Neil Young war nie eine große Plaudertasche, aber in den letzten Jahren ist er auf noch größeren Sicherheitsabstand zur Medienwelt gegangen. Einerseits denkt er sich vermutlich, dass von seiner Seite aus letztlich alles zu seiner Arbeit gesagt worden sei, andererseits hält er gar nichts davon, mit Fragen zu seinem Privatleben behelligt zu werden. Und Menschen, die sich ein wenig mehr für diesen Kanadier interessieren, wissen, dass es in Youngs Familie zuletzt einigermaßen turbulent zuging: Da war die Trennung von seiner langjährigen, mittlerweile verstorbenen Frau Peggy und die Ehe mit der Hollywood-Darstellerin Daryl Hannah, die neuerdings auch gerne die Plattencover für ihren Gatten entwirft, so wie auf dessen neuem Album COLORADO.
Anlässlich des neuen Werks hat Young überraschenderweise beschlossen, ein paar wenige Audienzen zu gewähren. Allerdings nur aus großer Distanz; deshalb ruft er an einem Tag im September eben an und zwar aus Colorado, wo er derzeit wieder arbeitet: „Das Studio ist für mich von Zuhause aus noch gut mit dem Auto zu erreichen und einfach ein wunderschöner Ort, an dem wir eine gute Zeit hatten“, sagt er.
Das „wir“ steht in diesem Fall für Young und seine altgediente Begleitband Crazy Horse, also dieser Tage: Ralph Molina, Billy Talbot und Nils Lofgren. Beim Gespräch sitzt er offenbar in seinem Auto. Natürlich fragt der Künstler den Fragesteller vorab, ob er das neue Album gehört habe. Klar hat er das, allerdings nur am Computer als MP3-Datei, was Young vermutlich nicht erfreut, dennoch lacht er als er erklärt: „Ich bin gerade in Colorado unterwegs. Hier habe ich einen Verstärker, daran angeschlossen einen Rechner, der die Daten in High-Res-Audio umwandelt und immerhin Koss-Kopfhörer. Das funktioniert ganz gut. Schlimmer, als Sie es getan haben, kann man Musik dummerweise kaum anhören“. Und schon sind wir bei des Meisters Lieblingsthema Nummer 1: Der Sound-Qualität von Musik, die ihn so sehr beschäftigt, dass er sogar an einem Buch zum Thema mitgewirkt hat, das ebenfalls dieser Tage erscheint: „To Feel The Music: A Songwriters Mission To Save High Quality Audio“. Aber wenn man nicht stundenlang mit Young über Sounds sprechen will, muss man rasch das Thema wechseln …
Von den zehn neuen Songs des Albums haben Sie acht bereits in den vergangenen Monaten bei Konzerten aufgeführt. Variieren Sie dann gerne noch oder gibt es eine endgültige Version eines Songs, sobald er im Studio eingespielt wurde?
Ich versuche schon immer, so dicht wie möglich an der Studio-Vorlage zu bleiben. Und als ich die neuen Songs zuletzt aufführte, waren die meisten schon mit Crazy Horse im Studio aufgenommen. Nur ›Olden Days‹ haben wir bei Konzerten gespielt, bevor wir damit im Studio waren.
Wie und wann entscheiden Sie, was Sie aus ihrem umfangreichen Werk bei einem Konzert aufführen?
Zuletzt war ich mit der Band Promise Of The Real auf Tour. Mit denen habe ich eine Liste mit ungefähr 120 Songs, aus denen ich dann spontan auf der Bühne auswähle. Vorab ist eigentlich nur klar, womit wir beginnen, alles andere ergibt sich dann. Wir haben zwar immer eine Setlist, aber die ist nicht bindend, ich entscheide da gerne nach meinem Gefühl. Das macht es für mich einfacher, weil es weniger Arbeit und weniger Nachdenken bedeutet.
Sie haben viele Alben veröffentlicht, die von Ideen und Themen zusammengehalten wurden. In diesem Jahrtausend streamen immer mehr Menschen nur noch einzelne Songs und Alben gelten als Auslaufmodell. Interessiert Sie diese Entwicklung?
Das ist mir so was von egal. Ich verschwende auf das Thema nicht allzu viel Zeit. Ich mache einfach meine Arbeit; ein Album zu konzipieren, ist, wie ein Buch zu schreiben. Das war schon immer meine Herangehensweise. Einfach nur „Tracks“ zu produzieren, entspräche nicht meiner Vorstellung von diesem Job: Eine Idee zu haben, die von Musik zusammengehalten wird, die ein paar Musiker produzieren, die eine gemeinsame Haltung und Herangehensweise verbindet. Und, dass sie das gemeinsam an einem Ort machen. Das neue Album haben wir in elf aufeinanderfolgenden Tagen eingespielt. Damit war die Sache erledigt.
Entscheiden Sie vorab, dass elf Tage im Studio reichen müssen?
Bevor es losgeht, weiß ich gar nichts. Da ist absolut nichts vorab durchdacht! Wir gehen einfach mit den Songs ins Studio und spielen sie ein. Und irgendwer muss sie dann noch aufnehmen. Wir haben eine ziemlich coole Dokumentation über die Aufnahmen zum neuen Album produzieren lassen. Die sollte eigentlich vorab veröffentlicht werden, aber dann haben wir beschlossen, dass es besser sei, wenn die Leute schon die Musik, um die es da geht, gehört haben. Der Film dauert ein paar Stunden und zeigt wirklich sehr offen, was im Studio passiert. Ein langer Blick auf den kreativen Prozess und, ich sage Ihnen, das ist kein Vergnügen.
Was genau meinen Sie damit?
Na, den unverfälschten, ungeschönten Blick, den wir da auf die Studioarbeit werfen. Warten Sie es ab. Auf dem neuen Album ist auch ein 13-minütiger Song.
Macht es Ihnen besonders viel Freude, so etwas Ausuferndes einzuspielen?
Ja, das macht Spaß, sehr viel Spaß! Da geht es einfach nur darum, dass wir spielen, unseren Job machen und es genießen, bis wir fertig sind. Manchmal geht das schnell und manchmal dauert es eben etwas länger. Das ist nichts, worüber wir uns groß den Kopf zerbrechen.
Aber einer muss dabei doch Regie führen und entscheiden, wie lang gespielt wird, oder ergibt sich das zufällig im Studio, aus der Gruppendynamik heraus?
Nein, das bin immer ich: Ich beginne als erster und die Band folgt mir dann. Und wenn ich das Gefühl habe, dass es reicht, höre ich auf und mit mir die Band.
Der neue Song ›A Rainbow Of Colours‹ ist ein klares Statement für Toleranz. Wird Kunst in herausfordernden Zeiten wichtiger?
Kunst und Konflikte sind untrennbar miteinander verbunden. Und dieser Tage gibt es ganz offensichtlich sehr viel Gesprächsbedarf über das, was in der Welt so vor sich geht. Dass es eine eindeutige Verbindung von unserer Musik zu diesen Geschehnissen gibt, ist doch offensichtlich. Wenn ich morgens aufwache, denke ich natürlich auch darüber nach, was in der Welt so vor sich geht. Und manchmal setze ich mich dann hin und schreibe einen Song über dieses Grübeln.
Verfolgen Sie, was in Europa politisch vor sich geht?
Für mich sind Politiker alle gleich; dabei müssten sich die Leute doch nur um ein bisschen mehr Nachhaltigkeit bemühen und sich den anderen, die alles korrumpieren wollen, widersetzen. Das große Problem mit der Nachhaltigkeit ist doch, dass sie für die meisten Menschen nicht selbstverständlich ist.
Würden Sie sich als Optimisten bezeichnen?
Das bin ich ziemlich sicher sogar. Ich vertraue einfach auf die Liebe.
Dann sagt Neil Young, dass er leider noch viel zu tun habe, verabschiedet sich und
empfiehlt freundlich, das neue Album noch mal in guter Qualität zu hören. (Text: Joe Cable)