Für viele ist er immer noch Gott. Für andere ist er der Hausfrauen-Liebling, der nur wenig mit Rock zu tun hat. In diesem exklusiven und ehrlichen Interview spricht der Gitarrenheld über 50 Jahre voller Höhen (professioneller wie chemischer Art) und Tiefen, Liebe und das Überleben gegen alle Widerstände.
Fragt man einen Rockmusiker, wie es ihm geht, erhält man als Antwort meist ein höfliches, aber beiläufiges „Danke, gut“. Nicht bei Eric Clapton. Nein, er ist um einiges mitteilsamer. Was vielleicht überrascht, auch wenn sein lyrisches, oft überwältigend emotionales Gitarrenspiel über die vergangenen 50 Jahre den einen oder anderen Hinweis geliefert haben könnte, warum das so ist.
Anlässlich der Veröffentlichung seines 23. Albums I STILL DO hat CLASSIC ROCK eine exklusive Audienz mit dem legendären Gitarristen gewährt bekommen. Und in seiner Antwort auf die Frage nach seinem Wohlergehen ergreift er die Gelegenheit, von seinen jüngsten Problemen zu berichten. „Ich hatte über das vergangene Jahr ziemlich viel Schmerzen“, verrät Clapton, mittlerweile 71. „Es fing im Kreuz an und wurde zu dem, was man periphere Neuropathie nennt. Das fühlt sich an, als würden einem Stromschläge durchs Bein fahren. Und ich musste herausfinden, wie man mit so einigen anderen Nebenwirkungen des Alterns klar kommt.“
Wenn das nun klingt wie die Begegnung mit einem jammernden Rentner an der Bushaltestelle, sollte man sich wohl daran erinnern, dass Clapton nicht nur einer der gefeiertsten Instrumentalisten der Rockgeschichte ist, sondern auch einer ihrer unersättlichsten Omnitoxikomanen. „Ich bin ja ein rekonvaleszenter Alkoholiker und Drogensüchtiger. Insofern finde ich es großartig, überhaupt am Leben zu sein. Eigentlich hätte ich schon vor sehr langer Zeit ins Gras beißen sollen. Doch aus irgendeinem Grund wurde ich den Fängen der Hölle entrissen und bekam noch eine zweite Chance.“
Angesichts dieser Offenherzigkeit schon in den ersten Minuten unseres Interviews haben sich sämtliche Sorgen, er könne ein schwieriger Gesprächspartner sein, als unbegründet erwiesen. Man hatte mich gewarnt, dass er unter Umständen nur widerwillig in seiner Vergangenheit graben – was jeder Musikliebhaber bei einem Künstler seines Formats sicherlich gerne täte – und stattdessen lieber über sein neues Album reden würde. Als ich also zaghaft einen kompletten Überblick über seine unglaubliche, wenngleich turbulente Reise inklusive aller Stationen vorschlage, von The Yardbirds über The Blues Breakers und Cream zu Blind Faith und Derek & The Dominos und darüber hinaus, rechne ich schon mit einem höflichen, aber bestimmten Nein. Seine tatsächliche Antwort fällt aber ungleich erfreulicher aus: „Tu, was du willst“, sagt er entspannt.
Im Oktober 1963 stieg Anthony Topham bei den Yardbirds aus und wurde durch den 18-jährigen Kunststudenten und Gitarristen Eric Clapton ersetzt, der gerade The Roosters verlassen hatte. In dieser Besetzung wurden sie zu einer der vollkommensten Rhythm‘n‘Blues-Bands Großbritanniens und ernsthaften Rivalen der Rolling Stones.
Ist es wahr, dass du in den Anfangstagen in Ken Colyers 51 Club in der Londoner Charing Cross Road für Mick Jagger eingesprungen bist, wenn er Halsweh hatte?
Es war nicht dort. Die Stones spielten immer an einem Ort namens The Ealing Club, und das war folglich in Ealing, gegenüber eines Pubs namens The Feathers. Da habe ich das glaube ich getan. Sie traten fast
jeden Samstagabend dort auf, zu einer Zeit, als natürlich noch Brian Jones bei ihnen war, und ich bin mir nicht sicher, ob sie damals überhaupt einen Bassisten hatten.
Wie gut waren die Yardbirds zu dieser Zeit im Vergleich mit den Rolling Stones?
Etwa gleich gut. Ich denke, Keith [Relf, Sänger] tat sich schwer, denn er hatte nur eine Lunge und litt an Asthma. Seine Fähigkeit, alles zu geben, war also eingeschränkt. Die Stones waren etwas älter als wir und in Sachen Selbstsicherheit und Erfahrung schon ein bisschen weiter. Die Yardbirds folgten ihnen also. Wir würden sie nie einholen, aber ich glaube, dass wir eine Zeitlang, als wir in den Clubs spielten und sie beschlossen, Stars zu werden, ziemlich ebenbürtig waren.
Was war der erste Song mit den Yardbirds, bei dem du so richtig loslegen und deinen Stempel aufdrücken konntest?
Wir spielten immer ein Instrumental [von Memphis Slim] namens ›Steppin‘ Out‹ oder machten lustige Sachen, etwa [Howlin‘ Wolfs] ›Smoke stack Lightning‹ neben [dem Popsong] ›Hang On Sloopy!‹ zu bringen. Und oft ging es darum, diese künstlichen Crescendi zu erzeugen, was dann zu einem Haufen pseudovirtuosem Lead-Gitarrenspiel führte.
1964 wurden die Yardbirds, deren Bekanntheitsgrad ebenso schnell zunahm wie Claptons, eingeladen, als Vorgruppe für den Blueser Sonny Boy Williamson zu touren. Was man vielleicht für ein prestigeträchtiges Angebot halten konnte, doch Clapton mit seinem enormen Fachwissen über den Blues war klar, dass es sich dabei nicht um den echten Sonny Boy handelte, der ›Good Morning, School Girl‹ geschrieben hatte und mit einem Eispickel umgebracht worden war. Stattdessen war dies ein Ersatz, dessen wahrer Name Rice Miller lautete und der zur Vermeidung von Verwechslungen als Sonny Boy Williamson II firmierte.
Glaubst, dass Sonny Boy Williamson II von deinem Gitarrenspiel genauso überwältigt war wie die Zuschauer?
Nein, das denke ich nicht. Ich glaube nicht, dass ihn irgendwas davon beeindruckt hat, sondern eher, dass er völlig enttäuscht war. Das erfuhr ich, als ich mich mal mit Robbie Robertson [später bei The
Band] zu einem Gespräch zusammensetzte. Er kannte Sonny Boy sehr gut und sagte, dass der nach der Tour mit uns nach Amerika zurückkam und ziemlich schlimme Dinge über uns und das, was wir da taten, sagte. Er hielt wirklich nicht viel von uns.
Dennoch muss es ganze Legionen junger männlicher Bewunderer gegeben haben, die ebenso sehr deinetwegen kamen wie für Frontmann Keith Relf. Das war doch sicher ungewöhnlich, oder? Ein Instrumentalist, der seine eigenen Fans hatte.
Da gab es auch Mädchen! Ich hatte ein nette kleine Gefolgschaft, bis ich [1965] ausstieg. Dann kam diese Grauzone, in der ich mich mit 19 oder was auch immer „zur Ruhe gesetzt“ hatte. Dann stieg
ich bei John Mayall ein und diese Leute folgten mir dorthin. Ich hatte großes Glück. Letztlich denke ich, sie sprachen genauso wie ich auf das an, was ich da kanalisierte, nämlich den Blues.
Brachtest du neben der Emotion auch den Wunsch zum Ausdruck, technisch brillant zu sein?
Nein, ich kanalisierte Musik. Ich gab das wieder, was ich auf den Platten der Künstler hörte, die ich verfolgte und von denen ich zu lernen versuchte: Freddie King, BB King, Buddy Guy. Ich verschmolz
all diese Typen zu einer neuen Form. Und ich denke, das gefiel den Leuten. Vielleicht haben sie auch Dinge darauf projiziert, aber für mich ging es einzig und allein darum, sie für das zu begeistern, was ich liebte: alte Musik.
Einer dieser Menschen, die du „begeistert“ hast, war Ronnie Spector, nicht wahr? Du warst mit den Ronettes auf Tournee und laut deiner Autobiografie hat sie sich eines Abends an dich rangemacht. Du sagst, du seist in sie vernarrt gewesen, und dass sie „die sexuellste Kreatur war, die ich je gesehen hatte“.
Ja! Na ja, das war doch interessant, oder? Und ich glaube, sie sagte zu mir .. Denn wir tourten drei Monate lang in einem Bus durch ganz England. Kannst du dir das vorstellen? Wir spielten in jedem Kino und jedem Theater überall im Land, mit Billy J Kramer und allen möglichen Leuten. Jedenfalls sagte sie, dass ich sie an Phil [Spector] erinnerte. Er ist ja auch so ein kinnloses Wunder. Und tatsächlich sehen – oder sahen wir damals – einander ziemlich ähnlich. Doch das war eine recht kurzlebige Romanze, glaub‘s mir.