Auf der Flucht vor sich selbst: Paul & der Post-Beatles-Fluch.
Wie mustergültig die Auswertung längst bekannten Materials erfolgen kann, machte Yoko Ono anlässlich von Lennons 70. Geburtstag klar. Da darf Paul McCartney natürlich nicht nachstehen und schickt flugs den ersten Katalog-Klassiker seiner Reihe „Archive Collection“ ins Rennen: Nicht chronologisch, sondern mit dem ersten Millionenseller nach den Beatles, BAND ON THE RUN aus dem Jahr 1974, kontert der frisch Geschiedene.
Er offeriert vier Formate: etwa die Standard-Version mit Original-UK-Version und die Special Edition mit zwei CDs plus DVD. Immerhin schon drei CDs, eine DVD sowie ein 120-Seiten-Hardcover-Buch mit Fotos von Linda McCartney und Clive Arrowsmith offeriert die Deluxe Edition, und eine Doppel-Vinyl-Ausgabe darf auch nicht fehlen.
Warum Macca nicht so mutig war, mit seinem Debüt MC- CARTNEY zu starten, das ja 2010 den 40. Geburtstag feierte, wissen die Götter allein. Da scheint den Multimilliardär noch immer die alte Angst zu beschleichen, seine Solowerke würden qualitativ nicht an das Beatles-Vermächtnis heranreichen. Schließlich lobte die Kritik gerne überschwänglich die Solo-arbeiten seiner Kollegen – allen voran George Harrisons –, während er permanent abgewatscht wurde und Lennon mit seinem Song ›How Do You Sleep?‹ zusätzlich Öl ins Feuer goss. Doch bei dem durchweg erstklassigen Material wie ›Jet‹, ›Bluebird‹, ›Mrs. Vandebilt‹, ›Let Me Roll It‹ und ›Helen Wheels‹ stimmt einfach alles: von den prominenten Akteuren (u.a. Christopher Lee, James Coburn) auf dem Coverfoto über die Gäste Ginger Baker, Howie Casey und Remi Kabaka bis hin zu den teils von Tony Visconti kongenial arrangierten Songs.
Und um das oft verletzte Musikerherz von Paul zu beruhigen: Mit RAM hatte er schon 1971 einen Klassiker fabriziert.