Sie ist vor allem eine der größten Singer/Songwriterin ihrer Generation bekannt. Doch ihr einzigartiges Gitarrenspiel mit größtenteils offenen Tunings ist ebenfalls in einer ganz eigenen Liga.
In Martin Scorseses Dokumentation „Rolling Thunder Revue“ gibt es ein schöne Szene von einer Jam-Party 1975 im Haus von Singer/Songwriter Gordon Lightfoot. Lightfoot, Dylan und Roger McGuinn, Gitarren in der Hand, sind um Joni Mitchell versammelt, die einen neuen Song testet, ›Coyote‹. Als sie anfängt, sieht man, wie die Herren tun, was Gitarristen immer tun: Sie beobachten Mitchells Hände, um sich zu orientieren. Doch das ist, als würde man ein Lasso nach einem Meteoriten werfen. Mitchells linke Hand bewegt sich durch ungewohnte Formen.
Ihre Rechte streift und zupft die Saiten in einem täuschend nicht-linearen Rhythmus. In der zweiten Strophe haben die Typen schon aufgegeben und klimpern leise hinter ihr herum. Sie sehen etwas beschämt aus. „We just come from such different sets of circumstances …“, singt sie. Was ihr Gitarrenspiel betrifft, begannen diese „verschiedenen Umstände“ in den Folkclubs Ende der 60er aufzublühen, als sie sich von den gewöhnlichen Klampfern und Zupfern zu entfernen begann. Schon ab ›I Had A King‹, dem ersten Song auf ihrem Debütalbum, entwickelte sie ihren ganz eigenen Stil an ihrem Instrument. Man weiß, dass sie offene Tunings verwendet, aber sie hat dazu auch ihr ureigenes Harmonielexikon erschaffen.
„Am Anfang baute ich mein Repertoire auf den offenen Dur-Tunings auf, die die alten schwarzen Blueser benutzten“, sagte sie auf ihrer Website. „Und zwischen diesen begann ich dann, sozusagen ‚modernere‘ Akkorde zu spielen.“ Aber warum die offenen Tunings? „Entdeckungen passieren nur durch Fehler“, sagte sie, „und um etwas zu entdecken, muss man eine Situation mit einem Zufallselement erschaffen. Je mehr ich mich selbst überraschen kann, desto länger werde ich in diesem Geschäft bleiben. Man zieht sich ständig selbst den Teppich unter den Füßen weg, sodass man erst gar nicht die Gelegenheit hat, in irgendeine Formel zu verfallen.“
Letztendlich entwickelte sie mehr als 50 eigene Tunings, was es ihr ermöglichte, die Gitarre mehr wie ein Klavier zu spielen. Oder mehr wie eine Staffelei. Die Verbindung zwischen ihrem Talent als Malerin und dem als Gitarristin ist spürbar. Und diese „modernen“ Akkorde, die sie erwähnte, klingen oft wie Farbspritzer und überlappende Flächen auf ihren Leinwänden. Wenn man zusieht, wie flüssig sie mit der rechten Hand spielt, kann man sich sehr plastisch vorstellen, wie sie stattdessen einen Pinsel hält. Der Gesamteffekt ergänzt dabei perfekt ihre Oktaven umspannende Stimme. Man höre sich zum Beispiel die gemächlichen Synkopen und schrägen Akzente auf ›Don’t Interrupt The Sorrow‹ an, das schemenhafte Fingerpicking aus ›Amelia‹ oder das lebhafte Saiten-Zwiegespräch zwischen ihr und Jaco Pastorius’ Bass auf ›God Must Be A Boogie Man‹.
Sie ist eine so überragende Songwriterin und Sängerin, dass ihr Gitarrenspiel oft übersehen wird. Doch das hat es nicht davon abgehalten, eine Generation von Künstlerinnen und Künstlern zu beeinflussen, darunter Patty Griffin, Shawn Colvin oder in jüngerer Vergangenheit Madison Cunningham. Mitchells größter Verfechter könnte aber Prince gewesen sein. Aufstrebenden Gitarristen riet er, in Sachen Rhythmus von Ike Turner zu lernen, und sagte dann: „Lege jegliche Farben, die du von Joni Mitchell gelernt hast, darüber und dann hast du etwas!“
Anspieltipp: ›Amelia‹ (Joni Mitchell, HEJIRA, 1976)
David Crosby über Joni Mitchell: “Ich denke, sie ist die beste Songwriterin unserer Zeit. Bob [Dylan] ist sicher ein ähnlich guter Poet, vielleicht sogar besser, aber sie ist ein viel bessere Musikerin und Sängerin als er. Womit sie unterm Strich meine Lieblings-Singer/Songwriterin der Welt ist.”