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Tom Petty: Ganz oben, ganz unten

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Tom Petty: Ganz oben, ganz unten

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In den 90ern kracht Tom Pettys bisheriges Leben zusammen. Mittendrin nimmt er mit Rick Rubin ein Meisterwerk auf. Es mache ihm Angst, sagt er später darüber. Eigentlich soll es ein Doppelalbum werden, die Plattenfirma ist dagegen. Jetzt erscheint WILDFLOWERS so, wie es ursprünglich geplant war.

„Es ist schwierig für mich. Wenn ich kein Projekt habe, fühle ich mich mit nichts verbunden. Ich glaube nicht mal, dass das gesund für mich ist. Ich will raus aus dem Bett und was zu tun haben.“ Das erzählt Tom Petty im September 2017 dem Journalisten Randy Lewis von der Los Angeles Times. Es ist sein letztes Interview, bevor er wenige Tage später an einer versehentlichen Überdosis Schmerzmittel stirbt. Petty hat damals gerade die Tour zum vierzigsten Jubiläum von Tom Petty & the Heartbreakers beendet, bei der ihm ein Haarriss in der Hüfte zu schaffen machte, und schon wieder neue Projekte vor sich. Er hat beschlossen, das zweite Album der Shelters zu produzieren, einer jungen Band aus Los Angeles. Dazu will er mit seiner Radioshow „Tom Petty’s Buried Treasure“ weitermachen. Am allerwichtigsten aber ist ihm eine andere Sache, und an der arbeitete er damals schon länger.

An einem Abend zwei Jahre zuvor ist er auf dem Weg zum Haus von Rick Rubin in Malibu. Im Gepäck hat er alte Aufnahmen, die er dem Produzenten vorspielen will. Sie stammen aus der Zeit, als die beiden zum ersten Mal zusammengearbeitet haben. „Wir hörten uns die Sachen an und es haute mich wirklich um“, erinnert sich Rubin 2017 im Broken Record Podcast an den Tag. „Ich hatte eine vage Erinnerung an die Songs, aber bei manchen dachte ich im Nachhinein: ‚Wow, was für ein großartiger Track! Wie konnte der uns damals nur durch die Lappen gehen?‘“ Damals, das ist 1994, und die Aufnahmen, die Petty Rubin 2015 vorspielt, sind nicht verwendete Überbleibsel von den Aufnahmesessions zu seinem Album WILDFLOWERS. Dem Songwriter schwebt eine Wiederveröffentlichung seiner zweiten Soloplatte vor, mit bisher unveröffentlichten Liedern.

Im September 2017 steht der Plan immer noch, und nach der abgeschlossenen Jubiläumstour mit den Heartbreakers soll es jetzt endlich so richtig losgehen. Nicht nur will Petty WILDFLOWERS in neuer Form rausbringen, sondern auch Konzerte geben. Aber keine Stadionshows, sondern kleinere und eher akustische Auftritte, ohne die obligatorischen Hits. „Er wollte das ganze Album live spielen und hier und da andere Sänger dazuholen. Es sollte eine Open Experience werden“, wie Heartbreakers-Gitarrist Mike Campbell Ende September 2020 im Interview verrät. Zur Debatte stehen damals im Herbst 2017 zum Beispiel Eddie Vedder, Stevie Nicks oder Norah Jones. Es sollte ganz entspannt ablaufen, jeder in seiner jeweiligen Heimatstadt für ein paar Songs auf die Bühne kommen. Das zeigt, wie wichtig Petty WILDFLOWERS auch mehr als zwanzig Jahre nach seinem Erscheinen gewesen ist, tatsächlich hat er es immer für eine der besten Platten gehalten, die er je gemacht hat. Dabei ist WILDFLOWERS in einer für ihn komplizierten Zeit entstanden.

Anfang der 90er steht Petty kommerziell ganz oben, innen drin aber ist er ausgebrannt. Er hat sein Leben lang immer cooler gewirkt als so ziemlich jeder andere, war dabei allerdings nie einer, der die Dinge auf die leichte Schulter genommen hat. Bei der Arbeit am als Konzeptwerk über den amerikanischen Süden konzipierten SOUTHERN ACCENTS von 1985 zum Beispiel zertrümmert er sich die Hand, als er, unzufrieden mit den Aufnahmen, mit der Faust gegen eine Wand prügelt. Eine Zeit lang schaut es sogar so aus, als könne er nie wieder Gitarre spielen. Als er wiederhergestellt ist, stürzt er sich um so intensiver in die Arbeit. 1987 bringt er mit den Heartbreakers LET ME UP (I’VE HAD ENOUGH) raus, 1988 das erste Album zusammen mit den Traveling Wilburys, 1989 die erste Soloplatte, FULL MOON FEVER, 1990 das zweite Album mit den Traveling Wilburys, und 1991 wieder mit den Heartbreakers INTO THE GREAT WIDE OPEN. Dazwischen Auftritte und aufwendige Musikvideos für MTV. Er hängt mit Bob Dylan rum, mit George Harrison, Ringo Starr und Roy Orbison. Was man eben so macht, wenn man ganz oben ist.

Nach INTO THE GREAT WIDE OPEN will Petty eine Auszeit nehmen, bei der Familie, daheim in Los Angeles sein. Aber so recht haut das nicht hin mit dem Ausspannen. Es haut eigentlich überhaupt nicht hin. Denn jetzt kommen die Songs auf einmal zu ihm, und mehr als je zuvor. „Du sitzt einfach da, an deinem Klavier, mit deiner Gitarre, und bang, da sind sie – als würden sie vom Himmel fallen“, erinnert er sich in Peter Bogdanovichs monumentaler Band-Dokumentation „Runnin’ Down A Dream“ von 2007 an diese Zeit. Nicht einmal ein ganzes Jahr nach INTO THE GREAT WIDE OPEN klingelt bei Gitarrist Mike Campbell das Telefon. Es ist Petty: „Ich hab neue Songs, lass sie uns aufnehmen“.

Seine letzten beiden Platten hat er damals mit Jeff Lynne vom Electric Light Orchestra als Produzenten gemacht, der ist nebenbei auch sein Kollege bei den Traveling Wilburys. Und es hat, nun ja, Spannungen gegeben. Nicht zwischen Petty und Lynne, aber zwischen Lynne und den Heartbreakers . Bei FULL MOON FEVER zunächst noch weniger, da fühlt sich die Band vor allem von ihrem Frontmann vor den Kopf gestoßen, als der klarmacht, dass abgesehen von Campbell keiner von ihnen eine Rolle spielen wird. Er will mehr kreativen Freiraum. Im Gegenzug versichern ihm Heartbreakers-Bassist Howie Epstein und Schlagzeuger Stan Lynch denn auch, dass sie einen Track wie ›Free Fallin’‹ sowieso nicht für besonders vielversprechend halten.

Bei INTO THE GREAT WIDE OPEN von 1991 ist die Band wieder dabei. Aber so richtig gut läuft es auch da nicht. Lynne ist jemand, der gern alles unter Kontrolle hat, bei dem jeder Ton genau da und genau so sitzen muss, wie er sich das vorstellt. Er produziert eigentlich lieber Solokünstler als Gruppen, für Petty macht er eine Ausnahme. Die Heartbreakers kommen also im Studio an, bereit, loszulegen – aber so funktioniert das diesmal nicht. Stattdessen soll jeder auf einmal seine Parts einzeln aufnehmen. „Könntest du hier ein Lick spielen, und hier ding ding ding ding ding machen, so lief das. Es machte überhaupt keinen Spaß“, erinnert sich Keyboarder Benmont Tench in Bogdanovichs Doku. Drummer
Lynch sieht’s nicht viel anders: „Es ging so: Komm her, mach deinen Scheiß, hau wieder ab!“ Doch ihr Anführer hält zu Lynne: „Ich mag, was gute Platten bringt. Ist mir egal, wie’s gemacht wird, das interessiert niemanden.“

Tom Petty & the Heartbreakers mögen immer eine gleichberechtigte Band gewesen sein, mehr als Bruce Springsteen & The E Street Band das sind, aber letztlich war Petty trotzdem der Boss. Wie er sich das vorstellte, so wurde es gemacht. Lynne bleibt also bis zum Ende der Produzent von INTO THE GREAT WIDE OPEN, und die Platte verkauft sich fantastisch, nicht zuletzt dank der Nummer-1-Single ›Learning To Fly‹. Dass der Brite beim folgenden Album nicht mehr hinter den Reglern sitzt, hat also garantiert keine finanziellen Gründe. Vielleicht ist es auch ein Zugeständnis an die Band, vor allem aber ist es ein Zugeständnis an die neuen Songs. Denn die sind kein Lynne-Material.

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