Mit ihrer Musik feiern sie weltweit Erfolge, doch im privaten Umfeld ereignen sich bei Mastodon mehr Tragödien als bei anderen Bands. So auch während der Entstehung von THE HUNTER.
Spaß ist ein Wort, das man in der Metal-Gemeinschaft nicht unbedingt verwendet“, findet Brann Dailor. Mastodon haben ihr neues Album THE HUNTER dennoch als „Spaß-Platte“ bezeichnet. Nun hadert der Drummer der Prog-Metaller damit: „Die Leute fragen sich bestimmt: ‚Was hat es mit diesem Spaß auf sich? Das klingt nicht gut!‘ Aber ich kann unseren Fans versichern: THE HUNTER ist eine harte, launische Platte mit düsteren, bizarren Texten. Mit ‚Spaß‘ meinten wir einfach, dass wir diesmal vermehrt schnellere Stücke geschrieben haben, die unseren Live-Auftritten entgegenkommen, weil die Leute dazu herumspringen wollen. Denn wenn wir sehen, dass die Leute beim Gig Spaß haben, haben wir ihn auch.“
Vergnügen bereitete dem Quartett diesmal auch der Verzicht auf ein (musikalisches und/oder textliches) Konzept – obwohl sich Dailor bereits einen Plan zurechtgelegt hatte, als die Band mit der Songwriting-Phase begann. „Ich dachte, dass wir erneut diesen Weg gehen würden“, erinnert sich der 36-Jährige. „Also hatte ich mir eine verrückte Science-Fiction-Geschichte ausgedacht, aber dann fragten die Jungs zu meiner Überraschung: ‚Müssen wir das schon wieder machen? Lasst uns was anderes probieren!‘ Und ich hatte überhaupt kein Problem damit.“
Mastodon-Kollege und -Bassist Troy Sanders zufolge war Gitarrist Brent Hinds der Erste, der den Änderungswunsch laut formulierte: „Hey Jungs, was haltet ihr davon, wenn wir das genaue Gegenteil von dem tun, was wir sonst immer gemacht haben?“ Denn auf dem Vorgänger CRACK THE SKYE haben die Herren Dailor, Sanders, Hinds und Gitarrist Bill Kelliher Musik komponiert, die enorm tiefgründig, vielschichtig und technisch ist. Hinzu kommt die sehr persönliche Geschichte über Dailors früh verstorbene Schwester, die auf komplexe Art und Weise mit dem Reisen durch Schwarze Löcher verbunden worden ist. „Auf Tour spielten wir diese Songs jeden Abend – und mussten ihre Ernsthaftigkeit daher immer wieder neu spüren und durchleben“, berichtet Sanders. „Als es dann ans Schreiben von THE HUNTER ging, haben wir uns schnell von der Idee verabschiedet, schon wieder so tiefgründig zu klingen.“ Stattdessen wollten sich Mastodon als Band selbst neue Energie einhauchen. „Ich bin froh, dass wir damals CRACK THE SKYE gemacht haben. Aber ich bin ebenso froh darüber, dass wir uns nun einen Schritt davon entfernt und uns mit ein paar Arschtritt-Rock’n’Roll-Riffs selbst eine Freude gemacht haben.“
Und im Übrigen bedeutet dieser Sinneswandel nicht, dass es bei Mastodon nie wieder ein Konzeptalbum geben wird. „Es gibt nichts, das wir von vornherein verwerfen würden“, stellt Troy Sanders klar. „Sogar eine Kollaboration mit David Hasselhoff wäre denkbar – wir würden uns definitiv zuerst mit dieser Idee beschäftigen, bevor wir sie ausmustern. Wir genießen es, spontan zu sein und auch mal aus unserer Kuschelecke herauszutreten. Denn wir wollen keine eindimensionale Band sein, die auf immer und ewig dasselbe Ding durchzieht.“
THE HUNTER ist übrigens Brent Hinds’ Bruder Brad (einem begeisterten Jäger) gewidmet, der während der Produktion des Longplayers auf der Pirsch war, dabei einen Herzinfarkt erlitt und verstarb. „Das war ein wirklich tragischer und schockierender Vorfall“, erinnert sich Troy, während Brann ergänzt: „Das Titelstück hat natürlich Brent geschrieben. Es besitzt ein extrem schwermütiges Feeling und ist ein wunderschöner Tribut an seinen Bruder.“ Gleichzeitig hat Brent jedoch nach Aussage von Dailor auch viele triumphierende Songs zu THE HUNTER beigetragen. Und man kann z.B. beim kindlichen ›Blasteroids‹ oder dem abgedrehten ›Curl Of The Burl‹ den Eindruck bekommen, dass Hinds den Tod seines Bruders – vorerst – nicht wahrhaben wollte. Verständlicherweise.
Zusätzlich zur Verarbeitung von Brad Hinds’ Tod hatten die Mastodons mit einer weiteren Unwägbarkeit zu kämpfen: Riff-Meister Bill Kelliher wurde zwei Mal ins Krankenhaus eingeliefert. Der übermäßige Alkoholgenuss machte seiner Bauchspeicheldrüse zu schaffen – sie entzündete sich. Laut Brann Dailor musste sich Kelliher sogar Krankheitsauszeiten während der Arbeiten an THE HUNTER nehmen. „Das war hart. Denn wie sollst du Entscheidungen treffen, wenn ein wesentlicher Teil der Band fehlt?“, blickt der Drummer zurück. „Aber wir mussten gewisse Sachen einfach durchziehen. Bill stieß dann direkt zu uns, als es ihm wieder besser ging.“ Mit THE HUNTER haben Mastodon also nicht nur den Verlust von Brent Hinds’ Bruder, sondern auch Bill Kellihers Leiden verarbeitet. „Wir alle wollten das unbedingt hinter uns lassen und diese Platte schreiben“, betont Dailor. „Es klingt abgedroschen: Aber wir haben dieses Album in dem Geist aufgenommen, dass wir den Dämonen, die uns runterziehen wollten, die Stirn bieten müssen.Wir haben ihnen ins Gesicht gespuckt.“
Kelliher lebt nun abstinent, verzichtet komplett auf hochprozentigen Alkohol. Seine Bandkollegen finden es allerdings schwer, ihn zu unterstützen, indem sie sich in seiner Gegenwart nicht mehr zusaufen. „Wir versuchen es zumindest“, lacht Brann. „Aber das ist echt nicht einfach, Mann. Daheim lange ich sowieso nicht so häufig zu, aber auf Tour – ich schwöre: Das Zeug steht überall rum. Es ist echt schwer, vor allem während der europäischen Festival-Saison, wenn eine Band wie wir schon um 15 Uhr von der Bühne geht, jeder danach nur rumhängt und es nicht wirklich was zu tun gibt. Da schüttet man sich halt zu.“
Neben dem Albumtitel, der eine Hommage an Brad Hinds darstellt, und den kürzeren, eingängigeren Songs fällt an THE HUNTER eines zunächst einmal nicht auf: die Optik. Wie bei sämtlichen Studioalben zuvor gibt es auch diesmal ein detailreiches Artwork zu bewundern, allerdings wurde der mit drei Unterkiefern ausgestattete Hirschkopf nicht wie bisher von Grafikdesigner Paul Romano gestaltet, sondern von Holzschnitzer A.J. Fosik. „Vor ungefähr zwei Jahren habe ich Fosiks Arbeiten im ‚Juxtapoz Magazin‘ entdeckt und seinen Namen im Hinterstübchen abgespeichert.“ Als Brent anregte, mal einen anderen Designer zu engagieren, kam flugs Fosik ins Spiel. Denn: „Wir wollten auch in Sachen Artwork unsere Komfortzone verlassen.“