Eigentlich waren Wishbone Ash immer eine Band für Liebhaber. Kommerzielle Überflieger wie Led Zeppelin oder Deep Purple waren sie nie. „Ich denke“, so sagte mal Iron Maidens Vordenker Steve Harris, „wenn jemand unser frühes musikalisches Werk verstehen will, muss er sich nur ARGUS von Wishbone Ash anhören.“
Eine Platte, die funktioniert wie ein Handbuch für Harmonie- und Twin-Gitarren-Handwerk. Musiker von Thin Lizzy über Judas Priest bis zu Big Country und den Dire Straits haben dieses Hardrock-Meisterwerk hinreichend studiert. Heute ist Andy Powell das letzte verbleibende Ur-Mitglied der Rocker. „Ich wollte eigentlich immer in Bands spielen“, erzählt er. Schon im Alter von 14 Jahren darf er 1964 mit seiner Schülergruppe das Vorprogramm von The Who bestreiten. „Wir kauften uns hautenge Shirts und legten ungestüm los. Ich war komplett beeindruckt von The Who. Pete Townsend trug schon damals seine berühmte Union-Jack-Jacke. Darin sah er echt unfassbar gut aus.“ Bis auf ein paar Jobs, bei denen Andy als Heranwachsender in einer Milchfabrik oder als Fish-and-Chips-Verkäufer arbeitet, lebt er immer von der Musik. Powell: „Geld und Musik – das sind seit Jahrzehnten die wichtigsten Bestandteile in meinem Leben. Und da gibt es natürlich Konflikte, wenn du mal Durststrecken hast.“ In jungen Jahren hatte die Gruppe aber ordentliche Nehmerqualitäten – und vielleicht auch etwas Glück.
1970 sind Wishbone Ash Opener von Deep Purple. Ritchie Blackmore spielt während eines Soundchecks in Dunstable mit dem jungen Andy Powell, spricht aber als schräger Kauz die ganze Zeit kein Wort mit dem Kollegen von Wishbone Ash. „Er spielte ein Lick auf der Gitarre“, erinnert sich Powell. „Ich merkte mir die Tonart – und plötzlich jammten wir. Unser Zusammenspiel wirkte schon irgendwie magisch.“ Blackmore empfiehlt Wishbone Ash weiter an Derek Lawrence, der die ersten drei Platten von Deep Purple produziert hat – und so bekommt das Quartett um Powell den ersten Plattenvertrag bei Decca/MCA. „Blackmore hatte so einen unfassbar großen Einfluss auf unsere Karriere. Viele Jahre später traf ich ihn mal, als er bei einem Fußballturnier in Westport mitspielte, einer Kleinstadt in Connecticut. Er trat dort mit einer Hobby-Mannschaft an – und die meisten anderen Spieler waren seine Roadies oder Roadcrew-Mitarbeiter. An jenem Tag habe ich mich offiziell für seine Schützenhilfe bedankt.“
Anfang der 70er-Jahre zieht es Powells Gruppe dann nach London, wo sie probieren, Fuß zu fassen. „Das gestaltete sich schwierig. Ich zog damals in ein schäbiges Apartment in der Nähe von Camden Town, zusammen mit unserem zweiten Gitarristen Ted Turner. Ich vergesse nie, wie uns meine Eltern dort besuchten. Meine Mutter brach in Tränen aus und mein Vater scherzte, dass er uns mal den Kammerjäger vorbeischicken würde. Wir lebten völlig mittellos am äußersten Existenzminimum, aber auch diese Episode haben wir überstanden.“ Für manchen Hardrock-Liebhaber gelten Wishbone Ash neben Rainbow als die innovativste Rockformation der 70er, weil sie Heavy-Rock, Folk-Melodien und epische Improvisationen mit jazzig-swingendem Einschlag zu einer ganz eigenen Melange formten. Nicht umsonst beginnt ihr aktuelles Live-Album LIVE DATES LIVE denn auch mit drei Tracks von ARGUS (1972): ›The King Will Come‹, ›Warrior‹ und ›Throw Down The Sword‹. „Als Tontechniker bei ARGUS fungierte die spätere Produzenten-Legende Martin Birch. Er war wie wir ein großer Anhänger von Fleetwood Mac – weil sie so ein feines Gespür dafür hatten, wie man traditionellen Blues modern und zeitlos spielt. Birch verstand, wo wir musikalisch hinwollten und hat uns im Studio mit all seiner Kraft in unserer Vision unterstützt.“ Das Konzept der mehrstimmigen Twin-Gitarren wurde auf ARGUS zum Markenzeichen mit Ewigkeitsanspruch – auf LIVE DATES LIVE ist diese Essenz jetzt wieder zum Greifen nah.