Wucan in eine plakativ beschriftete Retro-Rock-Schublade zu packen, wäre zu einfach. Zwar versprüht die Band einen deutlichen Vintage-Vibe, beruft sich jedoch im Gegensatz zu vielen ihrer Kollegen nicht nur auf eine angelsächsische Musiktradition, sondern sieht sich selbst auch im Kraut- und Ostrock verwurzelt. Auf ihrer neuen LP erweitern die Dresdener um Frontfrau und Multiinstrumentalistin Francis ihren Stil erneut und präsentieren mit HERETIC TONGUES ein spannendes, facettenreiches und vor allem wunderbar kauziges Album, das aus der Masse hervorsticht.
Francis, es war länger ruhig um euch. Was hat die Pandemie mit Wucan gemacht?
Die Pandemie hat uns in die Hände gespielt, um uns künstlerisch, inhaltlich und soundtechnisch neu zu orientieren. Wir haben uns auf die Suche gemacht nach der Musik, die wir wirklich spielen wollen.
Weil ihr das Gefühl hattet, es fehlt etwas?
REAP THE STORM war ein schwieriges Album. Das Label hatte zu große Erwartungen an uns, die wir nicht erfüllen konnten. Wir auch, doch waren wir in unserem künstlerischen Reifeprozess noch nicht so weit. Deswegen haben wir uns kritisch mit uns selbst auseinander gesetzt, nicht zwingend, weil etwas gefehlt hat. Die Elemente, die wir auf den anderen Alben hatten, sind auch jetzt noch vorhanden. Wir haben nur weiter an Songwriting, Arrangement und Sound gearbeitet. Ein bisschen wie ein Bildhauer, der hier und da noch etwas abträgt. Und das hat ewig gedauert, weil wir uns ständig gefragt haben: ‘Holt uns das ab?’ Man ist ja nicht nur Musiker, sondern auch Fan.
Sieht man da vor lauter Bäumen den Wald noch, wenn man so viel Zeit investiert?
Jein. 2020 war für uns ein introspektives Jahr, weil wir die Pandemie sehr ernst genommen haben. 2021 wohnte ich dann quasi im Studio, da steckt man schon sehr tief drin. Als es bei den Aufnahmen an die Detailarbeit ging, musste ich zwischendurch echt mal um den Block gehen, um etwas Abstand zu gewinnen. Fertig war dann alles im November 2021.
Wie fühlte es sich an, das Baby nach so langer Zeit abzugeben?
Einerseits ist da große Erleichterung, weil wir etwas geschaffen haben, das uns sehr gut repräsentiert. Auf der anderen Seite denke ich, dass das wieder nur ein Ausschnitt von uns ist. Nach dem Motto: Was wir machen, ist ein Blockbuster, aber das ist der Werbevorspann. (lacht) Ich könnte schon wieder neue Songs schreiben.
Was hat dich während der Entstehung des Albums besonders beschäftigt?
Vor allem meine private Situation, ich singe viel über zwischenmenschliche Beziehungen. Und die Corona-bedingte Introspektive. In ›Physical Boundaries‹ zum Beispiel geht es darum, dass sich Menschen nur bis zu einem gewissen Punkt nahe kommen können. Irgendwo beginnt man selbst und die andere Person endet. Das sind so Überlegungen von mir. ›Fette Deutsche‹ hingegen beschäftigt sich sozialkritisch mit der Situation in Sachsen, vor allem mit den Vorkommnissen von 2018 in Chemnitz. Philipp hat an dem Text mitgearbeitet. Wir kommen fast alle aus Haushalten, die durch Rechtsextremismus oder Querdenker tangiert wurden.
Ihr habt euch für ein Cover von ›Zwischen Liebe und Zorn‹ entschieden. Warum?
Renft und Ostrock begleiten uns schon ne Weile. In der öffentlichen Wahrnehmung kommt Ostrock viel zu kurz. Renft waren eine Band, die wirklich was bewegen hätten können. Aber kein Sack kennt die. Dabei ist das so ne wunderbare Musik. Das Cover steht exemplarisch für die ganzen anderen tollen Bands, die niemand mehr hört. Selbst Krautrock ist für viele ein Buch mit sieben Siegeln und das finde ich schade.