»Rockstars verdienen mehr Geld, nehmen mehr Drogen. Blues-Typen trinken in erster Linie und rauchen ein bisschen Gras.«
Der überraschende Tod von Johnny Winter im Juli (2014) schmerzt noch immer. In seinem vielleicht letzten Interview unterhielt er sich mit Aerosmith-Gitarrist Joe Perry über Rock’n’Roll-Randale, das Musikmachen und den Preis des Ruhms.
Gerade schien es wieder steil bergauf zu gehen für den 70-Jährigen. Neben einem karriereumspannenden Boxset mit dem äußerst passenden Titel TRUE TO THE BLUES: THE JOHNNY WINTER STORY steht die Dokumentation „Down & Dirty“ bevor, die nichts beschönigen und sowohl seine lange Karriere als auch seinen Kampf mit Alkohol und Drogen beleuchten wird. Nicht minder faszinierend ist STEP BACK, das zweite einer Serie von Coversalben – er nennt sie „Tributes“ –, auf dem der Sänger und Gitarrist mit Freunden und Kollegen wie Eric Clapton, Billy Gibbons von ZZ Top und Joe Perry (auf Lightnin’ Hopkins’ ›Mojo Hand‹) Stücke einiger seiner Einflüsse der 50er und 60er Jahre einspielte.
So war es kein Zufall, dass PerryPerryPerry sich eines Tages auf einem Sofa in Johnny WintersJohnny WintersJohnny Winters Wohnwagen vor dem Saban Theater in Los Angeles wiederfand, Stunden, bevor der dort auf die Bühne ging. CLASSIC ROCK hatte ein Treffen zwischen diesen beiden Ikonen eingefädelt, die sich trotz ähnlich langer Karrieren und einer gemeinsamen Liebe zum Blues nie zuvor begegnet waren.
Der Aerosmith-Gitarrist war sogar besonders begeistert, den eher lakonischen Winter zu treffen. Damals Ende der 60er war Perry einer der hungrigen jungen Wilden gewesen, die so bahnbrechende Winter-Alben wie THE PROGRESSIVE BLUES EXPERIMENT und SECOND WINTER aufsog und sich an dessen beseeltem Spiel orientierte, das er später in die Megahits der Bostoner Stadiumvernichter integrierte. „Johny hat mich wohl beeinflusst, seit ich 17 oder 18 war“, sagte der ungewöhnlich überschwängliche Perry. „Ich habe seine Musik schon immer geliebt.“ Hier ist das Protokoll ihrer Begegnung.
Ist das wirklich das erste Mal, dass sich eure Wege kreuzen?
Joe Perry: Dieses eine Mal, vor vielen Jahren, in der Academy of Music in New York 1972 – wir hatten noch nicht mal einen Manager – hatte [Winters ehemaliger Manager] Steve Paul von uns gehört uns sagte: „Ich habe diese Show mit Humble Pie und Edgar und Johnny Winter und ich gebe euch 20 Minuten, damit ich euch ansehen kann.“ Also spielten wir, und er lehnte uns ab. Johnny und ich sind uns an diesem Tag vielleicht im Flur aneinander vorbei gelaufen, aber das war’s wahrscheinlich.
Aber ich weiß noch, wie ich 1969 einen Auftritt von ihm in einem Bostoner Club namens Boston Tea Party sah. Das waren Johnny und Rick Derringer, eine echte Kickass-Rockband. Dieses Konzert brachte mich dazu, mir einen Bottleneck auf den Finger zu stecken. Und ich habe ihn seitdem nicht mehr abgenommen.
Ich denke, ihr seid im Herzen beide Blueser.
JP: Ich bin das soweit es eben geht. Johnny hat die echten Wurzeln und er hat mit vielen der Großen gespielt. Ich war eher die nächste Generation. Genau wie Johnny bin ich nur ein weiteres Glied dieser Kette. Die Sache beim Blues ist, dass man jeden Abend denselben Song spielen kann, und er ist jeden Abend anders. Für mich jedenfalls. Das haben wir dann in den Rock’n’Roll übernommen. Ich meine, wir haben Songs gemacht, die Pophits waren, kein Blues, aber ich habe versucht, dieses Gefühl mitzunehmen, sie jeden Abend zu einem neuen Stück zu machen. Das ist nicht der Blues an sich, aber man gibt ihm diese Plattform, man gibt ihm Eier. Das habe ich von Johnny gelernt, als ich sah, wie er seine Herz und seine Seele da hineinsteckte.
Johnny, wann wurde dir zuerst klar, dass du Blues spielen würdest?
Johnny Winter: Als ich mit zwölf Blues im Radio hörte, dachte ich: „Ich muss lernen, wie man so spielt, das ist cool.“ Er war einfach emotionaler, hatte mehr Gefühl als jede andere Musik, die ich je gehört hatte. Er gibt dir einfach ein gutes Gefühl. Ich liebe es immer noch, ihn zu hören, und ich liebe es immer noch, ihn zu spielen.
Was ist besser – erfolgreich zu sein oder hungrig?
JW: Ich mag Erfolg wesentlich lieber. (lacht)
JP: Ich habe gerne ein bequemes Bett und esse gern hin und wieder. Aber ich muss sagen, ich hatte einige meiner besten Zeiten damals, als wir noch kämpfen mussten.
JW: Das hat sehr viel Spaß gemacht, als man noch versuchte, es zu schaffen.
JP: Es ist diese Zeit, wenn Leute, die du nicht kennst, anfangen, zu deinen Shows zu kommen. Zuerst ruft man nur all seine Freunde an, damit sie in den Club kommen und der Besitzer glaubt, du hättest was am Laufen. Aber dann kommt dieser Abend, wenn du neue Gesichter im Publikum siehst und dir klar wird, dass du etwas hast, das sie hören wollen. Das ist ein tolles Gefühl.
Johnny, als du anfingst, warst du in anderen Kreisen unterwegs als Bands wie Aerosmith?
JW: Am Anfang nicht. Ich spielte lange Rock und R&B, bevor ich mit Blues begann. Bis die britischen Bands auf den Plan traten, wollten Weiße den Blues ja überhaupt nicht hören. Erst mit den Rolling Stones und John Mayall und so fingen die Weißen an, sich für den Blues zu interessieren. Ich spielte ihn also erst so ab 1967. Ich wollte nie ein Rockstar sein, es war nur so, dass Steve Paul mich nicht den Blues spielen ließ.
Wie reagierte das Publikum, als du dann damit anfingst?
JW: Es gab nur ein paar Orte, wo man ihn überhaupt spielen konnte. Ein Club namens Love Street Light Circus in Houston, und das Vulcan Gas Company in Austin. Mit dem Blues verdiente ich nicht mal ansatzweise so viel Geld. Es war eigentlich die Idee von meinem Schlagzeuger „Uncle“ John Turner. Ich wusste nicht, ob wir damit überhaupt Geld machen könnten. Und etwa ein Jahr lang taten wir das auch nicht. Man bezahlte uns 50 Dollar die Woche. Wir waren echt am Kämpfen, schliefen bei Leuten auf dem Boden und so. Und dann erschien ein Artikel über uns im „Rolling Stone“ und über Nacht war alles anders. Plötzlich spielten wir auf großen Festivals. Eine Woche zuvor waren wir noch vor 100 Leuten aufgetreten.
Gab es ein bestimmtes Konzert, bei dem dir klar wurde, dass du Erfolg hattest?
JW: Ich würde sagen, Woodstock. Das war der Punkt, wo ich dachte, dass wir es geschafft hatten. Da waren so viele Leute. Überall war Matsch und niemand wusste, wer wann spielte. Das war das totale Chaos. Wir mussten mit einem Hubschrauber abreisen, mit dem Auto wäre man nie dort weggekommen. Ich weiß noch, wie wir über die Menge hinweg flogen und ich dachte: „Sieh dir nur all die fucking Leute an“. Das war schon Wahnsinn.
JP: Wenn man sich die Karrieren der Bands ansieht, die in Woodstock spielten, war das die Show, mit der die meisten von ihnen landesweit berühmt wurden. Ich meine, Ten Years After hatten nur den einen Pfeil im Köcher, da steckte nicht viel dahinter, aber die Bands, die etwas zu bieten hatten, wurden durch Woodstock groß.
Warst du dort, Joe?
JP: Ich stehe nicht so auf Matsch. Ich hörte davon, ich wusste, dass es stattfand, aber ich blieb an dem Wochenende in New Hampshire. Wir wurden allerdings zur Jubiläumsshow eingeladen. Steven [Tyler, Aerosmith-Sänger] und Joey [Kramer, Schlagzeuger] waren beide dort. Sie erzählten davon, wie sie Trips nahmen und sich schmutzig machten, und ich dachte nur, bringt mich hin und holt mich wieder raus, ohne Matsch. Es war wirklich verrückt. Ein bisschen von der Atmosphäre von damals gab es, denke ich – viele Leute kamen mit Rucksäcken und Zelten –, aber da waren auch überall Coca-Cola-Symbole. Das hat den Vibe definitiv beeinträchtigt.
Konzern-Sponsoring hat den Rock’n’Roll vernichtet?
JP: So wie die Dinge gelaufen sind, denke ich, dass wir gerade das Ende einer echt coolen Ära erleben. Wir hatten Glück, das sehen zu können, Bands von echter Qualität in Clubs und Sälen in den 60ern und 70ern, und wir bezeugten, wie das alles wuchs und wuchs. Es ging nicht ums Geld, zumindest für die Musiker. Am Anfang verdiente niemand Geld daran, Platten zu machen. Man veröffentlichte sie, um seine Tour zu bewerben, und man tourte, um Platten zu verkaufen. Die Anwälte und Manager waren es, die Geld daran verdienten. Wir durften losziehen, spielen, Party machen und vögeln, und das war’s.
Johnny, ist der Lifestyle eines Bluesers derselbe wie der eines Rockstars?
JW: So ziemlich. Rockstars verdienen mehr Geld, nehmen mehr Drogen. Blues-Typen trinken in erster Linie und rauchen ein bisschen Gras. Sie nehmen nicht so viel Koks oder Heroin.
Hängst du lieber mit Bluesern ab?
JW: Oh ja. Sie sind viel freundlicher und viel gewillter, dir zu helfen.
JP: Blueser sind näher an der Straße, und an ihrem Publikum, sie kümmern sich weniger um die Charts und sowas. Das sind die Typen, mit denen ich gerne abhängen würde.
Es tut auch mir weh dass Johnny nicht mehr unter uns weilt.
Ein wen auch schwacher Trost für mich ist, dass ich seine Musik weiter hören kann.
R.I.P. Johnny und spiele den Blues dort wo du jetzt bist………..