Ich klage dem amüsierten Vivian Campbell mein Leid. „Da sind doch zwei Whiskeyflaschen“, grinst er. Aber die sind doch noch nicht mal offen. „Das werden sie sein“, versichert er mir. „Vor der Show ist ein Kurzer Pflicht. Das fing vor ein paar Jahren an, als unser damaliger Tourmanager mitten im Konzert eine Flasche Jameson‘s nahm und unserer Crew einschenkte. Das machen wir jetzt auch, außer Phil. Aber es stimmt schon, wir werden heute Abend nicht unbedingt das Zeug wegbechern.“ Oh Mann, soll das ein Witz sein? Ein Kurzer? „Die Leute verwechseln uns mit den Mötley Crües und Faster Pussycats, aber mit denen hatten wir nie etwas zu tun. Die amerikanischen Glam-Metal-Bands von der Westküste wollten einem Image entsprechen. Ein Typ wie Nikki Sixx musste sich mit einer Flasche Jack Daniel‘s fotografieren lassen, darüber reden, wieviel er am Abend zuvor gekokst und wieviele Mädels er gevögelt hatte. Wir sind, was solche Sachen betrifft, doch eher britisch veranlagt, viel bescheidener. Und die Musik kam wirklich an erster Stelle.“
„Ich weiß nicht, wie uns irgendjemand mit diesen Leuten verwechseln könnte“, lacht Elliott. „Wir waren doch nicht mal da, als all diese sogenannten Glam-Bands aufkamen. Stattdessen nahmen wir in Holland HYSTERIA auf. Als die jede Menge Chicks bumsten, sahen wir uns Windmühlen an und spielten Billard auf einem Tisch ohne Taschen. Wir waren so weit von L.A. entfernt, wie man es nur sein konnte.“ Campbell fährt fort: „Diese Band hatte auf jeden Fall schon immer ein sehr starkes Arbeitsethos. Wir hatten immer Spaß – und auf der ADRENALIZE-Tour ging es auch ziemlich verrückt zu –, aber das war immer das Wichtigste für uns. Viele Leute in dieser Szene glaubten, sie brauchten Exzess, um Erfolg zu haben, aber so habe ich das nie gesehen. Kokain habe ich in meinem Leben noch nie genommen. Ich trinke ganz gerne mal, aber ich wollte immer mehr ein Musiker als ein Rockstar sein. Und das sehe ich bis heute so.“
Dass das nicht nur hehre Worte sind, zeigt sich in dem Gespräch, das immer und immer wieder zur Musik zurückkehrt, zu ihrer unsterblichen Liebe für den Rock‘n‘Roll und dazu, welche Ehre es für sie ist, ein Teil davon zu sein.
Was eine passende Überleitung zu ihrem neuen Album ist. DEF LEPPARD ist die abwechslungsreichste, eklektischste Songsammlung ihrer gesamten Laufbahn. Die Vorabsingle ›Let‘s Go‹ ist der klassische Leppard-Arena-Sound, wie er im Buche steht, und wird mit massiven Hooks und endlosen Refrains alle Diehard-Fans begeistern. Doch je tiefer man in dieses Werk eintaucht, desto interessanter wird es. Und das soll auch so sein. Schlagzeuger Rick Allen: „Für mich geht es bei dieser Platte darum, keine Angst davor zu haben, der Musik Tribut zu zollen, die mich inspiriert hat – von den Beatles über Queen zu den Rolling Stones. Ich habe mein Bestes gegeben, um John Bonham nachzuahmen, was ich so noch nie gemacht habe. Es herrschte ein Gefühl echter Freiheit, dass wir die Songs schreiben konnten, die eine Hommage an diesen Teil unserer Jugend darstellen sollten.“ „Ich habe es geliebt, diese Songs zu machen“, fügt Collen hinzu. „Das ist das Befreiendste, was wir je tun durften. Wir mussten uns keine Sorgen über ein Label machen, so konnte es einfach nur fließen. Deswegen ist es so vielseitig. Und wir sind mittlerweile bessere Produzenten, Arrangeure und Songwriter als je zuvor.“