Bis zum Morgen des 20. Februar 1980 scheint es, als könne niemand den Siegeszug von AC/DC stoppen. Es ist erst sieben Jahre her, seit sich die Band in Melbourne formiert hat, doch ihre Fan-Gemeinde hat bereits gigantische Ausmaße erreicht. Die Kombination aus dem wild riffenden Brüderpaar Angus und Malcolm Young und dem partyfreudigen, charismatischen Frontmann Bon Scott fasziniert die Menschen – AC/DC gelten als die heißeste Rock-Band der Welt.
Als sich die Siebziger ihrem Ende zuneigen, sind die Australier auf dem bisherigen Höhepunkt ihrer Karriere angelangt: Ihr Album HIGHWAY TO HELL hat sich allein in den USA über 500.000 Mal verkauft, die Band bekommt eine Goldene Schallplatte verliehen. In England klettert die Scheibe auf Platz acht der LP-Charts. Der Band stehen alle Türen offen. Doch es kommt anders. Die exzessive Sauftour durch Camden, einem Stadtteil von London, nimmt ein tragisches Ende: Bon Scott erstickt im Auto seines Freundes Alistair Kinnear an seinem Erbrochenen. Er wird 33 Jahre alt. Seine Band-Kollegen sind am Boden zerstört. „Wenn man jung ist, fühlt man sich unsterblich“, sagt Angus Young rückblickend, „doch nach dem Tod von Bon fühlte ich mich plötzlich erwachsen, und zwar auf eine schreckliche Art und Weise.“
Nach Scotts Beerdigung, die am 29. Februar 1980 in Fremantle stattfindet, beraten die verbliebenen AC/DC-Mitglieder über ihre Zukunft. Sie wissen nicht, was sie tun sollen. Dann stößt Bon Scotts Vater Chick zu ihnen und redet den Vier gut zu. Er ermutigt sie zum Weitermachen. „Seine Worte waren: ,Er hätte dasselbe getan!‘ Und wir spürten irgendwie, dass wir Bons Segen hatten.“ Augus und Malcolm Young, Cliff Williams und Phil Rudd fliegen daher zurück nach England, arbeiten jedoch nicht weiter an neuen Songs. Jeder zieht sich zurück und verarbeitet den Verlust auf seine Weise.
Wochen vergehen, nichts passiert. Malcolm ist es, der schließlich darauf drängt, neue Stücke zu schreiben. Zunächst sind es nur die beiden Brüder, die ihre Gitarren aus der Ecke holen und drauflos rocken – es ist mehr Therapie als fokussiertes Songwriting. Doch es hilft ihnen, über die Ereignisse hinweg-zukommen. Zudem haben sie ein Ziel: Sie wollen zumindest die Songs zum Abschluss bringen, an denen sie zuletzt mit Bon gearbeitet haben. Einer davon basiert auf einem Riff, der Malcolm während eines Soundchecks eingefallen ist. Ein weiterer Track ist bereits aufgenommen – und zwar mit Bon an den Drums. Einen Text gibt es jedoch nicht. Bei der Sichtung des Song-Materials wird den Geschwistern schnell klar: Die Lieder haben enormes Potenzial, aber es geht nicht ohne einen neuen Sänger.
Mitte März begeben sie sich auf die Suche. Ihnen ist klar, dass es kein leichtes Unterfangen wird. Bon hat sich im Laufe der Jahre einen Ikonen-Status errockt – sein einnehmendes Wesen, seine markante Stimme und nicht zuletzt Coolness machen ihn einzigartig. Er ist das Aushängeschild der Band, Glücksbringer und Rampensau in einer Person. „Bon hat AC/DC zusammengehalten, niemand hatte mehr Einfluss auf die Band als er. Es ist sein Verdienst, dass wir als Einheit wahrgenommen worden sind“, betont Malcolm Young.
Eine derartige Persönlichkeit zu ersetzen ist unmöglich. Das weiß auch die Band. „Wir wollen niemand engagieren, der Bon imitiert“, gibt Angus Young vor den Auditions in der englischen Musikzeitschrift „Sounds“ zu Protokoll. „Der neue Sänger soll definitiv anders sein, eine eigene Note mitbringen.“ Doch das ist nicht so einfach, daher stehen nur wenige Kandidaten auf der Liste. Hinzu kommt der enorme Druck: Bon Scott ist erst wenige Wochen tot, die verbliebenen Band-Mitglieder hatten also kaum Zeit, sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass ein neuer Frontmann seine Rolle übernimmt. Wer kann in einer solchen Situation schon locker an ein Vorsingen herangehen? Doch die Band blickt nach vorne: Die depressive Stimmung, die direkt nach der Beerdigung geherrscht hat, ist verflogen. Das starke neue Song-Material beflügelt sie. „Wir werden alles daran setzen, um ein großartiges Album aufzunehmen“, verspricht An-gus im Interview. „Wenn bei den Auditions jemand dabei ist, mit dem wir uns auf Anhieb gut verstehen und der musikalisch zu uns passt, können wir direkt ins Studio gehen. Die Tracks sind alle fertig komponiert und arrangiert. Uns fehlt nur das letzte Puzzlestück: ein geeigneter Sänger.“
Ganz oben auf dem Wunschzettel der AC/DCs steht ein Name: Brian Johnson. Doch der ist nicht aufzufinden. Nach dem Aus von Geordie taucht er ab, niemand im Musikbusiness weiß, wo er sich aufhält. „Für die Jungs schien es so, als wäre ich plötzlich vom Erdbogen verschluckt worden“, berichtet Johnson. Mit seinem Rückzug aus dem Rock-Geschäft verbaut sich der Sänger beinahe die Chance auf den Job bei AC/DC, denn er rutscht von der Top-Position der Kandidatenliste immer weiter nach unten, je länger die Suche nach ihm dauert. Dabei hat er die allerbesten Voraussetzungen: Bon Scott höchstpersönlich war nämlich Fan von Johnson. Er hat ihn bei einem Geordie-Gig live gesehen und Angus danach von der „besten Little Richard-Improvisation“ vorgeschwärmt, die ihm je untergekommen sei. Johnson habe sich nicht nur die Seele aus dem Leib geschrien, sondern sich dabei auch noch wie ein Irrer hin und her gewälzt. Scott ist begeistert. „Bon hat sich nur sehr selten euphorisch über Musik oder eine Performance geäußert“, erinnert sich Angus Young. „Das war eine absolute Ausnahme!“