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Dream Theater – Dunkle Wolken

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DreamTheater_BANDWährend Dream Theater-Sänger James LaBrie zurzeit sein neues Soloalbum STATIC IMPULSE vorstellt, hat Schlagzeuger Mike Portnoy unerwartet die Brocken hingeschmissen. Zwei Ereignisse, die bei genauerer Betrachtungsweise durchaus in einem kausalen Zusammenhang stehen.

Die Bombe platzte Anfang September: Schlagzeuger Mike Portnoy hat Dream Theater verlassen. Ein Schock, eine Sensation, eigentlich sogar ein Eklat: Denn was die meisten Fachleute angesichts einer solchen Entscheidung bisher für undenkbar hielten, tritt ein – die Band macht künftig ohne ihren Gründer weiter. Ein Nachfolger ist zwar noch nicht benannt, die Suche läuft aber bereits auf Hochtouren.

Portnoys Split von Dream Theater überrascht deshalb umso mehr, da der Drummer offenbar nicht ganz freiwillig ausgeschieden ist. Und das wiederum weicht vollends vom bisherigen Eindruck der Öffentlichkeit ab, dass in dieser Band keine Entscheidung gegen den Willen ihres Machers getroffen wird. In einer eiligst verfassten Pressemeldung erklärt der Schlagzeuger zwar, dass seine Entscheidung über Monate gereift und beileibe keine Kurzschlusshandlung sei. Was aber in seinem Statement ebenso unmissverständlich deutlich wird: Im Grunde genommen wollte Portnoy die Band nicht verlassen. Sein Wunsch war vielmehr eine längere Pause, um neue Kraft zu tanken und die in Schieflage geratene Stimmung im Dream Theater-Camp wieder gerade zu rücken. Die physische und psychische Belastung, der Dream Theater durch die monatelange Tournee zu ihrem aktuellen Album BLACK CLOUDS AND SILVER LININGS ausgesetzt waren, hat Portnoy offenbar viel Kraft gekostet. Die im Albumtitel erwähnten schwarzen Wolken, die durch den Stress und die Entbehrungen einer Tour aufgezogen sind, überdeckten jeglichen Silberstreif am Horizont.

Um den Krach noch einmal zu verdeutlichen: Portnoy spricht ausdrücklich von einer „dringend notwendigen Pause“, die er sich gewünscht hatte. Doch die wurde von den Herren James LaBrie (Gesang), John Petrucci (Gitarre), John Myung (Bass) und Jordan Rudess (Keyboards) wohl rundweg abgelehnt. „Ich hoffte inständig, dass die Band mit mir darin übereinstimmt, dass wir eine Auszeit brauchen, um die Batterien wieder aufzuladen“, so Portnoy wörtlich. „Doch leider zeigte sich in Diskussionen mit den Jungs, dass sie meinen Eindruck nicht teilen. Sie haben sich vielmehr zu entschlossen, lieber weiterzumachen anstatt einmal tief durchzuatmen.“

Ein wenig klingt das, was Portnoy da erfahren musste, nach einer Racheaktion seiner Bandkollegen. Quasi eine Quittung für das, was er seinen Mitmusikern jahrelang zugemutet hatte. Denn Portnoy führte ein strenges Regiment, dem sich alle – außer Gitarrist und Komponisten-/Produzentenpartner John Petrucci – unterzuordnen hatten. Das sorgte immer wieder für Streitigkeiten. Der Drummer ist nämlich ein Getriebener, ein Perfektionist, der sich und andere über zwei Jahrzehnte bis an den Rand des Erträglichen einpeitschte. Dass ausgerechnet ein solcher Charakter nun um eine Pause bittet, muss den Musikern wie ein schlechter Witz vorgekommen sein. Ganz offensichtlich war keiner gewillt, seinem Wunsch zu entsprechen.

Von Dream Theater selbst gibt es zu dieser Entwicklung nur ein verhältnismäßig kurzes Statement, in dem man Portnoy alles Gute für die Zukunft wünscht und ansonsten sofort zur Tagesordnung übergeht: Nach einem Nachfolger würde gesucht, und ein neues Album wolle man bereits ab Januar 2011 in Angriff nehmen. Viel kühler hätte man den Abgang des Schlagzeugers kaum kommentieren können. Der Graben zwischen Portnoy und dem Rest der Truppe muss am Ende also mächtig tief gewesen sein.

Angesichts dieser Entwicklung rückt die Veröffentlichung von STATIC IMPULSE, dem zweiten Soloalbum von Dream Theater-Frontmann James LaBrie, beinahe in den Hintergrund. Sollte es aber eigentlich nicht, denn die Platte ist dem Sänger enorm wichtig. Seine Solokarriere war für James LaBrie schon lange Jahre ein kreatives Ventil. Wann immer es der enge Dream Theater-Terminkalender zuließ, traf er sich mit seinem Kumpel, dem Gitarristen Matt Guillory, und verfasste eigene Songs. 1999 und 2001 veröffentlichte er unter dem Projektnamen Mullmuzzler zwei bemerkenswerte Scheiben, jetzt folgt mit STATIC IMPULSE der Nachfolger seines Solodebüts ELEMENTS OF PERSUASION. „Es ist gut für Dream Theater, dass wir alle unsere eigenen Projekte haben. So bleibt die Band frisch“, sagt LaBrie und verschweigt dabei galant, dass der ursprüngliche Start seiner Single-Ambitionen gleichzeitig Ausdruck seines handfesten Ärgers auf Portnoy und Petrucci war.

Die beiden waren nämlich, wie bereits erwähnt, zwei Dekaden lang das Hirn von Dream Theater und traten gemeinsam als Komponisten, Arrangeure und Co-Produzenten der meisten Veröffentlichungen in Erscheinung. Zudem legte das Duo die stilistische Direktive fest und entschied auch über Marketing und Finanzen. Und zum Leidwesen von James LaBrie verfassten sie bis dato auch nahezu alle Texte, die er zu singen hatte. Ein recht ungewöhnlicher Vorgang, ist doch in den meisten Fällen der Sänger einer Band auch gleichzeitig ihr Texter – was auch im Sinn von LaBrie gewesen wäre. So wehrte er sich bereits vor einigen Jahren gegen Portnoys Vorwurf, dass er eine zu langsame Arbeitsweise habe: „Wenn ich auf Anhieb einen Bezug zum Song finde, kann ich auch sofort etwas Brauchbares abliefern.“ Am Textmonopol der zwei Dream Theater-Macher änderte sein Einwand jedoch nichts.

Deswegen also die Solokarriere, deswegen im September die Veröffentlichung von STATIC IMPULSE – einem Album, das progressive Versatzstücke mit bitterbösen Metal-Attacken und feinsinnigen Melodien vermischt. Offenbar geht es LaBrie auch darum, sich hier den Respekt seiner Band zu verschaffen: „Meine Kollegen haben mir ausdrücklich gratuliert und das große Potenzial der Scheibe gelobt“, berichtet er stolz. Dabei dürften die Glückwünsche vermutlich keine Lippenbekenntnisse sein, denn das LaBrie-Solowerk gibt durchaus Anregungen, in welche Richtung sich auch die Musik von Dream Theater zukünftig weiterentwickeln könnte.

Für seinen Macher jedenfalls klingt ein zeitgemäßes Heavy-Album so wie STATIC IMPULSE: durchdacht, aber hart. Neben LaBries Gesang ist darauf nämlich auch das derbe Grunzen des schwedischen Schlagzeugers Peter Wildoer zu hören. Dies – so die Meinung des kanadischen Sängers – spiegelt die momentane Metal-Realität wider: hart, wild, kontrastreich und extrem, aber gleichzeitig auch melodisch und progressiv.

Monster Magnet – Rückkehr mit Hindernissen

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MonsterMagnet_Dave3 @ MarkWeiss_bearbÜberdosis, Schreibblockade, Vulkanausbruch, Verhaftung — der Weg zu Monster Magnets achtem Album war kein leichter, aber ein lohnender: Mit mitreißendem Classic-, Space-, Southern-, Stoner- und Stadion-Rock präsentiert das Werk namens MASTERMIND Dave Wyndorf als wiedererstarkten Komponisten und Sänger.

Die Frühphase hätte besser nicht laufen können: Nachdem David „Dave“ Albert Wyndorf zwischen Weihnachten und Silvester 2009 das komplette MASTERMIND-Album in Acht- bis Zwölf-Stunden-Schichten geschrieben hatte, studierten er, Gitarrist Ed Mundell, Bassist Jim Baglino und Schlagzeuger Bob Pantella die neuen Songs in sechs Tagen ein und nahmen ihre Instrumentalspuren innerhalb eines Monats auf. „Die Jungs waren unglaublich gut. Ich verlangte viel, doch statt Ermüdungserscheinungen zu zeigen, funktionierten sie wie ein Uhrwerk“, lobt Wyndorf per Telefon aus dem heimischen New Jersey. „Ich sprang auf und ab und rief immer wieder Beispiele in den Raum: ,Ich brauche Ian Paiste, Hawkwind, Sabbath, Ace Frehley, Gene Simmons!‘“

Dann aber brach eine Welle von Problemen los: Als die Gesangsaufnahmen anstanden, hatte Dave noch kein einziges Wort zu Papier gebracht. „Am Schreibtisch ging nichts mehr“, erinnert sich Monster Magnets Chef an den Beginn einer dreiwöchigen Blockade. „Mir half erst die Faszination, in einem Hotelzimmer von Informationsgewinnungs-Geräten wie Fernseher, Computer, iPad und iPod umgeben zu sein, während ich selbst nicht in der Lage war, Informationen abzugeben. Diesen Gegensatz machte ich mir zu Nutze und beschrieb meine Emotionen – egal, ob ich mich einsam oder entfremdet fühlte, meine Freundin vermisste oder an kürzlich verstorbene Verwandte dachte. Ich hörte Alice Cooper, sah fern, durchstöberte Online-Comics, surfte im Netz, las Bücher und Zeitschriften. Ich bin ein Bilder-Junkie.“

Nächste Hürden folgten auf dem Fuß: Während Wyndorf auf fertigen Tönen und Science-Fiction-, Sex- und Rausch-Texten saß, hielt ein Aschewolken spuckender Vulkan Produzent Matt Hyde in Finnland fest. Kaum war der nach vier Wochen zurückgekehrt, wurde Dave in Los Angeles verhaftet – für „schweren Autodiebstahl“.

„Ich hatte keinen Schimmer, warum – bis mich die Polizisten aufklärten: Ich hatte vergessen, einen Mietwagen zurückzugeben“, lacht er dreckig-empört. „In Sondereinsatzkommando-Manier stürmten sie mit Pistolen im Anschlag auf mich zu, kesselten mich mit einem Hubschrauber und mehreren Autos ein, warfen mich bäuchlings zu Boden, legten mir Handschellen an und steckten mich in eine Zelle – wie in einer bescheuerten Fernsehsendung.“

Wyndorf spricht klar, versieht Ausführungen mit viel Witz und Anekdoten eines bewegten Lebens: Er erinnert sich genau daran, wie seine Rock-Liebe von Hawkwind, MC5, Stooges, Pink Floyd, Ramones und Jimi Hendrix entfacht wurde, an Siebziger-CBGB-Auftritte mit den Punks Shrapnel und 21 Monster Magnet-Jahre. Konträr zu Ozzy Osbourne oder Ex-Guns N’Roses-Bassist Duff McKagan artikuliert sich der Vater einer Tochter trotz einer exzessiven, laut Eigenaussage in den Siebzigern begonnenen und 1995 beendeten Drogen-/Alkoholkarriere störfrei. Doch obwohl sein Marihuana-, LSD- und Kokain-Verlangen manche Dealer-Rente gesichert haben dürfte, behauptet der „Drug-Rocker“, selbst in wildesten Zeiten sei kein Monster Magnet-Stück im Rausch entstanden. „Ich hatte es zwar versucht, doch ganz ehrlich: Am Folgetag fand ich die Aufnahmen jedes Mal einfach nur misslungen“, sagt der Musiker, der sich einst im Tourbus ausschließlich von Bananen, Wasser, Wodka und Illegalem ernährte. „So sehr ich es mir wünschte: Drogen funktionierten als kreative Richtungsweiser kein einziges Mal. Sie ermöglichten lediglich, im Nachhinein über in diesen Situationen Erlebtes zu schreiben.“

Am 27. Februar 2006 bekam Wyndorf die Quittung für seine halluzinöse Vergangenheit: eine Schlaftabletten-Überdosis. Jene Nahtod-Erfahrung hatte er bereits 2007 auf 4-WAY DIABLO thematisiert, die Erholung von ihr dauerte jedoch weitaus länger. „Ich nahm nie Drogen, um zu feiern. Ich nahm sie, um zu schlafen“, analysiert er. „In meinen Vierzigern war ich ein Mann, der nicht schlafen konnte, aber jeden Abend auf der Bühne singen musste.“

Zu dieser Zeit kämpfte Daves Körper gegen den Schlafmangel an und machte es ihm unmöglich, so herumzuschreien und -springen, wie er es jahrelang getan hatte. Den Griff zu den Schlaftabletten bezeichnet er rückblickend als „Versuch, natürliche Warnzeichen zu verdrängen. Mein Drogenkonsum hatte eine nervöse Depression verursacht, die wiederum zu der Überdosis führte. Ich hatte beinahe vergessen, auf normale, natürliche Weise genießen zu können, mir angewöhnt, alles in negativem Licht zu betrachten. Meine kindliche Natur lag unter Langeweile und Überdruss begraben. Ich fühlte mich älter, als ich war – wie ein Griesgram, der glaubt, alles schon gesehen zu haben. Nach dem Kollaps kehrte Freude zurück – schlicht darüber, am Leben zu sein. Es klingt dämlich, aber: Ich freute mich plötzlich, nach dem Aufstehen Vögel beobachten zu dürfen, begann, wie verrückt zu lesen: Bücher waren für meine Hirn-Reaktivierung wichtiger als sämtliche Reha-Maßnahmen. Es war, als sei ich wieder 17 – wenn man merkt, wie viele coole Bücher, Alben und anderes Zeug auf Entdeckung warten. Heute fühle ich mich rundum stärker.“

Jüngste Festival-Auftritte und MASTERMIND belegen dies: Wyndorfs Stimmbänder klingen 2010 deutlich voluminöser, neue Kompositionen treibender und muskulöser als zu MONOLITHIC BABY- und 4-WAY DIABLO-Zeiten. Seine Dämonen (hoffentlich endgültig) verabschiedet, blickt er positiv in die Zukunft, möchte auf Monster Magnets Winter-Tournee „so viele MASTERMIND-Songs wie möglich“ unter Publikumslieblinge wie ›Space Lord‹ und ›Negasonic Teenage Warhead‹ mischen, eine 7’’-Serie starten und „irgendwann“ ein Soloalbum verwirklichen. Seine Comic-Faszination und die Möglichkeit, mit 54 Jahren weiterhin den Globus im Zeichen des Rock zu bereisen, helfen ihm, jugendliche Spitzbübigkeit zu bewahren und ein Stück weit Kind zu bleiben. „Rock’n’Roll erfüllt Wünsche, von denen doch jeder Teenager träumt: Du kannst noch so hässlich und fett sein: Als Mitglied einer Rockband triffst du haufenweise Mädchen und darfst alle Fantasien ausleben“, strahlt Dave über den Atlantik. „Besonders Glückliche werden sogar dafür bezahlt – es gibt kaum etwas Besseres. Ich bin für dieses riesige Privileg immer noch sehr dankbar, wenn auch nicht auf so unrealistische Art wie in meinen Dreißigern. Ich wache jeden Tag auf und führe mir meine glückliche Situation vor Augen: Ich darf Musik erschaffen und kann sogar davon leben.“

Kid Rock – Schluss mit Wut

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Kid_Rock 2010 @ Clay Patrick McBride 1Der Rüpel-Rocker ist leiser geworden: Während seines Besuchs in München traut sich der 39-Jährige nicht aufs Oktoberfest, sein aktuelles Album kommt ohne „Parental Advisory“-Sticker aus, und sein Traum besteht aus ruhigen Abenden auf der Veranda. Ist Kid Rocks ungezügeltes Temperament etwa völlig verschwunden?

Das Wichigste zum Einstieg: „Ist Kid Rock ein langweiliger, alter Sack geworden?“ Eine Frage, die bei dem Mann aus De­troit, Michigan, nur ein kehliges Lachen auslöst. „Kann schon sein“, setzt er mit süffisantem Grinsen hinterher. Schließ­lich, so betont er bei einer Zigarre und schwarzem Kaffee in der Präsidentensuite des Münchner Hotels Vier Jahreszeiten, habe er schon alles erlebt: Höhen wie Tiefen, Hochzeiten wie Scheidungen, Stadien wie kleine Clubs. Da könne ihm nach 23 Jahren Showbusiness keiner mehr etwas vormachen. Und er habe sich schlichtweg die Hörner abgestoßen – in allen Bereichen seines irdischen Seins. „Klar, gibt es nichts Schöneres, als eine attraktive Frau mit großen Titten. Aber was ich nicht ertragen kann, ist das permanente Drama, das damit einhergeht. Also all die Ladies, die vielleicht super-sexy sind, aber deren Leben ein einziges Chaos ist. Da bin ich lieber allein, sitze mit einem kühlen Bier vor dem Fernseher und gehe ab und zu in einen guten Stripclub.“

Das meint er genau so, wie er es sagt: Die Zeiten, in denen er psychopathischen Blondinen wie Pamela Anderson hinterhergelaufen ist und sich mit noch psychotischeren Kontrahenten wie Tommy Lee geprügelt hat, sind endgültig passé. „Ich habe diesen ganzen Mist aus meinem Leben verbannt – und möchte ihn auch nie, nie mehr haben. Einfach, weil es nicht cool ist, ständig Ärger zu haben – das ist einfach nur nervig, schlecht für die Gesundheit und lenkt von den wirklich wichtigen Dingen ab. In meinem Fall von der Musik. Ich wette mit dir, dass vor drei Jahren jeder wusste, dass ich mit Pam zusammen war – aber nur die wenigsten hätten dir auch nur einen einzigen Songtitel von mir nennen können. Dafür bin ich nicht Musiker geworden, und insofern habe ich da die letzten Jahre bewusst gegengesteuert. Einfach, weil es höchste Zeit war.“

Eine Entscheidung, die er nicht bereut. Heute sei sein Leben kein bisschen langweiliger, sondern nur ruhiger, und er habe halt gelernt, sich etwas zurückzuhalten, und nicht gleich auszuflippen. „Denn jedes Mal, wenn ich das tue, werde ich von einem blöden Arschloch verklagt, das ein bisschen Geld aus der Situation herausschlagen will. So läuft das amerikanische Rechtsprinzip: Als Promi bist du eine wandelnde Brieftasche, aus der sich jeder bedienen kann. Stell dir vor: Der letzte Typ, mit dem ich mich geprügelt habe, hat mich verklagt, weil er danach nicht mehr in der Lage war, seine ehelichen Pflichten zu erfüllen – also im Bett. Was ich einerseits großartig fand, aber andererseits hat mich das ein paar tausend Dollar für Anwälte gekostet. Darauf habe ich keinen Bock mehr, und deshalb gehe ich auch nicht zum Oktoberfest. Einfach, weil ich weiß, dass mich da irgendwer blöd von der Seite anquatschen wird – und ich dann zuschlage. Ich meine, selbst hier an der Hotelbar hätte ich mich gestern Abend fast geprügelt – weil ein besoffener Ami etwas gegen mein Baseball-Team gesagt hat. Es gibt einfach zu viele Idioten auf diesem Planeten. Und deshalb bleibe ich lieber daheim. Dort habe ich meine Ruhe.“

Was sich auch auf BORN FREE niederschägt, seinem neuen, achten Album. Darauf ist von Rap und Metal nicht mehr viel zu spüren, von großkotzigen Selbstzelebrierungen wie ›Cowboy‹ oder ›You Never Met A Motherfucker Quite Like Me‹ noch weniger und von Kraftausdrücken erst recht nichts. „Ich muss nicht mehr die ganze Zeit fluchen oder sagen, wie toll ich bin, und dass ich deine Mutter gefickt habe – das habe ich alles schon getan.“ Weshalb er nun mehr in die Tiefe geht, vom trauten Heim und der großen Liebe (die er immer noch sucht) singt, aber auch an Busenkumpel Joe C erinnert (ist vor zehn Jahren verstorben) und ein wenig schmeichelhaftes Bild seiner Heimat Detroit kreiert: Eben als abgefuckte Ruine, die dringend den Arsch hochkriegen muss. „Die Industrie liegt brach, die Leute sind arbeitslos, haben keine Perspektive, und keiner kümmert sich um sie. Es ist wirklich schlimm.“

Und obwohl er das Geld hätte, um die große Flatter Richtung Hollywood oder Upstate New York zu machen, bleibt er in Detroit. Einfach, weil er sich als Sohn der Arbeiterklasse, als einer von ihnen sieht, sich zum Sprachrohr seiner „people“ aufgeschwungen hat und so viel Engagement zeigt, wie er nur kann. Mit Benefizkonzerten, Charity-Aktionen und einem permanenten Hochhalten der lokalen Fahne. Etwa mit seiner Modelinie „Made In Detroit“, deren Motive auch von einer städtischen Werbeagentur stammen könnten. Oder dem neuesten Coup: Seiner eigenen Biersorte „Bad Ass“, die nur in Michigan erhältlich ist, 400 Arbeitsplätze geschaffen hat, und sich als Offensive gegen „die verfickten belgischen Monopolisten“ versteht, die sein geliebtes Budweiser geschluckt haben. „Das Bier ist für den europäischen Geschmack viel zu leicht. Also: Was wollt ihr damit? Warum müsst ihr uns das wegnehmen bzw. die Produktion in ein anderes Land verlagern? Scheiße Mann, ich will amerikanische Plörre, die hier gebraut worden ist. Und genau die produziere ich jetzt selbst. Ich erwarte nicht, dass das hier in Deutschland einer trinkt. Und ich habe auch nicht vor, damit zu expandieren. Ich möchte ein Produkt für mich, meine Kumpels und die Leute bei mir zu Hause.“

Interessanterweise, und das kommentiert er mit einem zufriedenen Grinsen, scheint BORN FREE einen ähnlichen lokalpatriotischen Ansatz zu verfolgen. Zumindest was die Musik betrifft. Denn unter Federführung von Rick Rubin schwelgt der ehemalige Rapper in einem Sound, der Southern Rock mit Blues, Folk, Country und Gospel kombiniert, mit Gästen wie Bob Seger und Sheryl Crow aufwartet, und fast schon spektakulär unspektakulär anmutet. „Es ist ein uramerikanisches Album. Genau das war es, was Rick und ich vorhatten. Und wir haben es binnen von zwei Wochen mit einer Reihe von erstklassigen Musikern eingespielt, wie Chad Smith von den Red Hot Chili Peppers oder Benmont Tench von den Heartbreakers. Also Cracks, die wissen, was sie tun. Darauf bin ich stolz. Das Einzige, was mich ärgert, ist dieser Mist auf Wikipedia. Da steht, ich hätte mit James Hetfield, Lenny Kravitz und Eminem gearbeitet. Das stimmt einfach nicht. Keine Ahnung, wer das verzapft hat, aber es nervt, in jedem Interview darauf angesprochen zu werden. Und wenn ich den Typen erwische, könnte mir die Faust ausrutschen. Egal, was ich gerade erzählt habe. Denn Lügen zu verbreiten, ist einfach Blödsinn.“ Ganz so ruhig ist er also doch (noch) nicht geworden…

Manic Street Preachers – Mut zur Bravheit

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Manic Street Preachers shot for press and publicitySeit 20 Jahren mischen sie im Rockzirkus mit. Im Gegensatz zu einigen ihrer Weggefährten sind die Manic Street Preachers stets auf dem Boden geblieben. Nichts mit Sex, Drugs & Rock’n’Roll. Nun legen die drei Waliser mit POSTCARDS FROM A YOUNG MAN ihr zehntes Studioalbum vor.

Luxus-Suite im Hotel. Das Bier fließt in Strömen, in der Ecke eine zerstörte Gitarre, Groupies räkeln sich auf dem XXL-Bett. Fehlanzeige! Während andere Rockstars mit ihren Eskapaden für Schlagzeilen sorgen, leben die Manic Street Preachers ein geordnetes und beschauliches Leben. Seit Beginn ihrer Karriere sind sie sowohl ihrem Label als auch ihrem Management-Team treu geblieben. Songwriter und Bassist Nicky Wire ist seit 17 Jahren mit seiner Jugendliebe verheiratet und lebt nach wie vor in Wales, 16 Kilometer von seinen Eltern entfernt. „Man kann dort einfach kein großes Ego entwickeln“, schmunzelt er. Auch seine Band-Kollegen, James Dean Bradfield und dessen Cousin, Schlagzeuger Sean Moore, sind bescheiden geblieben. „Zu Hause habe ich meine Shops, meinen Buchmacher, meine Pubs. Mit meinem Kioskverkäufer unterhalte ich mich täglich über Cricket“, erzählt James, Sänger und Gitarrist der Manics. Ihm ist auch die Meinung seines Vaters immer noch wichtig. Dieser dürfte mächtig stolz sein auf seinen Sohn.

Die Manic Street Preachers haben sich in den knapp zwei Jahrzehnten seit dem Release ihres Debütalbums GENERATION TERRORISTS im Jahr 1992 zu so etwas wie den „Grand Seigneurs“ des britischen Rock gemausert. Es gab keine verzweifelten Comeback-Versuche. Nein, die Drei waren einfach immer irgendwie da. Während ständig neue Indie-Bands um ihre jeweils 15 Minuten im Rampenlicht rangeln, hat sich die Band aus Blackwood mit ihrem soliden, politisch motivierten Rock ihren Platz gesichert. Ihre Alben und Singles landen regelmäßig in den britischen Charts. Mit POSTCARDS FROM A YOUNG MAN dürften die drei Rocker an ihre bisherigen Erfolge anknüpfen. „Wir haben alles in das neue Album gesteckt“, so Nicky. „Und wir wollen so viele Leute wie möglich erreichen, ähnlich wie bei unserem Debüt vor 18 Jahren.“

Mit dem eingängigen Sound des neuen Longplayers dürfte das gelingen. Songs wie der Titeltrack oder ›Hazleton Avenue‹ gehen direkt ins Ohr. „Es ist ein klassisches Radio-Album“, stimmt Nicky zu. „Die Lyrics sickern mit der Zeit durch.“ Auch mit über 40 wollen die Manic Street Preachers noch etwas bewegen. „Für uns ist die politische Botschaft auch heute noch wichtig und infiltriert unsere Musik und die Lyrics“, erklärt Nicky. Vor langer Zeit sagte er einmal, Wut sei in seiner DNA. Der heute 41-Jährige hat gelernt, diese destruktive Energie in seinen Songs zu verarbeiten. Titeln wie dem Album-Opener ›(It’s Not War) Just The End Of Love‹ hört man diese Wut auch nach wie vor an.

Schon früher verpackten die Manic Street Preachers provokante Themen in großartige Popsongs – wie etwa bei ihrem Nummer-Eins-Hit ›If You Tolerate This‹. Doch die drei Musiker können auch anders. Ihr 1994er-Werk THE HOLY BIBLE oder ihr letztes Studioalbum, JOURNAL FOR PLAGUE LOVERS, das im vergangenen Jahr erschien, sind nicht so leicht zugänglich. Für das von Kritikern bejubelte JOURNAL FOR THE PLAGUE LOVERS wurden ausschließlich Lyrics des ehemaligen Bandmitglieds Richey Edwards, der vor 15 Jahren verschwand und 2008 von seinen Eltern für tot erklärt wurde, verwendet.

Nostalgie ist ihnen also nicht fremd, das hört man auch auf dem neuen Album. „Wir schämen uns nicht, das zuzugeben“, lacht Nicky. Der Sound reflektiert die einstigen musikalischen Vorbilder der drei Manics. Inspiriert von Größen wie Queen, den Beatles und The Smiths, kamen neben einem Gospelchor auch opulente Streicher zum Einsatz. Fast jeder der zwölf Songs hat einen Ohrwurm-Refrain. „Wir sind absolut von Melodien besessen“, schmunzelt Nicky. „Das hat sicherlich auch etwas mit den Platten unserer Eltern zu tun, mit denen wir aufgewachsen sind. Wie zum Beispiel Abba, die Beatles oder Neil Diamond.“ James ergänzt: „Vielleicht liegt es auch daran, dass unsere Songs mehr Lyrics haben als ein durchschnittlicher Song. Denn wenn man mehr Text auf dem Papier stehen hat, sieht man mehr Wendungen und Biegungen, mehr Silben – und dadurch dann auch mehr Melodien. Es wäre ziemlich schwierig, diese ganzen Worte in einer Tonlage zu singen.“

Gemeinsam erarbeitete das Trio das neue Material im eigenen Band-Studio in Cardiff. „Es existiert eine gute Chemie zwischen uns, dadurch wird der kreative Prozess ein bisschen magischer“, so James. Als Produzent stand ihnen erneut ihr langjähriger Partner Dave Eringa zur Seite. Musikalische Unterstützung erhielten sie zudem von der britischen Musiker-Legende John Cale, Ian McCulloch von Echo & The Bunnymen sowie Guns N’Roses-Bassist Duff McKagan. McKagan, den Nicky übrigens als „süßeste Person im Rock’n’Roll-Zirkus“ bezeichnet, spielte in Los Angeles einen Gitarrenpart für den Titel ›A Billion Balconies Facing The Sun‹ ein. Ein kritischer Song über die narzisstische Internet-Kultur.

Auch in anderen Stücken, wie ›Don’t Be Evil‹ – das Motto von Internet-Riese Google – oder dem zynischen ›All We Make Is Entertainment‹, erheben die Preachers ihre zornige Stimme. ›Golden Platitudes‹ richtet sich gegen die politische Elite, die ihre Wähler verraten hat. Es ist eine Art offener Brief eines enttäuschten Wählers an die eigene Partei.

Die meisten jüngeren Bands haben diesen Anspruch, Gesellschaftskritik zu äußern oder sogar etwas verändern zu wollen, nach Ansicht von Nicky verloren: „Es gibt schon einige Bands, die ich mag, wie zum Beispiel Band Of Horses“, sagt er. „Aber britische Musik ist sehr großstädtisch geworden. Es ist schwierig, einen Zugang dazu zu finden.“ James ergänzt: „Es gibt Bands, die ihre eigene Sprache gefunden und sich eine eigene Nische geschaffen haben. Ich könnte einige Alben aufzählen, die ich mag. Aber sie haben die kulturelle Landschaft nicht nachhaltig verändert.“ Das ist nach Meinung von Nicky zuletzt den Libertines gelungen: „Sie haben zwar nicht die Massen bewegt, aber sie haben der Welt etwas gegeben – und wenn es nur enge Jeans, Drogen und Union Jacks waren“, lacht er. „Es ist das erste Mal, dass es eine Rezession gab – ohne eine musikalische Reaktion der Jugend. Wir hatten in den letzten zehn Jahren wirtschaftliches Wachstum, es gab die Internet-Explosion, alles war immer ziemlich einfach. Eine ganze Generation ist in Dekadenz aufgewachsen, und die Jugendlichen haben keine Ausdrucksmöglichkeiten gefunden.“

Da hat Nicky vielleicht eine Kleinigkeit vergessen: Auch „Sex, Drugs & Rock’n’Roll“ ist eine Haltung. Das Rockstar-Klischee überlassen die Manic Street Preachers aber lieber den jungen Wilden. Selbst wenn sie unterwegs sind, führen die Rocker ein friedliches Leben. James: „Es gibt keine Laster in unserem Tourbus. Keine Drogen, kein Sex, kaum Alkohol.“ Brav.

Kings Of Leon – Heiligsprechung

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Kings Of Leon 2010 1 @ Dan WintersJahrelang haben sie gefeiert, als gäbe es kein Morgen: Acid, Ecstasy, Koks, Groupies und alles, was dazu gehört. Doch mit Ende 20 schwärmen die wilden Kerle aus dem Süden der USA plötzlich von Familie, Kindern und geräumigen Eigenheimen. Wie das passieren konnte? Caleb Followill gibt Aufschluss.

Es ist Freitagnachmittag, Ende August, und das Connaught Hotel im Londoner Nobel-Viertel Mayfair, in dem die kleinste Abstellkammer 300 Euro kostet, erlebt einen Gäste-Ansturm der etwas anderen Art. Eben nicht Earl Grey und Lady Winterbottom, die sich zur Tea Time mit ihrem Bridge Club treffen, sondern vier langhaarige Rock’n’Roller aus Nashville, Tennessee, die von einem regelrechten Hofstab aus Bodyguards und Managern zu den Konferenzräumen dirigiert werden. Dort wartet schon die Presse auf sie: MTV, die BBC und handverlesene Schreiberlinge aus Schweden, Japan, Australien und England, die die Band schon seit Jahren begleiten.

Man kennt sich, begrüßt sich per Handschlag und fragt nach dem gegenseitigen Wohlbefinden. Was bei den Jungs, die immer so cool wirken, aber nicht sind, das Entré zu einem offenen Gespräch ist. Denn gerade Caleb, mit 28 Sänger, Gitarrist und Hauptsongwriter der Truppe, ist in natura unglaublich schüchtern und tendiert zur verstockten Einsilbigkeit: Heute allerdings plaudert er, nach einem eiskalten Corona und herzlicher Begrüßung, ganz ungeniert aus dem Nähkästchen: „Eigentlich wollte ich ein Country-Album machen – mit richtigen Herzensbrechern, bei denen kein Auge trocken bleibt. Aber die anderen haben mich nicht gelassen.“

Damit wäre geklärt, weshalb im Vorfeld alle Internet-Verrückten unkten, dass COME AROUND SUNDOWN, das fünfte Werk der Kings, ausgesprochen ruhig und knarzig klänge. Das Warum ist damit aber noch nicht erörtert. „Ganz ehrlich? Ich hatte Angst, dass ich nach dem Erfolg des letzten Albums nur noch daran gemessen werde. Und alle Welt ein weiteres ›Sex On Fire‹ erwartet. Dem wollte ich einen Riegel vorschieben und etwas komplett anderes machen. Was ich auch getan habe – ich traf mich mit meinen Kumpels auf der Veranda, köpfte eine Flasche Whiskey und sang diese Stücke. Das war die reinste Therapie.“

Dass sie letztlich keine Berücksichtigung fanden, ist aber – so verdeutlichen erste Hörproben von COME AROUND SUNDOWN – nicht wirklich schlimm: Die 13 Stücke sind großer, hymnischer Stadion-Rock mit pumpenden Basslinien, frühen The Edge-Gitarren und einem raubeinigen Nöhlgesang, der sich sofort in den Gehörgängen festsetzt. Selbst wenn er jede Menge Ecken und Kanten bietet, dreckig klingt und auch schon mal in die Territorien von Fifites-Rock’n’Roll (›Mary‹), Ska & Dub (›The Immortals‹) sowie Americana (›Back Down South‹) vorstößt. Und ein zweites, drittes und viertes ›Sex On Fire‹ ist mit ›The End‹, ›Radioactive‹, ›The Face‹ und ›No Money‹ auch am Start. Worüber sich also Sorgen machen? „Das habe ich mir dann auch gesagt – nachdem ich mich vor den Spiegel gestellt und selbst geohrfeigt habe.“ Eben. „Wir haben auf ONLY BY THE NIGHT nichts anders gemacht – und trotzdem haben die Leute so eine intensive Beziehung dazu aufgebaut, dass es sich sechs Millionen Mal verkauft hat. Worüber sich also beklagen? Scheiße, wir sind eine Rock-Band auf einem großen Label – wir machen nichts falsch, wenn wir versuchen, möglichst viele Platten zu verkaufen und in großen Hallen zu spielen. Das hat nichts mit Ausverkauf zu tun, sondern nur damit, einen guten Job zu machen. Und wer lieber bis an sein Lebensende in einer obskuren Indie-Gruppe spielen will, der hat einen Schaden. Und zwar gewaltig.“

Wobei Caleb nicht verbergen kann, dass die Texte diesmal etwas anders ausgefallen sind, als man es von ihnen gewohnt ist. So sucht man frivole Geschichten über Blowjobs beim Autofahren (›Sex On Fire‹), Prostituierte (›Arizona‹) und Kübel voller Kotze (›The Bucket‹) vergebens. Sie werden von grüblerischen Gedanken zu Calebs aktueller Beziehung mit dem kalifornischen Model Lily Aldridge („Ich hoffe, sie liebt mich als diejenige Person, die ich wirklich bin“) und der Halbwertzeit des eigenen Erfolgs („Wir waren in den letzten zwei Jahren geradezu überpräsent“) verdrängt. Hinzu kommt gesteigertes Heimweh, das sich darin äußert, dass sie ihre Farm in Mt. Juliet, die sich seit Mitte der Neunziger in Familienbesitz befindet, schmerzlich vermissen. Ganz so, als würde es sich dabei um den Himmel auf Erden handeln: „Wir sind jetzt schon so lange unterwegs, haben so viele Platten gemacht und so viel von der Welt gesehen, dass es Zeit für eine Pause wird. Eben, um einfach mal durchzuatmen. Aber auch, um eine Familie zu gründen. Schließlich sind die meisten von uns verheiratet oder zumindest in festen Beziehungen. Insofern wäre das nach diesem Album die perfekte Gelegenheit. Also ich wäre bereit dafür, und ich kann mir nichts Schöneres vorstellen, als Zeit mit meiner Frau und meinen Kindern zu verbringen.“

Wofür er vorsorgt – mit einem imposanten Neubau auf dem Farm­gelände, der scheinbar eine Art Graceland oder Neverland wird: ein riesiges Anwesen mit Pool, Reiterhof und 15 Schlafzimmern, die er ebenso aufwändig wie unkonventionell einrichtet. „Alles, was ich unterwegs sehe und cool finde, wird sofort fotografiert und an meinen Cousin geschickt, der sich um alles kümmert. Nach dem Motto: ‚Hey, das muss unbedingt noch ins Haus!‘“ Also mit einem Paris-, London- und Amsterdam-Zimmer? „So etwas in der Art. Wobei das alles Räume werden, in denen ich meinen Spaß habe. Also ein Billardzimmer, ein Heimkino, ein Studio und so weiter.“

Doch wer jetzt an gesteigerten Größenwahn denkt: Caleb hat sich in den vergangenen Jahren, in denen er und seine Brüder mit Pearl Jam, Dylan und U2 getourt sind, die USA als Markt geknackt und sogar mehrere Grammy-Auszeichnungen erhalten haben, extrem verändert. Er ist reifer, erwachsener und vor allem clean geworden. Zwar trinkt er immer noch das eine oder andere Bier, aber von Drogen wie Acid, Ecstasy und Kokain lässt er die Finger. „Wir haben es einfach übertrieben. Das ging so weit, dass wir zum Frühstück damit angefangen haben. An einige Shows kann ich mich kaum erinnern. Ganz abgesehen davon ist es nicht angenehm, so viel Mist zu sich zu nehmen, dass man sich ständig übergeben muss. Oder nicht mehr weiß, wo man ist – und statt der Toilette in die Abstellkammer eines Hotelzimmers pinkelt. Wir haben damit aufgehört, als unsere Frauen ins Spiel kamen – weil wir uns nicht blamieren wollten.“

Und der Übergang von wilden Partys zu Babys, Windeln und gemütlichem Heim? „Momentan kann ich mir nichts Besseres vorstellen – einfach, weil ich das noch nicht erlebt habe und alles andere langweilig geworden ist. Aber: Frag mich in ein paar Jahren. Dann sage ich bestimmt was anderes.“

The Beatles – Die Ballade von John Lennon & Yoko Ono

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Lennon & Yoko @ Alan Tannenbaum (2)_bearbPünktlich zum 30. Todestag erscheinen Lennons remasterte Solowerke, von Yoko Ono tatkräftig forciert. Soll man ihr deshalb böse sein?

ür manche Beatles-Fans ist Yoko Ono bekanntlich ein rotes Tuch, hat sie doch angeblich die Trennung der Fab Four auf dem Kerbholz. Und auch als Profi-Witwe hat sie sich in den vergangenen 30 Jahren nicht nur Freunde gemacht, böse Zungen unterstellen ihr allzu eifrige Geschäftstüchtigkeit. Ihr eigenes künstlerisches Schaffen? Den meisten Rockfans wohl eher ein Buch mit sieben Siegeln. Was gerade anlässlich der erneuten Wiederveröffentlichung von Lennons Solowerken dann doch ein paar Korrekturen nötig macht.

Wer behauptet, den Künstler und Menschen John Lennon zu respektieren, der sollte dabei auch seine Liebe zu Yoko Ono mit einbeziehen. Wer es nicht tut, setzt sich dem Verdacht aus, nicht den realen Lennon zu schätzen, sondern eine Fantasiefigur. Der unausrottbare Vorwurf, Yoko Ono habe die Beatles entviert, ist ohnehin nicht mehr haltbar. Wie man längst weiß, spielten handfeste Geschäftsinteressen, Ego-Probleme und persönliche Zerwürfnisse die Hauptrolle. Dass etwa während der Arbeiten an LET IT BE George Harrison kurzzeitig die Band verließ, hatte mit Yoko Onos Anwesenheit nicht allzu viel zu tun.

Was ihre Nachlassverwaltung angeht: Dass sie versucht, sein Werk in der Öffentlichkeit präsent zu halten, ist lobenswert, dass dabei auch Ungereimtheiten auftauchen, verzeihlich. Warum der Back-Katalog Lennons erneut remastert wurde, mag verwundern, doch Yoko Ono nennt ihre Gründe – und zwar im nachfolgenden Interview. Verglichen mit den posthumen Aktivitäten anderer Musiker, etwa Queen nach der Ära Mercury, ist Onos Vorgehen von geradezu pietätvoller Zurückhaltung, von den gefühlten 243 „neuen“ Alben, die seit Jimi Hendrix’ Ableben erschienen sind, ganz zu schweigen.

Und Yoko Onos künstlerisches Werk? Nun ja, das ist geprägt von Licht (ihr letztes Album) und Schatten (ihr Gesang bei der Plastic Ono Band). Ansonsten: Bildende Kunst, und die ist bekanntlich Onos Hauptbeschäftigung, ist nicht das Kernthema dieser Publikation. Dass ihre Werke in der Kunstwelt hohen Respekt genießen, ist allerdings unzweifelhaft.

Natürlich ist es kein Zufall, dass Lennons Solowerke – und einige von Harrison – gerade im vierfachen Jubiläumsjahr veröffentlicht werden (vor 70 Jahren Lennons Geburt, vor 50 Jahren erster Gig in Hamburg, vor 40 Jahren Trennung der Beatles, vor 30 Jahren Lennons Ermordung). Sich darüber aufzuregen und einzig kommerzielle Interessen zu unterstellen, ist allerdings müßig. Niemand wird gezwungen, die Neuauflagen zu kaufen, und wer es tut, der hat seine Gründe. Zudem: Das Business funktioniert eben so, und das auch nicht erst seit gestern. Was tatsächlich zählt, ist doch letztlich nur eines: die Musik.

John lennon_Double Fantasy StrippedYoko, es wird zwei große Events zu Johns 70. Geburtstag geben. Der eine findet in Liverpool statt und wird von Ozzy Osbourne moderiert. Warum nicht von dir?
Weil ich davon nichts weiß.

Wie bitte?
Davon hat mir keiner was gesagt. Wer moderiert da?

Ozzy Osbourne und seine Frau Sharon.
Oh, das ist OK. Das sind sehr nette und intelligente Leute.

Und große Beatles-Fans.
Das ist gut, sehr gut sogar.

Heißt das, du wirst stattdessen dem Event in Los Angeles beiwohnen?
Los Angeles? Auch davon weiß ich nichts.

Es findet am 9. Oktober unter dem Motto „The Sidewalk Chalk Art Celebration“ statt – vor dem Capitol Tower in Hollywood.
Worum geht es da?

Ich dachte, das könntest du mir erklären?
Leider nicht. Ich meine, all das passiert an Johns Geburtstag. Die ganze Welt versucht, irgendwelche Tribut-Projekte und Veranstaltungen an den Start zu bringen. Deshalb kriege ich gerade wahnsinnig viel Post von Leuten, die mir berichten, was sie alles vorhaben. Ich finde das toll.

Wie wirst du das Jubiläum begehen? Oder bleibst du zu Hause und schaust dir das Ganze im Fernsehen an?
Warum nicht? (kichert) Ich werde da doch nicht wirklich gebraucht, oder? Und wenn Leute irgendwelche Konzerte ohne mich veranstalten wollen, habe ich damit auch kein Problem. Die einzige Bedingung ist, dass es gut für Johns Musik ist. Das ist das Wichtigste. Dass es seinem Andenken nicht schadet. Da ist zum Beispiel diese Person, deren Namen ich leider vergessen habe – ein sehr guter Produzent. Er denkt darüber nach, all diese Konzerte zu organisieren, die gleichzeitig an vielen verschiedenen Orten stattfinden, und zwar alle unter dem Titel „Imagine Peace“. Da soll es dann einzig und allein darum gehen, jungen, aufstrebenden Bands, die wirklich gut sind, ein Forum zu geben. Also nicht einfach zu sagen: „OK, machen wir ein Tributkonzert für John und laden jede Menge bekannte Leute ein.“ Das wäre doch viel zu einfach.

Also sind es die kleinen Dinge, die zählen – und nicht so sehr die großen?
Genau. Wobei ich nicht bei all diesen Konzerten vorbeischauen werde. Das ist ja wohl klar. Aber: Ich sage auch nicht, dass ich zu Hause bleiben und Fernsehen gucken werde. Nein, ich feiere mit der EMI, der Plattenfirma. Denn sie leistet John einen ganz besonderen Tribut – in Form von zwei Boxsets, die einfach fantastisch sind. Eines davon nennt sich „Signature“ und enthält alles, was er als Solokünstler veröffentlicht hat. Das sind acht CDs, und es ist eine richtig große Box. Die andere, die etwas kleiner ist, heißt „Gimme Some Truth“, was ja sehr zeitgemäß ist. Darin sind dann wiederum vier CDs.

Die was beinhalten?
Eine dreht sich nur um Frauen – weil er sich sehr für ihre Rechte eingesetzt hat. Die andere ist politisch, und eine weitere behandelt seine musikalischen Wurzeln. Er covert da alle möglichen Songs. Alle vier CDs zeigen auf unterschiedliche Weise, wofür er sich interessiert hat.

Sprich: Alle zusammengefasst ergeben ein Bild seiner komplexen Persönlichkeit?
Ganz genau. Denn er hatte definitiv eine multiple Persönlichkeit. (kichert) Aber neben den zwei Boxen sind da auch noch zwei DVDs… Nein, CDs. Und eine davon ist eine „Best Of“ mit all seinen Hits.

Die mittlerweile jeder im Regal beziehungsweise auf dem iPod haben dürfte…
Stimmt. Aber diese hier ist für Leute, die gerade erst geboren wurden – also vor zehn Jahren oder so. Die fangen lieber mit einer Best Of an als mit einer Box. Und dann ist da noch die „stripped down“-Version von DOUBLE FANTASY.

Darf man fragen, was das bedeutet?
Oh, mir wurde gesagt, das wäre eine angesagte Sache. Zumindest habe ich das so verstanden. Es bedeutet, dass die vielleicht 20 oder 30 Instrumente, die für einen Song zum Einsatz kamen, deutlich reduziert werden. Auf diese Weise hört man endlich, was John da singt, was ich für sehr wichtig halte.

Indem man zum Beispiel auf die Streicher verzichtet?
Ja, und wenn du das tust, bist du hinterher total überrascht, wie gut er als Sänger war. Denn damals, als wir das aufgenommen haben, war es einfach so, dass man beim Abmischen als erstes darauf geachtet hat, dass die Instrumente kraftvoll sind. Wodurch dann aber die Stimme begraben wurde. Jetzt wird die Welt überrascht sein, wie toll er gesungen hat. Und man kann auch endlich alle Texte verstehen. Für mich ist diese Version viel besser als das Original.

Dabei hast du bereits zu Beginn des Jahrtausends Johns Solo-Alben als Remasters veröffentlicht. Warum jetzt erneut? Hat sich technisch so viel getan, dass es ein ganz anderes Hörerlebnis ist?
Na ja, es hat mit dem Mastering zu tun. Ein sehr wichtiger Prozess. Und diesmal war ich persönlich dabei, als das in den Abbey Road Studios passiert ist – ich habe alles selbst überwacht.

Und das allein ist Rechtfertigung genug, um dieses Werk immer und immer wieder neu auf den Markt zu bringen?
Immer und immer wieder. Aber ich mache es auch immer besser! Es klingt heute wirklich viel klarer. Die Technik sorgt dafür, dass die Leute eine viel intensivere Beziehung dazu aufbauen können als zu früheren Versionen.

Klingt, als wärst du wirklich eine professionelle Witwe – als würde sich bei dir tatsächlich alles um John drehen…
Tut es auch. Und es ist mir ein Vergnügen. Ich kann mir nichts Schöneres vorstellen als etwas für John zu tun, das ihm und seiner Musik gerecht wird. Auch, wenn es nicht immer leicht ist. Aber ich kümmere mich jetzt schon seit 30 Jahren um Johns Sachen. Und das war eine gute Übung für dieses Jubiläum. Insofern bin ich darauf vorbereitet.

Das heißt, du hast Trauer und Schmerz inzwischen überwunden?
Das nicht. Aber ich habe mich zumindest daran gewöhnt – auch wenn das mitunter schwierig ist. Sehr schwierig sogar.

Du wohnst immer noch im Dakota-Gebäude, vor dem er erschossen wurde. Darf man fragen, was dich dort hält?
Weil das mein Zuhause ist – das Zuhaue von John und mir. Und es gibt ja viele Menschen, die solche Tragödien erleben. Die kann man nicht allein dadurch verarbeiten, indem man in ein anderes Haus zieht. Also quasi vor dem flüchtet, was passiert ist. Bei mir ist es ähnlich. Zumal das Dakota ja auch der Ort ist, an dem John und ich ein wunderbares Familienleben mit Sean hatten. Und für Sean bedeutet es immer noch sehr viel. Ganz abgesehen davon: Jeder Raum darin ist ein Raum, den John berührt hat. Und ich werde nicht an einen neuen Ort ziehen, an dem so gar nichts von ihm ist. Nicht einmal eine Erinnerung.

Würde John heute noch leben, wäre er 70 Jahre alt…
Stimmt.

Fragst du dich manchmal, wie er in dem Alter wäre?
Na ja, er wäre kein typischer Großvater, so viel ist sicher. Und er war immer ein Mensch mit einem sehr jungen Geist – genau wie ich. Insofern bin ich mir sicher, dass wir noch zusammen arbeiten würden. Denn er war ein regelrechter Workaholic. Also wahrscheinlich würden wir zu Hause sitzen und wie die Verrückten arbeiten.

Wie käme er mit einer Welt klar, die immer noch von Kriegen, aber auch von Umweltkatastrophen und einer regelrechten Besessenheit von Promis aller Art dominiert wird?
Nun, ich denke, er wäre sehr traurig darüber. Genau so, wie es die meisten von uns sind. Einfach, weil die Menschen unbelehrbar sind und nichts an sich und ihrem Verhalten ändern – egal, was auch passiert.

Wenige Monate vor seinem Tod hat er mit „Double Fantasy“ ein erfolg­reiches Comeback lanciert und wollte angeblich gleich wieder ins Studio, um den Nachfolger einzuspielen. Stimmt das – oder ist das einer von vielen Mythen?
Nein, das stimmt. Er war in einer sehr kreativen Phase, hatte einen richtigen Lauf.

Gibt es demnach noch Sachen, an denen er vor seinem Tod gearbeitet hat und die nie veröffentlicht wurden?
Nun, es gab ein paar Stücke, von denen ich dachte, dass es sehr wichtig wäre, sie zu veröffentlichen – und zwar so, wie das dann auch geschehen ist. Wie etwa „Free As A Bird“, das von den Beatles, den anderen Beatles, aufgenommen wurde. Das war die einzig legitime Art, um diesen Song zu komplettieren. Und ich muss immer entscheiden, was das Beste für dieses oder jenes Stück ist – eben, um es nicht einfach so auf den Markt zu werfen, wie John es auf seinem kleinen Kassettenrekorder zu Hause aufgenommen hat, sondern in einer Art und Weise, dass es die Herzen der Menschen wirklich berührt.

Das heißt, es gibt noch Material, das diesem Anspruch – oder besser: dieser Form – nicht gerecht wird?
Durchaus. Aber wie gesagt: Es ist eine schwierige Entscheidung – und die muss ich treffen.

Hätte er die Beatles jemals reformiert oder wäre er je wieder mit Paul ins Studio gegangen?
Er war damals auf einem etwas anderen Trip.

Also hat er nie darüber gesprochen?
Warum sollte er?

Weil jeder Mensch irgendwann in seinem Leben mal nostalgisch wird und zurückblickt statt immer nur nach vorne.
Kann schon sein, dass er das getan hätte. Aber du fragst mich hier etwas, das ich wirklich nicht beantworten kann.

Wenn wir vom Musiker John Lennon zum Menschen gehen: Gibt es da eine Seite an ihm, die die Leute vielleicht noch nicht kennen – die nur dir bewusst ist?
Ich weiß nicht, was du von ihm kennst und was nicht. Aber ich würde sagen, dass er nichts zurückgehalten hat – er hat immer alles gegeben, was in ihm steckt. Er hat wirklich nichts verheimlicht. Ich bin mir sicher, dass sich gerade deshalb so viele Leute mit ihm identifizieren konnten – weil er sein Inneres immer nach Außen gekehrt hat.

Um zum Schluss zu kommen: Welches der Alben, die jetzt neu erscheinen, ist dein persönlicher Favorit?
Ich mag alle Alben von John und alle Songs, die er als Solo-Künstler aufgenommen hat. Selbst wenn die Leute sagen: „Man kann nicht alles mögen“, so kann ich das sehr wohl. (kichert) Ich bin selbst Künstlerin und Musikerin, deshalb weiß ich, dass er ein einmaliges und ungewöhnliches Talent hatte. Jedes seiner Stücke war so, dass es kein anderer hätte schreiben und erst recht nicht so hätte spielen können.

Und warum sind die beiden Teile von TWO VIRGINS nicht Gegenstand dieser Aktion? Warum fehlen sie?
Keine Ahnung. Sind sie nicht in der SIGNATURE-Box?

Leider nein.
Das war mir nicht bewusst. Ich werde das prüfen.

Text: Uwe Schleifenbaum ✶ Yoko-Interview: Marcel Anders

Yoko Ono 2007GEBURTSTAGSGEDENKEN

Unter dem Motto „Gimme Some Truth“ steht John Lennon anlässlich seines 70. Geburtstages am 9. Oktober diesen Jahres im Mittelpunkt einer überaus umfangreichen Werkschau.

Sämtliche acht Soloalben erscheinen im digitalen Remastering 2010, überwacht von Yoko Ono in den Londoner Abbey Road Studios. Verpackt sind sie analog zu den BEATLES REMASTERS in Deluxe-Digipacks: JOHN LENNON/PLASTIC ONO BAND, IMAGINE, SOME TIME IN NEW YORK CITY, MIND GAMES, WALLS AND BRIDGES, ROCK’N’ROLL, DOUBLE FANTASY sowie MILK AND HONEY.

Das letzte Werk von Lennon/Ono geht gleich in doppelter Ausführung an den Start: DOUBLE FANTASY STRIPPED DOWN wurde von dem ursprünglichen Produzenten Jack Douglas und Yoko Ono all der nervigen Achtziger-Jahre-Arrangements entledigt. CD 1 enthält das Original im Remastering 2010, CD 2 die Stripped Down Version. In ebenfalls zwei Versionen verfügbar ist POWER TO THE PEOPLE: THE HITS. Die remasterte Best-Of-Sammlung gibt’s als Standard Edition mit einer CD sowie als Deluxe Version mit Bonus DVD inklusive aller Videoclips.
Wer sich intensiv mit John Lennon beschäftigen möchte, dem sei GIMME SOME TRUTH empfohlen: ein luxuriöses 4-CD-Set mit 72 Songs, das Lennons Lebenswerk nicht etwa chronologisch, sondern thematisch aufarbeitet: CD1, „Working Class Hero“, präsentiert Johns engagierte Seite mit politisch motivierten Songs, CD2, „Borrowed Time“, thematisiert indes Johns Philosophien. Ausschließlich Liebeslieder finden sich auf CD3, „Woman“, während auf auf CD4, „Roots“, traditionell gerockt wird.

Als Sammlerstück im edlen weißen Design präsentiert sich die SIGNATURE BOX: Alle acht Studio-Alben im digitalen Remastering 2010, als Zugabe gibt’s zwei Bonusdiscs: Auf der ersten versammeln sich alle Singles A- und B-Seiten, die Zweite enthält rare Studio-Outtakes und Home Recordings – zum Großteil unveröffentlichtes Material. Dazu gibt’s einen Kunstdruck sowie ein Hardcover-Buch mit neuen persönlichen Essays von Yoko Ono sowie den Söhnen Julian und Sean.

Gewürdigt wird in diesem Herbst auch der 2001 verstorbene George Harrison: Zu Ehren des indischen Sitar-Virtuosen Ravi Shankar, der seinen 90. Geburtstag feiert, erscheint das Box-Set RAVI SHANKAR GEORGE HARRISON COLLABORATIONS. Drei CDs und eine DVD dokumentieren die langjährige Freundschaft der beiden Musiker über einen Zeitraum von mehr als 20 Jahren. Enthalten sind darin die Alben CHANTS OF INDIA, THE RAVI SHANKAR MUSIC FESTIVAL FROM INDIA sowie SHANKAR FAMILY & FRIENDS. Auf der DVD findet sich der Mitschnitt RAVI SHANKAR’S MUSIC FESTIVAL FROM INDIA, aufgezeichnet 1974 in der Londoner Royal Albert Hall.

Text: Michael Köhler

The Beatles – Die Unsterblichen

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The Beatles (3)Vor 50 Jahren debütierten sie in Hamburg, vor 40 Jahren lösten sie sich auf. Lange her.
Dennoch: The Beatles sind die wichtigste und erfolgreichste Band der Rockgeschichte. Und zwar heute noch.

Mit Superlativen ist das ja immer so eine Sache. Man kann verzweifeltes Marketing dahinter vermuten, unreflektierte Fan-Begeisterung oder einen Hang zur Großsprecherei. Warum sollte eine Band, die vor 40 Jahren den Weg alles Irdischen ging, noch heute relevant sein? Weil mit dieser Band alles begann, und zwar wirklich alles. Sogar das Phänomen „Rockband“ selbst.

Als die Beatles auftauchten, dominierten noch die Solisten. Elvis Presley und seine namenlose Begleitband oder Martha & The Vandellas waren der Normalfall: Sänger oder Sängerin standen im Rampenlicht, der Rest des Ensembles war nur begleitende Maßnahme und oft genug ziemlich austauschbar. The Beatles waren anders: Vier in der Öffentlichkeit als gleichberechtigt wahrgenommene Künstler, die eben nicht Moondog Lennon & The Liverpool Three hießen, und die zudem das Basis-Instrumentarium für kommende Rock-Generationen definierten: kein Kontrabass mehr wie bei Elvis, kein Saxofon mehr, das Anfang der Sechziger sehr wohl noch zum Rock-Equipment zählte. Stattdessen: zwei Gitarren, ein Bass, alles elektrisch, und natürlich ein Schlagzeug.

Was noch schwerer wiegt: The Beatles brachten weltweit Hunderttausende Jugendliche dazu, die Gitarrenläden zu stürmen, ein paar Akkorde zu lernen und selbst eine Band zu gründen. Die mochte dann Jahre später Glampop spielen, Metal, Bluesrock oder Prog, doch der Funke war von den Beatles ausgegangen. Die ja auch ihrerseits nie stehen geblieben waren: Vom R&B-infizierten Merseybeat ging die Reise über den Britpop zur Psychedelic und zum progressiv eingefärbten Kunstrock. Wer ›Love Me Do‹ mit ›I Am The Walrus‹ vergleicht, ›Help‹ mit ›Helter Skelter‹, der kann sich nur wundern, wie in so wenigen Jahren derart viel passieren konnte.

Nehmen wir Platz in der Zeitmaschine, die Zielkoordinaten lauten 1965. Die Beatlemania ist auf dem Höhepunkt, und gerade hat Englands Queen den Fab Four einen Orden in die Hand gedrückt. Und wie steht’s mit der Kunst? Singles, bislang das Maß aller Pop-Dinge, verlieren langsam aber sicher an Bedeutung. Dafür wird ein Stück schwarzes PVC mit 30 Zentimeter Durchmesser immer wichtiger, abspielbar mit einem Mikro-Saphir und 33 1/3 Umdrehungen: Während die Popmusik die Welt erobert, erobert die Langspielplatte die Popmusik. Die Speerspitze der Bewegung sind natürlich die Beatles.

Folgender Text ist ein Auszug des im Herbst beim Musikmarkt Verlag erscheinenden Buches „She Loves You: Die Popkultur der sechziger Jahre – Beatles, Stones und der ganze Rest“ von CLASSIC ROCK-Autor Uwe Schleifenbaum.

Entweder erkannten Popmusiker diese Möglichkeit anfangs noch nicht, oder man ließ ihnen seitens der Plattenfirmen gar keine andere Wahl. Fakt ist jedenfalls, dass die typische Pop-LP der frühen sechziger Jahre einem klar definierten Muster folgte: Ein oder zwei Single-Hits samt B-Seiten, dazu ein paar Stücke als Füllmaterial. Die LP wurde offenbar lediglich als weiteres Marketing-Instrument verstanden, künstlerische Stringenz, das Album als Gesamtkunstwerk spielten überhaupt keine Rolle. Dass sich dies in wenigen Jahren ändern sollte, lag eindeutig an den Beatles, an ihrer Kreativität ebenso wie an ihrer alles beherrschenden Marktmacht.

Ohne die Beatles wäre die EMI nur eine Plattenfirma von vielen gewesen, mit ihnen war sie plötzlich eine veritable Gelddruckerei. Das wusste EMI-Chef Sir Joseph Lockwood, das wussten auch die Beatles. Es wussten die vielen Plattenmanager, die nach den „neuen Beatles“ fahndeten, und auch die jungen Musiker, die diese Rolle gerne übernommen hätten. So mancher Band, die vor zwei, drei Jahren noch nicht einmal am Studiopförtner vorbei gekommen wäre, gewährte man jetzt nicht nur Einlass, man ließ sie sogar eine teure Langspielplatte aufnehmen – auch wenn zwei, höchstens drei Tage Produktionszeit reichen mussten. Die aufgrund unglaublicher Verkaufserfolge immer selbstbewusster auftretenden Beatles waren da schon einen Schritt weiter in der Hierarchie. Man spendierte ihnen Studiozeit, stellte die modernste Technik zur Verfügung und wartete gespannt den nächsten Geniestreich ab. Die Beatles genossen in den Studios der EMI nahezu Narrenfreiheit, die sie dann auch nach Lust und Laune auskosteten: War ihr Debütalbum PLEASE PLEASE ME noch größtenteils während einer einzigen Zwölfstunden-Session entstanden, ließ man sich für RUBBER SOUL zwei Jahre später schon deutlich mehr Zeit: Die Aufnahmen zogen sich vom 12. Oktober bis zum 11. November 1965 hin. Das Ergebnis setzte sich vom tradierten „Two Killers, Ten Fillers“ dann auch deutlich ab. Obwohl dem Album kein roter Faden, kein offenkundiges Konzept zugrunde lag, wirkte es dennoch stringent und in sich geschlossen – von Ringos lakonischem Country-Ausflug ›What Goes On‹ einmal abgesehen. ➻

Großartige Songs hatten die Beatles schon vorher geschrieben, und aus diesen Songs hatten sie wunderbare Alben wie A HARD DAY’S NIGHT und HELP! zusammengestellt: unverschämt eingängiger Pop, eher harmlose Texte, kaum Experimente. Später sollte sich dann einbürgern, diesen Zeitraum als ihre „naive Phase“ zu bezeichnen, doch naiv waren die Beatles ganz gewiss nicht. John Lennon, zu Übertreibungen stets fähig und damals noch dazu massiv unter dem Beatles-Trauma leidend, äußerte sich im Nachhinein reichlich negativ über diese Ära: Man habe die Songs quasi zwischen Zwölf und Mittag geschrieben und betextet, in der sicheren Annahme, dass es Erfolge werden würden, denn man war ja die Beatles. Wenn es so war, dann kann man nur den Hut ziehen, denn den meisten Stücken merkt man die hastige, angeblich unreflektierte Massenproduktion bis heute nicht an. RUBBER SOUL, die europäische Variante wohlgemerkt, nicht die amerikanische, die nach Gutdünken von EMIs US-Ableger Capitol Records zusammengestellt worden war, markierte dann den Wendepunkt, die endgültige Abkehr von den Gepflogenheiten der frühen sechziger Jahre. Das Werk war keine fix zusammengeschusterte Song-Sammlung mehr, sondern als homogenes Statement größer als seine Bestandteile: die eigentliche Geburt des Pop-Albums.

Was modisch ist, kann unmodern werden, Klassiker hingegen altern würdevoll. Wobei im Dezember 1965, als RUBBER SOUL erschien, wohl kaum jemand die Chuzpe aufgebracht hätte, der Langspielplatte einer Popgruppe allzu große Langlebigkeit zu unterstellen. Denn natürlich konnte niemand ahnen, dass diese Musik formal wie inhaltlich auch 30 oder 40 Jahre später noch Bestand haben würde. Gerade die Beatles galten damals als Pop-Könige auf Abruf, als Interimsregenten, unter Druck gesetzt von allerlei Bands, die ihnen wohl eher früher als später Macht und Einfluss rauben würden. Kaum eine Woche, in der ein englisches Musikmagazin nicht „die neuen Beatles“ ausgerufen hätte, auch das medial inszenierte Duell „Beatles gegen Rolling Stones“ erwies sich als publizistischer Dauerbrenner. Die Erfolge anderer Künstler wurden gerne zu Misserfolgen der Beatles umgedeutet, wenn wer auch immer mit seiner jüngsten Single Platz eins der Charts erreichte, ließ die Titelzeile „Sind die Beatles jetzt am Ende?“ garantiert nicht lange auf sich warten. Pop hatte schnelllebig zu sein, Popmusiker hatten zu kommen und zu gehen wie diverse Kragenformen, Absatzhöhen und Rocklängen. Zum Running-Gag der Beatles-Pressekonferenzen hatte sich dann auch die immer wiederkehrende Frage des amerikanischen Radioreporters Fred Paul gemausert: „What are you going to do when the bubble bursts?“ („Was werdet ihr tun, wenn die Blase platzt?“) Anfangs hatten die Beatles darauf noch mit Schlagfertigkeiten der Marke „das Geld zählen“ reagiert; um 1966 stellten sie sich die Frage dann schon selbst, sobald sie im Heer der akkreditierten Journalisten Fred Paul entdeckten.

Natürlich war auch RUBBER SOUL nicht ganz frei von modischen Elementen, das optisch gedehnte Coverfoto etwa konnten Insider als Reverenz an das verzerrte Gesichtsfeld unter LSD-Einfluss verstehen, bei ›Think For Yourself‹ wurde der Bass über eine damals brandneue Fuzzbox gedoppelt, und ›Girl‹ zitierte im instrumentalen Mittelteil die 1965 grassierende Sirtaki-Welle – der Film „Alexis Sorbas“ mit einem tanzenden Anthony Quinn war immerhin einer der Bestseller der Saison. Retrospektiv könnte man auch George Harrisons Sitar in ›Norwegian Wood‹ in dieser Rubrik abheften, womit man ihm jedoch Unrecht täte: Harrison hatte nicht auf eine bestehende Zeitgeistströmung reagiert, er hatte sie vielmehr mit in Gang gesetzt. Die Begeisterung der westlichen Jugend für die Kultur und Spiritualität des indischen Subkontinents war erst ab 1967 richtig en vogue, als Kaftane, Glöckchen, Räucherwerk und transzendentale Meditation eine bessere Welt versprachen – und manch weißgewandeter Guru die Preislisten von Rolls Royce und Mercedes-Benz genauer zu studieren begann. 1965 war der Gebrauch einer Sitar in der Popmusik zweifellos eine – wenn auch wenig nachhaltige – Innovation.

The Beatles 1968 (Uwes Fav)Langfristig bedeutsamer waren gewiss die Texte: Tradierte Junge-trifft-Mädchen-Klischees, all die gereimten Liebesschwüre, Trennungstraumata und Eifersuchtsdramen, die in der Popmusik von jeher bestimmend gewesen waren, wichen auf RUBBER SOUL einer intelligenteren, auch introspektiveren Ausarbeitung. Das Thema Liebe spielte noch immer eine Rolle, naive „I-love-you-blue-true“-Reime hatten jedoch ausgedient. ›The Word‹ etwa hob die Liebe vom persönlichen auf ein universelles Niveau, John Lennon hatte die Nächstenliebe im Sinn, formulierte und predigte das Glaubensbekenntnis der sich gerade erst formierenden Hippie-Bewegung. ›Norwegian Wood‹ war die reichlich sarkastische Beschreibung eines One-Night-Stands, dessen frustrierender Nichtvollzug den Ich-Erzähler letztlich zur Brandstiftung animiert, während das Lamento ›Girl‹ von der ausweglosen Hassliebe zu einer ausgesprochenen Zicke kündete. All das hätte natürlich abstrakt sein können, ohne echten Bezug zur Erfahrungswelt des Texters. Dass es Überspitzungen tatsächlicher Erlebnisse waren, schien allerdings möglich – und bei genauerer Betrachtung sogar ziemlich wahrscheinlich. Später gab Lennon dann auch zu Protokoll, dass ›Norwegian Wood‹ auf einer konkreten Affäre basierte, auch wenn die Feuerwehr natürlich nicht ausrücken musste. Noch deutlicher offenbarte sich Lennon bei ›In My Life‹, einer fast schon philosophisch anmutenden Betrachtung der Vergänglichkeit. Der neue Hang zum Tiefsinn, zur Reflexion, war einerseits gewiss Lennons persönlicher Entwicklung geschuldet: Der Mann hatte in den vergangenen drei Jahren schließlich mehr erlebt, als manchem Normalbürger Zeit seines irdischen Daseins vergönnt ist.

Hatte RUBBER SOUL auf der textlichen Ebene das Ende der „naiven Phase“ markiert, manifestierte das nachfolgende Album REVOLVER diesen Reifeprozess auch in musikalischer und produktionstechnischer Hinsicht. Erneut ist es der von Ringo Starr gesungene Titel, der komplett aus dem Rahmen fällt: Dass ›Yellow Submarine‹ mehr Kinderlied als wirklich ernst zu nehmender Rocksong ist, kann man verschmerzen, und das hörspielartige Intermezzo mit all seinen U-Boot-Geräuschen geht immerhin als originell durch. Songs für Ringo hatten eben gewisse Kriterien zu erfüllen. Ein großer tonaler Umfang und eine komplexe Melodie gehörten eher nicht dazu. Doch selbst dann, wenn der gesanglich limitierte Schlagzeuger den Fahrplan der Liverpooler Verkehrsbetriebe gebrummt hätte, wäre REVOLVER dank der übrigen 13 Stücke dennoch als großer Wurf in die Popgeschichte eingegangen.

Die so leidenschaftlich wie regelmäßig geführte Diskussion, welches denn das beste aller Beatles-Alben sei, ist allerdings müßig, denn die Fab Four des Jahres 1964 mit denen von 1966 oder 1968 zu vergleichen, führt am Ziel vorbei. Zu viel hatte sich in jenen Jahren verändert, und wirklich Schlechtes haben die Beatles ohnehin nie abgeliefert. Wer Merseybeat bevorzugt, wird WITH THE BEATLES lieben, wer deutlich moderneren, intelligent verwobenen Rock liebt, wird ABBEY ROAD bevorzugen. Die Resonanz auf das Werk der Beatles ist traditionell auch dem gerade herrschenden Zeitgeist unterworfen: In den siebziger Jahren etwa, als im progressiven Kunstrock stilistische Vielschichtigkeit als große Tugend und das Doppelalbum als bevorzugtes Format galten, wurde gemeinhin das „Weiße Album“ favorisiert. 1987, zum 20. Geburtstag von SGT. PEPPER’S LONELY HEARTS CLUB BAND, rühmte man dessen Stringenz und erhob es zum Meisterwerk schlechthin. Heute, nach dem Revival des Britpop, tendieren die Kritiker wiederum eher zu REVOLVER. Eine Sonderstellung nehmen gewiss die Alben der Jahre 1965 bis 1967 ein, eines Zeitraumes, in dem allerlei positive Faktoren dafür sorgten, dass die Beatles ihrer Kreativität freien Lauf lassen konnten. Zuvor hatten die exzessiven Tourneen Studioarbeit zur anstrengenden Pflichtübung werden lassen, danach schwand der Gruppenzusammenhalt zusehends, es herrschte häufig dicke Luft. Der stets um Ausgleich bemühte Manager Brian Epstein war 1967 an einer Überdosis Schlaftabletten gestorben; der Aufgabe, Kunst, Geschäft und die Interessen von vier Individuen auf einen Nenner zu bringen, waren die Beatles letztlich dann wohl doch nicht gewachsen.

Erstaunlich, wie linear und logisch die Abfolge der Beatles-Alben jener Jahre wirkt: RUBBER SOUL von 1965 ist trotz aller Qualitäten ein formal eher konventionelles Album, SGT. PEPPER’S LONELY HEARTS CLUB BAND aus dem Jahre 1967 ist Experiment, opulent und extravagant. REVOLVER, erschienen im August 1966, thront nicht nur chronologisch, sondern auch künstlerisch genau in der Mitte: kein psychedelischer Bilderbogen wie SGT. PEPPER’S LONELY HEARTS CLUB BAND, aber deutlich mehr als ein ambitioniertes Popalbum à la RUBBER SOUL. Die Texte hatten an Schärfe, an Konzentration mitunter zugelegt, doch vor allem klanglich taten sich neue Welten auf. George Harrison steuerte drei Songs zum Album bei, einer davon, nämlich ›Taxman‹, gehört zum Besten, was je aus seiner Feder floss: ein kraftvoller Rocksong mit sarkastischem Text, genialer Basslinie und großartigem Gitarrensolo – das übrigens Paul McCartney beigesteuert hatte. Letzterer lief damals zur Hochform auf, ihm gelangen elegante Balladen wie ›For No One‹ und ›Here, There And Everywhere‹, eine knackige Soul-Stilübung wie ›Got To Get You Into My Life‹ und nicht zuletzt die surreal angehauchte Moritat ›Eleanor Rigby‹ mit ihrem barocken Streicherarrangement.

Dass John Lennon auf der Suche nach immer neuen Ufern diese ebenfalls erreicht hatte, spiegelten wiederum seine Beiträge wider. Die Verkehrsmittel, die McCartney und Lennon benutzten, unterschieden sich jedoch recht deutlich. McCartney, kulturbewusst und neugierig, ließ sich durch das Londoner Nachtleben kutschieren, besuchte klassische Konzerte und Dichterlesungen, Ausstellungen, avantgardistische Happenings und Freejazz-Experimente. John Lennon indes, seelisch nicht in bester Verfassung, aber ebenfalls neugierig, zog sich in sein ländliches Domizil zurück und erforschte lieber seine Innenwelt: Marihuana hatte bereits um 1965 die klassische Rock’n’Roller-Diät aus Aufputschpillen und Alkohol abgelöst, jetzt gesellte sich das – bis Herbst 1966 legal verkäufliche – LSD hinzu.

Dass ein Teil der Menschheit Drogen konsumiert, war 1965 nicht anders als 1865, und aller Voraussicht nach wird es auch 2065 noch der Fall sein. Warum, das sollen Suchtforscher und Anthropologen klären. Weshalb Künstler, also auch Popmusiker, dem Reiz des Rausches traditionell eher überdurchschnittlich oft erliegen, können gewiss Psychologen und Soziologen beantworten. Um die Drogenbegeisterung zu begreifen, die in den sechziger Jahren die Jugend der westlichen Welt erfasste, hilft jedoch ein kurzer Blick ins Geschichtsbuch. Britische und amerikanische Soldaten hatten im fernen Osten gedient, und so mancher brave Waffenträger brachte aus Thailand und Korea eben nicht nur kunsthandwerkliche Souvenirs für seine Lieben mit, sondern auch die Angewohnheit, sich mittels Marihuana oder Haschisch vom harten Tagwerk zu entspannen. Drogen also, die – ebenso wie das Opium – in der westlichen Sphäre zwar schon seit etlichen Jahrzehnten bekannt, aber mangels Verfügbarkeit kaum verbreitet waren. Was sich in den Nachkriegsjahren dramatisch veränderte. Die amerikanische Dauerpräsenz in Asien sorgte für steten Nachschub, zudem gedieh Cannabis auch prächtig in den warmen Zonen des amerikanischen Kontinents, wie man flugs herausfand. Jazzmusiker hatten das Kraut schon längst entdeckt, Beat-Literaten verfassten Hohelieder, in der subversiveren Kunst- und Kulturszene gehörte Kiffen alsbald zum guten Ton. Und wurde nach Kräften idealisiert, wozu auch die westliche Tendenz zur Romantisierung des Orients beitrug: Alkoholmissbrauch mochte in Mord und Totschlag enden, aber Kiffen galt als edle, quasi naturnahe und selbstverständlich völlig ungefährliche Stimulans zur Erkundung spiritueller Sphären. Was man noch vehementer dem Anfang der vierziger Jahre in der Schweiz erfundenen LSD zuschrieb, das immerhin als pharmazeutisches Mittel gepriesen wurde. Der Harvard-Professor Dr. Timothy Leary entfachte Mitte der sechziger Jahre einen wahren Kult um das synthetisch herstellbare Halluzinogen, beseelt vom Gedanken, es würde bessere, spirituellere und friedfertigere Menschen schaffen. Die Mär von der Wunderdroge beschäftigte Künstler und Intellektuelle bereits seit Aldous Huxley, mit LSD schien sie nun endlich gefunden. Glaubte man. An psychische Probleme bis hin zur Schizophrenie dachte niemand.

The Beatles 1969John Lennon war wohl derjenige, der sich von allen Beatles am intensivsten mit jenen Substanzen befasste, die rasante Bewusstseinserweiterung verhießen. Das phlegmatische, eskapistische ›I’m Only Sleeping‹ verströmt bis heute den Duft von schwarzem Afghanen, ›She Said She Said‹ ist das Resultat einer LSD-Party in Los Angeles, bei der Schauspieler Peter Fonda sämtliche Gäste inklusive John Lennon mit der morbiden Deklamation nervte, er wisse, wie es sei, tot zu sein. ›Doctor Robert‹ ist lediglich der kooperative Mediziner, der das passende Rezept ausstellt. Ganz Chronist seiner Zeit, vermengte Lennon für ›Tomorrow Never Knows‹ dann gleich zwei aktuelle Themenkomplexe. Erleuchtung war das Ziel, erreichbar durch LSD und die von Leary propagierte Auflösung des Egos – oder durch das Studium fernöstlicher Weisheiten, in diesem konkreten Fall: des Tibetanischen Totenbuches. Studium und Droge ließen sich natürlich auch nach Belieben kombinieren. Für Beatfreunde, die Tanz und Amüsement zu flotten Liebesliedern suchten, war das natürlich starker Tobak. Man darf nicht vergessen, dass sich ein Gutteil der Beatles-Gefolgschaft aus 13-jährigen Jungmenschen rekrutierte, die schlichtweg nicht verstanden, worüber Lennon plötzlich sang. Die schenkten ihr Herz fortan den Monkees, bis auch die ein wenig seltsam wurden. Lennon sang: „Lasst uns das Spiel des Daseins bis zum Ende des Neubeginns spielen.“ Für den amüsierwilligen Lehrling, der Samstagabend bei ein paar Bieren gerne die Sau im Beatschuppen rausließ und zusah, gegen Ende der Veranstaltung ein Mädel auf den Soziussitz seines Mopeds zu bugsieren, waren Lennons weise Worte wohl vor allem blödes Gequatsche. Aber „Let’s do the hippy hippy shake“ war eben gestern, Popmusik gerierte sich plötzlich intellektuell. Doch zum Glück gab’s ja noch The Troggs. Und Dave Dee, Dozy, Beaky, Mick & Tich.

Unbestreitbar ist SGT. PEPPER eine Ikone der Hippiekultur, ein Symbol für den Aufbruch, für eine Stimmungslage, in der alles möglich schien. Ein unterhaltsames Stück Musik ist es noch dazu, nicht zuletzt dank einer kollagenhaften Großtat namens ›A Day In The Life‹. Eines jedoch ist SGT. PEPPER’S LONELY HEARTS CLUB BAND garantiert nicht, auch wenn es immer wieder behauptet wird: das erste Konzeptalbum der Popgeschichte. Dem Album hatte zwar noch in der Planungsphase die Idee zugrunde gelegen, ein inhaltlich zusammenhängendes Werk zu schaffen, was dann aber doch sehr schnell verworfen wurde. Vor allem Lennon wollte sich thematisch auf gar keinen Fall limitieren lassen. Der Titeltrack und ›With A Little Help From My Friends‹ gehören tatsächlich zusammen, geklammert von ›Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band (Reprise)‹. Die restlichen Stücke verbindet weder auf musikalischer noch textlicher Ebene ein roter Faden, nirgendwo eine Spur von der fiktiven Band und ihrem Anführer Billy Shears. Wer etwa erklären kann, in welchem inhaltlichen Zusammenhang ›Being For The Benefit Of Mr. Kite‹ und ›When I’m Sixty-Four‹ stehen, der hat gewiss auch schlüssige Beweise dafür, dass im Loch Ness Außerirdische leben, die einst auf den Osterinseln kultische Figuren gemeißelt haben, bevor sie dann JFK im Auftrag des CIA meuchelten und die Mondlandung fälschten. Oder so ähnlich. Was direkt zur wohl bizarrsten Verschwörungstheorie der Popgeschichte überleitet.

Paul McCartney, so hieß es 1969, sei bereits drei Jahre zuvor bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen und durch einen Doppelgänger ersetzt worden. Eindeutiger Beweis: Auf der Coverrückseite von SGT. PEPPER war er als Einziger von hinten abgebildet. Aha! Der Ersatz-Paul war demnach ein gewisser William Campbell alias Billy Shears, von den konspirierenden Rest-Beatles heimlich rekrutiert und zur Gesichtsoperation genötigt. Dass Paul tot war, konnte man zudem am Cover-Foto der amerikanischen Beatles-LP YESTERDAY AND TODAY erkennen – wenn man es um 90 Grad drehte. Dann nämlich saß Paul nicht mehr in einem großen Überseekoffer, sondern lag in einem Sarg. Das Cover von SGT. PEPPER zeigte natürlich eine versammelte Trauergemeinde, über McCartney schwebte die segnende Hand und ganz rechts im Bild fand sich eine Puppe, auf deren Knien ein Spielzeugauto und ein blutiger Autofahrerhandschuh lagen. Was natürlich die grundsätzliche Frage aufwirft, warum die Rest-Beatles derlei durchsichtige Symbolik verwenden sollten, wenn sie das Ableben ihres smarten Bassisten doch eigentlich verheimlichen wollten? Aber gesunder Menschenverstand und die Gesetze der Logik waren eben kurzzeitig außer Betrieb, denn es ging ja noch weiter. Das Innenfoto von SGT. PEPPER zeigt auf Pauls Ärmel einen Aufnäher mit den Buchstaben „O.P.D.“, was selbstverständlich nur „Officially Pronounced Dead“ – „offiziell für tot erklärt“ – heißen konnte. Wer jetzt noch Zweifel hegte, dem besorgte das Cover von ABBEY ROAD den Rest: Der Volkswagen 1300 im Hintergrund trug augenscheinlich das Kennzeichen LMW 28IF, was zielsicher als „Linda McCartney weeps“ – „Linda McCartney weint“ – gelesen wurde. Und if, also falls er noch zu den Lebenden zählte, dann wäre Paul jetzt 28 Jahre alt. Erneute Zweifel machten sich breit: Linda hieß damals definitiv noch Eastman, statt 28 IF lautet das Nummernschild 281 F und Paule wäre auch erst 27 gewesen. Aber egal. Dass der bekannte Linkshänder seine Zigarette in der rechten Hand hält, deutete auf den Doppelgänger hin, dass er barfuß läuft – in manchen Gegenden unserer schönen Welt ein Symbol des Todes –, wurde ebenso registriert wie die Tatsache, dass er als Einziger der vier Beatles kein weißes Segment des Zebrastreifens berührt. Dutzende mehr angeblicher Beweise kursierten damals, auch Textsequenzen wurden eifrig fehlinterpretiert, rückwärts abgespielt, gespiegelt und derlei mehr. Wem langweilig ist, dem bereitet es womöglich Freude, Popsongs und ihren Verpackungen allerlei sinistre Bedeutungen zu unterstellen. Wer Platten rückwärts abspielt, hört früher oder später sicher etwas, das lautmalerisch in etwa wie „Paul Is Dead“ klingt. Oder wie „Currywurst mit Pommes“. Zum momentanen Zeitpunkt ist Paul McCartney jedenfalls definitiv noch am Leben. Er hat letztes Jahr sogar Konzerte in Deutschland gegeben. Aber was bedeutet denn nun „O.P.D.“? Im „Life Magazine“ vom 7. November 1969 berichtete ein von all dem Geschwätz leicht genervter McCartney, er habe den Aufnäher einst auf Tournee in Kanada gekauft. Vermutlich stamme er vom „Ontario Police Department“.

Wirklich exzentrisch war die bespielte Auslaufrille von SGT. PEPPER: Die meisten damaligen Plattenspieler verfügten über keine automatische Endabschaltung, der Teller drehte sich also weiter – und die Nadel pendelte einfach zwischen Anfang und Ende der Auslaufrille hin und her. War sie bespielt, hörte man eine Endlosschleife, was die Beatles erstmals in die Tat umsetzten. Zu vernehmen war ein schrilles Pfeifen und der nur schwer verständliche Gesprächsfetzen: „Never could be any other way“. Die Mystiker unter den Fans interpretierten sogleich alles Mögliche hinein und stellten zu allem Überfluss fest, dass besagte Sequenz „We’ll fuck you like Superman“ lauten könnte – sofern man die Platte rückwärts abspielt. Was man aber mit Rücksicht auf die empfindliche Nadel besser nicht tun sollte. Eine bespielte Auslaufrille, nun gut.

Ein Debüt war SGT. PEPPER jedoch auch in anderer Hinsicht: Als erstes britisches Pop-Album wurde es mitsamt Textabdruck ausgeliefert. Was von Selbst- und Sendungsbewusstsein gleichermaßen zeugte – und ganz der sich verändernden Rezeption von Popmusik entsprach. Man hörte immer aufmerksamer zu. Wurde bei Rockkonzerten noch kurz zuvor der Twist und Hully-Gully getanzt oder bis zur Besinnungslosigkeit gebrüllt, glichen sie jetzt mitunter musikalischen Andachten. Die Beatles, deren letzte Tournee im Sommer 1966 geendet hatte, sollten das nicht mehr am eigenen Leibe erfahren, doch das Publikum saß gegen Ende der sechziger Jahre gerne bequem vor der Bühne, lauschte den Worten des Sängers, ließ sich von allerlei Substanzen und den mäandernden Läufen des Gitarrensolos in andere Sphären geleiten.

Letztere hatten auch die Produktionskosten von SGT. PEPPER mühelos erreicht. Der erste Song des Albums, ›When I’m Sixty-Four‹, war im Dezember 1966 aufgenommen worden, der letzte, ›Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band (Reprise)‹, am 1. April 1967. Zwar weilten die Beatles dazwischen nicht dauerhaft in der Abbey Road, die aufgelaufene Studiozeit und die Orchestermusiker verursachten jedoch horrende Kosten. Peter Blakes aufwändig konstruiertes Cover-Artwork schlug noch einmal mit knapp 3000 Pfund zu Buche. Zum Vergleich: Für diesen Betrag konnte man im England des Jahres 1967 drei stattliche Sechszylinder-Limousinen des Typs Austin Westminster erwerben. Laut Berichten habe EMI-Chef Sir Joseph Lockwood während der Präsentation der Ausgaben zwar kurz nach Atem gerungen, dann aber doch die Fassung bewahrt. Einen echten Grund zur Aufregung gab es ja eigentlich auch nicht: EMIs Produktionskosten wurden wohl wenige Stunden nach der Veröffentlichung des Albums komplett egalisiert.

The Beatles 1965TIMELINE

Riesenerfolg in wenigen Jahren: Eine Zeitreise in die unglaub­liche Welt der Beatles.

August 1960: Mit ihrem neuen Schlagzeuger Pete Best spielen die Beatles erstmals in Hamburg – insgesamt 106 Gigs im „Indra“ und dem „Kaiserkeller“.

Februar 1961: Debüt im Liverpooler Cavern Club.

April 1961: Zurück in Hamburg entstehen nach Gigs im „Top Ten“ erste Plattenaufnahmen: Unter dem Namen Beat Brothers begleiten sie den Sänger Tony Sheridan, produziert von Bert Kaempfert.

Januar 1962: Die Band macht Probeaufnahmen für Decca – und wird abgelehnt. Manager Brian Epstein nimmt die Beatles unter Vertrag und tauscht deren Lederklamotten gegen Anzüge aus.

April 1962: Ex-Bassist Stu Sutcliffe stirbt in Hamburg an einer Gehirnblutung. Die Beatles kehren an die Elbe zurück und debütieren im „Star Club“.

August 1962: Pete Best wird durch Ringo Starr ersetzt.

Oktober 1962: Die Debütsingle ›Love Me Do‹ erscheint bei EMI – Platz 17 in England.

März 1963: Das Debütalbum PLEASE PLEASE ME erreicht Platz 1 in England. Im Sommer heizen die 45er ›From Me To You‹ und ›She Loves You‹ die Beatlemania auf der Insel weiter an.

November 1963: Dem zweiten Album WITH THE BEATLES folgt die Single ›I Want To Hold Your Hand‹ – der Durchbruch in den USA.

Februar 1964: Die Beatles jetten in die Staaten, treten bei der „Ed Sullivan Show“ erstmals live im US-Fernsehen auf und brechen einen Rekord: Über 70 Millionen Amerikaner sehen zu.

April 1964: Noch ein Rekord, bis heute ungebrochen: Die Beatles belegen die ersten fünf Plätze der amerikanischen Singles-Charts.

Juli 1964: Nach triumphalen Tourneen durch die USA, Europa und Australien erscheint der vornehmlich in London gedrehte Film „A Hard Day’s Night“ samt Soundtrack.

September 1964: In New York lernen die Beatles Bob Dylan kennen – und dessen damals bevorzugte Droge Marihuana.

Dezember 1964: Das neue Album BEATLES FOR SALE wird veröffentlicht. Die Beatlemania ist schon längst ein weltweites Phänomen, befeuert von den zahllosen Konzerten und TV-Auftritten.
Das Merchandising floriert, vor allem in den USA wird allerlei Tinnef angeboten: Puppen, Trinkgläser und nicht zuletzt die „originalen Beatles-Perücken“.

August 1965: Nach Dreharbeiten in England, Österreich und auf den Bahamas: Der zweite Kinofilm „Help!“ samt Soundtrack erscheint. Im New Yorker Shea Stadium spielen die Fab Four vor 56.000 Zuschauern – das bislang größte Rockkonzert.

Oktober 1965: Aus der Hand von Königin Elizabeth II. erhalten die Beatles Orden für die Verdienste um Großbritanniens Außenhandel.

Dezember 1965: Das Album RUBBER SOUL läutet das Ende der „naiven“ Pop-Phase ein, die Texte werden introspektiver.

März 1966: Lennon äußert gegenüber einer Journalistin die Vermutung, die Beatles seien bei jungen Menschen zur Zeit populärer als Jesus Christus. In den US-Südstaaten werden daraufhin öffentlich Beatles-Platten verbrannt.

Juni 1966: Die Beatles kehren nach Deutschland zurück und absolvieren je zwei triumphale Shows in Hamburg, München und Essen. Anschließend geht’s direkt nach Tokio, wo drei Konzerte in der Budokan-Halle stattfinden. Japanische Traditionalisten protestieren gegen die „Entweihung“ der Kampfsport-Arena.

Juli 1966: Weil die Beatles eine Einladung der Diktatorengattin Imelda Marcos ausgeschlagen haben, endet ihr Besuch auf den Philippinen tumultös. Einheimische Sicherheitskräfte bedrohen die Beatles und konfiszieren die Konzerteinnahmen.

August 1966: Das Album REVOLVER unterstreicht die progressive Seite der Beatles. In San Francisco geht ihr letztes offizielles Konzert über die Bühne. Beatles-Tourneen gerieten zuletzt immer unberechenbarer und gefährlicher. Man will sich auf die Studioarbeit konzentrieren.

November 1966: In der Londoner „Indica Gallery“ lernt Lennon die japanische Happening-Künstlerin Yoko Ono kennen.

März 1967: Nach elf Nummer-1-Singles in Folge erreicht ›Penny Lane‹/›Strawberry Fields Forever‹ nur Platz 2 der britischen Charts. Die Band wird psychedelisch…

Juni 1967: …und veröffentlicht mit SGT. PEPPER’S LONELY HEARTS CLUB BAND einen Meilenstein der aufblühenden Hippiekultur. Von den Abbey-Road-Studios aus wird ›All You Need Is Love‹ live in die ganze Welt gesendet: als Englands Beitrag zur ersten global empfangbaren Satelliten-TV-Show „Our World“.

August 1967: Während die Beatles in Wales den Worten des indischen Gurus Maharishi Mahesh Yogi lauschen, stirbt Manager Brian Epstein in London an einer Überdosis Schlaftabletten. Epsteins ordnende Hand wird fortan schmerzlich vermisst.

Dezember 1967: Der surreale TV-Film „Magical Mystery Tour“ feiert in England Premiere – und wird von der Kritik äußerst verhalten aufgenommen. Der erste künstlerische Flop seit über vier Jahren.

Januar 1968: Gründung der Apple Corporation. Zur Beatles-Firma gehören ein Plattenlabel, der Handel mit Merchandisingartikeln sowie eine Modeboutique – und jede Menge Naivität in geschäftlichen Dingen.

Februar 1968: Die Beatles fliegen nach Rishikesh ins indische Meditationscamp des Maharishi Mahesh Yogi, Paul und Ringo reisen allerdings recht schnell wieder ab. Als der Guru die ebenfalls nach Erleuchtung suchende Schauspielerin Mia Farrow sexuell belästigt, kehren auch George und John entnervt zurück. Letzterer verfasst in Anspielung auf die Vorkommnisse den Song ›Sexy Sadie‹.

Juli 1968: Der Beatles-Zeichentrickfilm „Yellow Submarine“ kommt in die Kinos, der Soundtrack folgt etwas später. Die Apple-Boutique in der Londoner Baker Street meldet Konkurs an.

August 1968: Während der Aufnahmen des neuen Albums verlässt Ringo im Streit die Band. Er kehrt wenige Tage später zurück.

Dezember 1968: THE BEATLES, besser bekannt als „Weißes Album“, wird von der Kritik in den Himmel gelobt. Der Zusammenhalt bröckelt inzwischen aber schon bedenklich – das Doppelalbum wurde eher von vier Solisten als von einer Band eingespielt.

Januar 1969: Letzter gemeinsamer Auftritt der Beatles: Man spielt unangemeldet auf dem Dach des Londoner Apple-Hauptquartiers, bis die Polizei einschreitet. Die Aufnahmen zum neuen Album LET IT BE sorgen für weiteren Streit, Harrison verlässt kurzzeitig die Band. Die bereits fertigen Songs werden beiseite gelegt.

März 1969: John Lennon ehelicht Yoko Ono, Paul McCartney Linda Eastman. Allen Klein wurde kurz zuvor als neuer Beatles-Manager inthronisiert – sehr zum Ärger von Paul.

September 1969: Das neue Album ABBEY ROAD wird veröffentlicht. Nummer 1 in England und den USA.

Januar 1970: In den Abbey Road Studios findet die letzte Aufnahmesession der Beatles statt: George Harrisons ›I Me Mine‹.

März 1970: Produzent Phil Spector hinterlegt die Songs von LET IT BE mit Streichern und Chören, was erneut für Unstimmigkeiten sorgt.

April 1970: Paul McCartney gibt in einer Presseerklärung das Ende der Beatles bekannt.

Mai 1970: Das Album LET IT BE wird posthum veröffentlicht, der dazugehörige Film über die Aufnahmen feiert in London und Liverpool Premiere – und zeigt vier Typen in recht gespannter Atmosphäre.

2010: In den Ländern der westlichen Welt mit ihren seit Jahrzehnten vorliegenden, fundierten Verkaufsstatistiken konnten die Beatles bis heute knapp 242 Millionen Tonträger absetzen. Ihr weltweiter Tonträgerverkauf wird auf 600 Millionen bis eine Milliarde geschätzt. Ganz egal, welche Zahlen korrekt sind: The Beatles liegen immer vor Elvis Presley, Michael Jackson, Abba und anderen Großkalibern.

Titelstory: Pink Floyd – Roger Waters und die Rückkehr von THE WALL

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Roger_Waters_1 Credit Sean EvansSchon bei der Komposition des Albums wusste Roger Waters, dass THE WALL eine besondere Platte für ihn werden würde. Was er damals aber noch nicht ahnte: Auch 34 Jahre nach ihrer Erstaufführung beschäftigt ihn das monumentale Werk immer noch. Und zwar so sehr, dass er sich dazu entschlossen hat, es erneut auf die Bühne zu bringen. In CLASSIC ROCK spricht er über sein aktuelles Vorhaben, aber auch seine heutige Beziehung zu seinen ehemaligen Pink Floyd-Kollegen.

DIE MAUER IM KOPF

Er spuckte. Auf einen Fan. Etwas Schlimmeres als diese Racheaktion, zu der sich Roger Waters 1977 während eines Konzertes im Montrealer Olympiastadion hinreißen ließ, kann ein Musiker seinen Anhängern kaum antun. So eine erbärmlich Entgleisung geht gar nicht. Auch dann nicht, wenn diese, so wie besagter Fan beim damaligen Konzert, ihren Unmut über das kreative Tun ihrer Helden äußern. Doch Waters hatte seine Contenance verloren, wohl auch deshalb, weil er schon vor dieser peinlichen Situation frustriert über die durchwachsenen Reaktionen auf die aktuelle Platte ANIMALS gewesen war.

Zumindest sah Waters seinen Fauxpas rasch ein und reagierte darauf in einer künstlerisch angemessenen Art und Weise: Er erschuf in den folgenden beiden Jahren THE WALL, eine Art Parabel auf die Entfremdung zwischen Musiker und seinem Publikum. Der Befreiungsschlag begeisterte die Massen – und zwar bis heute. Insgesamt sind inzwischen mehr als 30 Millionen Exemplare des Werks verkauft – Weltrekord für ein Doppelalbum.

Mehr als drei Dekaden ist das jetzt her, und noch immer begeistern sich die Menschen für THE WALL. Daher hat sich Waters dazu entschlossen, den musikalischen Mauerfall zurück auf die Bühne bringen und damit erneut auf Welttournee gehen. Die Konzertreise hat bereits in Nordamerika begonnen (siehe Live-Bericht auf Seite 22/23) und wird den Musiker und seine Crew im Juni auch nach Deutschland und in die Schweiz führen.

THE WALL ist der Prototyp des Konzeptalbum-Klassikers: komplexe Story, große Gesten und gespickt mit allerlei Hits, der bekannteste davon ist ›Another Brick In The Wall‹. „Das Album war zweifelsohne das anspruchsvollste und ungewöhnlichste, das wir in unserer Laufbahn gemacht haben“, erklärt Pink Floyd-Schlagzeuger Nick Mason und ergänzt: „Nie zuvor hatten wir musikalisch so hart gearbeitet und uns so strikt an die Vorgaben gehalten.“

Diese Vorgaben stammten überwiegend von Waters selbst, der quasi im Alleingang seine Lieder durchzuboxen versuchte und dabei auf regen Widerstand der übrigen Floyd-Mitglieder stieß. Speziell Gitarrist David Gilmour waren die melancholischen, selbstzweiflerischen Stücke in ihrer Gesamtheit zu spröde. Er versuchte daher, die Scheibe mit deutlich melodischeren Nummern wie ›Run Like Hell‹ und vor allem ›Comfortably Numb‹ vor einer allzu lähmenden Düsternis zu bewahren. Nur widerwillig ließ Waters diese Einflussnahme auf sein Meisterkonzept zu, rangelte mit seinen Kollegen um Autorität und Kompetenzen, um schließlich Keyboarder Rick Wright noch während der laufenden Produktion wegen dessen angeblich allzu offensichtlichen Desinteresses zu feuern. Bemerkenswert: THE WALL thematisierte nicht nur die Entfremdung zwischen Künstlern und ihren Fans, sondern verursachte genau diese auch unter den vier Pink Floyd-Mitgliedern.

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