Mit ihrem neuen Album THE WIND THAT SHAKES THE BARLEY geht die Hohepriesterin des Celtic Folk zurück an die Wurzeln einer lebenslangen Faszination.
Sie ist in hohem Maße für eine der bedeutendsten popmusikalischen Entwicklungen der letzten zwei Jahrzehnte mitverantwortlich – nur dass so-wohl diese Entwicklungen als auch McKennitts entscheidende Anstöße dazu nie hinreichend in den großen Publikumsmedien thematisiert wurden: In den Folk-, den New-Age- und auch in den Pop-Abteilungen von Plattenläden und Online-Stores finden sich heute unzählige Releases, die auf die eine oder andere Weise das reiche Erbe der keltischen Folklore musikalisch nutzen – und die Kanadierin McKennitt hat diesen Boom mit den Platten, die sie seit 1985 auf ihrem eigenen Label „Quinlan Road“ veröffentlicht, und mit gefeierten Tourneen maßgeblich mit ausgelöst.
Von ungefähr kommt das alles nicht – wer sich mit McKennitts Alben beschäftigt und mit ihr spricht, dem fällt schnell auf, dass die Sängerin, Harfenistin und Komponistin ein tiefes und umfangreiches Wissen über die keltische Kultur in ihre Arbeit investiert. Wie viel von einer Gelehrten steckt eigentlich in ihr? „Ich verfüge, von ein paar Semestern Tiermedizin mal abgesehen, über keinen klassischen akademischen Hintergrund, etwa im Sinne eines Musik- oder Geschichtsstudiums. Als Teenager habe ich schlicht eine große Faszination für die keltische Musik und damit bald auch die keltische Geschichte und Kultur entwickelt – und meine persönliche Neugier trieb mich dann immer weiter. Aber das geht alles auf eher informellen Wegen vor sich.“
Seit ihre Karriere ins Rollen kam, kann McKennitt auf privilegierte Weise ihrer Faszination frönen. „So in etwa seit 1994 habe ich durch meine Musik die Möglichkeit, zu all diesen Orten zu reisen, die mit der keltischen Geschichte irgendwie verbunden sind, und da nun vieles aus erster Hand zu erfahren, vieles unmittelbar zu erleben, was mich interessiert – und das sind oft ganz andere Dinge als die, nach denen Historiker oder Archäologen suchen würden: etwa wie das Licht an einem bestimmten Ort ist, wie die Winde dort gehen, die Luft dort riecht, was für eine Esskultur die Menschen dort haben. Für mich als Künstlerin sind diese sinnlichen Aspekte ganz wichtige Informationen, die mir helfen, mich in ein altes Lied hineinzufühlen, ein persönliches Verhältnis dazu zu entwickeln, eine spannende Emotion in meiner Performance aufzubauen.“ Ganz ohne akademische Unterstützung muss die Neugierige aber doch nicht auskommen: „Ich stehe in regem Austausch mit einem Archäologen der Universität von Arizona, der mir immer wieder wertvolle Hinweise gibt.“
Was aber hat seinerzeit diese Faszination in der jungen Loreena ausgelöst, die immerhin so stark war, dass sie ein Leben lang angehalten hat? „Na ja, ich bin rotblond, mein Vater ist ein Viehhändler mit schottischen Vorfahren, die Familie meiner Mutter kommt aus Irland – irgendwann während der Schulzeit wird man eben neugierig, beginnt sich Fragen nach den eigenen Wurzeln zu stellen. Und als ich schließlich mit den ersten alten irischen Liedern in Berührung kam, gab es kein Halten mehr…“
Seitdem befindet sich Loreena McKennitt auf einem künstlerischen Trip, der auch geografisch an Orte führt, die weniger Informierte zunächst nicht mit dem keltischen Erbe in Verbindung bringen würden: Reisen durch die Mongolei und die Türkei resultierten in dem fernöstlich geprägten Werk AN ANCIENT MUSE (2006). Für die Alben NIGHTS FROM THE ALHAMBRA (2007) und A MEDITERRANEAN ODYSSEY (2009) machte sie sich mit den keltischen Spuren im Mittelmeerraum vertraut.
Mit ihrem neuen Album THE WIND THAT SHAKES THE BARLEY geht Loreena jetzt stilistisch zurück an die irischen Wurzeln ihrer lebenslangen Passion: Man hört darauf bekannte Klassiker des Irish Folk wie ›Down By The Sally Gardens‹, ›The Star Of The Country Down‹ und ›The Parting Glass‹, aber auch weniger bekannte traditionelle Lieder wie ›The Death Of Queen Jane‹ und ›As I Roved Out‹. Zwei Instrumentalstücke sind ebenfalls auf dem Album enthalten, eines davon ist ein Loreena-McKennitt-Original namens ›The Emigration Tunes‹. Dieses Stück bezieht sich auf die irisch-kanadische Geschichte während der Hungersnot 1840. Die Weltmusik-Tendenzen der Vorgängeralben schränkte die Künstlerin diesmal zu Gunsten eines wieder stärker auf den Folk konzentrierten Sounds ein. „Seit einigen Jahren haben mich immer wieder Leute danach gefragt, wann ich denn mal wieder etwas im Stil meiner ersten, musikalisch traditionelleren Alben aufnehmen würde. Ich hab das einige Zeit vor mir her geschoben, aber im vergangenen Jahr hatte ich dann plötzlich das Gefühl, dass die Umstände passten und die Zeit dafür gekommen war. Und dann ging alles sehr schnell, innerhalb von wenigen Tagen, nachdem ich mich endlich zu dem Projekt durchgerungen hatte, begannen wir auch schon mit den Sessions.“
Für die Aufnahmen suchte sich die Hohepriesterin des Keltenfolk einen ganz besonderen Ort aus: den Sharon Temple, ein handwerkliches Holzgebäude nördlich von Toronto, aus dem Jahr 1832. Mit vollem Namen heißt das Gebäude „The Temple Of The Children Of Peace“, und es ist das Herzstück eines historischen Kulturerbes von insgesamt neun alten Gebäuden, die in einem Park liegen. „Ich kannte den Tempel schon von einigen Sommerkonzerten her, seine Größe, Form und das Licht dort sind einfach wundervoll…“ Allerdings dürfe man nun nicht annehmen, dass sie den Tempel etwa ausgesucht habe, um sich für die traditionellen Songs „in Stimmung“ zu bringen – das nämlich geht die Wissbegierige dann doch wieder gelehrsamer an: „Um einen Song wie etwa das Titelstück ›The Wind That Shakes The Barley‹ richtig zu interpretieren, muss man seinen Zeithintergrund verstehen. Das Lied stammt aus dem 19. Jahrhundert, erzählt aber vom Aufstand der United Irishmen gegen die britische Krone im Jahr 1798, also einer politisch ziemlich unruhigen Epoche. Darüber habe ich mich vor den Aufnahmen schlau gemacht.“
Bei allem Interesse für geschichtliche Hintergründe – gänzlich traditionell wollte McKennitt die Songs dann doch nicht interpretieren: „Ich wollte ihnen gerecht werden, den Absichten der Komponisten treu bleiben – aber deswegen sollte trotzdem nicht alles total konventionell klingen, auch wenn wir traditionelle Instrumente verwenden. Ich habe schon den Ehrgeiz, immer etwas Eigenes in meine Darbietungen einzubringen.“