Wie geht es der Musikbranche in Corona-Zeiten? CLASSIC ROCK hat mit Arne Gesemann von Noisolution gesprochen…
1995 wurde Noisolution unter dem Dach der Vielklang Musikproduktion als Sublabel gegründet. Zehn Jahre später löste sich das Label mit eigener Promotion-Abteilung los und arbeitet seitdem eigenständig und selbstbestimmt von Kreuzberg aus. Arne Gesemann ist Gründer, Chef und Mädchen für alles. Mit seiner Philosophie abseits des Mainstreams steht er für Authentizität und echtes Interesse an alternativer Musik ein.
Seit Corona die Welt in Atem hält, kämpfen viele in der Musikbranche ums Überleben: Künstler, Veranstalter, Promoter, Techniker, Labelmitarbeiter, Magazinherausgeber, Clubbesitzer – alle leiden unter den krassen Einschränkungen, die der hochdynamische Kampf gegen Covid-19 einfordert und für eine bisher noch unbestimmte Zeit weiterhin einfordern wird.
Im Interview mit CLASSIC ROCK vor einer Woche ermöglichte Gesemann einen Blick hinter die Kulissen seiner Arbeit und erklärte, wo es jetzt ganz besonders brennt und wie er Noisolution gerade am Laufen hält.
Die aktuelle Covid-19-Krise legt den gesamten Musikbetrieb lahm. Wie sehr bist du als Promoter und wie sehr als Label betroffen?
Ich kann das Ausmaß der Krise natürlich nicht einschätzen. Aktuell sind alle unsere Touren und eventuell die Festival-Saison abgesagt. Die Verkäufe während der Tour sind ein immer größerer Anteil der Gesamtverkäufe geworden und fehlen nun gänzlich, ebenso wie die Promotion-Auswirkungen einer Tour. Dazu kommt, dass der Handel für vorerst vier Wochen geschlossen ist und der Vertrieb seine physischen Auslieferungen eingestellt hat. Alben werden also ausschließlich über Mailorder und direkte Bestellungen abgewickelt. Das heißt, dass alle aktuellen Produktionen für den Tourverkauf nun bei uns stehen. Das sind mit den aktuellen April Veröffentlichungen tausende von Tonträgern, die nicht das Büro verlassen und nicht ausgeliefert werden. Und voraussichtlich kann man diese nicht einfach zu einem späteren Zeitpunkt wieder als „neu“ in den Handel geben. Auch eine Record-Store-Day-Veröffentlichung kommt in Kürze, aber der Record Store Day ist in den Juni geschoben – wenn er überhaupt stattfindet. Als Promotion Agentur werden die ersten Aufträge gerade auf „unbekannt“ geschoben und neu datiert. Das heißt, dass auch hier weitere feste Einkünfte erstmal gestrichen sind. Neben den Fix- und Personalkosten kommen also Produktionskosten für Ware hinzu, die zu einem späteren Zeitpunkt schwerer verkäuflich ist
Sind die Konzertausfälle das größte Problem?
Konzerte sind neben Promotion auch als Verkaufsort für uns immer wichtiger geworden. Aber die Handelssituation ist wie bereits angesprochen momentan auf unbestimmte Zeit nicht klar. Wie sich das in der Herstellung auswirken kann, weiß ich noch nicht. Ob die Herbst-Planungen problemlos durchgeführt werden können, wird sich erst zeigen. Stillgelegte Studios, Grafiker, Bandproben, die ausfallen: All das wird geplante Veröffentlichungen beeinträchtigen. Auch das Verschieben von Touren in den Herbst lässt für neue Touren nicht viel Platz. Grundsätzlich laufen VÖ-Planungen teilweise ein Jahr vorher an. Promotion, Herstellung, Touren, all das greift ineinander. Eine aktuelle Hathors-Promotion für Ende April läuft nun beispielsweise schon seit zwei Wochen, aber wir müssen aufgrund der Handelssituation alles verschieben. So sind Promo-Ergebnisse zu früh in den Medien, der Vertrieb muss umplanen.
Wie sieht dein Arbeitsalltag aktuell aus?
Ich kümmere mich gerade viel um Versand, da aktuelle VÖs bei uns bestellt werden. Außerdem mache ich neue Zeitpläne für alle VÖs und bin mit Promotion-Auftraggebern am neu planen. Aber ich kümmere mich gerade auch um „Kug“ (Kurzarbeitgeld)-Unterstützung beim Arbeitsamt. Das ist Bürokratie und hält vom Tagesgeschäft ab. Zusätzlich hat unsere Praktikantin uns nach einer Woche verlassen, da sie in Österreich wohnt und Angst hatte, bei einer Infektion nicht mehr nach Hause zu kommen. Deshalb müssen wir Arbeitsvorgänge ändern und suchen neue Praktikanten.
Wie planst du für die nahe Zukunft?
Ich schaue Champions League Classics auf DZN statt Live-Spiele auf Sky.(lacht)
Planungssicherheit ist gerade nicht gegeben. Normalerweise laufen viele Vorgänge „automatisch“ ineinander, da wir seit langer Zeit vernetzt sind und die verschiedenen Arbeitsvorgänge, Aufträge und Geschäftspartner ein regelmäßiges Arbeiten ermöglichen. Diese Regelmäßigkeit ist großer Unsicherheit gewichen.
Wo siehst du die größten Schwierigkeiten für dich und Noisolution sowie für die Musikbranche allgemein?
Die Länge der Pause wird entscheidend sein, wie man das anschließend wieder normalisiert. Planungssicherheit in der Branche ist nun mal langfristig und nicht von heute auf morgen umsetzbar. Wenn Konzerte und Festivals bis September abgesagt werden, ist das ein eklatanter Einschnitt. Auch die Länge der Schließung des Handels wird vieles entscheiden. Geplante Veröffentlichungen können nicht einfach geschoben werden, da die einzelnen Arbeitsschritte aufeinander abgestimmt werden müssen (Aufnahme, Vorbereitung, Produktion, Promotion, Marketing, Tour etc.) Sichere Einkünfte werden fehlen, die eigentlich in zukünftige Releases gesteckt werden müssten. Schlimmstenfalls plant man für August oder September neue Releases und Touren – und diese müssen wieder abgesagt werde.
Fühlst du dich von Regierungsseite angemessen unterstützt?
Das wird sich zeigen. Die Versprechen von Regierungsseite sind groß, aber man muss wohl verstehen, dass auch das nur Versprechen sein können. Für diese Situation gibt es scheinbar keinen Plan und man „macht einfach“. Aber ich bin es gewohnt, für mich und die Firma eigenständig zu agieren. Die „Großen“ sind immer wichtiger, haben bessere Argumente, bessere Anwälte und Fachleute, die sich um deren Belange kümmern. Noisolution hat keine Rechtsabteilung und keine interne Buchhaltung.Die Kleinen haben es also sicher schwerer. Aber auch allgemein ist Musik und Kultur leider wieder mal hinten dran. Natürlich auch verständlicherweise, denn viele andere Branchen sind wichtiger für das Allgemeinwohl und das Funktionieren der Gesellschaft. Viele sind auch finanziell stärker und so muss man als „Kulturschaffender“ sich wie fast immer selbst kreativ aus der Krise holen.
Welche Art von Unterstützung von Musik-Supportern macht deiner Meinung jetzt am meisten Sinn? Wie kann man kleinen Labels und Bands am effektivsten helfen?
Kauft Musik und kauft physisch!!! Egal ob direkt bei den Labels und Bands – hier kommt natürlich am meisten beim kreativen Kern an – oder in Plattenläden oder Mailordern, denn die sind auch betroffen. Das Wichtigste ist einfach, kauft Musik, kauft Alben, kauft „physisch“ statt zu streamen. Das digitale Hören minimiert die Einkünfte und sowohl die kreativen Teile der Branche, als auch die Vertriebe und Handel sehen weniger bis gar kein Geld.