Den Nachfolger zum Debüt abzuliefern, ist nie einfach. Vor allem nicht, wenn es sich um eines der großartigsten Debüts aller Zeiten handelt.
Für einige wenige Monate im Jahr 1991 – ab dem 17. September – erreichten Guns N’ Roses einen seltenen Status: Sie waren die größte Band der Welt. Zu diesem Zeitpunkt saß Donald Trump gerade mit fünf Models in einer Limousine und fuhr Richtung Tower Records in Manhatten, um USE YOUR ILLUSION I und II zu kaufen. Die zwei neuen Alben, die – zum ersten Mal in der Geschichte der Rockmusik – gleichzeitig veröffentlicht wurden. In jeder größeren Stadt öffneten die Geschäfte extra um Mitternacht, um die Platten an den Mann zu bringen.
Anders als viele andere Bands hatten Guns N’ Roses kein Problem damit, genügend Stoff für zwei Alben zu liefern. Die Urversion des wahrscheinlich wichtigsten Songs, ›November Rain‹, geht auf die Zeit zurück, als Axl noch gar nicht in der Band war. Manager Alan Niven hatte darauf bestanden, einiges an Material aus den Sessions für APPETITE FOR DESTRUCTION aufzubewahren. Dazu gehörten auch ›You Could Be Mine‹, ›Back Off Bitch‹, ›Bad Obsession‹ und ›The Garden‹. Zudem waren Slash, Izzy und auch Duff produktive, schnelle Songwriter. „Nach einer ziemlichen Achterbahnfahrt voller Höhen und Tiefen trafen wir uns wieder in meinem Haus am Walnut Drive in den Laurel Canyon Hills“, erinnert sich Slash zurück. „Wir trugen über 30 Songs an einem Abend zusammen. Das war eines der wenigen Male, wo die Band sich wirklich nach sich selbst anfühlte. So wie die Jungs und ich es gewohnt waren – Izzy, Duff und Axl. Das war auch das einzige Mal, wo wir wirklich zusammen als Gruppe in einem Raum gearbeitet haben. Ein sehr ergreifender Moment.“
Obwohl in den Albumcredits steht, dass über zwei Jahre lang in sieben Studios gearbeitet wurde, ist einer der bemerkenswertesten Faktoren an den USE-YOUR-ILLUSION-Zwillingen die Geschwindigkeit, in der die Basis-Tracks aufgenommen wurden. „Wir hielten uns nicht mit Nichtigkeiten auf, wir machten 36 Songs in 36 Tagen. Danach habe ich drei Wochen lang die Gitarren aufgenommen, was für 30 Tracks auch ziemlich schnell ist. Manchmal habe ich zwei Lieder an einem Tag fertiggestellt. Als es dann an die Synthesizer ging, fuhr alles plötzlich gegen eine Wand“, so Slash. „Auch wenn ich manches davon für grandios halte, machte es ein ausschlaggebendes Stück jenes Weges aus, der den Anfang des Endes bedeutete. Eben dass sich der ganze Prozess dann doch eine Ewigkeit hinzog. An vielen Tagen klappte es einfach nicht, an manchen Tagen doch wieder und der Großteil der Platte war fertig. Eigentlich hätte es den ganzen Rest gar nicht mehr gebraucht, das war einer der größten Streitpunkte zwischen uns.“
Zudem seilte sich Izzy Stradlin zunehmend ab, weil ihm diese Art und Weise der Aufnahmen nicht passte. „Ich spielte meine Spuren ein, dann tat Slash dasselbe mit seinen Parts. Und dann kamen Axls Gesangsaufnahmen. Da fuhr ich zurück nach Indiana“, so Stradlin. Duff dazu bedacht: „Nun ja, Axl ist ein … Perfektionist. Das macht ihn aus. Das Endprodukt ist ja auch wirklich großartig, aber es ist anstrengend, mit so einer Person zusammenzuarbeiten. Es wird schwierig, Dinge ordentlich zu diskutieren. Vor allem ›November Rain‹ war eine Qual für ihn. Er war echt froh, als er das Ding im Kasten hatte. Der Song ist nicht wirklich charakteristisch für die Band“.
USE YOUR ILLUSION I und II wurden zu Platten, die ziemlich viel über ihre Zeit aussagen: Sie sind maßlos, aufgeblasen und von Männern gemacht, die das Wort „nein“ nicht oft zu hören bekamen. Trotzdem enthalten sie einige der besten Arbeiten, die GN’R jemals hervorbrachten. Interessanterweise rücken sie auch die beiden anderen wichtigen Veröffentlichungen der Band in Perspektive: man kann sie klar von APPETITE FOR DESTRUCTION und CHINESE DEMOCRACY abgrenzen. Verbitterte, vulgäre Rocknummern reihen sich an romantische Balladen; Izzy Stradlins lockere und groovende Riffs umrahmen Slashs heldenhafte Gitarrenkünste. In der einen Minute trägt Axl sein blutendes Herz auf der Zunge, kurze Zeit später rammt er es dir in die Kehle.
„Uns war bewusst, dass wir APPETITE irgendwie begraben mussten“, erzählte Axl kurz nach der Veröffentlichung in einem Interview mit dem Hit Parader. „Wir konnten dieses Album nicht übertreffen, aber wenn wir es nicht auf die eine oder andere Art übertroffen hätten, hätte es uns den ganzen Erfolg und den ganzen Schwung geraubt. Ich habe die beiden nie als zwei getrennte Alben betrachtet, sondern als Gesamtpaket.“
(Texte: Paul Elliott, Rich Hobson, Jon Hotten, Rob Hughes, Emma Johnston, Dave Ling, Everett True, Philip Widing, Henry Yates)