Über fünf Jahrzehnte hat der Singer/Songwriter eine ganze Schmuckschatulle an zeitloser Musik angehäuft, die Genregrenzen schon immer mühelos überwand.
Unverzichtbar
THIS YEAR’S MODEL (1978)
So alarmierend wie auf seinem zweiten Album (dem ersten mit The Attractions) war Costello nie wieder. Er begriff instinktiv, dass die Tür, die der Punk aus den Scharnieren getreten hatte, bald einen neuen, verstärkten Rahmen bekommen und ihn ausschließen würde. Seine Musik transportiert ihre Botschaft mit absolut forensischer Präzision. THIS YEAR’S MODEL war luft- und wasserdicht, scharfsinnig und gnadenlos („du willst sie zerbrechen mit ihrem Mund weit offen“, sang er auf dem Titelstück), und Lieder wie ›Pump It Up‹, ›(I Don’t Want To Go To) Chelsea‹ und ›Night Rally‹, die Hasstirade gegen die radikale National Front, bewiesen, dass Elvis Costello alles andere als ein kurzlebiges Phänomen war.
SPIKE (1989)
Nachdem er gerade einen weltweiten Vertrag bei Warner unterschrieben hatte, beschloss Costello, dass sein erstes echtes Soloalbum so teuer wie ausladend werden sollte. Aufgenommen wurde es in drei Ländern und mit einem Budget, das er als das „eines Independent-Films“ bezeichnete. Und so zeigt SPIKE den Sänger in Reinkultur, begleitet von zahlreichen Gästen und sogar geadelt von zwei Co-Autoren-Credits eines gewissen Paul McCartney. Langjährige Fans mochten sich fragen, wo die einstige Intensität geblieben war (sie war immer noch da, wurde aber sparsamer eingesetzt), doch alle anderen hörten eine erstaunliche Liedersammlung, die ein Spektrum so breit wie ein Canyon umspannte.
Wunderbar
MY AIM IS TRUE (1977)
Costellos Debüt ist vor allem dafür bemerkenswert, dass es entstanden ist. Schon bevor er es in Angriff nahm, war er ein Mann, dessen Zeit vorbei schien: ein folkiger Singer/Songwriter, der fand, dass die erste Platte von The Clash klang wie „ein Seelöwe, der über einen Haufen Presslufthämmer bellt“. Dennoch hörte er sie sich einen ganzen Abend lang auf Kopfhörern an und schrieb am nächsten Tag ›Watching The Detectives‹, ein Stück, das zum Klassiker avancierte. Bei seinem Erscheinen erhielt MY AIM IS TRUE viel Kritikerlob. Zu Recht, schließlich umfasste es auch das bittersüße Meisterwerk ›Alison‹.
ARMED FORCES (1979)
Das zweite Album mit The Attractions war das erste der Band, das in den USA Goldstatus erreichte. In Großbritannien wurde es von der Hitsingle ›Oliver’s Army‹ vorangetrieben, bis heute Costellos bekanntestes Stück. Dabei war dieser Karaoke-Klassiker ursprünglich als B-Seite vorgesehen, bis Keyboarder Steve Nieve beschloss, den Klavierakkord aus ABBAs ›Dancing Queen‹ zwischen Strophen und Refrain einzubauen – ein Superhit war geboren. Außerdem findet sich hier der Evergreen ›Accidents Will Happen‹, das tiefdunkle ›Sunday Best‹ und das von Bebe Buell inspirierte ›Party Girl‹.
IMPERIAL BEDROOM (1982)
Vor der Veröffentlichung von IMPERIAL BEDROOM – Costellos siebtem Album und dem sechsten mit The Attractions – schaltete sein US-Label Columbia ganzseitige Anzeigen mit einer einzigen Frage: „Meisterwerk?“ In seinen besten Momenten (die schleichende Bedrohung von ›Shabby Doll‹, die Fabergé-Zerbrechlichkeit von ›Town Crier‹, um nur zwei zu nennen) ist die Antwort ein klares Ja. Ebenso beeindruckend ist, mit welcher Leichtigkeit Costello der Welt der Mitsing-Hits die andere Wange hinhielt. Auch die Attractions liefern hier einige ihrer besten Darbietungen ab.
KING OF AMERICA (1987)
Costellos erste vom heute legendären T Bone Burnett produzierte Platte war eine ziemlich schwere, komplizierte Geburt. Die besten Stücke auf diesem größtenteils akustischen Werk gehören zu seinen absoluten Highlights, etwa ›Our Little Angel‹, ›American Without Tears‹ und ›Sleep Of The Just‹. Die Attractions sind dabei nur auf einem der 15 Tracks zu hören, doch man hatte sie glauben lassen, dass das gesamte Album mit ihnen entstehen würde. Was gewaltigen Unmut nach sich zog und erst zum Zerfall, schließlich zum endgültigen Aus der Band führte.
Anhörbar
BLOOD & CHOCOLATE (1986)
Das letzte Album mit den Attractions für acht Jahre, doch nicht nur dieses biografische Detail zeigt, dass BLOOD & CHOCOLATE in einer Phase des Chaos entstanden war. Es klingt nicht nur roh, sondern eher wie eine noch blutende Fleischwunde, ein gequältes und klaustrophobisches Stück Musik, das u. a. das zermürbende ›I Want You‹ enthält – ein Lied von so unerträglicher Intensität, dass Bassist Bruce Thomas Costello sagte, diese Art von Material sollte er lieber einem Psychologen statt einem zahlenden Publikum vortragen – sowie das aufregend kluge ›Tokyo Storm Warning‹. So großartig wie verstörend.
ALL THIS USELESS BEAUTY (1997)
Diese letzte Platte mit den Attractions (nach dem Weggang von Bassist Bruce Thomas verwandelten sie sich in The Imposters) ist ein so umwerfender wie unterschätzter Schwanengesang. Zudem waren diese zwölf Songs das letzte Originalmaterial von Costello, das Warner veröffentlichte – zu einem Zeitpunkt, als sie in etwa so fähig in der Vermarktung ihres Künstlers waren wie ein Hund im Lesen von Verkehrsschildern. Dennoch ist ALL THIS USELESS BEAUTY ein Meisterwerk sowohl subtiler als auch eindringlicher Arrangements und glänzt mit Liedern, deren Bandbreite bemerkenswert ist.
NATIONAL RANSOM (2010)
Das vornehmlich akustische NATIONAL RANSOM, produziert von T Bone Burnett, sticht vor allem dadurch heraus, dass es Costellos erstes offen politisches Stück in über 15 Jahren enthält. „Sie laufen Amok, wie ein kindlicher Tobsuchtsanfall“, sang er über die Räuberbarone der Banken, die die Welt in die Rezession getrieben hatten. Dazu gab es mit ›Jimmy Standing In The Rain‹ ein Lied über einen Cowboy-Sänger, der in den 30er Jahren durch die Kohlestädte in Englands Norden zieht, um ein Publikum für seine angestaubte Musik zu finden. Man ahnte, was man von diesem rastlosesten aller Künstler zu erwarten hatten: das Unerwartete.
Sonderbar
GOODBYE CRUEL WORLD (1984)
„Herzlichen Glückwunsch“, schrieb Elvis Costello auf der Reissue seiner Neunten, „Sie haben soeben unser schlechtestes Album gekauft.“ Dennoch wäre es falsch, zu sagen, dass GOODBYE CRUEL WORLD vom Fundament bis zur Kaminspitze baufällig sei. Es enthält viele tolle Songs – etwa ›The Comedians‹ oder das wunderbar maßvolle politische Manifest ›Peace In Our Time‹ –, doch die Produktion und die Arrangements sorgen leider dafür, dass die feinsinnigeren Qualitäten nur schwer auszumachen sind. Außerdem ist es Costellos einzige Platte, die heute überholt klingt, und zwar so richtig.