Der Song war inspiriert von Roger Taylors kleinem Sohn, der auf Französisch „Scheiße“ sagte, wurde zum Hit und einem weiteren Klassiker von Queen – inklusive legendärem Video.
Roger Taylors kleiner Sprössling Felix pflanzte unwissentlich den Keim für en wohl berühmtesten Queen-Song der 80er. Der Sohn des Schlagzeugers und seiner französischen Freundin Dominique Beyrand kam in einen Raum im Haus seiner Eltern, während die gerade Radio hörten. Wenig beeindruckt von dem, was er da vernahm, verkündete Felix ein vernichtendes Urteil: „Radio ca ca“, sagte er und benutzte den französischen Begriff für „Scheiße“. Sein Vater spitzte die Ohren: „Radio ca ca?“ Das könnte einen guten Songtitel abgeben. Und die Meinung seines Sohns zur Musikindustrie der frühen 80er spiegelte seine eigene wider. Taylor sr. missfiel es, dass Hochglanzvideos unter den Popkids jener Zeit das Radio als bevorzugtes Medium abgelöst hatten. Das Radio, so dachte er, musste sich ins Zeug legen. „Im Radio hatte ich erstmals Rock’n’Roll gehört“, grummelte Taylor 1984 in der Zeitschrift Modern Drummer.
„Heute scheint das Video wichtiger zu sein als die Musik selbst – zu wichtig. Musik sollte mehr ein Erlebnis für die Ohren als für die Augen sein.“ Queen standen damals selbst an einem Scheideweg. HOT SPACE von 1982 hatte mit seinen discolastigen Klängen viele ihrer Fans vor den Kopf gestoßen, während ein Jahrzehnt unablässiger Aufnahmen und Tourneen das Temperament und die Egos der vier in den roten Bereich getrieben hatte. „Eine Zeit lang hassten wir einander“, sagte Brian May später. Sie hatten sich eine ausgedehnte Pause von einander gegönnt, bevor sie im Sommer 1983 in Los Angeles für Sessions zu ihrem nächsten Album THE WORKS wieder zusammenkamen. Als Mercury Taylor davon in Kenntnis setzte, dass die Songs, die er für die Platte mitgebracht hatte, nicht gut genug waren, zog sich der Trommler in einem Raum bei Record Plant mit einer Drum-Maschine und einem Synthesizer zurück, um an einem Stück zu arbeiten, dass zu den Worten seines Sohns passte: „Radio ca ca“.
Er wusste nicht wirklich, wie diese brandneuen elektronischen Gadgets funktionierten, aber es gelang ihm, das Skelett eines Songs aufzunehmen, inklusive eines Textes, den er aus dem Songtitel entwickelt hatte. Als er das Ergebnis Mercury vorspielte, schlug das Radar für Kommerzialität des Sängers sofort aus. „Ich glaube, Roger hielt es einfach für noch einen Track, aber ich spürte sofort, dass da mehr war – eine wirklich gute, starke, verkaufsträchtige Ware“, sagte er später. Glücklicherweise beschloss Taylor dann, eine Pause von den Sessions zu machen und in den Urlaub zu fahren. Vor seiner Abreise sagte er zu Mercury: „Mach damit, was du willst.“ Und der Frontmann ließ sich das nicht zweimal sagen. „Roger hatte die Ideen schon alle beisammen“, so Mercury, der gemeinsam mit dem Session-Keyboarder Fred Mandel an dem Song arbeitete, „aber ich fand, dass einige Elemente der Konstruktion nicht passten. Ich übernahm das Stück also mehr oder weniger.“
Die Änderungen, die er vornahm, betrafen nicht nur die Struktur. Da kein Sender je einen Song mit dem Titel ›Radio Ca Ca‹ spielen würde, änderte die Band ihn zu ›Radio Ga Ga‹, obwohl Taylor später bekräftigte, der ursprüngliche Titel sei im Text immer noch intakt: „Wenn man genau hinhört, singen wir tatsächlich ‚Radio ca ca‘“. Capitol Records, das neue US-Label der Band, bestand unterdessen darauf, dass pessimistische Zeilen wie „You’ve had your time, you’ve had your power“ nicht ohne Gegengewicht bleiben sollen, also kam noch die Strophe dazu, die das Radio als „alten Freund“ feierte und warnte: „We might miss you when we grow tired of all this visual“. Der fertige Song war ein Meisterwerk des Pop-Rock Mitte der 80er, gleichermaßen eine Liebeserklärung an das Radio und eine Aufforderung daran, sich mehr anzustrengen. Es pulsierte mit einem elektronischen Beat, der nicht zu der wehmütigen Nostalgie für eine Zeit zu passen schien, als das Medium noch König war. Der Refrain im Stadionformat wurde von einem eingängigen Doppelklatschen begleitet, doch Brian Mays Gitarre war – ungewöhnlich für Queen – außer ein paar Licks am Ende kaum präsent.
Die Kritik des Songs an der wachsenden Popularität von MTV hielt das Label nicht davon ab, mehr als 100.000 Pfund für ein beeindruckendes Video dazu aus- zugeben. Gedreht vom Musikclip-Senkrechtstarter David Mallet und inspiriert von Fritz Langs expressionistischem SciFi-Filmklassiker „Metropolis“ von 1927, düste die Band darin in einem silbernen fliegenden Auto durch eine futuristische Stadt (amüsanterweise hatte Mercury gegen die Langeweile Wodka im Handschuhfach versteckt).
Für die ikonische Schlüsselszene ließ Mallet die Band in strahlend roten Oberteilen vor 500 Kompars*innen aus dem Queen-Fanclub stehen und sie in einem choreografierten Massenklatschen im Rhythmus mit dem Refrain führen. Das Konzept war, dass diese Fans die gedankenlose Masse repräsentierten, doch der NME, nie besonders freundlich zu Queen, verglich die Szene mit einem Nazi-Aufmarsch. „Das war so absurd“, sagte Taylor genervt in der Queen-Webserie „The Greatest“. „Es sollte den Film widerspiegeln … die unterdrückten Arbeiter. Das Nazi-Ding ist lachhaft. Die Leute werden immer eine Agenda finden, wenn sie eine brauchen.“ Das Video half sicher, den Song in den britischen wie deutschen Charts bis auf Platz zwei zu bringen, doch in den USA lief es nicht ganz so gut.
Die Single erreichte dort nur Platz 16, und es half wahrscheinlich nicht, dass zu der Zeit bekannt wurde, dass Capitol einige Jahre zuvor in einen Bestechungsskandal involviert gewesen war. Unabhängige Radiopromoter ließen daraufhin alle aktuellen Acts des Labels fallen, darunter auch Queen. ›Radio Ga Ga‹ stürzte im Eiltempo in die niederen Regionen der Billboard-Charts. Doch die „finest hour“ des Songs sollte erst noch kommen. Am 13. Juli 1985 traten Queen bei Live Aid im Wembley-Stadion auf. Nachdem sie ihr Set mit einem Auszug von ›Bohemian Rhapsody‹ begonnen hatten, gingen sie direkt zu ›Radio Ga Ga‹ über und blickten auf 72.000 Menschen, die ihnen entgegen-klatschten. „Das war einer der großartigsten frühen Belege für die Macht des Fernsehens“, sagte May in „The Greatest“. „Als wir es bei Live Aid spielten, wussten alle, was sie zu tun hatten.“ Roger Taylors Botschaft hatte Gehör gefunden, wenn auch nicht unbedingt so, wie er sich das vorgestellt hatte.
Das französische Wort für „Scheisse“ heisst „Merde“. Das Wort „kaka“ kommt eigentlich aus dem griechischen und heisst soviel wie „übel“.Siehe unter Kakophonie“.