Kommen zurück auf die europäischen Bühnen – und zwar mit einer Jubiläumsshow: Die Progrocker feiern den 30. Geburtstag von MOVING PICTURES mit einem speziellen Set, das alle Stücke des Erfolgsalbums enthält. Geddy Lee spricht mit CLASSIC ROCK über die aktuelle Tour, blickt aber vor allem zurück auf die aufregende Zeit, in der das Jubiläumswerk entstand.
Nach 30 Jahren verblasst so manche Erinnerung. So ergeht es auch Geddy Lee, als er sich in den Sessel fallen lässt, um mit CLASSIC ROCK über MOVING PICTURES zu sprechen. Wie war es doch gleich, damals im Spätsommer 1980, als Rush sich am Stony Lake in Ontario ein Haus gemietet haben, um dort in aller Ruhe an den Songs feilen zu können? Ist ›Tom Sawyer‹ früher eingespielt worden als ›The Camera Eye‹, oder war es doch umgekehrt? Geddy Lee denkt lange nach, aber er kommt einfach nicht drauf. Und nein, diese Gedächtnislücke ist nicht bedenklich, denn Rush waren schließlich noch nie große Partygänger – mit zu vielen Exzessen während der Aufnahmen hat das also nichts zu tun. Vielmehr ist das Ganze ein Zeichen für etwas völlig anderes: nämlich für Rushs Konstanz, ihre Normalität.
In seiner Entstehungsgeschichte unterscheidet sich MOVING PICTURES nicht großartig von seinen Vorgänger- bzw. Nachfolgealben. Und dennoch: Irgendetwas Besonderes muss passiert sein – sonst wäre die Platte nicht derart erfolgreich geworden. Geddy Lee denkt weiter nach. Und sagt schließlich: „Ganz ehrlich, ich kann gar nicht glauben, dass das alles schon 30 Jahre zurückliegt. Und damals, als MOVING PICTURES auf den Markt kam, hatten wir auch nicht das Gefühl, einen Meilenstein erschaffen zu haben. Wir dachten einfach, dass wir eine weitere, gute Platte eingespielt hätten. Doch mit den Jahren erkannten wir, dass MOVING PICTURES einen Wendepunkt in unserer Karriere markierte. Wir haben uns weiterentwickelt, und zwar sowohl in Bezug auf die inhaltliche Ebene als auch auf die musikalische. Heute sagen viele Fans, dass Rush sich mit MOVING PICTURES neu erfunden haben, sie betrachten die Platte als eine Art ‚Wiedergeburt‘. Aber das sehe ich nicht so. Für mich war die Veränderung nicht abrupt, sondern ein schleichender Prozess. Interessanterweise wollten wir zum damaligen Zeitpunkt gar kein Studioalbum machen, sondern eine Liveplatte. Aber ein Freund riet uns davon ab. Er meinte: ‚Euer Stil ist nicht mehr derselbe wie früher. Ihr solltet euch wirklich überlegen, ob es nicht schlauer wäre, neue Songs zu schreiben. Denn wenn ihr jetzt alte Stücke für eine Livescheibe aufnehmt, klingen die ganz anders als im Original!‘ Wir dachten darüber nach und kamen zu dem Schluss, dass er recht hatte. Und so machten wir uns daran, MOVING PICTURES zu komponieren.“
Je länger Lee über die damalige Zeit nachsinnt, desto mehr Erinnerungen kehren zurück. Als Erstes taucht die Umgebung wieder vor seinem geistigen Auge auf, der See, an den das gemietete Haus an-grenzte, aber auch der Ort Morin Heights, in dem (das inzwischen geschlossene) „Le Studio“ lag, wo Rush MOVING PICTURES vollendeten. Dort, in dieser von Bergen flankierten Kleinstadt in Quebec, war die Band bereits für PERMANENT WAVES untergekommen – und sie sollte auch bis 1994 regelmäßig zurückkehren. „Die Landschaft faszinierte uns“, be-schreibt Lee seine Eindrücke. „Wir wohnten alle zusammen in einem kleinen Haus, das in der Nähe des Studios lag. Der Weg dorthin führte durch einen Wald, und ich weiß, dass ich mich immer herrlich entspannen konnte, wenn ich nach getaner Arbeit allein zurückmarschiert bin. Zudem lag das Studio direkt am See, es sah einfach umwerfend aus. Und es hat mich definitiv inspiriert. Manche Leute wundern sich zwar darüber, dass in so einer ruhigen, abgeschiedenen Gegend eine Hardrock-Platte entstehen kann, aber für uns war das kein Widerspruch, ganz im Gegenteil.“
Und doch: Gerade diese besondere Atmosphäre, diese Ruhe und Ausgeglichenheit, spiegelt sich in den Songs von MOVING PICTURES wider. Das Offensichtliche, Vordergründige verschwand Anfang der Achtziger nach und nach aus Rushs Musik, an seine Stelle trat das Erdige, Subtile, Unterschwellige. Man könnte es auch so formulieren: Die Sturm-und-Drang-Phase neigte sich dem Ende zu. Als MOVING PICTURES entstand, waren Geddy Lee und Gitarrist Alex Lifeson 27, Drummer Neil Peart 28 Jahre alt. Es ging Rush nicht mehr darum, Led Zeppelin nachzufolgen (wie auf FLY BY NIGHT oder CARESS OF STEEL) oder sich in immer vertracktere musikalische oder lyrische Höhen hinaufzuschwingen – das hatten sie mit 2112, A FAREWELL TO KINGS oder HEMISPHERE bereits erfolgreich und exzessiv getan. Nun wollten sie etwas Neues ausprobieren, den Weg weitergehen, den sie mit PERMANENT WAVES eingeschlagen hatten: Ihr Progrock durfte komplexe Arrangements enthalten, aber eben nicht nur. Rush und Radio – diese beiden Dinge sollten sich nicht ausschließen: Der Erfolg von ›Spirit Of Radio‹ und ›Freewill‹ gab ihnen Recht. PERMANENT WAVES knackte die Top 5 der US-Billboard-Charts.
Doch obwohl sich das Trio durch die weltweite Zustimmung in seiner Haltung bestärkt sah – einen konkreten Plan, wie’s nun weitergehen sollte, hatten die Kanadier nicht. Es gab nichts, keine übrig gebliebenen Song-Ideen vom letzten Album, keine Melodien, die spontan bei einem Soundcheck entstanden waren und die man hätte ausbauen könnten. „Wir mussten komplett bei Null anfangen. Das war auch der Grund, weshalb wir nicht umgehend nach Morin Heights ins Studio gefahren sind, sondern uns erst am Stony Lake in Ontario eingemietet haben. Es gab schließlich keine Songs, die wir hätten einspielen können – die mussten wir erst noch schreiben!“, berichtet der Sänger, Bassist und Keyboarder.
„Also setzten wir uns von Montag bis Freitag hin, um zu jammen und so Ideen zu entwickeln. Übers Wochenende fuhren wir dann alle nach Hause. Auf diese Art und Weise sind eigentlich all unsere früheren Platten entstanden – erst Ende der Achtziger, als wir begannen, mit Peter Collins zu arbeiten, gab es richtige Demos. Vorher brauchten wir das nicht. Wir spielten die Songs einfach so lange, bis wir sie alle draufhatten. Dann wussten wir, dass wir gut genau vorbereitet waren, um ins Studio zu gehen. Dort ging dann alles recht schnell. Wir nahmen die Stücke auf, änderten noch ein paar Kleinigkeiten, das war’s dann. Obwohl, jetzt wo ich so drüber nachdenke, fällt mir ein, dass es auch schon bei MOVING PICTURES Demoaufnahmen gab. Ganz zu Beginn der Arbeit an dem Album haben wir mit unserem damaligen Produzenten Terry Brown in den ,Phase One‘-Studios in Toronto an irgendeinem der ersten MO-VING PICTURES-Songs gearbeitet. Ich weiß nur immer noch nicht, ob es nun ›Tom Sawyer‹ oder doch ›The Camera Eye‹ war. Na ja, es ist eben doch schon 30 Jahre her…“
Eine Spanne von drei Dekaden zu überblicken, bedeutet nicht nur eine Herausforderung für das persönliche Erinnerungsvermögen, sondern ist in der Tat auch eine Zeitreise. Das wird besonders deutlich, wenn man einen Blick auf die Texte von MOVING PICTURES wirft. Schon früher, z.B. bei ›Anthem‹, ›2112‹, ›Freewill‹ oder ›The Trees‹, hatte Schlagzeuger und Texter Neil Peart sich auf die Arbeit der in Russland geborenen, aber in den USA wirkenden jüdischen Autorin und Philosophin Ayn Rand (1905-1982) bezogen. Ihre Theorie des Objektivismus ist umstritten und wird – je nach Standpunkt – dem rechten politischen Lager zugerechnet (allerdings vor allem im angloamerikanischen Raum). Rush und insbesondere Peart gerieten daher zahlreiche Mal in Erklärungsnot, wenn sich jemand die Mühe machte, eine Diskussion über dieses Thema vom Zaun zu brechen. Die Wahrheit ist freilich: Geddy Lees Eltern sind polnische Juden, die in den Konzentrationslagern von Dachau und Bergen-Belsen interniert waren, dies jedoch überlebten. Schon allein deswegen ist eine Zuordnung der Band in dieses Lager schlicht absurd.
Hinzu kommt, dass sowohl Rands Werke (und dabei insbesondere „An-them“ (1938), „The Fountainhead“ (1943) und „Atlas Shrugged“ (1957)) als auch Rushs Alben im Kontext der damaligen Geschehnisse zu betrachten sind. Als MOVING PICTURES entstand, stand das von George Orwell so düster beschriebene 1984 erst noch bevor. Die Mauer existierte noch real, ebenso der Ostblock, und auch der Kalte Krieg war längst nicht Geschichte. Die Worte, die Peart im Sommer 1980 niederschrieb, entstanden in einem Klima, das von Furcht und Misstrauen gegenüber dem Anderen, dem Fremden geprägt war.
„Neil hat im Lauf der Rush-Karriere einige Texte geschrieben, mit denen ich nicht besonders glücklich war“, setzt Geddy Lee an, „aber das war hauptsächlich am Anfang der Fall. Zur Zeit von MOVING PICTURES gab es nur einige wenige Zeilen, die mir nicht gefielen, der größte Teil seiner Lyrics war hervorragend. Wir arbeiten immer nach demselben Muster: Neil schreibt etwas, er zeigt es mir dann, ich lese den Text durch und mache Anmerkungen an den Stellen, die ich nicht verstehe oder die ich anders formulieren würde. Wir sprechen dann darüber, und er nimmt die Zettel wieder mit nach Hause und arbeitet das Ganze entsprechend um.
Das Gute an Neil ist: Er geht sehr ergebnisorientiert vor. Will sagen: Sein Ziel ist es, einen passenden Text zu schreiben. Wenn das aber partout nicht funktioniert, zum Beispiel weil die Worte und die Musik sich nicht ergänzen, dann ist er nie beleidigt, sondern zuckt mit den Schultern und macht etwas Neues.“
Die Texte zu MOVING PICTURES stammen allesamt von Neil Peart – einzige Ausnahme: die Lyrics zu ›Tom Sawyer‹, die aus einer Kollaboration mit Pye Dubois stammen (kanadischer Dichter, u.a. Texter der Band Max Webster – Anm.d.Red.). Dubois’ ursprünglichem Porträt eines modernen Rebellen fügte Peart einen weiteren Aspekt hinzu: den Kampf zwischen dem Wunsch nach ewiger Freiheit und den Zwängen der Gesellschaft.
„Jedes Mal wenn ich an MOVING PICTURES denke, kommt mir als Er-stes ›Tom Sawyer‹ in den Sinn“, sagt Lee lachend. „Der Song hat uns alle Türen geöffnet, war in Filmen zu hören, in TV-Shows, einfach überall. Dabei sah es zunächst so aus, als würde nie etwas draus werden. Denn im Studio haben wir uns endlos mit dem Stück herumgeplagt. Alle an-deren Tracks entwickelten sich viel schneller, nur ›Tom Sawyer‹ bereitete uns Kopfzerbrechen. Ständig hatten wir das Gefühl, dass noch irgendetwas Wichtiges fehlte. Doch am Ende der Aufnahmen war es der Song, den wir alle am besten fanden. Ein weiterer Beweis dafür, dass man nie im Vorfeld sagen kann, ob etwas funktioniert oder nicht. Man muss es einfach ausprobieren und sehen, wie weit man kommt.“
Wie weit die Band in ihrer Entwicklung gekommen war, zeigt sich in ›Tom Sawyer‹ wohl am deutlichsten. Der Song verfügt über ein komplexes, bis ins letzte Detail durchdachtes Arrangement. Doch er ist auch zugänglich, insbesondere durch einen Riff, der sich bereits beim ersten Hören im Gehirn festsetzt und diesen Platz nie wieder verlässt. Doch MOVING PICTURES ist kein Album, das auf einem einzigen Hit beruht. Lee versüßt ›Red Barchetta‹ mit unglaublichen Eröffnungsharmonien. ›YYZ‹ ist eines der wenigen Instrumentals der Rock-Geschichte, die nicht als Beiwerk, sondern als eigenständiger Song wahrgenommen werden, während ›Limelight‹ be-weist, dass Rush nicht nur den Prog beherrschen, sondern auch im Poprock Großes leisten können. Und dann ist da natürlich noch ›The Camera Eye‹, elf-minütiges MOVING PICTURES-Herzstück und Gänsehaut-Epos, das vom düsteren, brodelnden ›Witch Hunt‹ und der Reggae-Electronica-Fusion ›Vital Signs‹ abgelöst wird.
„Wir haben nie wieder einen Song wie ›The Camera Eye‹ geschrieben. Das Epische hat uns während der Aufnahmen auch gar nicht gefallen. Wir hatten das Gefühl, dass der Track zu lang war und sich die einzelnen Themen zu oft wiederholten. Wahrscheinlich hatten wir einfach nicht genug Abstand – denn sonst wäre uns sicherlich aufgefallen, dass gerade dadurch ein ganz besondere Atmosphäre erzeugt wird.
Das ist uns erst im letzten Sommer wieder bewusst geworden, denn im Rahmen der MOVING PICTURES-Tour nah-men wir ›The Camera Eye‹ erstmals seit über 25 Jahren wieder in unser Set auf. Die Leute liebten den Song! Ich muss allerdings auch zugeben, dass wir ihn etwas gekürzt haben, aber nur um eine knappe Minute. Denn als wir uns auf die US-Show vorbereiteten, hörten wir uns das Stück an und kamen überein, dass einige Passagen auf der Albumversion einfach zu langatmig sind. Die haben wir zusammengestrichen.“
Das wäre zur Zeit der MOVING PICTURES-Aufnahmen noch nicht so einfach möglich gewesen. ProTools? Fehlanzeige. Doch vor technischen Problemen waren Rush deswegen keineswegs gefeit. Aus diesem Grund landeten die Bänder nämlich einige Tage später als geplant im Briefkasten der Plattenfirma. „Als wir mit dem Mix beschäftigt waren, ging plötzlich alles schief. An einigen Stellen waren auf einmal Sounds zu hören, wie vorher nicht da waren, an anderer Stelle fehlte irgendwas. Wir suchten stundenlang nach dem Fehler, konnten aber nichts finden. Also schlug unser Produzent Terry Brown vor, den Laden zu schließen und einen Techniker aus England kommen zu lassen. Es stellte sich schließlich heraus, dass eine Leitung falsch angeschlossen war und zu-dem eine so hohe Luftfeuchtigkeit im Studio herrschte, dass wir Probleme hatten, die Höhen richtig einzustellen. Nun, am Ende ging es dann doch.
Zudem hatte es einen großen Vorteil: Wir stellten alles manuell ein, jeder von uns war beteiligt, es fummelten also acht Hände zeitgleich auf dem Board herum. Eine aufregende Sache! So etwas erlebt man heute nicht mehr, da wird alles am Computer eingestellt, fertig. Dabei lieben wir es, uns die Hände schmutzig zu machen!“
Das aktive Mitmachen, Mitentscheiden, Dabeisein ist etwas, das Rush seit jeher wichtig war und auch heute noch ist. Sie sind in jeden Produk-tionsschritt involviert, wollen die Kontrolle über das Gesamtwerk be- und erhalten. Das war auch bei MOVING PICTURES so. Da die Band – und allen voran Neil Peart – etwas erschaffen wollte, das stark cineastische Züge trägt, ein Album, bei dem die Musik dazu da ist, die Texte klanglich umzusetzen und so nacherlebbar zu machen, war auch das Artwork von immenser Bedeutung. „Neil hatte die Idee für den Titel der Platte, und da er die Texte verfasste, wollte er, dass diese auch im Covermotiv umgesetzt werden. Er hat daher unserem Grafikdesigner Hugh Syme eine Rohfassung der Lyrics gegeben, um ihm einen Eindruck davon zu vermitteln, in welche Richtung er gehen wollte. Hugh hat sich dann Gedanken dazu gemacht und alle weiteren Schritte mit Neil abgesprochen. Nachdem die beiden sich einig waren, kamen sie zu Alex und mir, um uns ihre Vorschläge zu unterbreiten.
Ich mag die drei Ebenen des Bildes. Diese Mehrdeutigkeit, mit der auch der Titel MOVING PICTURES spielt. Einmal die Bilder, die aus dem Gebäude getragen werden, dann das alte Ehepaar, das in Tränen ausbricht, weil es die Tasche fallen lassen hat. Und schließlich die Filmcrew auf der Rückseite beim Dreh. Alle bewegt bzw. bewegen etwas – im Englischen ist das Wort ‚to move‘ ja mehrdeutig. Zudem freue ich mich auch heute noch darüber, dass wir damals den Schritt gewagt und kein weiteres Fantasy- oder SciFi-Bild mehr als Cover verwendet haben. Es war wirklich höchste Zeit, damit aufzuhören. Zumal es bei uns eigentlich immer schon so war, dass die Optik der Musik entsprechen sollte. Und da sich unser Sound verändert hatte, musste sich logischerweise auch die visuelle Umsetzung ändern.“
Die konsequente Art, mit der Rush an ihre eigene Erneuerung herangingen, verschaffte ihnen nicht nur neuen Zulauf von Fans aus dem Mainstream-Sektor, sondern nötigte auch der eingeschworenen Fan-Gemeinde Respekt ab. Und doch hatte der Erfolg auch seine Schattenseiten. Die ersten Wolken waren bereits vor MOVING PICTURES aufgezogen – speziell Neil Peart hatte enorme Schwierigkeiten, mit dem Ruhm klarzukommen. Er hasste es, im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses zu stehen – ein Problem, das er im Song ›Limelight‹ thematisiert. „Keiner von uns braucht das Rampenlicht. Wir haben keine besonders ausgeprägten Egos. Aber während Alex und ich es locker nehmen, wenn Fans auf uns zukommen und ein Autogramm wollen oder mit uns sprechen möchten, schafft es Neil einfach nicht, sich zu entspannen. Das war früher ganz schlimm, inzwischen ist es deutlich besser geworden. Was vielleicht auch daran liegt, dass wir dazu übergegangen sind, in solchen Momenten einfach herumzualbern. Das entspannt die Situation enorm.
Aber um auf ›Limelight‹ zurückzukommen: Es ist schon eine ziemliche Dreistigkeit, dass wir auf der einen Seite ein erfolgreiches Album aufnehmen wollen, das sich bitte millionenfach verkaufen soll – und dann ein Stück draufpacken, das von den negativen Seiten des Star-Daseins handelt. Ziemlicher Widerspruch, oder? Aber so ist das eben oft in einer Band…“
Speziell Neil Peart ist ein Meister darin, wenn es darum geht, etwas Unerwartetes zu tun. Das war früher so – und hat sich bis heute nicht geändert. Denn während Geddy Lee und Alex Lifeson endlich das bereits für 2010 geplante neue Studioalbum fertigstellen wollten, gierte Peart förmlich nach einer Tournee, wie der Sänger berichtet: „Die Idee, MOVING PICTURES komplett auf die Bühne zu bringen, stammt nicht von mir. Ich wollte lieber Songs schreiben. Doch Neil hatte Feuer gefangen, gab einfach nicht nach. Schließlich kam irgendjemand darauf, dass wir doch beides miteinander kombinieren könnten. Erst ein paar Songs aufnehmen, dann live spielen, dann wieder zurück ins Studio, daraufhin eine weitere Tour. Alle waren begeistert, also entschieden wir, dass wir es genau so machen wollten.
Und dann erst kamen wir auf den Gedanken, MOVING PICTURES in den Mittelpunkt der Show zu rücken. Schließlich ist es unser erfolgreichstes Album, jedenfalls in den USA. Und es enthält ›Tom Sawyer‹, eine Hymne, die jeder Rush-Fan vergöttert. Zudem ist ein Großteil der Stücke von MOVING PICTURES ohnehin ein fester Bestandteil unseres regulären Sets, also mussten wir uns nicht großartig bemühen und zig Lieder einstudieren, die wir ewig nicht geprobt hatten – abgesehen von ›The Camera Eye‹ gestaltete sich das recht einfach. Und durch die Nordamerika-Tour, die wir im vergangenen Sommer gespielt haben, ist uns erst richtig klar geworden, wie herausragend das Stück eigentlich ist und welche Emotionen es bei den Leuten hervorrufen kann. Es scheint, als hätten wir nach 30 Jahren endlich unseren Frieden mit dem Song geschlossen…“
MOVING PICTURES
Die beiden Fotografien sind vor dem Parlamentsgebäude von Ontario entstanden. Es steht im Queen’s Park in Toronto und wurde in den Jahren von 1886-1893 er-baut. Eines der Bilder, welche die Träger gerade transportieren, zeigt das Cover von Rushs 2112-Album. Für die Gestaltung des MOVING PICTURES-Artworks war Hugh Syme zuständig – gemeinsam mit der Fotografin Deborah Samuel hatte er das Shooting geplant und darin die verschiedenen Aspekte des englischen Begriffs „moving“ zu visualisieren versucht.