Long Distance Calling: Nie grundlos wortlos

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Long Distance Calling: Nie grundlos wortlos

HOW DO WE WANT TO LIVE?, fragt Deutschlands wichtigste Instrumental-Band mit ihrem siebten Album. Damit ist weniger eine musikalische Ausgabe von „Schöner wohnen“ gemeint, eher geht es um die immer dünner werdende Linie zwischen Mensch und Maschine. Entsprechend elektronisch legiert, glänzt der überwältigende PostRock der Münsteraner im Krisenjahr 2020.

Die Neugier hat uns weit gebracht. Um die Welt, auf den Mond, auf den Grund der Tiefsee. Sie hat auch HOW DO WE WANT TO LIVE? geprägt, das siebte Album der Münsteraner Post-Rock-Größe Long Distance Calling. „Nur Neugier ermöglicht Fortschritt“, betont Basser Jan Hoffmann. „Mit all seinen Licht- und Schattenseiten.“ Das Licht und den Schatten fängt seine Band mal wieder wunderbar ein. Die instrumentalen Kapriziosen sind längst zum Trademark geworden, ein wuchtiger, schwereloser Kosmos für sich, der keine Worte mehr braucht, um eine Geschichte zu erzählen.


HOW DO WE WANT TO LIVE? funktioniert wie eine Sci-Fi-Serie, bei der man den Ton abgestellt hat, transportiert Bedeutung ganz universell und global über Musik. Und ist zu gleichen Teilen Utopie und Dystopie. „Es war uns wichtig, beide Seiten derselben Medaille abzubilden“, sagt Hoffmann zum Konzept. „Fortschritt und Zukunft haben immer auch ihre positiven Seiten. Wir wollten keine rein dunkle Welt malen. Viele Aspekte des Fortschritts – und speziell der künstlichen Intelligenz – erleichtern unser Leben und werden das
auch in Zukunft tun. Aber“, betont er, „wir sollten nicht den Anschluss verlieren, sondern den Überblick behalten.“ Passend zum visionären Blick in eine noch kommende Zeit heißen Long Distance Calling verstärkt elektronische Elemente in ihrer Welt willkommen. „Das war naheliegend, um die Verbindung zwischen Mensch und Maschine zu betonen. Außerdem wollten wir nach unserem letzten, recht harten Album BOUNDLESS den elektronischen Aspekt unserer Musik etwas mehr in den Vordergrund rücken.

Wir lieben es, mit jedem Album etwas Neues zu probieren und zu sehen, wohin uns die Reise führt.“ In der Tat klingt jedes der sieben Werke anders und dennoch vertraut. Long Distance Calling loten die Möglichkeiten der instrumentalen Musik auch 2020 weiter aus, geben sich höchst atmosphärisch, gar spacig und vermitteln ein bewegendes Gefühl der Monumentalität. Es wird bei jeder Note klar, dass es hier um große, elementare Dinge geht. Ganz ohne Gesang ist das nach wie vor erstaunlich, nichts anderes. „Vielleicht war das immer unsere Stärke“, überlegt der Bassist, „aber diesmal haben wir durch den Einsatz von Sprachsamples ein gewisses Narrativ erschaffen, das den Hörer durch das Album führt.“ Mit ›Beyond Your Limits‹ sind sich die Münsteraner auch der Tradition treu geblieben, einen Song mit Gesang auf das Album zu nehmen.

Das Besondere: Er ist aus Sicht der Maschine geschrieben und erlaubt es, die Dinge von der anderen Seite zu betrachten. Am Ende haben natürlich auch Long Distance Calling keine allgemeingültige Antwort auf die Frage parat, wie wir in Zukunft leben wollen. Aber sie geben mehr als genug Anhaltspunkte, um mal darüber nachzudenken. „Werden wir durch die Weiterentwicklung der künstlichen Intelligenz ein Stück unserer Freiheit und Autonomie aufgeben – oder wollen wir die Zügel in der Hand behalten?“, fragt Hoffmann. Mal abwarten, was die Maschinen dazu sagen werden …

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