Richard „Dicky“ Barrett ist ein Bostoner Urgestein. Der Sänger der Mighty Mighty Bosstones ist der Stadt an der Ostküste tief verbunden. Dabei lebt der 55-Jährige gar nicht mehr dort, sondern in Los Angeles, wo er schon seit Langem für die TV-Latenight-Show „Jimmy Kimmel Live!“ arbeitet. Durch seine Band bleibt Barrett seiner Heimat jedoch nah. Mit der Skacore-Institution bringt er dieser Tage das Album WHEN GOD WAS GREAT heraus.
Das elfte Studiowerk überzeugt durch seine gewohnt charmante Mischung aus knackigen Bläsereinsätzen und messerscharfen Gitarrenriffs auf der einen, und ruhigeren, fast schon sentimentalen Nummern auf der anderen Seite. „Ich bin total zufrieden mit WHEN GOD WAS GREAT. Ich lobe natürlich alle unsere Alben, bevor sie veröffentlicht werden. Manchmal habe ich mich allerdings schon geirrt. Dieses Mal aber nicht“, stellt der Frontmann unumstößlich fest.
Wie für viele andere Bands auch, bedeuteten die Aufnahmen eine Art Beschäftigungstherapie
während der Pandemie. „Durch den Lockdown konnte man nirgendwo hingehen. Somit verbrachten wir mehr Zeit im Studio. Das ist bei weitem besser als die ganze Zeit Videospiele zu zocken oder Netflix-Serien zu schauen“, erklärt Barrett. Ging das Songwriting zunächst nur gemächlich voran, löste Corona bei den Bosstones einen plötzlichen Kreativitätsschub aus. „Wir sprachen dann mit Brett Gurewitz
von Epitaph Records über ein neues Album. Schließlich sind wir schnell ins Studio gegangen und haben mit unserem langjährigen Produzenten Ted Hutt und Tim Armstrong von Rancid das Album produziert.“
Gastmusiker sind bei den Bosstones nichts Ungewöhnliches. Dieses Mal wirkten aber insgesamt 31 Personen aus der Ska-, Punk- und Hardcoreszene von Bands wie den Toasters, Stiff Little Fingers,
Madball, H2O oder Murphy’s Law mit. Pikanterweise kommen viele der Musiker aus New York. Zwischen dem Big Apple und Boston besteht seit jeher eine gewisse Rivalität – besonders im Hardcore. Für Dicky ist das kein Problem. „Ich liebe sie alle. Mit Murphy’s Law waren wir auf unserer allerersten Tour zusammen. Wir sind mit ihnen in einem Van durch die USA gereist. Die Toasters sind eine absolute Ska-
Legende. Aus dieser Rivalität machen wir uns einfach einen Spaß. Mir ist es egal, wo jemand herkommt, welche Hautfarbe er hat oder welche sexuellen Vorlieben. Mir geht es darum, die Menschen zusammenzuzubringen“, verdeutlicht er.
Eng verbunden ist der Vorzeige-Bosstone auch mit den Jungs des Stadtrivalen Dropkick Murphys, dessen Sänger Al Barr während des Interviews versucht, seinen Kumpel Dicky anzurufen. Die Punkrocker mit den irischen Folkeinflüssen haben fast zeitgleich mit den Mighty Mighty Bosstones ihr neues Album herausgebracht. Barrett hat es schon gehört. Sein Urteil: „Unseres ist auf jeden Fall besser. Schreib
das bitte genau so“. Dabei kann er sich ein Lachen nicht verkneifen.
Neben fröhlichen Nummern, die sofort ins Tanzbein gehen, gibt es auf WHEN GOD WAS GREAT auch nachdenkliche Stücke wie ›The Killing Of Geordie (Part III)‹, das den Mord an George Floyd als Aufhänger benutzt. „Es geht darum, dass uns aktuell Führungspersönlichkeiten wie Martin Luther King fehlen. Er war ein großartiger Mann. Oder Robert F. Kennedy, der eine tolle Rede nach dem Mord an seinem Bruder John F. Kennedy gehalten hat. Es ist traurig, dass wir aus der Geschichte nichts gelernt haben und uns solche Menschen fehlen, die uns durch so schwere Zeiten helfen“, erklärt der Bosstones-Sänger. Immerhin gibt es so coole Bands wie die Mighty Mighty Bosstones, die in tristen Corona-Zeiten für Abwechslung sorgen.
Text: Matthias Bossaller