Mötley Crüe haben das „most notorious museum in the world“ eröffnet, das sogenannte „The Crüeseum“. Die Sammlung an Memorabilia und alten Fotos kann man hier online besichtigen: Crüeseum. Aufgeteilt ist die Online-Ausstellung in die Bereiche „SHOUT AT THE DEVIL“, „L.A. Home Sweet Home“ und „On With The Show“.
„Von unseren frühesten Tagen 1981 bis hin zu grandiosen Stadion-Touren mussten Mötley Crüe immer durch irgendeine Scheiße“, so die Band. „Wir haben hunderte und tausende Meilen auf Tour zurückgelegt, haben bahnbrechende Studioalben aufgenommen, Aufstände überlebt, für Fahndungsfotos posiert, Herzen gebrochen und selbige wieder kickgestartet, überwältigende internationale Erfolge gefeiert und eine Schneise der Zerstörung hinterlassen. Also yeah, wir haben alles gesehen.“
„Glücklicherweise haben wir viele unsere Lieblings-Andenken der letzten 40 Jahre, die wir im Namen des Rock’n’Roll vergeudet haben, aufgehoben. Unverstellte Bilder und dreckige Souvenirs. Jetzt sind wir bereit, all das mit euch zu teilen. Checkt unsere Vergangenheit, Gegenwart und Füture aus, genau hier, in diesem Crüeseum.“
Musiker, Songwriter, Produzent, gefragter Remixer – Steven Wilson ist in den Augen vieler der Tausendsassa des modernen Prog. Und er ist ein Enigma. Sein neues Album, das „so viel meiner musikalischen Persönlichkeit vereint“, wird vielleicht mehr Fragen beantworten, als es aufwirft.
Als Teenager in Hemel Hempste ad la s Steven Wilson „Descending“, eine Kurzgeschichte des amerikanischen Science-Fiction-Autors Thomas M. Disch. Disch war ein Satiriker und Atheist, der kein Blatt vor den Mund nahm und schon in den 60ern kein Geheimnis aus seiner Homosexualität machte (2008 beging er Selbstmord). Er war eine geplagte Seele. „Descending“ ist eine grausame, trostlose Erzählung über einen reuelosen Faulenzer, der in einem Einkaufszentrum die eine Rolltreppe nach unten nimmt und nicht mehr von ihr runterkommt. Ein Bild, das auf Wilson – der auch eine Faszination für Serienmörder und die düstereren Gef ilde der Menschheit allgemein entwickelt hatte – nachhaltig Eindruck machte. Man könnte es als einen Vorboten der bedrohlichen, Industrial-gefärbten Teile seines Katalogs betrachten. Vor allem jedoch pflanzte es das Bild der endlosen Treppe in seinen Kopf. Von UP TH DOWNSTAIR, dem ersten Album von Porcupine Tree, bis zu ihrem Song ›Arriving Somewhere But Not Here‹ von 2005 ist es zu einem wiederkehrenden Motiv geworden, einer Metapher für einen nie endenden Abstieg, wie die dystopische Rolltreppe von Thomas M. Disch. Oder für das Leben als eine Treppe nach … irgendwo.
„Ich denke, viel von meinem Songwriting über die Jahre bezog sich lose auf diese Idee, dass es um die Reise geht, nicht die Ankunft, um den Prozess und nicht das Ziel“, sagt er heute, während er vor seinem Haus in Nordwest-London sitzt. „Und je älter ich werde, desto mehr begreife ich: Das ist, wie das Leben wirklich funktioniert, oder?“ Im Lockdown schrieb er eine Kurzgeschichte namens „The Harmony Codex“, in der er das Bild der endlosen Treppe wie einen Traum einsetzte (sie erschien 2021 als Teil seines Buchs „Limited Edition Of One“), aber immer noch in der Gegenwart verankert. Ob nun die von Bildschirmen besessene Jugend in Porcupine Trees FEAR OF A BLANK PLANET oder die urbane Isolation in seinem Soloalbum HAND. CANNOT. ERASE – Wilson hatte noch nie Probleme damit, Inspiration aus dieser Welt zu ziehen. „Autoren wie Arthur C. Clarke und Philip K. Dick schrieben vielleicht über andere Planeten, aber tatsächlich schrieben sie über sich selbst“, erörtert er. „Sie schrieben über die Menschheit. Ich denke, das war schon immer so in der Science-Fiction: Sie ist eine wunderbare Lupe für menschliches Verhalten. Ich habe mich dem jetzt etwas weniger nihilistisch genähert als Thomas Disch“, fügt er hinzu. „Er schrieb mit die depressivsten Science-Fiction-Werke, die ich je gelesen habe. Aber ich habe seine Metapher, die Geschichte dieser nie ankommenden, stets abwärts fahrenden Rolltreppe in einem Einkaufszentrum, danach nie vergessen.“ Sein siebtes Solowerk, ebenfalls THE HARMONY CODEX betitelt, transportiert all das nun auf kolossales Klangterrain. Es ist eine labyrinthartige Escher-Treppe von einer Platte und eine einnehmde, 65-minütige Reise durch Wilsons kompletten musikalischen Kosmos – entstanden im Lockdown, doch weit darüber hinausschauend. Es ist das Produkt einer seltsamen Zeit in der Historie. Einer Karriere, in der er in unzählige Stilrichtungen und Sounds eintauchte. Und eines Lebens, das nicht so aussieht, wie er es sich einst vorgestellt hat.
„Es ist nicht so, wie ich es erwartet hätte“, sinniert er, während seine Frau und Stieftöchter irgendwo in den Zimmern hinter ihm sind. „Aber es macht mich trotzdem sehr glücklich.“ Steven Wilson begeistert sich schon lange für Unerwartetes. Er ist ein ernsthafter, ein wenig seltsamer Typ, der genauso von Disco-Deep-Cuts schwärmen kann wie vom Industrial-Lärm von Throbbing Gristle oder Pink Floyd, King Crimson, Gentle Giant und anderen Prog-Legenden (von denen er die meisten irgendwann mal in 5.1/Atmos geremixt hat). Zudem ist er ein Cineast, der liebend gerne mal die Musik zu einem Film im traumartigen Auteur-Stil von David Lynch oder Stanley Kubrick beisteuern würde. Seine Soloplatten haben sich unterdessen mit schrägem Jazz (GRACE FOR DROWNING), klassischem Progrock (THE RAVEN THAT REFUSED TO SING), 80er-Artpop (TO THE BONE) und mehr befasst. Er hat sogar Platten gemacht, von denen niemand weiß, dass sie von ihm sind – esoterische Werke, unter Pseudonymen veröffentlicht, unbelastet von den Erwartungen, die damit einhergehen, ein bekannter Künstler zu sein. Dann kam der März 2020 und veränderte alles. Wilsons Gedanken über das Leben, Erinnerungen und das moderne Zeitalter kollidierten in diesen so unglaublich seltsamen, eingesperrten Wochen, aus denen Monate wurden. Und sie führten zu einem Album, das eine ungewöhnliche Mischung aus Autobiograf ie, Beobachtung und traumartiger Erzählung ist. Er war nicht mal sicher, ob er es veröffentlichen würde, aber er wusste, dass er es machen wollte. „Ich glaube, es gab mir ein wenig das Gefühl, auf einer Insel zu sein, und ließ mich ein bisschen weniger an mein Publikum denken“, sagt er über jene Zeit. „Ein sehr surrealer, man könnte sagen unwirklicher Geisteszustand. Wie: ‚Das kann nicht in der Realität passieren, oder?‘ Wie viele Menschen genoss ich die Isolation am Anfang sogar. Dann wurde es weniger angenehm, und schließlich lähmend. Das Songwriting fand also in allen möglichen verschiedenen Stimmungen statt.“
Während Wilsons vorangegangene Solowerke sich meistens eine Spur aussuchten und sie nicht wechselten, trifft auf THE HARMONY CODEX das Gegenteil zu. Es gibt vierminütige Popstücke und 10-Minuten-Tracks. Elektronik, Gitarrensoli und Orchestertexturen. Feingliedrige, meditative Americana (›What Life Brings‹) und Epen à la Roger Waters (›Impossible Tightrope‹). Donnernde, atmosphärische Drum-Maschinen (›Inclination‹), außerirdische Synthies und Spoken-Word-Passagen – Letztere von seiner Frau Rotem Wilson. Unbequeme Geschichten über das 21. Jahrhundert (›Actual Brutal Facts‹, ›Beautiful Scarecrow‹) stehen neben sanften, melodischen Meditationen über die Sterblichkeit wie ›Time Is Running Out‹. Das Album ist weitläufig, filmartig und konfus – was in diesem Fall positiv gemeint ist. „Es mag bei früheren Platten immer einen Moment gegeben haben, in dem ich gesagt habe: ‚Nein, ich kann unmöglich ›Inclination‹ auf demselben Album haben wie ›Impossible Tightrope‹‘“, erklärt er. „Diesmal hatte ich keine Agenda. Ich wollte einfach eine faszinierende, packende musikalische Reise erschaffen, die gewissermaßen all meine Facetten zeigt, und hoffentlich auch ein paar neue.“ Alle Beteiligten arbeiteten im Homeoffice und wurden spezifisch für jeden Track ausgesucht, um „die richtigen Hände“ dafür zu haben. Das ließ mich jeden Song als sein eigenes kleines musikalisches Universum betrachten. Bei jedem Stück dachte ich also: ‚Okay, wen würde ich gerne darauf spielen lassen?‘ Ich verschickte Dateien, gab hier und da ein paar kleine Anweisungen, aber generell wartete ich und ließ mich von den Leuten überraschen.“
Einige der Partner sind weniger überraschend. Prog-gesinnte Gesellen wie Guy Pratt und Lee Harris (beide sonst bei Nick Mason’s Saucerful Of Secrets) erscheinen hier ebenso wie Wilson-Stammgäste wie Keyboarder Adam Holzman, Saxofonist Theo Travis (Soft Machine) und Bassist Nick Beggs. Ninet Tayeb, eine Popsängerin aus Israel, ist ebenfalls nicht zum ersten Mal an seiner Seite, sie singt auf einigen Tracks und schrieb einen Text zu der kraftvollen Pink-Floyd-meets-Bond-Soundtrack-Ballade ›Rock Bottom‹, inspiriert von ihren Erfahrungen mit ihrer bipolaren Störung. Andere Kollaboratoren sind jedoch weniger offensichtlich. Jack Dangers (von den Elektronikpionieren Meat Beat Manifesto aus den 90ern) hat Drum-Machine-Parts beigesteuert. Für Impossible Tightrope‹ wollte Wilson „einen Jazztrommler, der mit Aphex Twin und Squarepusher aufgewachsen ist“. Er fand ihn: Nate Wood. Auf einer zweiten Disc finden sich Remixe und Neuinterpretationen von den Manic Street Preachers, Roland Orzabal (Tears For Fears) und Mikael Åkerfeldt, um nur drei zu nennen, die im Wesentlichen eine Alternativfassung desselben Albums bieten. Es klingt nach viel, und ist viel. „Ich hatte das Gefühl, ins Studio zu gehen und zu sagen: ‚Scheiß drauf, ich mache einfach genau die Platte, die ich jetzt machen will, die ich in diesem Moment meines Lebens hören will, fast als Gegengift für alles, das gerade auf der Welt passiert.‘“
THE HARMONY CODEX wird nicht allen gefallen, und Wilson hat kein Problem damit. Er ist es gewohnt, seine Hörerschaft im Namen der Weiterentwicklung vor den Kopf zu stoßen. THE FUTURE BITES von 2021 musste er gegenüber Fans verteidigen, die mehr Gitarren verlangten. Er sagt oft, dass es ihm Spaß macht, die Leute zu provozieren, und nennt Formwandler wie Prince und David Bowie als Vorbilder. Aber er ist auch nur ein Mensch. Natürlich wirkt sich solche Kritik auf seine nächsten Schritte aus, ob bewusst oder nicht. „Es gibt immer eine Reaktion auf die vorige Platte, in allem, was ich tue“, gesteht er ein. „THE FUTURE BITES war dieses sehr kontrollierte, sehr knappe, nur 40 Minuten lange Elektropop-Werk – oder zumindest war es für meine Verhältnisse Elektropop. Also dachte ich dieses Mal vielleicht unterbewusst : ‚Okay, machen wir eine große, selbstgefällige, schamlos ambitionierte, prätentiöse, filmische Reise von einem Album.‘ Geben wir ihnen etwas, in dem sie sich verlieren können. Ich sehe nicht viele, die solche Platten machen“, sagt er und lacht. „Meiner Meinung nach ist das 2023 die wirklich alternative Musik.“
Heute veröffentlichen The Dandy Warhols ihre neue Single ›Danzig With Myself‹ featuring Black Francis von den Pixies. Das neue Album ROCKMAKER erscheint dann am 15. März. Als Kollaborationspartner hat die Band aus Portland Künstler und Künstlerinnen wie Guns N‘ Roses-Gitarrist Slash oder Debbie Harry von Blondie ins Boot geholt.
„Alles begann mit einem Riff, das nach Misfits oder Danzig klang, nur verlangsamt“, so Courtney Taylor von den Dandy Warhols über die neue Single. „Mit der Zeit schliff sich der Arbeitstitel ein und wir konnten ihn nicht mehr ändern. Ich meine, komm schon… ›Danzig With Myself‹?!“
Von wegen verflixte Sieben! Sänger und Gitarrist Per Borten ist überzeugt, dass die Zahl kein Unglück bringt. Er freut sich lieber darüber, dass die Besetzung auf SPIDERGAWD VII stabiler denn je ist und vom Metal und Hardrock der 80er befeuert wird. Mit ihrem jüngsten Album im Gepäck kommen die Norweger demnächst für zahlreiche Konzerte nach Deutschland und präsentieren VII live:
Nach 50 Jahren wurden alte Fernsehaufnahmen von The Sweet aus dem Jahr 1971 restauriert. Eigentlich dachte man, der Film wäre gelöscht worden, doch die Archiv-Organisation „Kaleidoscope“ konnte die verloren geglaubten Aufnahmen retten
Und so können Sweet-Fans heute eine Performance von ›Alexander Graham Bell‹ in der Fernsehsendung „Lift Off With Ayshea“ vom 27.10.1971 begutachten, der Konkurrenz-Sendung zum damals überaus beliebten Format „Top Of The Pops“.
In den letzten drei Jahren arbeiten Saxon besonders emsig und präsentieren nun nach zwei mit INSPIRATIONS betitelten Cover-Platten und ihrem Album CARPE DIEM (2022) im Jahr 2024 schon ihr nächstes Werk namens HELL, FIRE AND DAMNATION. Eine schlüssige, gelungene Song-Sammlung, die die OldSchool-DNS der Briten mit moderner Produktion vereint und einen weiteren grundsoliden Baustein im umfassenden Katalog der NwoBHM-Veteranen darstellt. Im Interview erklärt Sänger Biff Byford alles zur neuen Platte, auf welcher der jüngst ausgestiegene Paul Quinn, seines Zeichens Gründungsmitglied und Gitarrist von Saxon, ebenso zu hören ist wie der Neue am Sechssaiter, Diamond-Head-Mann Brian Tatler.
Biff, du kommst gerade von einem Videodreh. Kannst du mir dazu irgendetwas verraten?
Nein, das ist noch geheim. Es ist das Video zum Titeltrack des Albums, in dem es um den Kampf zwischen Gut und Böse geht.
Also um HELL, FIRE AND DAMNATION. Warum verliert dieses Thema nie an Anziehungskraft?
Viele Bands singen ja über Dämonen und Satan, ich hingegen wollte eher vom Kampf zwischen Gut und Böse, zwischen hell und dunkel, im Kontext der menschlichen Kultur erzählen. Ich meine, die Menschen haben eine Wahl, nicht? Jeder trägt beide Seiten in sich.
In den letzten Jahren veröffentlicht ihr mit Saxon alle 12 Monate eine Platte, außerdem arbeitest du mit deinem Sohn in Heavy Water. Wie hältst du das durch?
(Lacht) Ist schon ne Menge, oder? Vor allem für einen älteren Sänger wie mich. Aber ich habe ein Studio zuhause, das hilft enorm. Ich gehe da drei bis vier Stunden täglich hinein, um die Grundideen festzuhalten. Das ist das wichtigste.
CLASSIC ROCK präsentiert: Genesis – das Sonderheft! Die ganze Geschichte der Band auf 148 Seiten! Ab 19.01. überall am Kiosk, schon jetzt im CLASSIC-ROCK-Shop versandkostenfrei bestellbar.
Der Name Genesis ruft meist zwei Reaktionen hervor. Das eine Lager sieht die Band als Grundpfeiler des britischen Progressive Rock, der mit Peter Gabriel als Frontmann half, das Fundament für dieses Genre in den frühen 70er Jahren zu schaffen. Das andere nimmt sie – mit Phil Collins am Mikrofon – als den Arena-füllenden Koloss wahr, der beinahe die kompletten 80er Jahre die weltweiten Radiowellen dominierte. Beide Lager haben recht.
Nur wenige Bands können auf zwei so unterschiedliche Teilbereiche ihrer Karriere zurückblicken. Doch das ist nicht die ganze Geschichte. Genesis waren nie ausschließlich das eine oder das andere. Auch in ihrer Prog-Ära schrieben sie Popsongs und ihre progressiven Wurzeln waren auch während ihrer Hochphase in den 80er Jahren stets sichtbar. Man darf aber auch die anderen Bereiche nicht vergessen, die zwischen diesen beiden Stützpfeilern ihrer Karriere lagen. Ihre Anfänge als schüchterne Folk-Pop-Kombo etwa oder die Alben, die sie Ende der 70er schrieben, nachdem Peter Gabriel und Steve Hackett die Band verlassen hatten. Zudem können alle Hauptprotagonisten beachtliche Solo-Erfolge verbuchen.
In unserem großen Genesis-Sonderheft werfen wir einen Blick auf all diese Bereiche. In ausführlichen Histories beleuchten wir die Schlüsselalben der Band, lassen in exklusiven Interviews Phil Collins, Peter Gabriel, Tony Banks, Mike Rutherford und Steve Hackett zu Wort kommen und widmen uns auch den Solokarrieren und aktuellen Projekten dieser Musiker.
Es gibt nur wenige Gitarristen, die man nach ein paar wenigen Tönen erkennt. Zu diesem elitären Kreis gehört Delta-Bluesrocker Eric Sardinas. Mit CLASSIC ROCK spricht der inzwischen in Las Vegas beheimatete Singer/Songwriter über die lange Kreativphase vor seinem neuen Werk MIDNIGHT JUNCTION und gewährt einen tiefen Einblick in den unvorhersehbaren Entstehungsprozess seiner Kompositionen.
Eric, seit deinem letzten Album BOOMERANG (2014) sind geschlagene neun Jahre ins Land gezogen … Mit BOOMERANG gingen meine Band und ich fast fünf Jahre auf Tour. Als dann die Covid- 19-Pandemie unser aller Leben über Nacht veränderte, musste ich mir zwangsläufig eine andere Beschäftigung suchen, als Konzerte zu spielen. Eine neue Scheibe in Angriff zu nehmen, stellte für mich die einzig sinnvolle Option dar. Während der ganzen Lockdowns ist die Zeit nur so verflogen und ich komponierte Song um Song. Was für mich allerdings in diesen gut zwei Jahren immer ein großes Fragezeichen war: Wann zur Hölle macht es Sinn, ins Studio zu gehen und aus den ganzen Stücken eine LP entstehen zu lassen? Ein Album, ohne es mit Shows zu promoten, ist für mich kein besonders guter Plan. Also wartete ich lieber, bis Licht am Ende des Seuchen-tunnels aufflackerte.
Wie viele Lieder hast du komponiert, bis sich die finalen zwölf Originale von MID NIGHT JUNCTION herauskristallisierten? Ich gehe beim Schreiben nicht nach einer bestimmten Formel vor. Jeder Track bahnt sich seinen eigenen Weg von der ersten Idee bis zur Fertigstellung. Manchmal ist es ein Textfragment oder ein Gitarrenrhythmus, der alles ins Rollen bringt. In Sachen Lyrics stehe ich nicht auf erfundenes Zeug. Entweder muss ich etwas selbst erlebt haben oder jemand aus meinem Umfeld erzählt mir eine Begebenheit, die es wert ist, in einem Stück verewigt zu werden. Der Kniff dabei ist, dass sich möglichst viele Hörer darin wiederfinden. Deswegen kann man, glaube ich zumindest, den zeitlichen Aspekt beim Komponieren einer Scheibe getrost außer Acht lassen. Das Material muss schlichtweg passen – egal ob es nun in ein paar Tagen oder Jahren geschrieben wurde.
Kannst du die Gesamtanzahl der Tracks für MIDNIGHT JUNCTION wirklich nicht mehr bemessen? Ich feile, abseits von gezielten Songwriting-Sessions für eine LP, sowieso immer an irgendwelchen Liedern. Anders funktioniert es für mich einfach nicht, dass ein vielschichtiges, klassisches Bluesrock-Album entsteht. Wenn ich wirklich streng bin, bleiben oft mal zehn Kompositionen außen vor, die nicht auf der Platte landen.
Vielleicht ist das auch der Grund, warum dein Gitarrenspiel auf MIDNIGHT JUNCTION von ungewohnt ruhig bis bekannter maßen furios eine enorme Bandbreite besitzt. Ich habe mich einfach von meinem Gefühl leiten lassen. Bei manchen Stücken spiele ich fast schon härter als je zuvor, und bei anderen eher gediegen – je nachdem, was die Komposition verlangt. Das ist in etwa so, als wenn du dir in der Küche Fleisch und Kartoffeln schnappst. Du kannst die beiden Lebensmittel in unendlich vielen Variationen zubereiten und damit eine ganze Speisekarte füllen. Bei Musik ist es exakt genauso. Wenn du die Aufgabe gut erledigst und dein kreatives Maximum ausschöpfst, hältst du am Ende eine Platte in den Händen, die ein perfekter Soundtrack für lange Autofahrten ist.
Das ist eine gute Metapher für die Spannungskurve von MIDNIGHT JUNCTION. Manchmal braucht es einen alten Track als Verbindung zwischen zwei neuen, um diesen Effekt zu erreichen. Jeder kennt doch die Situation: Du werkelst an einer Idee und bist noch unschlüssig, wie sie ihre volle Wirkung entfaltet. Hier ergeben sich oft die tollsten Möglichkeiten. Eine davon ist, seinen gewohnten Pfad zu verlassen und alles mit ein paar frischen Elementen, die man noch nie verwendet hat, aufzupeppen. Als zweite Herangehensweise werfe ich gerne mal zwei oder drei Einfälle zusammen, um am Ende ein knackiges Lied zu erhalten.
Wann entscheidet sich bei dir, welchen Vibe ein Stück transportieren soll? Du musst zuallererst etwas Patina entstehen lassen – sprich: den Song komplett verinnerlichen und vollends verstehen. Ist das passiert, transportiert er dein Innerstes nach außen und entwickelt ein Eigenleben. Dieses Mojo musst du dann einfach noch im Studio einfangen und für die Ewigkeit festhalten.
Schreibst du auf einer deiner Resonator Gitarren oder auf einer „normalen“ Akustischen? Das kommt ganz drauf an, auf welcher Sechssaitigen ein Funke zu einer Idee führt. Manchmal ist es auch gar keine Gitarre und mir fällt irgendwo eine Melodie oder Akkordfolge ein. Das halte ich dann sofort mit der Diktierfunktion meines Smartphones fest. Es rattert wirklich die ganze Zeit in meinem Kopf und es ist gut möglich, dass ich während unseres Gesprächs einen Geistesblitz für ein Stück bekomme. Wenn der Einfall cool ist, landet er aber unweigerlich auf einer Resonator – das ist einfach mein Go-to-Instrument. Saiten mit einem Slide zu bespielen, kickt mich auch nach all den Jahren immer noch derart, dass ich mir keine bessere Gitarre für meinen Sound vorstellen kann.
Zu Beginn deiner ProfiKarriere warst du damit in der Hochzeit von NuMetal und Alternative Rock eine absolute Ausnahmeerscheinung. Ich habe mir ehrlich gesagt nie Gedanken darüber gemacht, wie mich Menschen wahrnehmen. Mir war Ende der 90er überhaupt nicht so klar, dass ich derart aus der Reihe tanze. Mein Stil – egal ob musikalisch oder kla- mottentechnisch – ist einfach ein Lebensgefühl. Delta Blues und Rock sind meine Wurzeln, und mir war von Anfang an wichtig, mit diesen beiden Kernelementen eine eigenständige Note zu entwickeln. Der Look entsteht dann Stück für Stück nebenbei. Wenn ich’s mir recht überlege, ist doch jeder Mensch auf so einem Selbstfindungstrip … Manche erreichen ihr Ziel − andere nicht.
Wie ist es zu deinem unverwechselbaren Spielstil gekommen? Was viele nicht wissen: Ich bin Linkshänder und spiele trotzdem auf einer Rechtshändergitarre. In meinem Umfeld gab es einfach kein Instrument für Linkshänder, also musste ich mich umorientieren. Zudem fühlte ich mich schon immer auf einer akustischen Sechssaitigen mehr zu Hause als auf einer elektrischen. Das ganze Fingerpicking dann trotzdem über einen verzerrten Amp zu jagen, war für mich ein absoluter Aha-Effekt und lies mich mehr und mehr experimentieren. Irgendwann hatte ich dann eine Basis, mit der ich richtig zufrieden war … ab diesem Zeitpunkt loderte das Feuer in mir.