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Special: Grunge – Die dreckige Revolution

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Special: Grunge – Die dreckige Revolution

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SIEBZIGER-INSPIRATIONEN

Und Nirvana sind nicht die einzigen Seattle-Rocker, die mit diesen Acts aufgewachsen sind und sich nun darauf beziehen. Im Gegenteil: Bei den meisten anderen Bands treten diese Einflüsse sogar weitaus deutlicher zu Tage als bei Cobain, Novoselić und Grohl. Soundgarden etwa werden zu Zeiten ihrer ersten Releases SCREAMING LIFE (1987) und ULTRA MEGA OK (1988) von den Verantwortlichen beim Label SubPop als eine Band beschrieben, die „über einen attraktiven Frontmann verfügt und stilistisch Led Zeppelin mit den Butthole Surfers kreuzt“. In dieser Reihenfolge, wohlgemerkt… Pearl Jam antworten auf die Frage, welche Bands sie von Anfang an begleitet haben, stets mit „The Who, Neil Young, The Ramones“, Gitarrist Mike McCready führt zusätzlich noch Jimi Hendrix an. Alice In Chains sind sogar noch eine Spur offener: Sie nennen Black Sabbath, aber auch Van Halen oder Metallica als Vorbilder. In ihrem Sound schlagen sich jedoch daneben vor allem die Siebziger-Vorbilder durch – woran sich bis heute nichts geändert hat.

Allein bei der Betrachtung dieser Bands, also der „großen Vier“ des Grunge, wird deutlich, dass es keinen homogenen Seattle-Sound gibt – das Inspirationsspektrum reicht von klassischem Rock über Punk bis hin zu Indie- und Noiserock. Die Bewegung beruht weniger auf musikalischen Gemeinsamkeiten als auf einer ähnlichen Geisteshaltung: Die Musiker wehren sich gegen eine bestimmte Mode, gegen das vorherrschende Image des Macho-Muckers – im Prinzip gegen alles, was von den Songs ablenkt. Dass sie damit ein eigenes Image kreieren, das im Grunde genauso rigide ist wie das, gegen das sie sich auflehnen, ist ihnen – zumindest Anfang der Neunziger – noch nicht klar.

Hinzu kommt, dass zu dem Zeitpunkt, in dem Grunge weltweit die Charts stürmt und die größten Hallen füllt, viele Protagonisten schon mit immensen privaten Problemen zu kämpfen haben. Dadurch, dass ihnen das „Rockstar-Gen“ fehlt, also der unbedingte Drang ins Rampenlicht, müssen sie ihre Schüchternheit überwinden. Drogen sind der einfachste Weg. Hinzu kommt: Viele denken, dass dadurch auch ihre Kreativität beflügelt wird. Andrew Wood ist der Erste, der diesen Irrglauben mit dem Leben bezahlt. Er, der mit seiner Band Malfunkshun auf dem DEEP SIX-Sampler vertreten ist, einem der frühesten Manifeste der neuen Bewegung, erlebt ihren Höhepunkt nicht mehr. Wood stirbt am 19. März 1990. Mit ihm verschwindet ein Bindeglied zwischen den stilistischen Welten. Andrew Woods Performance, sowohl sein Gesang als auch seine Optik, vereinen den Glam der Achtziger mit der Melancholie der Neunziger, er klingt klassisch und dennoch modern, ist ein Vorbild für die gesamte Szene. CLASSIC ROCK-Autor Greg Prato beschreibt ihn als „hippiesken Rock’n’Roll-Gott, eine perfekte Mischung aus Marc Bolan und Jim Morrison, mit Freddie Mercury oder Paul Stanley als Vorbildern“.

Wood ist voller Leidenschaft für seine Musik, er kostet jede Sekunde aus, obwohl er es mit Malfunkshun nicht schafft, ein Album zu veröffentlichen. 1988 schließt er sich daher Stone Gossard, Jeff Ament und Bruce Fairweather zusammen, deren Band Green River gerade in ihre Einzelteile zerfallen ist, und Greg Gimore (Ten Minute Warning, Skin Yard) übernimmt die Drums. Mother Love Bone sind geboren. Im März 1989 erscheint die erste EP, SHINE. Sie verkauft sich hervorragend, sodass das Debüt APPLE, das im Herbst 1989 in den London Bridge Studios entsteht, heiß gehandelt wird. Alle erwarten den großen Durchbruch. An-drew Wood, der an der Nadel hängt, versucht vom Heroin loszukommen, begibt sich in Therapie. Ohne Erfolg: Wenige Tage vor der geplanten Veröffentlichung des Albums findet ihn seine Freundin leblos in seiner Wohnung. Wood liegt noch drei Tage im Koma, bevor er schließlich verstirbt.

AUFSTIEG AUS DER ASCHE

Die Nachricht von Andrew Woods Tod er-schüttert Seattles Musikszene. Da die Stadt, anders als Los Angeles oder San Francisco, vergleichsweise isoliert und übersichtlich ist, kennen sich die meisten Rocker persönlich. Umso härter trifft es sie, dass einer aus ihrer Mitte herausgerissen wird. Um ihre Wut und Trauer zu verarbeiten, schließt sich Woods ehemaliger Mitbewohner Chris Cornell mit Stone Gossard und Jeff Ament zu einem Projekt zusammen. Es nennt sich Temple Of The Dog – nach einer Textzeile aus Mother Love Bones ›Man Of Golden Words‹. Mit Unterstützung von Soundgarden-Schlagzeuger Matt Cameron, Gitarrist Mike McCready und dem aus San Diego dazugestoßenen Gastsänger Eddie Vedder entsteht das Debüt TEMPLE OF THE DOG, das im April 1991 erscheint, aber zunächst kein durchschlagender Erfolg wird. Doch was viel wichtiger ist: Die Bande sind geknüpft. Gossard, Ament, McCready und Vedder machen unter dem Banner Pearl Jam weiter und feiern – Monate nach der Erstveröffentlichung – mit ihrem Debüt TEN international Erfolge, Cornell und Cameron sorgen mit Soundgardens 1991er-Album BADMOTORFINGER (und dabei speziell dem Video zu ›Jesus Christ Pose‹) für Furore.

1991 lösen sich auch erstmals die bislang bewährten Strukturen auf. Obwohl Soundgarden bereits seit 1988 bei einem Major-Label unter Vertrag stehen (Nirvana folgen ihrem Beispiel zwei Jahre später), haben sie dennoch mit denselben Leuten zusammengearbeitet wie zu Beginn ihrer Karriere. Epizentren der Bewegung sind Label-Macher wie Chris Hanzsek und Tina Casale (C/Z Records), Bruce Pavitt und Jonathan Poneman (SubPop), die Produzenten Jack Endino, Steve Albini, Rick Parashar oder Butch Vig, man trifft sich bei Gigs in kleinen Clubs wie „Squid Row“, „The Vogue“ oder „The Central Tavern“. Journalisten wie Everett True („Melody Maker“) oder Keith Cameron („Sounds“) oder die Fotografen Charles Peterson und Andy Catlin tragen das Ganze schließlich nach außen.

DIE HYPE-PHASE

Zwischen diesen ersten Berichten über den Seattle-Underground bis hin zu den Jubelarien, die im Zuge des Megaerfolgs von Nirvana & Co. durch alle Medien gehen, liegen gerade einmal etwas mehr als zwei Jahre. Dementsprechend irritiert reagieren die Protagonisten auch auf die plötzliche Aufmerksamkeit, die sie wie ein Tsunami erfasst und verschlingt. Für Kurt Cobain, Krist Novoselić und Dave Grohl hat sich im Oktober 1991, als NEVERMIND die Gold-Auszeichnung für 500.000 verkaufte Exemplare in den USA erhält, nichts verändert: Sie sind nach wie vor pleite. Zunächst reagieren sie mit Humor auf die einprasselnden Anfragen, doch daraus wird rasch beißender Zynimus und schließlich eine Schockstarre. Insbesondere Cobain steht im Mittelpunkt, doch immer häufiger gibt er die Verantwortung an Grohl und Novoselić ab, die sich mit stoischer Gelassenheit in ihr Interview-Schicksal ergeben.

Auch andere Bands haben mit der Gier der Medien nach neuen Informationen zu kämpfen. Eddie Vedder von Pearl Jam ist gleich doppelt gestraft. Obwohl sich TEN hervorragend verkauft, muss er damit leben, dass Nirvana die größere Band sind und Cobain noch dazu nichts von seiner Leistung hält, wie er in einem MTV-Interview öffentlich macht: „Ich habe Pearl Jam schon immer gehasst“, äußert sich Cobain in dem Gespräch abfällig über seine Kollegen. Ein Schlag, von dem sich die Egos der Musiker lange Zeit nicht erholen. „Wir hatten danach immer das Gefühl, zwar immens erfolgreich zu sein, den Erfolg aber eigentlich gar nicht zu verdienen“, erinnert sich Gitarrist Stone Gossard. „Das führte dazu, dass wir ziemlich angespannt und auch unsicher wurden. Ich denke, dass niemand besonders viel Spaß daran hatte, mit uns abzuhängen. Es war wirklich eine merkwürdige Zeit.“

Hinzu kommt, dass der Hype inzwischen seinen Höhepunkt er-reicht. Es geht längst nicht mehr um die Musik, die Seattle-Revolution hat internationale Ausmaße erreicht – und ist damit zu einem Wirtschaftsfaktor geworden. Während es die raueren Vorreiter-Bands wie die Melvins, Tad oder Mudhoney nicht schaffen, in die Top-Chartre-gionen vorzudringen, räumen Nirvana, Soundgarden, Pearl Jam und schließlich auch die zu Beginn ihrer Karriere noch deutlich metallischer ausgerichteten Alice In Chains alles ab. In deren Erfolgssog können auch weitere Acts bei Mainstream-Publikum punkten. Die Smashing Pumpkins, obwohl stilistisch in völlig anderem Fahrwasser, rücken dank des Seattle-Bonus’ ins Rampenlicht, und auch Nicht-Seattle-Bands mit ähnlichem Sound schaffen es in höchste Chartregionen: Die Stone Temple Pilots aus San Diego punkten 1992 mit CORE, Blind Melon versetzen auf ihrem gleichnamigen 1993er-Debüt klassischen Hardrock mit einem melancholischen Unterton und sprechen damit auch die Grunge-Zielgruppe an. Hole bringen sich durch Courtney Loves Beziehung zu Kurt Cobain ins Gespräch, und L7 beweisen mit BRICK ARE HEAVY, dass der Sound auch etwas von und für Frauen ist. Vielbeachtet in Szene-Kreisen, wenngleich in kommerzieller Hinsicht nicht immens relevant, sind die Screaming Trees (deren 1991er-Album UNCLE ANESTHESIA von Chris Cornell produziert wird) und das All-Star-Projekt Mad Season.

Parallel dazu passiert etwas, das der ursprünglichen Haltung der Bewegung diametral entgegensteht: Die früheren Anti-Stars werden zu Rock-Stars, aus dem Alltags-Look wird ein angesagter Modetrend, selbst die Filmindustrie entdeckt das Potenzial der Szene für sich und setzt es 1992 in „Singles“ erfolgreich fürs Popcorn-Kino um. Es geht so weit, dass selbst alte Feinde das Kriegsbeil begraben, um noch ein paar Krümel vom Grunge-Kuchen abzustauben. Mötley Crüe, Warrant, ja selbst Kiss und Alice Cooper versuchen, den angesagten Sound in ihre bewährte Song-Strukturen einzupassen – mit mehr oder minder großem Erfolg (siehe Kasten). Dass sie damit dem Trend schon wieder hinterher hinken, merken die Künstler nicht. Denn Grunge ist bereits tot – Kurt Cobains Selbstmord am 5. April 1994 bildet lediglich den dramatischen Schlusspunkt, der kreative Funke sprüht zu diesem Zeitpunkt schon längst nicht mehr. Etwas Neues ist im Anmarsch: New Metal greift das Persönliche, Introvertierte des Grunge auf und verbindet es mit bedingungsloser Härte und kraftvollen Grooves, die Britpop-Bewegung versucht es mit mehr Melodien, die Stoner-Rocker mit staubig-hypnotischen Riffs, während die etablierten Grunge-Künstler fortan unter dem Banner „Alternative Rock“ firmieren und durch Acts wie Bush, Silverchair, Collective Soul, Creed, Live oder Candlebox Verstärkung an der Radio- und Musik-TV-Front bekommen.

DIE REANIMATION

Jetzt, 20 Jahre nach dem großen Boom, scheint jedoch die Zeit für eine Rückbesinnung auf die alten Werte gekommen. Die umjubelten Reunions von Alice In Chains und Soundgarden sind ein Beispiel dafür. Aber auch etliche jüngere Bands setzen auf einen ähnlichen Sound (wenngleich in modifizierter, z.B. mit Indie- oder Stoner Rock-Sprengeln versetzter Form), manche davon sind alte Bekannte wie die Live-/Candlebox-Rocker, die nun mit The Gracious Few zum Sprung ansetzen, andere sind Frischlinge (Dead Confederate, Pandora, Violent Soho). Die unbändige und ungezügelte Energie, der Motor der damaligen Bewegung, hat bis heute offensichtlich ihre Anziehungskraft nicht verloren. Die Fehler jedoch, die Grunge letztendlich zu Fall gebracht haben, werden sich wohl nicht wiederholen. Denn a) wird die Bewegung wohl nie mehr diese Ausmaße erreichen und b) ist auch die damalige Naivität weg. Wo Kurt Cobain noch glaubte, mit Pop-Elementen und einem Major-Vertrag spielen zu können, ohne die Folgen dessen (er-)tragen zu müssen, ist heute jedem klar: Wer die Masse ruft, bekommt auch die Masse zu spüren. Mit allen Vor- und Nachteilen.

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