Thin Lizzy: Legenden im Sinkflug

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Thin Lizzy: Legenden im Sinkflug

Das etwas peinlich betitelte BAD REPUTATION sollte ihren Ruf in den USA wiederherstellen, tauchte dort aber nur kurz in den Top 40 auf, bevor es wieder von der Bildfläche verschwand. Es folgte eine leidlich erfolgreiche, sechswöchige Headliner-Tour mit Graham Parker & The Rumour als Vorgruppe, doch man spielte in Hallen von 2.000 bis 3.000 Leuten, was in Großbritannien als erste Liga gegolten hätte, doch in Amerika mehrere Stufen unterhalb der Riesenarenen lag, die ein dortiger Erfolgsact für gewöhnlich füllte.

Als Thin Lizzy ein Jahr später in die USA zurückkehrten, waren sie erleichtert, wieder für größere Bands in den großen Sälen zu eröffnen. Die Strategie war angepasst worden, um sich auf die echte Stärke der Band zu konzentrieren: nicht die Platten, sondern die Live-Auftritte.
„All die Kritiker redeten ständig darüber, dass wir die echten Thin Lizzy nie wirklich auf einem Album eingefangen hatten“, sagte Robertson bei unserer ersten Begegnung 1979. „Und das Schlimm­ste daran war, dass sie Recht hatten. Wir waren immer besser auf der Bühne. Die Platten klangen im Vergleich dazu verdammt lachhaft.“

Das überragende Live-Doppelalbum LIVE AND DANGEROUS schien das im Sommer 1978 zu belegen: Es wurde zum meistverkauften Lizzy-Werk überhaupt, erhielt in Großbritannien Doppelplatin für mehr als eine halbe Million Verkäufe und wurde nur vom Soundtrack SATURDAY NIGHT FEVER der Bee Gees von Platz 1 ferngehalten.

Doch zu dem Zeitpunkt waren schon wieder diverse Veränderungen im Gan­ge. Gary Moore, der Lynott und Downey schon aus ihren Anfangstagen in Dublin kannte und nach dem Verlust von Eric Bell und später Brian Robertson schon zweimal vorübergehend – und mit spektakulärer Wirkung – als Gitarrist in die Band eingestiegen war, wurde nun als festes Mitglied aufgenommen.

„Phil hatte Gary schon seit Ewigkeiten haben wollen“, so Downey, „aber Gary sah sich immer als Anführer, und normalerweise gibt es in einer Band nur Platz für einen von der Sorte. Doch Phil hatte die Nase gestrichen voll von Robbo, und wahrscheinlich auch umgekehrt.“

Moore hatte unterdessen entschieden, dass er seinerseits die Nase voll davon hatte, Frontmann von Colosseum II zu sein, die musikalisch geniale, aber kommerziell hoffnungslose Rock-Fusion-Formation, mit der er drei Alben aufgenommen hatte. „Es gab immer dieses Verlangen in mir, erfolgreich zu sein, aber nicht um jeden Preis“, sagte er mir später. „Dann machte ich die US-Tournee mit Lizzy als Vorgruppe von Queen, nachdem Robbo sich die Hand verletzt hatte, und was soll ich sagen? Ich ge­­wöhnte mich sehr gerne daran, in Li­­mousinen chauffiert zu werden und zur Abwechslung mal richtiges Geld zu verdienen.“

Gary und Phil waren wie Brüder. Entweder stritten sie oder liebten sie einander innig. Phil war der „ausgeflippte schwarze Sänger“ in Skid Row gewesen, Garys erster professioneller Band. Drei Jahre älter als Moore, hatte er ihn in das Geschäft eingewiesen. „Er war immer um 8 Uhr morgens auf, um auf dem Markt Klamotten zu kaufen. Er war immer unglaublich motiviert.“

Und so war Phil auch, als Gary bei dem Album NIGHTLIFE von 1974 erstmals bei Lizzy aushalf. „Er war immer als Erster im Studio und ging als Letzter. Er war ein solcher Workaholic, das kann man sich gar nicht vorstellen.“

Doch der Mann, dem Gary jetzt begegnete, war ein ganz anderer ausgeflippter schwarzer Typ. „Als wir 1977 mit Queen auf Tour waren, war er noch in Ordnung, doch bei BLACK ROSE hatten die Drogen definitiv schon ihre Spuren hinterlassen und ich sah eine große Veränderung an ihm. Er hatte so viel von seiner Energie verloren und es war sehr schwer.“

Es war nicht so, dass Phil seine Energie verloren hatte. Er hatte sie verschwendet. 1978 wollte er es so vielen Menschen recht machen, dass er seinen Fokus verloren hatte. Lizzys schwindender Erfolg in den USA machte ihn wahnsinnig, doch er war begeistert – und er­­leichtert –, dort Support-Slots für die großen Tourneen von Bands wie Kansas und Journey angeboten zu bekommen. Gleichzeitig biederte er sich aber den aufstrebenden Punkstars in London an, weil er Angst hatte, jede Glaubwürdigkeit zu verlieren und mit 29 als alter Sack zu gelten, so wie es Zeppelin, Queen und den Stones passiert war.

Dies war der Grund für seine überraschende Zusammenarbeit von 1978 mit den Sex Pistols Steve Jones und Paul Cook in der Spaßband Greedy Bastards, seinen Gastauftritt im April auf der Bühne mit Elvis Costello und Nick Lowe, seine fast väterliche Freundschaft zu Joe Strummer und Mick Jones von The Clash oder seine Unterstützung dem Untergang geweihter Punk-Junkies wie Sid Vicious und Nancy Spungen, Heartbreakers-Gitarrist Johnny Thunders, Ruts-Sänger Malcolm Owen und Heavy-Metal-Kids-Frontmann Gary Holton – die sämtlich ihrer Heroinsucht erlagen.

Bob Geldof, gerade als Sänger der irischen Punkstars The Boomtown Rats berühmt geworden, war ein weiterer neuer bester Freund. Phil hatte ihr Demo an seinen Labelboss Nigel Grainge weitergegeben, der sie dann unter Vertrag nahm. Phil gab gerne den großzügigen Mentor, doch als die Rats 1978 mit ›Rat Trap‹ ihre erste Nr.-1-Single und mit TO­­NIC FOR THE TROOPS ihr erstes Platinalbum landeten, war seine Eifersucht mehr als offensichtlich.

Geldof erinnerte sich bekanntermaßen daran, wie er seine hübsche 19-jährige Freundin Paul Yates eines Abends mit zu Phil nach Hause brachte. Der streckte das Koks, das er Geldof verabreichte, mit Heroin, mit dem Ergebnis, dass der sich im Bad die Seele aus dem Leib kotzte, während Phil unten blieb und versuchte, sich an Paula ranzumachen.

„Er schlich sich ins Schlafzimmer und versuchte, zu meiner Frau ins Bett zu springen!“, so Geldof. „Doch ich konnte Philip nicht böse sein, denn er versuchte eben nur sein Glück, wie er das nun mal immer tat. Für ihn war das nur ein Spaß.“

Und das zu einer Zeit, als Phils Liebesleben eigentlich in voller Blüte stand. 1978 verliebte er sich schwer in die 18-jährige Caroline Crowther, eine weitere schlanke, hübsche Blonde, die damals für den Lizzy-Pressesprecher Tony Brainsby arbeitete. Sie war zudem die Tochter des Fernseh-Entertainers Leslie Crowther.

Als er im November 1978 als „Starjuror“ beim Miss-World-Wettbewerb auftrat, kehrte er tags darauf zurück und prahlte damit, die Nacht mit Miss Brasilien verbracht zu haben, einer gewissen Laura Angelica Viana de Oliveira Pereira. „Ich habe keine Ahnung, ob das wahr war oder nicht“, erzählte mir Moore, der sich das Ereignis mit dem Rest der Band im Fernsehen angesehen hatte. „Doch man glaubte es, weil es genau das war, was Phil getan hätte.“

Im März erfuhr Caroline, dass sie schwanger mit ihrer ersten Tochter Sa­­rah war. Phil reagierte darauf mit dem Kauf eines großen Hauses in Richmond, gegenüber der Kew Gardens für 250.000 Pfund – heute wären das etwa 1,5 Millionen Euro. Er war damals auf Tour und überließ die Organisation der hochschwangeren Caroline. An dem Abend, als Sarah auf die Welt kam, hatte er gerade einen weiteren feurigen Gig mit den Greedy Bastards im McGonagle’s beendet – es war derselbe Abend, an dem Bono diese schwere „Stimmung“ um Lynott herum bemerkt hatte.

Doch die Ankunft seiner Tochter fegte sie hinweg und er zog den Rest der Nacht mit Gorham durch die Bars in der Grafton Street, wo Phil allen, denen sie begegneten, Zigarren ausgab.

6 Kommentare

  1. Sehr interessanter Artikel, dennoch ist es doch verwunderlich, wie Phil in seinem offensichtlich zu dieser Zeit schon dramatisch labilen Zustand trotzdem noch Alben wie Chinatown, Renegade und “last but Not least ” Thunder and Lightning zustande brachte.

  2. Die Rock-Musik wäre ohne Thin Lizzy, Rory, Gary und nicht zu vergessen U2 um einiges ärmer. Alle haben einen wichtigen künstlerisch-musikalischen Beitrag geleistet ohne der Verlauf der Rock und Blues Ära der Dekaden zwischen 1970 bis ca. 1985 vermutlich um einiges anders, langweiliger verlaufen wäre. Als Zeit-Zeuge habe ich diese Dekaden in vollen Zügen genießen können. Auch aktuell höre ich mit Respekt und einer gewissen Wermut aus meiner Vinyl-Sammlung gerne die ein oder andere Original-LP an. Es waren für mich die besten Zeiten, musikalisch und gesellschaftlich, ohne den Versuch sie zu Verklären. Die heutigen Musik schaffenden bieten für ihren Klientelen vermutlich ähnliches auf das selbige einmal in ähnlicher Weise wie ich es tue zurück schauen können. Musik in jeglicher Form und Weise ist zeitlos, wird immer subjektiv sein.

  3. Ein sehr guter Artikel. Aber was mich interessieren würde, ist wie Phil in diesem Zustand noch Chinatown, Renegade, Thunder and Lightning und das vor Energie strotzende Life:Live (welches meiner Meinung nach wesentlich besser als Live and Dangerous ist) hinbekommen konnte…

  4. Guter Artikel, nur schade das es von Life:Live keine Videodokumente gibt. Es wäre ein Statement gewesen an dem sich fast keiner messen kann. Für mich die beste Lizzy Scheibe… besonders da dort auch Black Rose in einer fantastischen Version drauf ist.

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