Etwas seltsam ist es schon. Da kommen die wohl größten Stars des Glam und Sleaze Rock aus Los Angeles … nach Franken. So müssen diesmal nicht nur die Musiker sondern auch ein Großteil der Fans auf Reisen gehen, um im beschaulichen Bamberg Mötley Crüe und Slash zu sehen.
Alle erdenklichen Sorten von Rockern kommen in die fränkische Provinz. Der gestandene Rocker, der Slash sicherlich schon mit Guns N’ Roses live gesehen hat, steht in der Bierschlange zwischen der 15-jährigen Rock-Chick und dem Jungspund, der sich stolz die blondierten Haare auftoupiert hat. Die Stechert-Arena, in der normalerweise Bälle in Körbe geworfen wird, ist eine feine mittelgroße Halle mit Sitzplatztribünen und bietet eine fantastische Kulisse für einstige Megastars, denen heutzutage leider die ganz großen Stadien verwehrt bleiben.
Bevor der berühmteste Zylinderträger der Rockgeschichte zusammen mit Sänger Myles Kennedy und seinen Conspirators seine Mischung aus neuem Solo-Material, Gunners- und Velvet Revolver-Hits aus dem Hut zaubert, haben die jungen Hair-Metaler von Kissin’ Dynamite die Gelegenheit sich ihren kalifornischen Vorbildern zu präsentieren. Das tun sie und diese Leistung wird auch vom Publikum honoriert.
Slash, der sich in ausgezeichneter Form zeigt, hat sich die für ihn perfekten Musiker – allen voran Glas-Stimme Kennedy – ausgesucht. Das macht seine Band an diesem Abend ganz besonders deutlich. Ihr Opener, das arschtretende ›One Last Thrill‹ vom neuen Album APOCALYPTIC LOVE wie auch die elf weiteren Lieder zeichnen sich durch enorme Spielgenaugkeit und einem klaren, aufgeräumten und drückenden Sound aus. Myles Kennedy, der vor einiger Zeit noch etwas unbeholfen den Frontmann mimte, ist mittlerweile lockerer und schafft es, souverän zu wirken und offener auf das Publikum einzugehen. Bemerkenswert ist, dass Slash – im Gegensatz zu Axl Rose und seiner Söldner-Truppe – nicht vollends von den alten Gunners-Klassikern abhängig ist. Der größte Teil des Sets besteht aus Liedern des neuen Slash-Langspielers. Natürlich dürfen ›Nightrain‹, ›Sweet Child O’ Mine‹, ›Mr. Brownstone‹ und der traditionelle Schlusspunkt ›Paradise City‹ dennoch nicht fehlen. Die Stimmung bricht aber bei den jüngeren Nummern aus Slashs Feder nicht ab. Schade ist, dass die Bühnenzeit für Slash zu kurz ist. So ist das leider als “Vorband”.
Mötley Crüe beginnen mit ihrem 80s-Hit ›Wild Side‹. Merkwürdigerweise ist hier der Sound nicht annähernd so gut wie zuvor bei Slash. Da das weder an der Akustik in der Stechert-Arena noch an der Anlage liegen kann, bleibt nur ein Schluss: Es muss an der Band liegen. Einige Classics wie ›Live Wire‹ und ›Too Fast Love‹ später wird klar, dass es nicht an Tommy Lee, dessen Spielfreude und dessen 360 Grad-Achterbahn-Drum-Solo die eigentlichen Höhepunkte der Show sind, oder Mick Mars, der immer noch seinen rotzigen Gitarren-Sound zaubert, liegt. Nikki Sixxs plumpes Bassspiel und Vince Neil, der sich soviele Gesangspausen leistet, dass er besser pro gesungenem Wort bezahlt werden sollte, bringen dieses musikalische Ungleichgewicht. Einem Becher werfenden Fan, dem diese Tatsache auch aufgefallen zu sein scheint, hat das restliche Publikum dann zu verdanken, dass sich Mötley Crüe nach nur 14 Liedern – ohne dem Pflicht-Hit ›Dr. Feelgood‹ – mit einem zu ›Kickstart My Heart‹ Kunstblut spuckendem Nikki Sixx verabschieden.