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Metallica: …AND JUSTICE FOR ALL

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Metallica: …AND JUSTICE FOR ALL

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Man konnte sich nur schwer des Eindrucks erwehren, dass Metallica hier zum ersten Mal nicht ihrem Instinkt gefolgt waren, sondern das taten, was sie vermeintlich tun sollten. Slayer hatten ihnen 1986 mit dem von Rick Rubin produzierten REIGN IN BLOOD die Thrash-Krone entrissen, während Guns N’ Roses nun drohten, die Vorreiterrolle dabei zu übernehmen, den Mainstream-Rockgeschmack neu zu definieren – Metallica waren ins Hintertreffen geraten. Geleitet wurden sie jetzt nur von Lars’ Träumen und James’ Alpträumen. Cliffs Einfluss auf die Band war ab hier nur noch durch seine Abwesenheit spürbar. Zu­­nächst waren sie komplett verloren.
„Seelenqualen sind das, was mir ge­­fällt“, schrieb James. „Körperlicher Schmerz ist nichts im Vergleich zu psychischen Wunden – den Scheiß wirst du nie wieder los. Wenn jemand in deinem Leben stirbt, bringt dich das immer zum Nachdenken.“ War Cliffs Tod etwas, über das er zu viel nachgedacht hatte?

Mit einer Laufzeit von über 65 Minuten war dies die erste Metallica-Platte, die eindeutig für das CD-Format konzipiert worden war. Die Track-Reihenfolge entsprach dabei demselben Muster wie RIDE und MASTER: Den Anfang machte ein Ruf zu den Waffen, in diesem Fall ›Blackened‹, ein wütender Aufschrei gegen die Umweltzerstörung, musikalisch dem MASTER-Opener ›Battery‹ sehr ähnlich und das einzige Stück, auf dem Newsted einen Autoren-Credit erhielt.

Es folgte das fast schon verlegen epische Titelstück, um eine schräge Drumfigur und den Klang marschierender Gitarren herumgebaut. James wettert: „Justice is lost/Justice is raped/Justice is gone…“ Mit fast zehn Minuten schaufelt sich der Song sein eigenes Grab, begräbt sich selbst und sorgt für einen fetten Seufzer der Erleichterung seitens des Hörers, wenn er endlich – endlich! – vorbei ist. Dabei ist es eigentlich gar keine so schlechte Metallica-Nummer. Vielleicht hätte sie auf RIDE besser funktioniert, als die Band sich noch ihre Sporen verdiente. Hammetts Gitarren, für die er einen von drei Co-Credits bekam, sind dagegen vorbildlich. Doch unterm Strich ist das alles so moralinsauer, bitter und gnadenlos, der gequälte Klang eines gequälten Mannes. Ähnlich ist es bei dem irgendwie gleich klingenden Tribute an Cliff ›To Live Is To Die‹, eine aufrichtige Geste, die fast bedeutungslos dadurch wird, dass es sich um den längsten Track auf einem Album handelt, bei dem fast jedes Stück zu lang ausgewalzt ist.

Der Rest – mit einer Ausnahme – folgte demselben düsteren, verworrenen Weg. Wie gesagt, das Problem ist nicht, dass etwa ›The Shortest Straw‹ oder ›The Frayed Ends Of Sanity‹ per se schlecht wären. Beide sind charakteristisch knüppelharte Rocker, die auf jedem der ersten beiden Metallica-Werke bestens funktioniert hätten. Noch nach der ausgeklügelten Produktion und den durchdachten Arrangements von MASTER und der warmen, fast herrlichen Atmosphäre von GARAGE DAYS erwartete man nun mehr von der Band. In dem Moment, als sie noch einen weiteren klanglichen Meilenstein hätten abliefern sollen, kehrte sie zu ihrem tumben Charakter von einst zu­­rück. Was vier Jahre zuvor aufregend und brutal neu geklungen hätte, wirkte nun platt und überholt.

Selbst die erste Single ›Harvester Of Sorrow‹ war furchtbar schwerfällig. „Textlich geht es um jemanden, der ein sehr normales Leben führt, eine Frau und drei Kinder hat, doch eines Tages dreht er plötzlich durch und fängt an, die Leute um sich herum zu töten“, erklärte Lars damals. Hätte die Musik doch nur halb so interessant geklungen. Dank der mittlerweile riesigen Metallica-Fanbase und den diversen Formaten, in denen Phonogram die Single vermarkten konnte, wurde trotzdem ein Erfolg daraus.

Den US-Radios wurde als nächster Track ›Eye Of The Beholder‹ geliefert, obwohl er nicht als Single veröffentlicht wurde. Direkt nach dem Titelstück des Albums klang es einfach wie mehr von derselben Sauce, doch im Radio profitierte es vom anschwellenden Stakkato-Rhythmus, der genug Aufmerksamkeit erregte, um die ersten beiden Minuten dranzubleiben, bis die dröhnende Monotonie Überhand nahm. „Do you see what I see“, stimmt James pathetisch an, „truth is an offence…“ Und wie es schien, hatte niemand gewagt, der Band die Wahrheit über ihr neues Album zu sagen.

Die eine große Ausnahme dabei – der einzige, strahlende Diamant – war ›One‹. Es war nicht nur ihr bislang ehrgeizigstes und gelungenstes musikalisches Experiment, sondern auch ihr bewegendster Song überhaupt. Die makabre Geschichte eines Grenadiers, der auf eine Tretmine tritt, erwacht und nach und nach begreift, dass er außer seinem Verstand alles – seine Arme und Beine, seine fünf Sinne – verloren hat und der nun haltlos im Nichts treibt, gefangen in seiner eigenen finsteren, unmöglichen Realität, ist sowohl ein monumentaler Alptraum als auch eine klanglich transzendentale Reise, wie eine Thrash-Metal-Fassung von TOMMY in Miniatur. Den Abstieg des Protagonisten in die Hölle auf Erden, sein wortloses Betteln um den Tod kann man als existenzielle Metapher sowohl auf das menschliche Wesen als auch einen Solipsismus auf das Rockstarleben interpretieren – und der frenetische Höhepunkt formulierte die kaum artikulierbare „teenage angst“ besser als jeder Rocksong zuvor oder seitdem.

Ursprünglich hatte ›One‹ damit begonnen, dass James darüber nachdachte, wie es wohl wäre, „nur ein Gehirn und sonst nichts“ zu sein. Dann legte Co-Manager Cliff Burnstein ihm nahe, das Buch „Johnny zieht in den Krieg“ von Dalton Trumbo (1939) zu lesen. Es ist die Geschichte von Joe Bonham, einem gutaussehenden, durch und durch amerikanischen Jungen, dessen patriotischer Vater ihn dazu er­­mutigt, im Ersten Weltkrieg zu kämpfen, wo er dann durch eine deutsche Granate seine Beine, Augen, Mund und Nase verliert. Nachdem er im Krankenhaus seine fürchterlichen Umstände begreift, um­­ringt von absolut entsetzten Ärzten und Krankenschwestern, klopft er mit dem einzigen Körperteil, das er noch bewegen kann – seinem Kopf –, im Morse-Code eine Botschaft: „Bitte tötet mich“. „Das war sehr inspirierend für James“, sagte Lars.

Und es gab noch einen weiteren wichtigen Strategiewechsel, bevor sie ins Studio gingen: Anders als bei MASTER OF PUPPETS sollte es wenigstens eine er­­kennbare Single und – noch wichtiger – ein Video dazu geben. Trotz ihrer öffentlichen Haltung, sich Singles zu verweigern, hatten sich sowohl James als auch Lars nach dem überraschenden Erfolg der GARAGE DAYS-EP in jenem Jahr und vor allem des Heimvideos „Cliff ’Em All“ mit dem Gedanken angefreundet, eine reguläre Single und ein Video dazu zu veröffentlichen.

Dass ›One‹ sich für eine packende, kunstvolle visuelle Interpretation und Er­­gänzung der Musik anbieten würde, war von Anfang an klar. Die Band fand die Idee noch viel aufregender, als sich herausstellte, dass Trumbo – ein linksgerichteter, sich für den Frieden einsetzender Drehbuchautor, der während der Hexenjagden der McCarthy-Ära aus Hollywood verjagt worden war – tatsächlich schon als Regisseur einer Leinwandadaption fungiert hatte, die 1971 auf der Höhe des Vietnamkriegs erschienen war. Ob sie vielleicht Szenen daraus für ein potenzielles Video verwenden könnten?

Laut Rasmussen hatten sie die Rechte an dem Film „zur Verwendung in einem Clip“ tatsächlich schon gekauft, bevor sie überhaupt begonnen hatten, mit ihm aufzunehmen. „Der Film war nichts Be­­sonderes, aber dessen Ästhetik gefiel ihnen und sie dachten, sie würde sehr gut zu einem Video passen.“ Dazu benutzten sie auch einige der Klangeffekte auf dem Soundtrack und legten die Geräusche von Maschinengewehrfeuer und explodierenden Tretminen über das Intro des Songs.
Ähnlich wie ›Stairway To Heaven‹ für Led Zeppelin war ›One‹ für Metallica der kreative Gipfel, der alle Elemente, die sie groß- und einzigartig machten, in eine lange, wendungsreiche Reise verpackte. Von dem stillen, eleganten, herzzerreißend melodischen Gitarrenintro über den stetig anziehenden Mittelteil bis zum vulkanischen, alles vernichtenden Höhepunkt kommt der Text schließlich zu seinem schrecklichen Ende: „Hold my breath as I wish for death… Now the world is gone/I’m just one…“

Das war nicht die gewöhnliche Haltung einer Rockband wie Van Halen, Mötley Crüe oder gar Guns N’ Roses. Dies war eine Offenbarung, ein Song, der völlig aus seiner Zeit herausragte, und die unvorhergesehene Nebenwirkung war, dass sich für Metallica fortan alles veränderte. Man musste kein Fan der Band sein, um den künstlerischen Wert von ›One‹ zu schätzen, ebenso wenig wie man ein Zeppelin-Fan sein muss, um ›Stairway‹ zu verehren. Doch für die Fans war dies ein wegweisender Moment, den die Band nie mehr übertreffen sollte.

Bezeichnenderweise war der einzige andere Track auf dem Album, der sich aus seinem schwierigen Umfeld abhob, dessen kürzester: ›Dyer’s Eve‹, dessen schnelles Rasiermesser-Riff nach all den quälenden Brocken Prog-Metal einen Moment der Erleichterung darstellte. Als letzte Nummer auf der Platte unterstreicht es eindrucksvoll, wie sperrig der Rest davon ist.

Außerdem war es interessanterweise auch das erste Mal, dass Hetfield in einem Text – „Dear mother/dear father/What is this hell you have put me through?“ – direkt die Narben ansprach, die er seiner unterdrückten Kindheit davongetragen hatte. „Im Wesentlichen geht es um diesen Jungen, der von seinen Eltern über seine gesamte Kindheit vor der wirklichen Welt versteckt worden war. Jetzt ist er in dieser Welt angekommen, kommt nicht mit ihr klar und denkt darüber nach, sich das Leben zu nehmen“, erklärte Lars. „Es ist im Prinzip ein Brief von diesem Jungen an seine Eltern, in dem er sie fragt, warum sie ihn nicht der Realität ausgesetzt haben…“ Und es war ein un­­heilvoller Vorgeschmack auf die Themen, die Hetfield auf späteren Alben noch in viel schrecklicheren Details vertiefen würde.

Statt des radikal andersartigen Meisterwerks, das Lars vorgeschwebt war, geriet JUSTICE letztendlich bestenfalls zu einem Ausfallschritt – einer Fehlkalkulation. Im schlimmsten Fall war es ein seltsames Statement, von dem sich die Band im Lauf der Jahre größtenteils distanzierte, während sie bessere Platten ablieferte. Das einzig Gute daran war das überragende ›One‹ – und die Tatsache, dass es die Band in dem Ehrgeiz vereinte, nie wieder ein so trostloses oder musikalisch anspruchsloses Werk zu erschaffen. Die Tage von Metallica als kompromisslosem Heavy-Metal-Monster waren endgültig gezählt.

Die Produktion war der andere befremdliche Aspekt an …AND JUSTICE FOR ALL. Wie Rasmussen sagt: „Der Klang war total trocken… Dünn, hart und laut.“ Auf der gesamten Platte scheint seltsamerweise jegliches Reverb zu fehlen, jene spezielle Zutat, die beim Abmischen noch den mittelmäßigsten Sound aufwerten kann. Rasmussen widerspricht dem nicht, aber bekräftigt, dass er „fast 99 Prozent“ von dem abgeliefert hat, was von ihm verlangt worden war. „Als wir es fertiggestellt hatten, waren alle wirklich glücklich damit, doch nach etwa einen Monat waren sie dann plötzlich alle unzufrieden. Über die Jahre wurde es aber trotzdem zu dem Album, das wohl die meisten Metalbands überhaupt beeinflusste.“

Gut möglich. David Ellefson von Megadeth würde das sicher so unterschreiben. „Weil es so progressiv war, so kompliziert. In den Anfangstagen waren wir alle so stolz darauf, wie schnell wir spielten. Musikalischer intellektueller Stolz oder so ein Bullshit, du verstehst?“ Er lacht. „Wenn da nur irgendwo ein Bass auf dem Ding wäre, klänge es richtig fucking heavy, you know? Echt heavy…“

„Ich war so enttäuscht, als ich den finalen Mix hörte.” (Jason Newsted)

Wie Ellefson andeute, war die größte Lücke im Klang von JUSTICE jegliche Spur von Jason Newsteds Bass – ein unverzeihlicher Fehler, schließlich war es sein erstes Album mit Metallica und ihr erstes ohne Cliff Burton. Seither wurden diverse Gründe dafür angegeben, von dem Vorwurf, Lars und James hätten seine Parts einfach aus dem Mix gelöscht, um ihn unsichtbar zu machen, zu der Theorie, dass sie aus technischer Sicht einfach nicht genug Raum zwischen James’ Stakkato-Rhythmusgitarre und Lars’ donnernder Basstrommel ließen, um Jasons Bass hören zu können.

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