Michael Monroe hat keine Lust auf Stillstand. Auch eine Karikatur seiner selbst zu werden steht nicht auf der Agenda des ehemaligen Hanoi-Rocks-Frontmannes. Stattdessen wirft sich der Kult-Künstler hungrig und voller Leidenschaft in seine neue Platte, zersägt auf I LIVE TOO FAST TO DIE YOUNG gängige Rock’n’Roll-Klischees und
setzt sich u. a. mit dem Älterwerden auseinander. Ein Gespräch über Integrität, allzu klebrige Nostalgie und den Blick nach vorne.
Was hat die Pandemie mit Michael Monroe gemacht?
Alles wurde verschoben, gestrichen und so weiter. Wir hätten nach ONE MAN GANG einen tollen Sommer vor
uns gehabt, davon blieb leider nur wenig übrig. Bei der zweiten Welle wurde mir dann klar, dass das noch
länger gehen würde, also dachte ich, dass wir eine neue Platte brauchen. Letzten Sommer hatten wir dann 32
Songs beisammen, aus denen wir auswählen konnten.
Hast du überlegt, ein Doppelalbum zu machen?
Die Diskussion kam kurz auf, aber ich bin da klassisch veranlagt. Zehn, zwölf Songs, fertig. Das sollte eine Platte werden, die man sich gleich nochmal anhören will, wenn sie aus ist. Wir haben das Beste aus der Pandemie gemacht, wir haben gearbeitet, waren vorsichtig und sind es immer noch. Viele Leute denken ja gerade, das Ganze sei vorbei, das ist aber ein Trugschluss. Die Krankheit ist nicht weg. Menschen in Machtpositionen sollten sich grundsätzlich mal auf sinnvolle Dinge konzentrieren, statt Massenver-
nichtungswaffen zu bauen und Krieg zu führen.
Das ist echt verrückt, die Menschheit ist verloren. Wir machen dieselben Fehler und das immer wieder …
Absolut. Dann kommt der Klimawandel oben drauf. Leonard Cohen wurde mal gefragt, ob es noch Hoff-
nung gibt, und er meinte ganz klar nein. Ich mag es ungern zugeben, aber er hatte Recht.
Fühlt es sich da für dich komisch an, Rock’n’Roll zu spielen?
Nein, das ist ein Grund mehr, eine Platte herauszubringen und gute Vibes zu versprühen. Es geht um Entertainment, aber auch darum, deinen Standpunkt klarzumachen. Wenn nicht jetzt, wann dann? Ich bin für positives Denken, das habe ich auf ONE MAN GANG schon gesungen. Auch wenn es wirklich schwer ist. Da ist die Pandemie am Abflauen, dann kommt Russland mit diesem Krieg um die Ecke. Man kann sich beschweren, aber es hilft ja leider nichts. Trotzdem dauert es, bis man diese schreckliche Realität verdauen kann.
I LIVE TOO FAST TO DIE YOUNG beschäftigt sich u.a. mit dem Verstreichen der Zeit. Hat der Rock’n’Roll ein Problem mit dem Altern?
Nicht unbedingt. Dieses Live-fast-die-young-Klischee in der Rockmusik ist im Grunde Bullshit. Niemand will
jung sterben. Ich möchte alte Klischees neu erf inden. Ich hatte nie ein Alkohol- oder Drogenproblem, das ist in der Szene fast schon außergewöhnlich. Viele tappten damals in diese Falle, vor allem, weil die Industrie menschliche Unfälle feiert, bis sie zum Problem werden. Und dann ist man weg vom Fenster. Darum geht es in ›Young Drunks – Old Alcoholics‹. Schau dir im Gegensatz dazu Mick Jagger an, der läuft herum wie ein junges Reh. Das ist eine große Inspiration für mich. Man muss gut auf sich achten, wenn man lange auf der Bühne stehen will. Jeder Rocker muss also seine eigene Entscheidung treffen, wie er leben will.
Ich weiß einfach nicht, ob dieses Destruktive nicht in der DNS vieler Rockstars angelegt ist.
Der Großteil dieser „Rockstars“ – so würde ich mich selbst nicht bezeichnen, ich bin ein Rocker – in Amerika
hat es übertrieben. Viele von denen waren besser an ihren Haarspraydosen als an ihren Instrumenten. Ich nehme den Rock’n’Roll ernst, das ist eine spirituelle Angelegenheit. Statt das Hirn auszuschalten, kann man sich auch die Welt ansehen und sinnvolle Texte schreiben. Mit Musik erreichst du mehr Leute als jeder Politiker. Schon ›Man With No Eyes‹ handelte damals [1990] von Diktatoren, das war ein echtes Statement, auch wenn viele meinten, das passe nicht zu einem Künstler wie mir. Aber man muss kein Idiot sein, um ein Rockstar zu sein. Musik spricht eine sehr universelle Sprache, die Grenzen mühelos durchschneidet.
Exakt. In ›Murder The Summer Of Love‹ geht es um das Hippie-Ideal, darum, in der Gegenwart zu leben.
Menschen neigen dazu, alles für den Fortschritt niederzureißen oder nur noch mit Nostalgie zurückzublicken.
Der Song sagt: Steh auf und genieße dein Leben! Ein ironisches Märchen, das dazu anleitet, die Vergangenheit
auch mal ruhen zu lassen. Viele Künstler leben nur in Nostalgie.
Deswegen habe ich vorher gefragt, ob der Rock’n’Roll ein Problem mit dem Altern hat. Und deswegen mag ich deine Platte, weil du dich nicht nur selbst reproduzierst …
Für mich war das immer das Wichtigste. Dass man hungrig bleibt. Ich möchte immer wieder das beste
Album meiner eigenen Karriere zustandebringen. Viele Bands machen nur eine Platte, um wieder auf Tour
gehen zu können. Die spielen einen neuen Song und hauen sonst nur die Hits raus. Nicht mit mir. Deswegen
war I LI VE TOO FAST DO DIE YOUNG der perfekte Titel. In dem gleichnamigen Song geht es darum, klar im Kopf zu bleiben und nach vorne zu schauen. Ich werde diesen Sommer 60 Jahre alt und ich gebe noch immer mein Bestes. Ich habe die beste Band, die ich mir wünschen kann, und mache immer noch Musik mit Feuer und Haltung, werfe mich total in die Liveshows. Darum geht es mir im Rock’n’Roll: Um die Wahrung meiner Integrität und um Ehrlichkeit. Wenn man ehrlich aus dem Herzen spricht, erreicht man die Herzen der
anderen. Viele der großen Namen im Business sind oberflächlich, die haben einen guten Ruf, viele mögen sie, aber ich sage, auch viele Menschen auf einmal können sich irren. Für mich sind das keine Künstler, sondern Acts. Schauspieler, denen es vor allem ums Geld geht. Früher oder später zeigt sich das in der Musik. Das ist per se nicht falsch, aber ich bin ein waschechter Rocker, mich spricht das nicht an. Viele Künstler wie Johnny Thunders hatten ein Herz aus Gold, die waren wirklich einzigartig und besonders, sie atmeten den wahren Spirit des Rock’n’Roll. Sie wurden vielleicht nicht so berühmt, aber für mich hatten sie die Essenz des Genres in sich vereint.
Ich finde, dass einige Rocker den Spagat ins Hier und Jetzt nicht gut hinbekommen.
Ja klar, wenn du als junger Kerl nur säufst und feierst, macht sich das spätestens in deinen 50ern in deinem
Gesicht bemerkbar. (lacht) Und wenn man als Mensch nicht wachsen kann, bleibt man in der Vergangenheit kleben und das wirkt schnell …
… lächerlich!
Wenn die Zeit voran- schreitet, musst du mitgehen. Es bringt nichts, stehenzubleiben. Auch als Kult-
figur nicht. Darum geht es auch in meinem neuen Song ›Everybody’s Nobody‹. Ich finde, auf diesem Album haben wir wichtige Botschaften und den Sound der Band aufgefrischt. Die Produktion hat mehr Luft, die Arrangements sind anders. Ich freue mich wirklich über diese Platte.