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Glosse: Die reine Polemik!

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Glosse: Die reine Polemik!

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Die reine PolemikOh je, jetzt werden die auch noch politisch! Geht aber nicht anders, denn wenn alle über 1968 reden, fühlen auch wir uns berufen, unseren Senf dazu zu geben. Hat nämlich auch was mit Rock’n’Roll zu tun. Zumindest teilweise.

Deutschland hat 1968 die Wahl: Zwischen vier Engländern, die zur verzerrten Gitarre von „Revolution“ singen, oder einem prä-pubertären Niederländer, der seine „Mama“ lobpreist. Die Mehrheit der Plattenkäufer entscheidet sich damals für das plärrende Halbkind, gegen das auch der ›Street Fighting Man‹ fünf weiterer Briten das Nachsehen hat. Aus rockmusikalischer Sicht ist diese Tatsache dem Mythos 1968 zweifellos abträglich, aber an anderer Stelle war ja tatsächlich ziemlich was los.

Etwa hier: Den zeitgenössischen Werbespruch für Zigaretten der Marke HB – „Wer wird denn gleich in die Luft gehen?“ – konnten Demonstranten vor dem Berliner Springer-Hochhaus spontan mit „der Ford Transit, mit dem die Bild-Zeitung ausgeliefert werden soll“ vervollständigen, während konsequente Kommunarden in der heimischen WG die Toilettentür aushängten, denn auch das Private war jetzt plötzlich hochpolitisch. Worin der gesamtgesellschaftliche Erkenntnisgewinn liegen soll, jemandem beim Verrichten der Notdurft zuzusehen, ist allerdings auch 50 Jahre später noch umstritten, selbst die Lektüre damals hoch verehrter Opinion Leader bringt einen diesbezüglich leider nicht weiter. Weder in Marxens Manifest, der Mao-Bibel oder Che Guevaras Tagebüchern wird die Klotürenfrage hinreichend beantwortet. Aber letztendlich ging’s wohl ohnehin nur um das, was im Herbst 1968 die MC 5 im Grande Ballroom zu Detroit postuliert hatten: KICK OUT THE JAMS, MOTHERFUCKERS! Genau: Macht Euch locker, ihr Heintje-Hörer!

Die damalige Jugend hatte aber noch andere drollige Geistesblitze, etwa dass Liebe, Sex und Haschgiftrauchen potenziell mehr Freude bereiten als sich in Vietnam zu Brei schießen zu lassen. Grundsätzlich nachvollziehbar. Dass daraus gleich ein Musical namens „Hair“ werden musste, das beim bildungsbürgerlichen Theaterpublikum um Verständnis für die Schrullen der crazy Jugendlichen buhlte, wäre jedoch wirklich nicht nötig gewesen. Das war kein Rock’n’Roll, sondern Anbiederung an ein Establishment, das mit dem aufmüpfigen Zeitgeist flirtete – und darauf hoffte, was Nacktes zu sehen. Eat my shorts!

Kürzlich hörte man ja erneut „Viva la Revolución!“ durch die Medien schallen. Urheber war diesmal aber kein Westberliner Gammler oder Frankfurter Sponti, sondern der Landesgruppenchef einer erfolgreichen Bierzeltpartei. Der Haken an der Sache: Er sprach zwar von „Revolution“, meinte aber „Reaktion“, denn seiner Meinung nach geht’s mit uns seit 1968 kollektiv den Bach runter. Eine Lösung hatte der temporär karierte Kulturrevolutionär natürlich auch parat: „Systemwiederherstellung//Reboot//prae68“, denn damals war die Welt noch in Ordnung.

Jaja, die gute alte Vor-68er-Zeit! Jene goldene Ära der unbegrenzten Freiheit, bevor im Gefolge der Hippie-Spaßbremsen alles verboten wurde. Damals herrschte noch der pure Rock’n’Roll! Lehrer von echtem Schrot und Korn durften dem allzu vorlauten Nachwuchs noch ordentlich eine ballern und Göttergatten konnten sich die Freiheit nehmen, ihrer Angetrauten einfach mal zu verbieten, ein eigenes Konto zu eröffnen oder arbeiten zu gehen. Chemiebrühe wurde kostengünstig im Fluss verklappt, denn das interessierte nun wirklich keine Sau, und der Straßenverkehr war mangels Gurtpflicht und Promillegrenze noch ein großer Abenteuerspielplatz für echte Männer. Apropos: „Einer wie Elton John“ wäre damals so frei gewesen, „einen wie Rob Halford“ bei der Essensausgabe im Knast kennenzulernen. Harhar…

Aber bevor die Ironie-Falle endgültig zuschnappt: Muss man heute tatsächlich gesellschaftliche, kulturelle und politische Konflikte aufwärmen, die grob gesagt schon vor 50 Jahren entschieden worden sind? Wollen wir wirklich wieder darüber streiten, ob Rockmusik die Jugend versaut, Comic-Hefte blöd machen, sich unverheiratete Paare eine Wohnung teilen dürfen und Autoritäten grundsätzlich Recht haben? Und dann immer diese Schuldzuweisungen: Was momentan gut läuft, ist eigenes Verdienst, logisch! Alles, was gegenwärtig nicht so prickelnd ist, haben die anderen verbockt. Gut, dass wir darüber geredet haben.

Denn seit 1968 wissen wir: Alles muss ausdiskutiert werden, egal wie anstrengend es wird. Sind Klotüren nun bourgeoise Auswüchse einer entmenscht-profitorientierten Unterdrückungsindustrie, oder gehen sie als antisexistischer Schutzwall durch? Demokratischer Meinungsfindungsprozess, yeah! Aber ganz egal, wie das Er­­gebnis auch ausfallen mag: „Du, ich finde, da muss jetzt auch der Dobbi einfach mal ein Stück weit mit leben.“

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