Text: Matthias Mineur
Mitte der 70er konnten immer mehr deutsche Rockgruppen die Früchte ihrer Bemühungen ein- sammeln und sich über steigende Verkaufszahlen freuen. Wie auch bei der Kölner Band Triumvirat lagen da allerdings bereits etliche Jahre harter Arbeit und selbstlosen Engagements hinter den Musikern. „Als Triumvirat 1970 anfingen, spielten wir für 300 Mark, manch- mal auch für 200“, erinnerte sich Organist Hans-Jürgen Fritz später. „Es ging nicht um die Gagen, man musste nur irgendwie den gemieteten VW-Bus und das Benzin bezahlen. Da blieb am Schluss gerade noch das Geld für eine Currywurst übrig.“ Dennoch hatte seine Band von Beginn an ehrgeizige Pläne, wollte sich nicht mit den oft hölzernen Gehversuchen anderer teutonischer Kapellen zufrieden geben. „Krautrock“ war für Fritz „schlecht gespielte Stücke, irgendwie verstimmte Gitarren und ein grässlicher Gesang“, alles Dinge, die Triumvirat tunlichst vermeiden wollten. Der Gruppe schwebte eine stärker progressive Musik vor, wie sie vor allem aus England kam. Dementsprechend ließen Triumvirat weiche Melodien über schwere Keyboard-Kaskaden schweben und durchtränkten sie mit klassischen Zitaten und ausufernden Soli. Übungsraum-Aufnahmen auf einem alten Grundig TK23-Tonbandgerät führten 1971 zum Vertrag mit dem „Harvest“-Label des Kölner Mediengiganten EMI. Das Debütalbum MEDITERRANEAN TALES wurde von den Medien allerdings als zweitklassiger Aufguss von Emerson, Lake & Palmer abgetan, auch das Folgewerk ILLUSIONS ON A DOUBLE DIMPLE stieß in Deutschland auf nur mäßige Resonanz. In Amerika hingegen erwies sich das Album als Topseller, woraufhin Triumvirat im September 1974 auf USA-Tournee gingen, auf der Fritz seine spätere Ehefrau kennenlernte und deshalb in Übersee blieb. In den folgen- den Jahren jettete die Band regelmäßig zwischen Los Angeles und Köln hin und her und veröffentlichte mit SPARTACUS (1975) und OLD LOVES DIE HARD (1976) ihre kommerziell erfolgreichsten Scheiben. Doch Hauptkomponist Fritz überwarf sich regelmäßig mit Musikern, Produzenten und Managern und bekam dadurch nicht die notwendige Kontinuität ins Bandgefüge. Sein anfangs konstantester Begleiter, der Bassist Helmut Köllen, starb im Mai 1977 an Autoabgasen in seiner eigenen Garage, auch die Allstar-Besetzung mit Curt Cress und Dieter Petereit (beide ehemals Passport) hielt zu seinem Bedauern nur eine Studioproduktion lang: „Mit Curt und Dieter hätte es was werden können, weil da auf einmal Musiker waren, die stark, teilweise sogar stärker als ich waren.“ Auf den Geschmack gekommen, heuerte er für das Album RUSSIAN ROULETTE (1980) sogar Jeff Porcaro, David Hungate und Steve Lukather von der amerikanischen Eliteformation Toto an. Wie Triumvirat gehörten auch Popol Vuh zu den Soundpionieren der frühen 70er.
,,Die Musik, die man mit einem Moog machen kann, umfasst schlechthin die Empfindungsmöglichkeiten des Menschen“, philosophierte 1970 Florian Fricke, Kopf der Truppe. Popol Vuh gehörten anfangs zum „Ohr“-Label von Rolf-Ulrich Kaiser, dementsprechend blumig wurde ihre Musik als „Perlenklänge voll von Innerlichkeit“ angepriesen. Fricke, ein studierter Musiker, erlernte an der Freiburger Musik- hochschule Klavier und Komposition und arbeitete nebenbei als Musikkritiker und Kurzfilmer. Seine Band veröffentlichte das Elektronik-Werk AFFENSTUNDE, schlug jedoch anschließend überraschend einen stilistisch anderen Weg ein. Bereits auf IN DEN GÄRTEN PHARAOS (1972) demonstrierte Fricke erstmals sakrale Ansätze und wendete sich schließlich vollständig religiösen Klängen zu. „Im Zusammenhang christlich-religiöser Musik will ich den Synthesizer nicht verwenden“, verkündete er 1972 und formierte folge- richtig Popol Vuh neu. Unter Verwendung von Gitarre, Oboe, Tamboura und der koreanischen Sängerin Djong Yun hießen die Alben von nun an HOSIANNA MANTRA oder SELIGPREISUNG und erschienen mit religiösen Texten, beispielsweise aus der neuen Bergpredigt. „Lyrik-Rock“ nannte Fricke seine Musik, verwendete Texte vom israelitischen König Salomo und holte sich bei den Kurden am Euphrat oder bei den Völkern des Himalaya Inspirationen für weitere musikalische Visionen. „Das ist Musik, die den tiefen Glauben des Künstlers erkennen lässt“, schrieb der „New Musical Express“ und artikulierte damit Verständnis für die Anliegen Frickes. „Ich mache voll bewusste Musik, die zu neuen Empfindungen, zu einem lebendigen Ich führen soll“, erklärte er und wollte „einen Weg finden, archaische Weisheiten faszinierend zu vermitteln“. Mit dieser Stilrichtung erspielte sich Fricke eine Menge treuer Anhänger, später komponierte er sogar die Filmmusik zu Werner Herzogs Kinoklassiker „Fitzcarraldo“. In den letzten Jahren seines Lebens widmete sich Fricke szenischen Audio-Video-Installatio- nen und der musik- und klangtherapeuti- schen Arbeit, die er selbst unterrichtete. Aus Atemübungen und dem Studium des tibeti- schen Gesanges entwickelte er eine eigene Therapie, die er das „Alphabet des Körpers“ nannte. Fricke starb im Dezember 2001 im
Alter von nur 57 Jahren.
Auch Ash Ra Tempel waren Großmeister der vollmundigen Eigendefinition. Ihr Kopf Manuel Götsching erklärte, dass er versuche, „das Lebensbild des körperlichen Menschen zu zeichnen, das schön und naiv beginnt, lebhafter wird, allmählich in Aggression und Hysterie übergeht und schließlich in panischer Angst abreißt.“ Die Alben der Band waren meditative Klangstrukturen, mit pulsierenden Rhythmen und bewusstseinserweiternden Texten u.a. vom LSD-Propheten Timothy Leary. Ash Ra Tempel schienen – zumindest zeitweise – die abgedrehte Image- Politik ihres Labelchefs Rolf-Ulrich Kaiser verinnerlicht zu haben, fabulierten etwas vom „rockigen Führer durch die sieben Ebenen des Bewusstseins“, und ließen auf ASHRA TEMPEL STARRING ROSI ein ehemaliges Fotomodell Science-Fiction-Märchen erzählen. Ab 1976 verkürzte Götsching den Bandnamen auf Ashra und zelebrierte mit seinen Begleitern im Londoner Regents Park ein Open-Air-Konzert, ausstaffiert mit imposanter Laser-Show. In den folgenden Jahren entwickelte er seine Musik in eine stärker rhythmische Richtung und experimentierte mit Funk- und Disco-Beats. „Unsere Musik soll ein Katalysator zum Erkennen des Ichs, der Zusammenhänge des Lebens sein“, definierte Götsching die Wirkungsweise seiner Kompositionen.
ZEITZEUGEN
Günter Ehnert
Günter Ehnert war mitte der 70er Chef der Presseabteilung beim progressiven Deutschrock-Label „Brain“ des Medienkonzerns Metronome und veröffentlichte im März 1975 das Standardwerk „Rock in Deutschland – Lexikon deutscher Rock-Interpreten“, das erste umfassende Nachschlagewerk, das sich ausschließlich mit hiesigen Rockgruppen beschäftigte. Heute ist Ehnert Chef des Verlags „Taurus Press“ in Norderstedt.
Herr Ehnert, würden Sie aus heutiger Sicht behaupten, dass die 70er Jahre das entscheidende Jahrzehnt deutscher Rockmusik war?
Absolut. Bis dahin wurde Rockmusik im Radio und Fernsehen generell weitestgehend ignoriert, das betraf deutsche Bands noch mehr als ausländische. Zum Glück hat sich das mittlerweile grundlegend geändert.
Aber weshalb fristete speziell die deutsche Rockmusikszene ein solch fades Mauerblümchendasein?
Sogar die einheimische Presse ging damals hart und bisweilen auch ziemlich ungerecht mit deutschen Bands ins Gericht.
Bei den Musikjournalisten herrschte seinerzeit eine Amerika- und Englandhörigkeit, während deutsche Gruppen perse als unzureichend abqualifiziert wurden. Aber irgendwie hatte die Szene auch selbst dran schuld: Der Begriff „Kraut- rock“ war ja quasi als eher abfälliger Kommentar im Ausland entstanden. Welches Land ist dann so bescheuert und übernimmt diesen Begriff für die eigene Musikkultur? Heute ist der Begriff „Krautrock“ zum Glück zu einem Synonym für große Kreativität und richtungsweisende Musik gewor- den. Bands wie Can, Kraftwerk oder Tangerine Dream genießen Kultstatus.
Mangelte es deutschen Bands denn tatsächlich an den technischen Fähigkeiten?
Nein, es mangelte eher am Selbstbewusstsein, obwohl absolut großartige Kreativität vorhanden war. In England hat man dies als erstes gemerkt und vielen deutschen Bands Auftrittsmöglichkeiten geboten. So etwas galt damals als absolute Referenz: „Wir hatten einen Auftritt in England!“
Anfang der 70er wurden die Verkaufszahlen deutscher Bands so lukrativ, dass auch die Plattenindustrie darauf einstieg. Richtig. Das „Brain“-Label wurde aus genau diesem Grund ins Leben gerufen. Und man konnte ja auch tatsächlich schon sehr schnell erstaunliche Verkaufszahlen vorweisen. Jane beispielsweise waren trotz ihres miesen Images absolute Topseller, auch im internationalen Vergleich. Ebenso die Scorpions, die auch bei „Brain“ waren. Es existierten eine Reihe engagierter Deutschrock-Label wie etwa „Bacillus“ oder das „Ohr“-Label von Rolf-Ulrich Kaiser.
Auf welche Weise versuchten deutsche Plattenfirmen, diese positive Entwicklung zu forcieren?
Es gab diverse Aktionen, mit denen man versuchte, deutsche Bands in den Fokus der Aufmerksamkeit zu rücken. Mir fallen da insbesondere die beiden „Brain-Festivals“ in Essen in den Jahren 1977 und 1978 ein, als man Bands wie Jane und Novalis als Headliner vepflichtete und gleichzeitig Newcomer wie etwa To Be oder Gate einem größeren Publikum vor- stellte.
Inwieweit betrachten Sie Ihr Buch „Rock in Deutschland“ als wichtigen Katalysator dieser Entwicklung?
Ich denke, dass mein Buch nichts Wesentliches für die Szene getan hat. Es wurden damit vornehmlich Leute bedient, die sowieso schon Interesse an deutschen Bands hatten und auf der Suche nach Hintergrundinformationen waren.
Waren die Recherchen zum Buch mühsam?
Überhaupt nicht. Die Musiker damals waren sehr offen und stellten sich gerne meinen Fragen. Seinerzeit gab
es beim Telefonieren noch den Nachttarif, also saß ich immer ab 22.00 Uhr am Hörer und rief die Musiker an. Wenn man dann Rudolf Schenker am Telefon hatte und fragte: „Können wir mal die Geschichte der Scorpions durchgehen“, bekam man freundliche Antworten und eine Menge interessanter Geschichten. Die Arbeiten am Buch haben ungeheuer viel Spaß gemacht und waren wegen der vorgerückten Stunde der Telefonrecherchen immer eine gemütliche Sache.
Welche Bands aus dieser Ära sind Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?
Für mich hat diese Ära der Rockmusik bis heute eine große Bedeutung. Das heißt zwar nicht, dass bei mir Zuhause ständig irgendwelche deutschen Bands aus den 70er Jahren laufen, aber der Zeitraum zwischen 1971 und 1980 war meiner Ansicht nach kulturell prägend. Das, was man heute im Radio hört ist nicht mehr besonders aufregend, ich nenne es gerne Betroffenheitsmusik. Damals gab es unglaublich viele Facetten, es gab die Anleihen beim Folk und – diametral entgegengesetzt – elektronische Musik mit Instrumenten, die damals gerade erst erfunden worden waren. Ehrlich gesagt hat mir aber auch die Neue Deutsche Welle gut gefallen, das war zwar reine Popmusik, aber streckenweise auch wunder- bar kreativ. Vor einer Idee wie ›Da da da‹ ziehe ich noch heute meinen Hut.
Ich nicht spechensie Deutsch. Where are they today?