Fast noch spektakulärer als das Album war die anschließende Vermarktung der Musik als Live-Show und Konzertfilm. Vor allem das Bühnenspektakel THE WALL ist bis heute unübertroffen. Nur an vier Orten (Los Angeles, New York, London und Dortmund) führten Pink Floyd 1980/81 ihr Monumentalwerk auf. Nach dem Fall der Berliner Mauer erlebte THE WALL im Juli 1990 auf dem Potsdamer Platz eine bislang einmalige Wiedergeburt, damals fanden sich mehr als 300.000 Besucher auf dem Open Air-Gelände ein, um sich von der imposanten Pappmauer, fliegenden Hubschraubern und einer Menge Stargäste wie Joni Mitchell, Van Morrison, Sinead O’Connor, Bryan Adams oder den Scorpions begeistern zu lassen.
Die Erwartungen sind also riesengroß, wenn Waters (allerdings ohne Pink Floyd) THE WALL im kommenden Sommer auch wieder nach Deutschland bringt. Er verspricht, wie bei den damaligen Originalkonzerten die Mauer während der Show aufbauen und am Ende wieder zerstören zu lassen. Schon jetzt finden die Eintrittskarten reißenden Absatz, in Hamburg, Mannheim und Berlin sind bereits Zusatzkonzerte angesetzt worden. „Nach der DARK SIDE OF THE MOON-Tour vor drei Jahren suchte ich nach einem neuen Projekt“, erklärt Waters seine Beweggründe zur Reaktivierung von THE WALL. „Ich überlegte sogar, ob ich fortan nur noch Golf spielen sollte oder mich vielleicht sogar als Politiker versuchen möchte. Doch ich hatte das Gefühl, dass mich eine große Welttournee noch einmal reizen würde. Meine Verlobte meinte daraufhin: ,Wenn du wirklich losziehen willst, dann mit THE WALL. Das ist es, was die Leute hören und sehen wollen!‘“
Recht hat sie. Die rasanten Ticket-Vorverkäufe beweisen das, sowohl in den USA als auch in Europa ist das Interesse an THE WALL ungebrochen. Während die Karten für die Nordamerika-Show bereits seit Monaten im Handel sind, wissen die hiesigen Fans erst seit wenigen Wochen, dass Roger Waters auch sie mit seinen THE WALL-Neuauflage beehren wird. Verkündet hat er dies im Juli bei einer Pressekonferenz in London, bei er – entsprechend entspannt aufgrund des hervorragenden VVK-Starts in den Staaten – seine Pläne fürs CLASSIC ROCK-Territorium verkündet hat.
Doch es ist nicht nur das Wissen, dass seine jüngsten Aktivitäten von den US-Fans geschätzt werden, die Waters so gelöst wirken lassen. Auch er selbst hat sich verändert. Von der früheren Rage, die durch die steten Selbstzweifel bedingt war und die sich nicht zuletzt durch seinen unschönen Abgang bei Pink Floyd fest im kollektiven Gedächtnis eingebrannt hat, ist heute nichts mehr zu spüren. Es ist viel passiert im Leben von Roger Waters. Der gemeinsame Auftritt mit seinen Floyd-Kollegen Gilmour, Mason und dem inzwischen verstorbenen Rick Wright beim Londoner Live8-Festival im Jahr 2005 war der erste Schritt, doch nun scheint der Bassist nicht nur Frieden mit seinen ehemaligen Musikerkollegen, sondern in erster Linie mit sich selbst geschlossen zu haben.
Die Phase, in der er sich zu Spuckaktionen hinreißen ließ, liegt jedenfalls längst hinter ihm, wie er selbst im Interview betont: „Zwischen dem Menschen, der damals auf der Bühne stand, und dem heutigen Live-Musiker Rogers Waters liegen Welten“, so der 67-Jährige. „In den vergangenen 30 Jahren habe ich gelernt, mit dem Publikum umzugehen und genieße es inzwischen regelrecht, vor Menschen aufzutreten und während des Gigs eine Beziehung zu ihnen aufzubauen. Ich sehe den Leuten in die Augen und freue mich, wenn ich sehe, dass ihnen die Songs wirklich etwas bedeuten. Und ich selbst genieße das Gefühl, Teil einer verschworenen Gemeinschaft zu sein, deren gemeinsame Basis meine Lieder sind. Früher war das ganz anders. Ich hatte Angst vor den Fans. Ein Gefühl, das mich verfolgte. Auf Partys stand ich auch oft allein in einer Ecke, rauchte eine Zigarette, sagte kein Wort – und versprühte so die Aura eines Menschen, der am liebsten in Ruhe gelassen werden möchte. Zum Glück bin ich inzwischen etwas erwachsener geworden und habe mich geöffnet. Heute macht es mir Spaß, auf der Bühne zu stehen.“
Doch obwohl sich Roger Waters charakterlich weiterentwickelt hat, ist er dennoch derselbe Mensch geblieben – zumindest in emotionaler Hinsicht. Wenn er heute Songs spielt, die er vor 30 oder mehr Jahren komponiert hat, kommen in ihm keine anderen Gefühle auf als früher. Das war auf der DARK SIDE OF THE MOON-Tour so, und daran wird sich auch bei den THE WALL-Shows nichts ändern. „Alle Lieder, die ich je komponiert habe, sind für mich mit bestimmten Emotionen verbunden“, erklärt der Songwriter. „Und die bleiben stets gleich. Als wir vor ein paar Jahren mit den DARK SIDE OF THE MOON-Gigs begannen und das erste Mal ›Us And Them‹ spielten, hatte ich denselben Kloß im Hals wie bei der Live-Premiere des Songs vor rund 30 Jahren. Das geht mir immer so. Ich brauche nur die ersten Takte zu hören, und schon habe ich mich wieder mitten in die damalige Situation hineinversetzt; das ist so, als säße ich in einer Zeitmaschine, die mich in die Vergangenheit zurückbringt.“
Einige Veränderungen gibt es allerdings. So singt Waters heute anders – daran merkt man, dass er nicht mehr Mitte 30, sondern Mitte 60 ist. „Ja, ich musste bei einigen Stücken etwas umdisponieren“, gibt er zu. „Denn im Alter trifft man eben nicht mehr alle hohen Töne. ›Don’t Leave Me Now‹ und ›One Of My Turns‹ zum Beispiel spielen wir nun etwas tiefer, eventuell auch ›Run Like Hell‹.