Unter den 25 Tracks, die aufgenommen wurden, waren die Umrisse von APPETITE FOR DESTRUCTION in Form von frühen Versionen von Schlüsselsongs wie ›Welcome To The Jungle‹, ›Paradise City‹, ›Nightrain‹ und ›Rocket Queen‹. Es folgten erste Takes der vier Stücke – ›Reckless Life‹, ›Move To The City‹ und Cover von Aerosmiths’ ›Mama Kin‹ sowie Rose Tattoos ›Nice Boys‹ –, die auf der Debüt-EP LIVE ?!*@ LIKE A SUICIDE landeten, die vor dem Album erschien. Der Rest beinhaltete Interpretationen von ›Jumpin’ Jack Flash‹ von den Stones und, überraschender, Elvis Presleys Klassiker ›Heartbreak Hotel‹. Dabei war ein fieses kleines Stück namens ›Back Off Bitch‹, das schließlich 1991 zusammen mit dem sensibleren ›November Rain‹ erschien. Und ›Shadow Of Your Love‹, ein Punkrock-Reißer, der ursprünglich für Hollywood Rose geschrieben worden war, der Band von Axl und Rhythmusgitarrist Izzy Stradlin, bevor sie Guns N’ Roses gründeten.
Ein paar Tage nach dieser Session kehrte Charlton nach Schottland zurück, um an CINEMA von Nazareth weiterzuarbeiten. „Ich sagte Tom Zutaut, dass ich die Platte von Guns N’ Roses liebend gerne produzieren würde, wenn wir es terminlich hinkriegen könnten.“ Doch der Anruf kam nie. „Später erfuhr ich, dass sie neun weitere Leute für den Job ausprobiert hatten.“
Tom Zutaut verschwendete keine Zeit, um das Projekt flott durchzubringen. Innerhalb eines Monats schickte er Guns N’ Roses mit Spencer Proffer an die Arbeit, dem Produzenten von Quiet Riots METAL HEALTH, das 1983 Platz 1 der US-Charts erreichte und so die folgende L.A.-Hair-Metal-Explosion überhaupt erst in Gang gesetzt hatte. Wenig später fand Zutaut auch einen neuen Manager, Alan Niven, der Vicky Hamilton ersetzte, die kurz nach dem Deal mit Geffen entlassen worden war. Niven, geboren in Neuseeland und aufgewachsen in England, hatte sich bei der Promotion für Mötley Crües Debüt TOO FAST FOR LOVE mit Zutaut angefreundet.
Niven konzentrierte sich damals auf das Management einer weiteren Band aus Los Angeles, Great White, bei denen er auch als Co-Songwriter und Produzent fungierte. Eigentlich war er nicht auf der Suche nach neuen Klienten, doch auf Zutauts Drängen nahm er sich auch Guns N’ Roses an.
Als Niven die Sound-City-Session hörte, war er nicht gerade beeindruckt. Wie er sich heute erinnert: „Das war sehr Punk und Axl klang stellenweise, als hätte er eine Überdosis Helium gehabt.“ Niven war außerdem nicht überzeugt, dass Proffer die richtige Wahl für sie war. Axl und Schlagzeuger Steven Adler hatten zwar die üppigen Mähnen, die am Sunset Strip gerade angesagt waren, doch Stradlin sprach für die ganze Band, als er Mötley Crüe als „Teen-Metal“ abtat und sagte: „Wir zielen auf einen ursprünglicheren Sound ab als die meisten Bands hier.“ Niven urteilte ähnlich über Quiet Riot und ihre Hymne ›Metal Health (Bang Your Head)‹: „Ich war definitiv kein Fan von Quiet Riot. Kannst du dir vorstellen, dass Axl diesen Text singen würde?“ Wie sich dann herausstellte, musste sich Niven gar nicht mit Proffer herumschlagen. „Zutaut erwartete, dass Proffer produzieren würde, doch als ich um ein Treffen mit Spencer bat, schickte er stattdessen seinen Assistenten. Das war keine gute Entscheidung. Spencer machte es mir leicht, Tom zu sagen, dass wir uns nach jemand anderem umsehen mussten.“
Letztendlich bekam ein relativ Unbekannter den Job. Mike Clink, ein junger Typ aus Maryland in der Nähe von Baltimore, stand gerade erst am Anfang seiner Produzentenkarriere und hatte zuvor als Tontechniker an großen Alben von Heart, Survivor und UFO gearbeitet. „Zutaut schlug Clink vor und ich fand, das war eine großartige Idee“, erinnert sich Niven. Er war ein toller Gitarrentechniker – seine Arbeit mit UFO und Michael Schenker war fantastisch. Und Schenker war berüchtigt dafür, schwierig im Umgang zu sein, doch Clink war mit ihm klargekommen. Das zeigte mir, dass er vielleicht in der Lage war, mit Axl fertigzuwerden. Ich wusste, dass er sich gut mit Slash verstehen würde.“
Clink war der Ruf der Band bewusst. „Das war etwas beunruhigend“, sagte er, „diese ganze Art von ihnen. Sie lebten dieses zügellose Leben wirklich. Aber als ich die Songs hörte, war ich überwältigt. Und das Schöne daran war, dass es keine zwei Songs gab, die gleich klangen.“
Ende August begann die Arbeit mit Clink bei Rumbo Recorders, einem Studio in Canoga Park am Rand von Los Angeles. Als erster Track wurde ›Shadow Of Your Love‹ aufgenommen, und er war exakt so, wie Guns N’ Roses in Axls Kopf klangen. „Wir nahmen den Song über ein Wochenende auf“, so Clink, „und ein paar Tage später rief Axl an und sagte: ‚Ich habe ihn gerade gehört und er ist umwerfend!‘“
Unter Clinks Führung liefen Guns N’ Roses zur Hochform auf. Niven erinnert sich: „Als ich die Sound-City-Demos hörte, dachte ich, dass man sich auf einen Song konzentrieren sollte, der schwach dargeboten worden war und auf ein anderes Niveau gehoben werden musste. Ich war der Meinung, dass er einer der wichtigsten auf dem Album sein könnte und liebte den gesellschaftlichen Sarkasmus darauf, denn L.A. begann, seinen Glitter und Glanz für mich zu verlieren. Das war ›Welcome To The Jungle‹.“ Clink holte auf diesem Track so viel Kraft und Intensität aus der Band, dass er zum elektrisierenden Opener erkoren wurde. Und bei ›Paradise City‹ machte ein neues Intro von Slash einen bereits großartigen Song noch besser.
Genauso wichtig waren die drei Stücke, die nicht in Sound City aufgenommen worden waren. ›Mr. Brownstone‹ war eine funky Nummer, benannt nach einem berüchtigten Drogendealer in L.A., und erinnerte an Aerosmith auf dem Gipfel ihres Hedonismus. ›It’s So Easy‹, brutal und grenzwertig frauenfeindlich, hatte ein Riff, das an die Sex Pistols erinnerte. Auf beiden sang Axl in einer tieferen Stimme und erweiterte so das Klangspektrum der Band. Doch der dritte dieser Songs war die Geheimwaffe auf APPETITE FOR DESTRUCTION: ›Sweet Child O’ Mine‹. Diese Ballade, vage inspiriert von Lynyrd Skynyrd, mit einem Text, den Axl über seine damalige Freundin Erin Everly geschrieben hatte, klang für Tom Zutaut wie ein potenzieller Hit. Niven formuliert es etwas drastischer: „Tom war so richtig high auf ›Sweet Child‹, ich hatte eher einen Ständer für ›Paradise City‹. Und weil wir ›Sweet Child‹ hatten, brauchten wir ›November Rain‹ nicht. Axl war überzeugt, dass ›November Rain‹ sein Geniestreich war und mehr Zeit und Aufmerksamkeit benötigte. Es war brillant, sich das noch ein wenig aufzuheben.“
Sehr schöne interessante Abhandlung über die Entstehung des besagten Albums, toll geschrieben mit spannenden Hintergrund-Informationen wirklich hervorragend gemacht! Gerne weiter so großartige Beiträge