist sich das Album als ein Querschnitt durch sämtliche Schaffensperioden der Band. Dies macht das Album gerade für Einsteiger interessant: Tribale Rhythmen, hypnotische Mantras, krachende E-Gitarren, elektronische Zwischenspiele sowie Jaz‘ Gurgeln lassen Fanherzen beben.
Revelations
E.G., 1982
Die dritte Scheibe entsteht in einer Zeit des Umbruchs: Musikalisch markiert REVELATIONS ihre definitive Hinwendung zu metallischen Klängen. Punk ist tot – und bleibt es auch. Okkultismus wird für Jaz und seine Mitstreiter zu einer wesentlichen Quelle der Inspiration. In Erwartung der nahenden Apokalypse flieht die Truppe sogar nach Island. Nachdem diese ausbleibt sowie weiteren personellen Wirren findet sich Paul Raven statt Martin „Youth” Glover am Bass wieder. Unterm Strich kein bahnbrechendes Meisterwerk, aber Titel wie ›Chop-Chop‹, ›The Pandy’s Are Coming‹ und der ›Empire Song‹ sind es wert, immer wieder gehört zu werden.
Sonderbar
Extremities, Dirt & Various Repressed Emotions
Noise, 1990
Nun, „sonderbar” heißt nicht unbedingt schlecht. Da das Album aber zwischen dem wenig prickelnden OUTSIDE THE GATE (1988) sowie der angeblich nur auf Druck des Labels unter dem Killing Joke-Banner laufenden Sprachperformance mit Musikuntermalung THE COURTAULD TALKS (1988) und dem großartigen PANDEMONIUM eingekeilt ist, werden die durchaus vorhandenen Qualitäten der Scheibe leicht übersehen. Eine arg trockene Produktion und dissonante Einschübe erschweren den Zugang zu diesem Experiment zwischen Rock und Metal zusätzlich.
TRAUMSAMPLER
Love Like Blood
Night Time
Adorations
Brighter Than A Thousand Suns
The Death & Resurrection Show
Killing Joke (2003)
Lanterns
Democracy
The Wait
Killing Joke (1980)
Communion
Pandemonium
Europe
Night Time
Invocation
Hosannas From The Basements Of Hell
Democracy
Democracy
The Pandys Are Coming
Revelations
Absolute Dissent
Brighter Than A Thousand Suns
You’ll Never Get To Me
Killing Joke (2003)
Millenium
Pandemonium
Wardance
Killing Joke (1980)
Goodbye To The Village
Brighter Than A Thousand Suns (Bonus)
Maggie Mae
Let It Be