Ian Fortnam blickt zurück auf das Leben und die Musik des selbsternannten „Architekten des Rock’n’Roll“, der das Gesicht der Populärmusik für immer veränderte.
Little Richard wusste immer, wie wichtig er war, und war sich seines Legendenstatus mehr als bewusst. „Ich bin der Schöpfer, ich bin der Emanzipator, ich bin der Architekt des Rock’n’Roll“, sagte er 1996 in aller Bescheidenheit zu mir. „Ich bin der Konstrukteur, derjenige, der den Zug in die Stadt brachte.“
Es gab keinen „Aus“-Schalter an diesem „Quasar Of Rock“, wie er sich gerne selbst bezeichnete. Er hatte sein Handwerk als Marktschreier für Quacksalber gelernt und vergaß nie, wie man einen Auftritt hinlegt. Er strahlte mit weit aufgerissenen Augen, scheinbar kurz vor dem Wahn – eine schillernde Vision eines Mannes mit Haartolle und zentimeterdicker Kosmetikaschicht. Er war – je nachdem, wen man fragte – der König oder die Königin des Rock’n’Roll, der König des Blues, der Schöpfer des Soul, und Anfang der 50er Jahre, als James Brown auf Tour für ihn eröffnen durfte, wurde er für gewöhnlich als „der fleißigste Mann im Showbusiness“ angekündigt. Und diese außergewöhnliche Stimme, sanft und charmant im Ruhezustand eines Gesprächs, besaß eine explosive Kraft, der keiner seiner Zeitgenossen auch nur annähernd das Wasser reichen konnte. Es war ein unwiderstehlicher Fanfarenstoß, der ein schwarzes und ein weißes Publikum einte, selbst in den von der Rassentrennung geprägten Südstaaten, rund um den Globus hallte und das Gesicht der Populärmusik für immer veränderte.
Am Anfang war das Wort, und das Wort war „Awopbopaloobop-Alopbamboomo“. Als nicht näher definierte Absichtserklärung so sinnfrei wie unbestreitbar. Die Geheimsprache des frisch geschlüpften Rock’n’Roll, des Teenagerseins, der Rebellion. ›Tutti Frutti‹, Richards bahnbrechendes Debüt für Art Rupes Speciality Records im Oktober 1955, produziert von Robert „Bumps“ Blackwell, fing rohe Lebensfreude in einer Intensität ein, wie man sie schlicht noch nie zuvor gehört hatte. Über einen treibenden R’n’B-Beat von Kontrabassist Frank Fields und Schlagzeuger Earl Palmer, angespornt von den Saxofonisten Lee Allen und Alvin „Red“ Tyler, hämmerte Richard elektrisierende Klavierakkorde raus und sang in einem so entfesselten Stakkato, dass er damit die Toten wecken konnte. Kreischen, Brüllen, Schreien. Lautstärke, Kraft, Leidenschaft. Es war der Klang eines Dammbruchs. Die Stunde Null der sexuellen Revolution.
Little Richard hatte schon seit Jahren eine ungefilterte Version von ›Tutti Frutti‹ gespielt, doch der ursprüngliche Text („Tutti Frutti, good booty/If it’s tight, it’s alright, if it’s greasy, makes it easy“) war zu obszön für eine Veröffentlichung gewesen, also beauftragte Blackwell die örtliche Texterin Dorothy LeBostrie, eine „saubere“ Version zu verfassen.
Doch selbst zensiert verlor der Songs nichts von seiner Kraft. Er schoss auf Platz 2 der R’n’BCharts und schaffte es in der nationalen US Hitliste bis auf Platz 21. Nun standen Tür und Tor weit offen und Little Richard und Bumps Blackwell nahmen eine Reihe weiterer Singles auf, die den Rock’n’Roll definierten: ›Long Tall Sally‹/›Slippin’ And Slidin’‹, ›Rip It Up‹/Ready Teddy‹, ›Heeby Jeebies‹/She’s Got It‹, ›The Girl Can’t Help It‹, ›Lucille‹, ›Jenny Jenny‹, ›Keep A-Knockin’‹, ›Good Golly Miss Molly‹. Er eroberte Amerika im Sturm. Seine bestens gedrillte Band The Upsetters (Lee Diamond Smith am Saxofon, Buster Douglas an der Gitarre, Olsie „Bassy“ Robinson am Bass und Schlagzeuger Chuck Connors) akzentuierte bei ihren Live-Auftritten den Backbeat seiner Aufnahmen und wurde so auch noch zu Funk-Pionieren – laut James Brown, dem man seine Autorität auf diesem Gebiet nun wirklich nicht absprechen konnte.
1956 nahm Elvis Presley vier Songs von Little Richard auf, Pat Boone erhielt zwei Goldene für schlaffe, schmerzhaft weiße Neubearbeitungen von ›Tutti Frutti‹ und ›Long Tall Sally‹ und selbst Bill Haley sprang auf seine alten Tage noch auf den Zug auf und kam mit ›Rip It Up‹ in die britischen Top 5. Gene Vincent, Buddy Holly, Eddie Cochran, Carl Perkins, die Everly Brothers und Jerry Lee Lewis coverten im Laufe der 50er Jahre sämtlich Songs von Little Richard. Wer sich die Mühe machte, genau hinzusehen, kam nicht umhin, die wahre Hackordnung im Rock’n’Roll zu erkennen. 1969 gestand sogar Elvis ein, dass Little Richard „der Größte“ war.