Seine Finger stecken in vielen Töpfen und er hat nicht nur einen musikalischen Braten in der Röhre – Jack White ist so viel mehr als nur ein Blues-Erneuerer.
Unverzichtbar
The White Stripes
WHITE BLOOD CELLS
SYMPATHY FOR THE RECORD INDUSTRY, 2001
Das dritte White-Stripes-Album hatte eine puristische Mission: keine Covers, keine Gitarrensoli, wenige oder keine Overdubs. Wie White damals erklärte: „Die letzten 20 Jahre waren voller digitalem, technologischem Mist, der der Musik die Seele genommen hat.“ Trotz dieser Einschränkungen legte WHITE BLOOD CELLS den weißen Junge-Mädchen-Blues fürs 21. Jahrhundert neu auf. Die primitiven Gitarrentriebe reichten direkt ins Delta zurück, folgten dann den Wurzeln durch Led Zep und, wie auf dem blechernen ›Hotel Yorba‹, sogar Country Joe And The Fish. Gereizte „attitude“ gibt es hier reichlich, nicht zuletzt auf der beißenden Garage-Rock-Hymne ›Fell In Love With A Girl‹.
The White Stripes
ELEPHANT
XL, 2003
White nannte es das „englische Album“ des Duos, belegt durch britische Ausdrucksformen und die Hülle, die ihn mit einem Cricketschläger zeigt. Das Studio diente dem Duo hier als Spielplatz, wo düstere Stimmungen und aufregende neue Texturen heraufbeschworen wurden. Das pulsierende, nur aus einer Note bestehende Intro zu ›Seven Nation Army‹ detoniert plötzlich in einen Killer-Refrain, während ›I Want To Be The Boy To Warm Your Mother’s Heart‹ ein wunderschönes Slide-Gitarrensolo hat. Anderswo wird das rohe ›Black Math‹ von dem überzeugenden Cover von Bacharach/Davids ›I Just Don’t Know What To Do With Myself‹ aufgewogen. Der große Durchbruch der White Stripes und ihr Bestseller.
Wunderbar
The White Stripes
DE STIJL
SYMPATHY FOR THE RECORD INDUSTRY, 2000
Der Titel (zu Deutsch „der Stil“) und die Atmosphäre des zweiten Albums sind inspiriert von der niederländischen Kunstbewegung, der Mondrian oder Gerrit Rietveld angehörten. Die lineare Schlichtheit des Covers war ein mutiges Echo des Inhalts: minimaler R&B, der jegliche Gedanken an Abstraktion ablehnte. Diese gitarrengetriebenen Songs erwiesen sich als mächtiger als ihre Bestandteile. ›You’re Pretty Good Looking (For A Girl)‹ war eine eigentümliche Mixtur aus The Who und Ray Davies, während ›Hello Operator‹ von einem großartigen Mundharmonikasolo befeuert wird. Und dann wäre da noch die tolle Coverversion von Son Houses ›Death Letter‹.
The White Stripes
ICKY THUMP
XL/THIRD MAN, 2007
Auf ihrem letzten gemeinsamen Album spielten Jack’n’Meg wirkungsvoller mit traditionellen Musikformen als auf dem Vorgänger GET BEHIND ME SATAN. ›300 M.P.H. Torrential Outpoor Blues‹ verwandelt sich von akustischer Träumerei in berstenden Lärm, während die Start-Stopp-Schrägheit und halsbrecherischen Strophen des Titelstücks ihnen zu einer ihrer unverwechselbarsten Singles verhalfen. Auch dem ländlichen Folk wird hier mehr Zeit gewidmet, z.B. auf dem mandolinengetriebenen ›Prickly Thorn, But Sweetly Worn‹ oder ›St. Andrew (This Battle In The Air)‹ mit Megs seltsamer Stimme und einer dicken Portion Dudelsack. Eingefleischte Rocker konnten dagegen zu dem Boogie von ›Rag And Bone‹ die Mähne schütteln.
The Raconteurs
CONSOLERS OF THE LONELY
XL/THIRD MAN, 2008
Whites zweites Album mit Brendan Benson und The Raconteurs erschien etwas über zwei Wochen nach seiner Fertigstellung, angeblich, um all den Medienhype zu umgehen. Auch die Musik war ungewöhnlich und erforschte ein breiteres Spektrum amerikanischer Spielarten. ›The Switch And The Spur‹ war eine staubverkrustete Wüstenoper, die eines Ennio Morricone würdig gewesen wäre. ›Old Enough‹ und ›Carolina Drama‹ standen in der Schuld ländlicher Country-Traditionen, während ›Both Hold Up‹ und ›Five On The Five‹ mit reichlich Feuer im Hintern und mächtigen Riffs voranstürmten.
Jack White
BLUNDERBUSS
XL/THIRD MAN, 2012
Whites Soloalbum läutete eine neue Farbgebung – alles war in Blau getaucht – und eine musikalische Neuausrichtung ein. Größtenteils von Größen der Memphis-Szene unterstützt, fühlt sich BLUNDERBUSS wie eine feine Southern-Soul-Platte an, die ihre Kraft oft aus einer Orgel und einem Rhodes-Klavier bezieht. Dass die Arrangements wesentlich reduzierter als auf seinen jüngeren Arbeiten mit The Raconteurs und The Dead Weather ausfallen, lässt ›Sixteen Saltines‹ oder ›I’m Shakin’‹ umso ruppiger klingen. Obwohl nach seiner Scheidung von Sängerin/Model Karen Elson geschrieben, spricht die vorherrschende Stimmung hier eher von leidenschaftlicher Wiederbelebung als morbider Nabelschau.
Anhörbar
The White Stripes
GET BEHIND ME SATAN
XL, 2005
Falls immer noch jemand glaubte, die Stripes seien nur ein minimalistisches Lo-Fi-Duo mit einer chronischen Blues-Fixierung, wurde mit diesem fünften Album endgültig eines Besseren belehrt. Vom seltsamen Folk-Gerassel auf ›Little Ghost‹ zu ›The Nurse‹ mit seiner Marimba hört man hier Studio-Feinarbeit und echtes Handwerk. ›Red Rain‹ mit Jacks flinker Slide-Gitarre und dem wuchtigen Zeppelin-Riff sticht ebenso hervor wie ›As Ugly As I Seem‹, eine feinsinnige Akustiknummer mit zackigem Rhythmus. Megs Stimme erzählt die gesamten 35 Sekunden von ›Passive Manipulation‹, doch nicht minder kurios ist ›Take, Take, Take‹, die Geschichte eines alten Säufers, der in seiner Stammkneipe einem Hollywoodstar der 40er begegnet.
The Raconteurs
BROKEN BOY SOLDIERS
XL, 2006
Als White sich mit Brendan Benson und der Rhythmussektion der Garage-Rocker The Greenhornes zusammentat, konnten beide Herren Neigungen nachgeben, die in ihren Hauptjobs tabu waren. Benson konnte seine Metal-Fantasien ausleben, während White seine poppigere, melodischere Seite erforschte. Die Vorabinfo versprach „gigantische Songs“ irgendwo zwischen Cat Stevens und Led Zep. Die erste Single ›Steady, As She Goes‹ beeindruckte, doch die folgenden waren weit weniger erfolgreich. Die zwei wahren Hits sind ›Broken Boy Soldier‹, das klingt wie eine Neuinterpretation von Black Sabbath der frühen 70er, und das orientalisch angehauchte ›Intimate Secretary‹.
The Dead Weather
SEA OF COWARDS
THIRD MAN/WARNER, 2010
Nicht mal zwölf Monate nach ihrem durchwachsenen Debüt waren The Dead Weather – angeführt von White und Mosshart – hier zu einer richtigen Einheit zusammengewachsen. Klugerweise teilten sie sich die Gesangsaufgaben, wo White alles mögliche Jaulen, Knurren und finstere Geflüster von der Leine ließ. Auf ›Blue Blood Blues‹, einem hüftenwackelnden Hit, der wie ein eigenartig dämonischer Bo Diddley klingt, hat er sichtlich Spaß, während auch die Duette mehr Pfeffer im Hintern haben als auf HOREHOUND. Die besten Beispiele sind das funkige ›Hustle And Cuss‹ und der scheppernde Metal von ›I’m Mad‹.
Sonderbar
The Dead Weather
HOREHOUND
THIRD MAN/COLUMBIA, 2009
Angesichts des hohen Niveaus seiner Qualitätskontrolle gibt es keine wirklichen Aussetzer in Jack Whites Backkatalog. Dieses Projekt mit Alison Mosshart von The Kills als The Dead Weather wurde aber vielleicht weniger gefeiert. HOREHOUND, selbstdeklariert als „Gothic Blues“, ist das weniger bemerkenswerte der beiden Alben, die die Band gegen Ende der Karriere der Stripes aufnahm. Das größte Problem ist Mosshart, deren Gesang dominiert, während White sich größtenteils mit dem Schlagzeug zufriedengibt. Dem Resultat mangelt es zwar nicht an Dynamik, doch größtenteils klingt es wie eine ungestüme Annäherung an Led Zeppelin oder bessere Platten von Blue Cheer.