Pink Floyd waren begeistert. „Nachdem Syd ausgestiegen war, dachten viele, wir seien am Ende“, sagte Mason. „Hyde Park gab uns das Gefühl, immer noch relevant zu sein, immer noch Teil von etwas.“ Ihr Auftritt in der belgischen Fernsehsendung „Tienerklanken“ aus jener Zeit zeigt jedoch eine Band in der künstlerischen Schwebe. Zu ›See Emily Play‹ taten sie so, als würden sie eine Partie Cricket spielen. Waters benutzte seinen Bass als Schläger, Mason schlug einen unsichtbaren Ball, Gilmour versuchte, ihn zu fangen, und Wright sah aus wie der entrückteste Wickethüter aller Zeiten. Waters schien zumindest bei der Sache zu sein, marschierte mit einem wilden Grinsen im Gesicht über das „Feld“ und feuerte seinen Bass ab wie ein Maschinengewehr. Er sah fest entschlossen aus, die Sache überzeugend wirken zu lassen, was auch immer das sein sollte. Auf der Bühne war er ähnlich engagiert. Während seine Bandkollegen durch Vorhänge aus Haar blinzelten und ihre modischen Gohill-Stiefel betrachteten, schlich Waters wie ein Tiger im Käfig umher, malträtierte den Hals seines Rickenbacker-Basses und schlug bei ›Set The Controls For The Heart Of The Sun‹ freudig auf einen Gong ein.
Die nächste Single, ›Point Me At The Sky‹, die vage an ›Sgt. Pepper‹ erinnerte, verfehlte leider erneut den Einstieg in die Top 40 der britischen Charts. Nick Mason spielte den Song in jüngerer Vergangenheit mit seiner neuen Formation Nick Mason’s Saucerful Of Secrets. „Ich hätte nie gedacht, dass ich das je wieder live spielen würde“, sagte er 2020. „Dass es kein Erfolg wurde, überzeugte uns davon, dass wir nicht mehr auf die Hitparade abzielen und uns stattdessen darauf konzentrieren sollten, Alben zu machen. ›Set The Controls For The Heart Of The Sun‹ und ›A Saucerful Of Secrets‹ wiesen in die Richtung, in die wir uns bewegen würden. Doch danach wurden wir ziemlich abgelenkt.“
Es gab gleich mehrere solche Ablenkungen. Anfang 1968 behauptete Waters, Pink Floyd würden Shows mit großen Zylinderhüten wie im Zirkus neben Jongleuren und Entfesselungskünstlern planen. Sie hatten auch einen Zuschuss von 5.000 Pfund bei der nationalen Kunstförderung beantragt, um eine Rockoper zu inszenieren. „Sie würde als Saga geschrieben, wie Homers ‚Odysee‘“, sagte Waters im Melody Maker. „Ich hätte gerne, dass Arthur Brown den Dämonenkönig spielt, während Floyd die Musik beisteuern.“
Keine der beiden Ideen wurde je in die Tat umgesetzt, aber beide zeigten Waters’ Bestreben, andere Medien zu erkunden. 1967 hatten Pink Floyd für den Film „Speak“ des Konzeptkünstlers John Latham
eine Collage aus elektronischem Piepen zusammengestellt. Ein paar Monate später folgten ein paar abstrakte Dröhngeräusche für den Film noir „The Committee“ des Regisseurs Peter Sykes. Nick Mason sagte zudem, sie hätten sich darum beworben, die Musik zu Stanley Kubricks „2001: Odyssee im Weltraum“ zu schreiben. „Ich vermute, der Grund, dass es nicht passierte, war nicht nur, dass Pink Floyd nicht unbedingt die Richtigen dafür waren, sondern auch, weil es ein sehr schlechter Vertrag gewesen wäre.“
Das Weltall war jedoch zu einem Thema geworden. Im Juli 1969 lieferten Floyd zur Begleitung der BBC-Live-Übertragung der ersten Mondlandung das ab, was David Gilmour als „spacigen 12-Bar-Blues“ bezeichnete.
Eine weitere Auftragsarbeit für einen Film, diesmal für den irdischen „More“ des französischen Regisseurs Barbet Schroeder, wurde dann zu ihrem nächsten Album. „Ich war ein großer Fan der ersten beiden Floyd-Platten“, sagte Schroeder 2006. „Ich fand, das waren die außergewöhnlichsten Alben, die ich je gehört hatte, und wollte mit ihnen zusammenarbeiten.“ Schroeder flog mit einer Kopie seines Films, einer Geschichte über Drogen und Nervenkitzel auf Ibiza inklusive reichlich künstlerischer Nacktheit, nach London. Er überzeugte Pink Floyd, den Soundtrack zu schreiben (für eine Gage von gerade
mal 600 Pfund pro Nase), aber unter einer Bedingung: „Barbet wol lte keinen Soundtrack, der hinter dem Film läuft“, so Waters. „Er wollte ihn im wörtlichen Sinne. Wenn also im Film ein Autoradio lief, wollte er, dass die Musik aus dem Auto kam. Er wollte, dass sie exakt zu dem passt, was im Film passiert.“
MORE wurde Anfang 1969 in einem neuntägigen Marathon in den Londoner Pye Studios aufgenommen
und erschien im August. „Viele der Stimmungen im Film passten perfekt zu dem Gerumpel, Gequietsche und den Klangtexturen, die wir ständig machten“, so Mason. Überraschenderweise schaffte es MORE mit seinem kuriosen Mix aus Pop, Jazz, Electronica und sogar Heavy Metal in die Top 10. Entscheidend dabei war, dass Songs wie das lieblich-melodische ›Cymbaline‹ und ›Green Is The Colour‹ David Gilmours Stimme in den Fokus rückten.
„Filmmusik war ein Weg, auf dem wir eine Zukunft für uns sahen“, sagte Gilmour. „Es war nicht so, dass wir keine Rockband mehr sein wollten, sondern eher eine Übung.“ Das Label EMI hatte sie bis dato gewähren lassen, doch nach MORE „dachten sie bei EMI, dass wir den ganzen seltsamen Quatsch lassen und endlich wieder richtige Musik machen sollten.“ Das erwies sich als leichter gesagt als getan. Das Experimentieren war ein fester Bestandteil ihrer
Liveshows. Das Mecca und das Top Rank von 1966 und 1967 waren als Lieblingshallen vieler Bands von Universitätshallen und Undergroundclubs abgelöst worden, deren zottelhaariges Publikum im Afghanenmantel Klänge verlangte, die über die Top 40 hinausgingen. Pink Floyd passten perfekt in dieses Schema – und wie. Sie hatten zwei neue Konzeptwerke komponiert, die den Tag im Leben eines Durchschnittsbürgers illustrierten: ›The Man‹ und ›The Journey‹. „Schlafen, Arbeiten, Spielen, und wieder von vorne“, erklärte Waters und kündigte damit unwissentlich die Themen an, die auf THE DARK SIDE OF THE MOON beleuchtet werden sollten.
Beide Stücke wurde in jenem Sommer live gespielt und setzten Klangeffekte, Elemente aus dem Theater und der Performance Art ein. In der Royal Festival Hall in London sah ein verwirrtes Publikum zu, wie Pink Floyd in einem 20-minütigen Segment unter dem Titel „Work“ auf der Bühne einen Tisch zusammenbauten. Als er fertig war, setzte ein Roadie Wasser auf und servierte der Band Tee. „Die Idee war, dass das Sägen und Hämmern einen Rhythmus erzeugten. Das war interessant, machte Spaß und sollte provozieren, aber ich denke nicht, dass wir großartige Künstler waren. Wir sind ganz schön viel herumgestolpert“, gestand Gilmour.
Manchmal erstreckte sich die Darbietung über die Bühne hinaus in den Zuschauerraum. Bei der Show „The Final Lunacy“ in der Londoner Royal Albert Hall zog sich einer der Freunde der Band von der Kunstschule ein unheimliches Latexkostüm an, Spitzname „Das Teermonster“. Dann rannte er die Gänge entlang und sprühte „Urin“ aus einem Plastikphallus. „Ein Mädchen schrie und rannte aus dem Saal“, erinnerte sich Mason. Doch hinter dem Kunstschüler-Humor steckten musikalische Ideen, die den Weg in die Zukunft wiesen. Der Klang des brodelnden Wasserkochers des Roadies wurde später in den 70ern auf ATOM HEART MOTHER eingesetzt, und die läutenden Wecker aus einem Teil von ›The Journey‹ waren noch mal auf THE DARK SIDE OF THE MOON zu hören.