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Titelstory: The Rolling Stones – Zurück in die Garage

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Titelstory: The Rolling Stones – Zurück in die Garage

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Wer BLUE & LONESOME aber nun mit dem entsprechenden Abstand hört und auch nur einen Funken Liebe für den Blues besitzt, muss zu anderen Schlüssen kommen. Das aus einem ab­­surden Zufall heraus entstandene Werk – dazu später mehr! – ist alles andere als eine Stilübung. Eigentlich ist es nicht einmal eine Rückkehr zu den Wurzeln im eigentlichen Sinne, auch wenn eine Blues-Platte bei den Stones natürlich immer auch eine Rückkehr ist.

Mick und Keith nannten ihre erste Band Little Boy Blue And The Blue Boys. Als Jagger, Richards und Brian Jones später unter ärmlichen Verhältnissen in ihrer völlig ramponierten Wohnung am Edith Grove 102 in Chelsea wohnten, spielten und hörten sie von morgens bis abends den Blues – der Gründungsmythos der Stones. Und als sie dann im Juli 1962 ihr erstes Konzert im Londoner Marquee Club spielten, bestand das Set aus Songs von Jimmy Reed, Willie Dixon, Eddie Taylor und anderen. Keine Frage: Die Stones verdanken dem Blues nicht weniger als alles. Insbesondere die elektrifizierte Variante, der Chicago-Blues, ist die Basis jeglichen Tuns dieser Band. Und auch in späteren Jahren gab es kaum ein Stones-Album, das nicht wenigstens einen mehr oder weniger lupenreinen Blues enthielt.

„The Blues had a baby and they called it Rock’n’Roll“, jeder kennt diesen Spruch von Muddy Waters, er ist in die Geschichte eingegangen. Dahinter steht natürlich auch die Realität einer zynischen, von Weißen dominierten und zumindest damals streng separierten und offen rassistischen Kulturindustrie, in der für die Urväter des Blues im Goldrausch des von den Stones und anderen losgetretenen Revivals der 60er Jahre kein Platz vorgesehen war. Das Geld verdienten weiße Mu­siker wie die Stones, Cream und die Doors. Allerdings haben insbesondere die Stones sich an dieser Form der Aus­­beutung nie aktiv beteiligt. Stets haben sie ihren Vorbildern den nötigen Res­pekt erwiesen, sie nach Kräften gefördert.

„Wir haben nie den Respekt vor dieser Musik und den Leuten, die sie gemacht haben, verloren. Die Auseinandersetzung mit dem Blues kommt bei uns von Herzen“, sagt Mick Jagger. Und genau diese Haltung zeichnet BLUE & LONESOME aus. Man spürt mit jeder Note die Demut, die tiefe Liebe zum Sujet. Weiße Rockmusiker wie Gary Moore und Aerosmith haben den Blues in den vergangenen 20, 30 Jahren vergewaltigt, entweiht, entkeimt, von der Straße in die Kaffeebars und Designstudios gezerrt. Selbst in den Bars von Chicago wird heute überwiegend eine keimfreie Blues-Variante für Touristen dargeboten, die auf das Leistungsprinzip und Anleihen bei HipHop und R&B setzt – mit dem Blues, wie Muddy Waters und Little Walter ihn verstanden, hat das nicht viel zu tun. Aber diese vier Engländer führen die musikalische Liebe ihres Lebens nun dorthin zurück, wo sie hingehört: auf die Straße und in die Köpfe und Herzen der Menschen. Mit BLUE & LONESOME haben sie dem Genre einen historischen Dienst erwiesen.

Aber wie ist es überhaupt dazu gekommen? „Es gab immer diesen ganz lockeren Plan, irgendwann einmal ein Blues-Album aufzunehmen“, sagt der Produzent Don Was, mit dem die Stones sämtliche Alben der letzten 22 Jahre gemacht haben und nun auch dieses. „Wir haben oft davon gesprochen, es aber nicht gemacht. Nun ist es soweit, es musste wahrscheinlich wirklich einfach so passieren.“ Eigentlich hatten die Stones sich im Dezember vergangenen Jahres in den British Grove Studios zu London einquartiert, um an neuen Songs zu arbeiten. Zum Aufwärmen empfahl Keith den Little-Walter-Song ›Blue And Lonesome‹. Die Band probierte den Song, alle fingen Feuer – und ehe sie sich versahen, steckten sie mitten in den Aufnahmen zu einem kompletten Blues-Album. „Irgendwie hat uns diese Session infiziert“, sagt Wood. „Plötzlich war Mick die treibende Kraft: ‚Lasst uns mal diese Jimmy-Reed-Nummer probieren, kommt, wie spielen noch einen von Muddy Waters und einen von Howlin’ Wolf.‘ Das Ganze entwickelte eine Eigendynamik, der sich niemand entziehen konnte.“

Die Dauer und den konkreten Ablauf der Aufnahmen betreffend, differieren die Erinnerungen der Stones, wie sich den Einzelinterviews auf den folgenden Seiten entnehmen lässt. (Mick Jagger stand wegen seiner Kehlkopfentzündung leider nicht für ein längeres Ge­­spräch zur Verfügung.) Im Protokoll von Don Was steht folgendes: Am Freitag, dem 11. Dezember 2015 wurden die Songs ›Blue & Lonesome‹, ›Hate To See You Go‹, ›I Gotta Go‹, ›Commit A Crime‹ und ›Just Like I Treat You‹ aufgenommen. Danach gingen die Stones ins Wochenende und am Montag, dem 14. Dezember, folgten ›Everybody Knows About My Good Thing‹, ›I Can’t Quit You Baby‹, ›Just Your Fool‹, ›Ride ’Em On Down‹, ›All Of Your Love‹ und ›Little Rain‹. In einer letzten Session wurde am Donnerstag, dem 15. Dezember, schließlich noch der ›Hoo Doo Blues‹ nachgereicht.

Die Rolling Stones, bis auf den 69-jährigen Ronnie Wood alle deutlich über 70, haben also in nur drei Tagen ein Album aufgenommen wie eine blutjunge Garagenband. Live, ohne Overdubs, die meisten Songs in nur einem Take und ohne vorher zu proben. „Als ich begonnen habe, für die Stones zu arbeiten, hatte ich noch Haare – aber so was habe ich auch noch nicht er­­lebt.“ Der PR-Manager Bernard Doherty ist eine Legende seiner Zunft. Seit den 60ern hat er Paul McCartney, David Bowie, Tina Turner und zahlreiche andere betreut. Doherty war für die Öffentlichkeitsarbeit von Live Aid verantwortlich – und arbeitet seit einer Ewig­­keit für die Sto­nes. Und jetzt hat der kahlköpfige Hü­­ne die Band während der Aufnahmen im Studio besucht. „Es war vollkommen irre“, sagt er, „wie in den alten Tagen. Im Studio ne­­­­benan arbeitete zufällig Eric Clapton. Und der kam dann einfach für eine halbe Stunde rüber, spielte zwei Songs mit den Stones und wurde dann mit einem knappen „thank you, Eric“ wieder verabschiedet, um sich erneut seinen eigenen Aufnahmen zuzuwenden.“

Clapton ist unter anderem auf dem von Willie Dixon geschriebenen und später von Led Zeppelin für ein weißes Rockpublikum popularisierten ›I Can’t Quit You Baby‹ zu hören, dem die Stones noch einmal eine ganz neue Seite abgewinnen. Slowhands patentierter Minimalismus ist elektrisierend und einen kurzen Moment lang wünscht man sich, Claptons eigene Alben würden einmal wieder so klingen. Der Kern des Werks besteht indes aus nicht weniger als vier Little-Walter-Songs, auf denen insbesondere die Bluesharp von Mick Jagger besticht. Ein Aspekt, der in der allgemeinen Betrachtung zu kurz, aber hier voll zum Tragen kommt: Jagger ist ohne Zweifel einer der besten Bluesharpisten der Welt. „Ich übe eigentlich nie, obwohl es mir großen Spaß macht“, sagt er. „Im Studio ist es wesentlich leichter, sich auf das Instrument zu konzentrieren, weil ich mich gut hören kann. Bei diesen großen Bühnen gehen die feinen Nuancen verloren.“ Hinzu kommen das superbe Boogie-Piano von Chuck Leavell, Darryl Jones’ Bass, der die Tatsache glänzend antizipiert, das auf den Originalversionen vieler dieser Songs gar kein Bass zu hören war, sowie der bewährte Stones-Keyboarder Matt Clifford.

„Sie führen auf diesem Album ihre ge­­wachsene Erfahrung mit dem Ungestüm ihrer Jugend zusammen“, sagt Don Was zum Schluss, aber Mick Jagger ist nicht ganz einverstanden: „Wenn wir das Album 1963 gemacht hätten, würde es anders klingen. Damals hatten wir einfach noch nicht genug ge­­lebt.“ Und noch etwas ist ihm wichtig: „Diese Songs befinden sich in einem stetigen Prozess des Wandels. Wir spielen sie mit großem Respekt vor den jeweiligen Referenzversionen, aber es geht uns eben auch darum, den Blues ins Hier und Jetzt zu verpflanzen und einer komplett neuen Generation vorzustellen.“

Ihre ganze Karriere lang waren die Rolling Stones in allen Bereichen Pioniere. So gelten sie etwa seit 35 Jahren als „zu alt für Rock’n’Roll“, haben aber da­­durch, dass sie trotzdem immer weitergemacht haben, die Altersgrenze für nachkommende Generationen kontinuierlich nach oben verschoben. Und nun kommen die Stones eben langsam dort an, wo sie immer hinwollten. „Ich gehe davon aus, dass meine Jungs mich dann mit dem Rollstuhl auf die Bühne schieben“, hat Keith Richards einmal auf die Frage geantwortet, was er mit 80 zu tun gedenke. Aber soweit ist es noch nicht. Von Boston aus ging es direkt ins Studio, um die Arbeit an dem eigentlichen neuen Album wieder aufzunehmen, die sie für BLUE & LONE­SOME unterbrochen hatten. Sollte es ihnen gelingen, den Spirit jener magischen drei Tage von London auf diese neuen Songs zu übertragen, steht uns Großes ins Haus.

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