Auch wenn Snowy White seit Jahren zu Protokoll gibt, wahrscheinlich die letzte Platte seines Lebens aufgenommen zu haben, erfreut der unverwechselbare Blues-Gitarrist seine Fans nun mit DRIVING ON THE 44, einer neuen Songsammlung, die wieder mit einer Mischung aus fein abgestimmten Arrangements, Understatement und einem Hauch Melancholie direkt ins Herz trifft. „Eines Tages wird es aber wirklich das letzte Album sein“, scherzt der Brite während des einstündigen Telefonats. Bisher treiben sie ihn aber immer noch um, diese betörend einfachen Akkordfolgen, die den Blues ausmachen
Ich freue mich sehr, dass wir heute miteinander sprechen, weil das bedeutet, dass ich letztes Mal recht hatte, als ich dir sagte, dass SOMETHING ON ME nicht dein letztes Album sein wird.
Naja, das ist jetzt aber definitiv meine letzte Platte. (lacht)
Und da bist du dir ganz sicher?
Nein. (lacht)
Das ist jetzt unser drittes Interview und das hast du mir bisher jedes Mal gesagt.
Eines Tages wird es dann aber wirklich so sein.
Das stimmt. Aber ich hoffe, der Tag liegt in der fernen Zukunft.
Wir werden das sehen. Ich habe da gar keine Kontrolle darüber. Manchmal fange ich einfach damit an, Ideen niederzuschreiben und dann entwickelt das eine gewisse Eigendynamik und plötzlich fällt mir auf, dass ich gerade ein neues Album mache. Da steckt kein Plan dahinter.
Also keine klare Vision, keine aktive Entscheidung.
Nein, ich bin inzwischen an einem Punkt in meinem Leben angekommen, wo ich die Dinge einfach laufen lassen und sehe, was passiert.
Das klingt ganz schön, eigentlich.
Es ist nicht schlecht, das stimmt. (lacht) Die letzten Jahre waren ja insgesamt eher schwierig. Ich saß zuhause, spielte mit Ideen und begann dann, sie aufzunehmen.
Konntest du deine Bandkollegen persönlich treffen?
Nein, das ging nicht. Ich probierte an den Ideen mit meinem Sohn Thomas herum, er spielte Schlagzeug. Ich dachte mir: Naja, irgendwann werde ich schon mit der Band ins Studio damit gehen. Doch wir arbeiteten weiter und alles kam so zusammen.
Hat dir das gefallen?
Manche Aspekte davon. Ich mochte, dass es keinen Zeitdruck gab. Ich konnte alles nach meinem eigenen Rhythmus machen, das geht natürlich nicht, wenn du für teuer Geld ein Studio anmietest. Was ich jedoch vermisste: Der Spaß, den man hat, wenn man mit der Band zusammen ist. Mit Thomas aufzunehmen war auch schön, aber eben nicht dasselbe. Naja, es ist wie es ist.
Viele Musiker, mit denen ich in letzter Zeit gesprochen habe, mochten es sehr, ihre Bandkollegen nicht treffen zu müssen.
Ja ich weiß. Es gibt natürlich auch positive Seiten an diesem Prozess. Falls, also falls, ich noch ein weiteres Album mache, würde ich gerne wieder mit den Jungs ins Studio. Was ich oft mache: Ich spiele mit meiner Band in England ein paar Tracks ein und fliege dann nach Holland, um mit meinen anderen Jungs zusammenzuspielen und am Ende fügt man alles zusammen. Vielleicht wird das auch nicht mehr geschehen, wir werden sehen.
Wenn es dir so besser gefällt, ist das jedenfalls ein Argument für ein weiteres Album.
Da magst du vielleicht Recht haben. (lacht)
Auf SOMETHING ON ME gab es das lange Instrumental namens ›Commercial Suicide‹, die neue Platte eröffnest du mit einem instrumentalen Stück namens ›Fresh Water‹. Ist das nicht doppelter kommerzieller Suizid?
Ja, das stimmt absolut. Aber ich bin an einem Punkt in meinem Leben, wo ich nicht mehr über kommerzielle Aspekte nachdenke. Für mich war das ganz einfach: Ich mag das Intro, also ist das für mich eine schöne Art und Weise, das Album zu eröffnen. Die meisten Leute streamen heute doch eh einzelne Tracks, das hat sich ja alles verändert, also fällt es vielleicht gar nicht mehr so ins Gewicht. Auch wenn man das vielleicht durchaus als Statement betrachten kann.
Gibt es irgendjemanden, der dir bei deinem Arbeiten hineinredet?
Oh nein, es gibt niemanden, von dem ich mir etwas sagen lasse. Ich nehme das Album auf und schicke es zu meinem Distributor nach Hamburg, das ist alles. Es gibt kein Label oder irgendjemanden anders, der sich da einmischt. Klar ist es manchmal gut, wenn jemand seine Meinung äußert. Aber aktuell liegt die alleinige Entscheidungsgewalt bei mir. Was denkst du denn darüber?
Ach, ich liebe das. Ich fand es schon sehr witzig, dass du das letzte Instrumental eben ›Commercial Suicide‹ getauft hast. Genau mein Humor.
Ja ich fand das auch lustig. Das war ein Zitat von Thomas, er meinte das im Spaß, als wir an dem Track arbeiteten und ich dachte mir: ‚Oh, das ist ein guter Titel.‘ (lacht) Fast hätte ich das Album so genannt. Aber damit hätte ich mein Glück vielleicht einen Hauch zu viel herausgefordert. Inzwischen wünschte ich mir, ich hätte mich damals einfach getraut. (lacht)
Solche Aktionen fügen sich einfach gut in das Bild, das ich von dir zu haben. Das hast du gerade nochmal bestätigt, als du erzählt hast, dass du dir von niemandem etwas sagen lässt. Gibt es irgendwen, der dir Feedback gibt? Freunde, Familie?
Nein, niemand. Das war vielleicht auch der Covid-Situation geschuldet, aber so etwas gab es nicht.
Letztes Mal als wir sprachen meintest du, dass dir langsam nichts mehr einfällt, worüber du singen könntest…
Ja, da geht es mir heute noch genauso. Ich meine, ich bin nicht unglücklich mit den Texten auf der neuen Platte. Aber nach jedem neuen Album hat man erst einmal das Gefühl, man hat alles gesagt. Weil alles aus einem draußen ist. Aber wenn etwas Zeit vergeht, kommen dann doch wieder neue Ideen.
Es passiert ja doch auch genügend auf der Welt…
Du hast Recht, es geschieht doch immer etwas, das sich beschäftigt oder dich in deinem Denken beeinflusst.
Was war der Katalysator für den Text von ›Down In The Dark‹?
Ach ja. Im Grunde fast alle Menschen. Naja, sieh dich doch um, es gibt so viele seltsame Leute auf der Welt mit ihren komischen Meinungen. Ich mag diese engstirnigen Betrachtungsweisen nicht. Warum ist man unhöflich zu Mitmenschen, nur weil sie anders aussehen oder an andere Dinge glauben? Das will mir einfach nicht eingehen.
Das verstehe ich. Und es scheint, als würde es jeden Tag schlimmer werden.
Du hast absolut recht! Und das finde ich ehrlich schrecklich. Mit dem Internet hat sich das auch nochmal geändert. Jeder Idiot kann seine Meinung heute öffentlich kundtun und damit einen Haufen Menschen erreichen. Früher hätte man dafür einen Brief schreiben müssen, den irgendwohin schicken müssen und dann wäre nichts passiert. Da wäre gar niemand auf die Idee gekommen, so etwas zu tun. Ich möchte nicht gegen die Digitalisierung wettern, vieles davon bietet natürlich große Vorteile, aber vieles ist auch ehrlich furchteinflößend. Das Schlimmste daran: Viele Menschen glauben einfach alles, was sie im Internet lesen. Das ist ein Teufelskreislauf. In dem Song geht es einfach nur um mich, wie ich darüber nachdenke, dass manche von diesen Leuten einfach Ruhe geben sollten.
Am schlimmsten finde ich, dass man es überhaupt nicht kontrollieren kann…
Das stimmt, das ist sehr beängstigend. Wo also werden wir nur alle enden, Jacqueline? Kannst du mir das beantworten?
Keine Ahnung, aber diesbezüglich habe ich meinen Optimismus schon lange verloren.
Das kann ich absolut verstehen.
Ich meine, es geht eh schon alles den Bach runter, dann kann man zumindest kurz bezüglich der Corona-Sache durchatmen, dann wird ein europäisches Land angegriffen und alles ins Chaos gestürzt…
Ach diese verdammte Idiot! Ein Stück Scheiße. Es ist doch seltsam, dass ein Typ all das verursachen kann. Abertausend Tote, Hungersnöte, explodierende Preise. Ein Kerl! Was für eine schreckliche Person. Meine ehrliche Meinung zu dem Thema: Wir hätten von Anfang an schwere Geschütze auffahren sollen. Natürlich kann man als Politiker nicht einfach so die Gefahr einer nuklearen Eskalation verantworten, aber ich denke, man hätte ihm sofort zeigen müssen, dass sein Verhalten nicht akzeptiert wird. Meinen letzten Gig habe ich ja in Russland gespielt und ein wunderbares Mädchen namens Anna kümmerte sich um uns. Wir sind seitdem in Kontakt geblieben, weil sie auch malt. Sie war einfach nur schockiert bis auf die Knochen. Sie hat Russland verlassen und ist nun auf den Zypern. Sie ist Mitte 20 und konnte einfach nicht mehr in diesem Land bleiben, das muss man sich mal vorstellen.
Absolut verständlich, wer möchte schon in einer Diktatur leben?
Genau. Sie meinte, sie hatte einen VPN-Client, um Nachrichten von außen empfangen zu können, was sehr gefährlich war. Anna war noch nie auf den Zypern, sie flog einfach mit ihrer Katze dort hin, weil ihr Chef sie irgendwie aus dem Land schleusen konnte. Das ist nur das Schicksal von einem Mensch und die Sache ging halbwegs gut aus. Aber all diese Leute, die durch so schwere Zeiten müssen. Naja, darüber könnte man sich jetzt stundenlang auslassen.