Vor dem Gespräch mit Mick Fleetwood im Londoner Berkeley Hotel ist erst mal Sesselwechsel angesagt. Das Sitzmöbel, in dem der Zweimetermann seine letzten Interviews führte, ist ihm zu gemütlich. „Das ist gefährlich“, sagt er, „womöglich nicke ich weg.“
Die Gefahr besteht dann allerdings in unserer folgenden Unterhaltung keine Sekunde, im Gegenteil. Der Fleetwood Mac-Gründer erzählt sehr lebendig, unterstreicht seine Ausführungen mit prägnanten Gesten, lacht oft und bricht zwischendurch sogar kurz in Tränen aus. Es ist ja auch eine sehr wechselhafte, bewegende Geschichte, die die Musiker der britisch-amerikanischen Band verbindet. Eine Geschichte, die Mick Fleetwood, Stevie Nicks, Lindsey Buckingham und John McVie anlässlich der bevorstehenden Tournee und der Wiederveröffentlichung ihres 1977er Erfolgsalbums Rumours als Dreier-CD mit Live- und unveröffentlichten Studioversionen noch einmal durchlebten.
Die Ehe zwischen Christine und John McVie war auseinandergegangen. Stevie Nicks und Lindsey Buckingham trennten sich gerade. Alle stritten sich, und danach sprach man nicht mehr miteinander. Nur mit der Musik klappte es noch. RUMOURS verkaufte sich mehr als 40 Millionen mal.
Na, das ist ja ein Coup – Tournee und RUMOURS-Neuveröffentlichung zur selben Zeit!
Das sieht nur so aus. Vor ungefähr drei Jahren entschieden wir, welches Material in die Box kommen sollte. Damals dachten wir, dass sie viel schneller erscheinen würde. Ich habe keine Ahnung, warum es so lange gedauert hat. Die Plattenfirma ließ das Ganze in ihrem Archiv liegen. Dass das Album jetzt genau zu unserer Tournee erscheint, ist ein glücklicher Zufall. Bei der Plattenfirma wusste man nichts von unserer Live-Planung, als man die Veröffentlichung plante. Aber wir sind natürlich alle sehr froh, dass es so gut zusammenpasst. Nach Europa kommen wir allerdings erst im September, Oktober.
Wie fühlt es sich an, auf eine Zeitreise in die Phase Mitte der 70er zurückzukehren, als Sie im Record Plant-Studio in Sausalito an RUMOURS gearbeitet haben?
Sehr gut. Ich kann es ja kaum glauben, dass das Interesse an diesem Album immer noch so groß ist. Es wird ja immerhin in fünf Jahren 40. Und die Leute sprechen über dieses Album, als wäre es brandneu. Das macht mir klar, wie viel Glück wir gehabt haben. Dieses Album hat uns eine riesige kreative Tür geöffnet.
Und auf der persönlichen Ebene?
Oh, das war alles sehr schmerzhaft. Aber auch das ist ja eine Errungenschaft – wir haben all das irgendwie überstanden und waren weiter kreativ. Diese Liebe, die zum Teil in Hass umgeschlagen war! Vor allem Stevie und Lindsey hatten ihre Probleme. Die beiden hatten wirklich eine sehr merkwürdige Liebesbeziehung, die auf eine Art immer noch anhält. Er ist zwar inzwischen wieder verheiratet und hat Kinder, aber die Verbindung zwischen den beiden ist immer noch intensiv. Wir sind alle miteinander verbunden. Ich hatte ja eine Zeitlang auch eine Liebesaffäre mit Stevie. Und jetzt ist sie die Patentante meiner Zwillinge. Wir sind schon ein komischer Haufen.
Stimmt das, was ein Toningenieur von den Aufnahmen zu Rumours berichtete: dass Sie regelmäßig erst um sieben Uhr abends im Studio eingelaufen sind, dann erst mal bis um ein oder zwei Uhr morgens gefeiert und dann völlig betrunken mit den Aufnahmen angefangen haben?
Nein. Man kann nicht Musik in dieser Qualität machen, wenn man total betrunken ist. Wir hatten zwar den Ruf, alle anderen Rockmusiker mit denselben Schwächen zu übertreffen. Wir waren schlimmer als Elton John, Crosby, Stills Nash & Young, Led Zeppelin und die Rolling Stones. Wir waren jung, wir genossen das Leben in vollen Zügen. Wir feierten Partys und koksten und soffen und koksten und soffen. Aber wir konnten nur das schaffen, was wir erstaunlicherweise schufen, weil wir auch hart arbeiteten. Von Ernest Hemingway wird ja immer berichtet, er habe getrunken wie ein Fisch. Aber du kannst nicht die Bücher schreiben, die er geschrieben hat, wenn du die ganze Zeit bewusstlos auf dem Boden liegst. Dieser Lebensstil, von dem du gesprochen hast, der war Teil des Prozesses.
Sie meinen, das gehörte dazu?
Wir waren kreativ und arbeiteten hart. Und dann gab es Zeiten, in denen wir nicht arbeiteten. Da drifteten wir dann wieder in diese andere Welt ab. Meistens aber waren wir unglaublich fokussiert. Wir waren sehr jung, wir machten in emotionaler Hinsicht eine qualvolle Zeit durch und mussten uns gleichzeitig überlegen: Wie können wir das alles durchstehen und trotzdem in der Band bleiben? Wir waren total durcheinander. Es war knochenhart. Auf eine Art hatten wir damals also auch einen Drink verdient. (lacht)
Ihnen war nicht klar, dass Sie sich zugrunde richten?
Erst viel, viel später wurde uns klar, dass das nicht gerade gut war, was wir da machten. Wir sagten: „Wow! Wir sind damals vier Tage am Stück wach geblieben, und dann haben wir zwei Tage am Stück geschlafen.“ Kein Wunder, dass sich alles vor unseren Augen drehte. Im Rückblick war das natürlich verrückt. Aber wir waren zu sehr mit unserer Arbeit beschäftigt. Und wir hatten ja auch die Energie. Ich möchte das Ganze nicht romantisieren. Vor allem ich und Stevie wurden immer abhängiger von bestimmten Substanzen. Irgendwann hatten wir uns daran gewöhnt. Wissen Sie, was ich jetzt erst erfahren habe?
Was denn?
Mir war nie so ganz klar gewesen, warum Lindsey die Band verlassen hatte. Einen der Gründe habe ich erst kürzlich erfahren, als wir wieder über diese Zeit sprachen. Und das war wirklich ein großer Moment. (Seine Augen werden feucht) Stevie drehte sich zu Lindsey um und sagte: „Ich hatte es nie so gesehen, Lindsey, weil du es mir nie gesagt hast, aber ich habe von gemeinsamen Freunden von uns gehört, dass du damals dachtest, ich würde sterben.“ Und er drehte sich zu ihr um und sah sie an und sagte: „Ja, das stimmt, ich konnte es nicht mehr ertragen, dich so abgleiten zu sehen.“ (Wischt sich ein paar Tränen aus den Augen) Wir hatten das nicht gewusst. Diese Geschichte breitet sich jetzt erst vor uns aus. Das alles nimmt mich ziemlich mit. Jetzt erst klären Stevie und Lindsey, was damals gelaufen ist. Es wird ihnen gut tun.
(Fortsetzung auf Seite 2)