Wir werfen einen Blick auf die genialsten Bluesrock-Stücke. Einige davon sind bestens bekannt, doch keine Angst: Für Überraschungen ist gesorgt!
›Lightning Bolt‹
GRAVELTONES, 2013
Man denke zurück an 2013, als Royal Blood noch nicht in aller Munde waren, und man erinnert sich vielleicht an dieses australische Duo – ein aufregend kreischender Sänger mit Vogelnestfrisur und ein stämmiger Schlagzeuger mit schicken Hosenträgern. Gemeinsam katapultierten sie den rohsten und doch eingängigsten Bluesrock zurück in unser Bewusstsein, just als wir dachten, mit den Ende der White Stripes sei alles untergegangen. Dieses feurige Highlight öffnete die Tür für die „neue“ neue Welle des Bluesrock, die folgen sollte.
›Outlaw Angel‹
JOANNE SHAW TAYLOR, 2014
Als Teenager-Gitarrenwunderkind war Taylor fest unter dem Begriff „das neue Gesicht des Blues“ abgespeichert. Doch seitdem hat sie sich im Wesentlichen in Großbritanniens First Lady des Bluesrock im 21. Jahrhundert verwandelt – und in die britische Antwort auf Joe Bonamassa, unabhängig von Geschlechterrollen. Schon lange ist klar, dass Taylor eine verdammt gute Gitarristin ist, die noch dazu über eine kehlige, Motown-inspirierte Stimme verfügt. Doch auf diesem harten, bissigen Shuffle vom 2014er Album THE DIRTY TRUTH ließ sie ihren Blues so richtig rocken. Ihr Held Stevie Ray Vaughan wäre stolz gewesen.
›Blood Stop And Run‹
KILL IT KID, 2014
In einer Zeit, in der andere aufsteigende Blueser sich lieber bei einer moderneren Gitarrenhelden-Formel bedienten, ließ sich dieses britische Quartett von wesentlich älteren Größen wie Blind Willie McTell (der ihnen auch ihren Namen spendierte) inspirieren. Heute ist das ziemlich geläufig, aber vor ein paar Jahren waren sie damit noch Pioniere. Und kraftvoller als auf diesem brodelnden Hybriden aus rootsy Stimmung und elektrifizierten Klängen der Gegenwart war dieser Ansatz selten zu hören. Die Gründer, Chris Turpin und Stephanie Ward, haben inzwischen das akustisch ausgerichtete Duo Ida Mae gegründet, doch wir werden immer eine Schwäche haben für ihr elektrisches Baby, das dazu beitrug, den echten, frühen Blues wieder ins Bewusstsein der Rockwelt zurückzuholen.
›Blackbite‹
DAN PATLANSKY, 2014
Jahrelang war Dan Patlansky nur in seiner Heimat Südafrika ein Begriff, die nun wirklich nicht für ihre Bluesrockszene bekannt ist. Dort brachte er in Blues-Clubs von Stevie Ray Vaughan inspirierte Gitarrenheldentaten auf die Bühne. Doch dann erreichte dieser furiose Quantensprung von seinem siebten Album DEAR SILENCE THIEVES auch Ohren im Ausland und mehr Menschen begannen, zuzuhören. Gesang à la Lenny Kravitz und eine ordentliche Portion Funk finden in diesem 12-Takt-Gerüst zusammen und zeigen, wie charismatisch Bluesrock sein kann. Seither hat Patlansky zwei weitere gelungene Studioalben veröffentlicht, doch für uns bleibt dies sein bester Moment.
›Ain’t No Forgettin’‹
GILES ROBSON, 2015
Die Blues-Mundharmonika ist nicht tot, Giles Robsons tiefe Lungen auf diesem frenetischen Instant-Klassiker sind der Beweis. Das Bassdonnern am Anfang von ›Ain’t No Forgettin’‹ ist ›Ace Of Spades‹ äußerst ähnlich, und diese Energie läßt kein bisschen nach, wenn der Brite das süchtig machendste Mundharmonikasolo seit Jahren abfeuert. Angeblich schrieb Robson diese Melodie, nachdem Stax-Legende Steve Cropper ihn dazu ermutig hatte, sich „Geld-Licks“ einfallen zu lassen. Wenn es irgendeine Gerechtigkeit gibt, dann wird dieser Song ihm bis ans Ende seiner Tage die Rechnungen bezahlen.
›Human‹
RAG’N’BONE MAN, 2016
Rory Graham war jahrelang in Brightons HipHop-Szene aktiv ge wesen, bevor er die gewinnbringende Erfolgsformel entdeckte – beatlastiger Blues mit tieftönendem Gesang –, die sein Debüt HUMAN von 2017 in die Stratosphäre katapultierte. In einer hochglanzpolierten und quantisierten Welt wirkte das geisterhafte Stampfen des Titelstücks wie eine Lomax-Feldaufnahme und diese urgewaltige Stimme in einer Szene aus kieksenden Winzlingen wie ein Klang tief aus der Erdkruste. Der herzerwärmende Beweis dafür, dass der Blues immer noch wachsen und die Charts erobern kann.
›Blues Of Desperation‹
JOE BONAMASSA, 2016
Einmal abgespeckt und in einen Anzug gesteckt, verwandelte sich Joe Bonamassa in einen überragenden, wenngleich bisweilen etwas „glatten“ Bluesstar. Dann entdeckte er 2016 wieder die rockige Seite seiner Blues-Interpretation (die er inzwischen über 13 Studioalben und gefühlt mehrere Dutzend Live-Mitschnitte, Sampler und Kollaborationen kultiviert hat). Was zwar keine allzu große Überraschung war, schließlich war klassischer Rock à la Led Zeppelin und Deep Purple schon immer Teil seiner DNA gewesen, doch das Titelstück seiner zwölften Platte ist einer seiner stärksten, rockigsten Momente überhaupt und injiziert eine willkommene Dosis Härte und treibenden Swagger in seinen oft etwas glatten, modernen Stil.
›Plastic Hamburgers‹
FANTASTIC NEGRITO, 2018
Xavier Amin Dphrepaulezz (was unmöglich auszusprechen ist, also kennt man ihn eher als Fantastic Negrito) ist mit das Aufregendste, was dem Blues seit vielen Jahren widerfahren ist. Der 51-jährige Amerikaner verbindet äußerst effektiv frühen Blues mit HipHop, Rock, Soul, Funk und Prince-meets-Hendrix-meets-Tupac-Genialität. Die Single von seinem jüngsten Album ist dabei der bisherige Höhepunkt. Ach ja, seine turbulente Vom-Tellerwäscher-zum-Millionär-und-zurück-und-wieder-zurück-Geschichte ist so gut, dass man sie für erfunden hält. Doch sie ist wahr!
›Mother Rebel‹
JOYOUS WOLF, 2019
Wer sagt, die Kids von heute würden sich nicht für den Blues oder Rock interessieren? Diese jungen Kalifornier tun das definitiv! Sie haben ihren Stil selbst als „wütenden Blues“ bezeichnet, und das passt perfekt – vor allem bei diesem Highlight von ihrer EP PLACE IN TIME. ›Mother Rebel‹ quillt nicht über vor dem Feuer des 21. Jahrhunderts UND einem lasziven Blues-Swagger, es zeugt auch von genau jener Art von unmittelbarem, frischem Wind, die den Classic Rock so sympathisch in die Gegenwart transportiert. Ihr bevorstehendes Debütalbum wird die wahre Prüfung sein, aber diese Nummer muss man auf jeden Fall gehört haben.
›Heart Breaker‹
BEAUX GRIS GRIS & THE APOCALYPSE, 2019
Gitarrist Robin Davey war zuvor bei den Bluesrockern The Hoax und hatte sich auch schon mit Sängerin/Ehefrau Greta Valenti bei den punkbefeuerten Alternative/Garagenrockern Well Hung Heart zusammengetan. Für die neue Band Beaux Gris Gris & The Apocalypse (und ja, Dr. John hatte eventuell etwas mit diesem Namen zu tun) kehren sie so genial heißblütig wie knackig zum Blues zurück – zu hören auf dem besten Stück ihres neuen Albums LOVE AND MURDER. Wer das aufregende, ultracoole Gesicht des modernen Bluesrock sehen will, der findet es genau hier.
Text: Henry Yates/Polly Glass