In den Folgejahren nahm Carlos das Familienleben mit seiner ersten Frau Deborah und seinen Kindern sowie seine karitativen Interessen mindestens genauso ernst wie seine Musik. 1985 nahm er am Live-Aid-Spektakel teil, ein Jahr später trat er gemeinsam mit seinem Idol Miles Davis für Amnesty International auf. Die Platten, die er mit seinen ständig wechselnden Mitstreitern ab Mitte der 70er Jahre veröffentlichte, verkauften sich weiter achtbar, ohne allerdings in die Sphären der ersten drei Alben vorzudringen.
Zumindest an der Konzertkasse war die Popularität Santanas allerdings weiter ungebrochen. 1993 führte ihn seine Tournee nicht nur für eine gemeinsame US-Gastspielreise mit Bob Dylan zusammen, sondern auch zurück zu seinen mexikanischen Wurzeln in Tijuana: Bei den Konzerten in der Stierkampfarena seiner früheren Heimat trat sogar eine von seinem Vater geleitete Mariachi-Band im Vorprogramm auf. 1997 wurde Santana die Ehre zuteil, in die Rock‘n‘Roll Hall Of Fame aufgenommen zu werden, trotzdem glaubte inzwischen auch Carlos selbst, dass mehr als 20 Jahre nach seinen größten Erfolgen die fetten Jahre endgültig vorbei wären.
Nach mehreren Labelwechseln führte ihn das Schicksal im gleichen Jahr wieder mit Clive Davis zusammen, der nach seinem Rauswurf bei CBS/Columbia höchst erfolgreich seine eigene Firma Arista auf die Beine gestellt hatte. Davis war es auch, der einen Plan schmiedete, um Santanas Karriere die dringend benötigte Frischzellenkur zu verpassen und die Band nach Jahrzehnte währender Funkstille zurück ins Radio zu bringen. „Er erklärte mir, dass er nicht einfach ein weiteres Santana-Album im Sinn hatte – er wollte Hits“, erinnert sich Carlos in seiner 2014er-Autobiografie „Der Klang der Welt“. Dafür hatte der Labelchef bei einer ganzen Reihe junger Stars wie Lauryn Hill, Dave Matthews, Eagle-Eye Cherry und Rob Thomas von Matchbox 20 angeklopft – und alle hatten Interesse an einer Kollaboration mit Santana bekundet.
Schon bei den Aufnahmen des Albums hatte Carlos ein gutes Gefühl, was aber nach der Veröffentlichung geschah, hatte auch er nicht kommen sehen. Langsam, aber sicher fand die SUPERNATURAL betitelte LP den Weg aus den Niederungen der Charts an die Spitze der Hitlisten. Die Single ›Smooth‹ mit Rob Thomas mauserte sich zum Sommerhit des Jahres 1999 und stand zwölf Wochen auf dem ersten Platz. Auch die Nachfolgeauskopplung ›Maria, Maria‹ schoss an die Spitze der US-Charts – ein bis heute beispielloses Comeback eines Künstlers, der bereits drei Jahrzehnte im Geschäft war. Heute ist SUPPERNATURAL mit rund 30 Millionen abgesetzten Exemplaren Santanas bestverkaufte Platte, unfassbare neun Grammy-Auszeichnungen gab es für die LP im Jahr 2000 obendrauf. Die folgende Tournee war die längste in der Geschichte Santanas – und wohl auch die lukrativste.
Drei Jahre später versuchte das Album SHAMAN (mit einem Gastbeitrag von Shrieve) das Erfolgsrezept des Vorgängers zu wiederholen, allerdings mit nur mäßigem Erfolg. Zwar erklomm die Platte sofort die Nummer-1-Position der Charts, verschwand dann aber recht schnell in der Versenkung. Auch in der Folge waren Santana auf Tour erfolgreicher als an den Verkaufstheken der Plattenläden, bis 2013 die Nachricht vom Comeback der „klassischen“ Besetzung der frühen 70er die Runde machte. Mit Rolie, Schon, Shrieve und Carabello waren (fast) alle überlebenden Schlüsselfiguren der SANTANA III-Ära mit im Boot, und Carlos brauchte auch nicht lange, um mit SANTANA IV einen Arbeitstitel für das kommende Projekt aus dem Hut zu zaubern. Die Marschrichtung war damit klar: Die Band würde da ansetzen, wo sie vor 45 Jahren aufgehört hatte.