Die Aufnahmesessions zu Dylans epochalen Alben Mitte der 60er – eine Fundgrube für Fans.
Was Bob Dylan in nur zwei Jahren Mitte der 60er geschaffen hat, ist in seiner Genialität und Wirkung wohl einmalig in der Historie der Popmusik. Vom Folk-Protestsänger hatte sich der Songwriter zum Großstadt-Hipster und coolsten Popstar der Welt gewandelt, der mit Allen Ginsberg verkehrte, in Andy Warhols Factory rumhing und scharf geschnittene Anzüge und Ray Bans trug. Seine Alben BRINGING IT ALL BACK HOME (1965), HIGHWAY 61 REVISITED (1965) und BLONDE ON BLONDE (1966) veränderten den Lauf der Popmusik fundamental, führte Dylan mit ihnen doch den Typus des Rockdichters ein. In expressiven, surrealen, oft völlig abgedrehten Versen sang er von Liebe, Sex, Drogen, Politik, Literatur, Kunst wie niemand zuvor – oder danach. Der Sound, mit dem er seine Texte unterlegte, war meist harter, ätzender, in Blues getränkter Rock’n’Roll, erzeugt durch schneidende E-Gitarre, Piano, Hammond-Orgel und Mundharmonika.
THE CUTTING EDGE 1965-1966, der 12. Teil von Dylans Bootleg-Serie, befasst sich mit ebenjener Hochphase in der Karriere des Mannes aus Minnesota. Das Boxset enthält große Teile der Aufnahmesessions zu den drei genannten Platten und macht es möglich, den Stücken quasi beim Entstehen zuzuhören. Zumal sich einige der alternativen Takes stark von den Fassungen unterscheiden, die schließlich auf den LPs landeten. So finden sich hier etwa eine akustische Version des fiebrigen ›Subterranean Homesick Blues‹, ein Piano-Demo und eine laute Bandfassung von ›Desolation Row‹ oder ein langsam groovendes ›Leopard-Skin Pill-Box Hat‹. Die zweitägige Recording-Session zu ›Like A Rolling Stone‹ ist komplett dokumentiert – und zeigt, inklusive der Diskussionen der Musiker während der Proben, wie hart die Band am perfekten Sound tüftelte und Dylan an seiner Phrasierung arbeitete. Bis aus einer getragenen Ballade schließlich der explosive Track wurde, der es auf HIGHWAY 61 geschafft hat. Neben den Albumsongs stehen Alternativfassungen von Singles, darunter ›Positively 4th Street‹, und Outtakes wie ›Farewell Angelina‹, von Joan Baez popularisiert, oder ›She’s Your Lover Now‹. Einsteigern in Dylans schaffen ist eines seiner klassischen Alben sicher eher zu empfehlen, Materialsammlungen wie die vorliegende richten sich aber ohnehin eher an Fans. Und für die ist THE CUTTING EDGE eine wahre Fundgrube.
9/10