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Genesis: Sonderangebot – SELLING ENGLAND BY THE POUND

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Genesis: Sonderangebot – SELLING ENGLAND BY THE POUND

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Obwohl sie „mit Ideen zu kämpfen hatten“, gingen Genesis ins Studio und kamen zurück mit der Platte, die viele als ihren kreativen Höhepunkt ansehen: SELLING ENGLAND BY THE POUND. In diesem exklusiven Buchauszug von Mario Giammettis „Genesis – 1967 To 1975: The Peter Gabriel Years“ erzählen Peter Gabriel, Steve Hackett, Phil Collins, Mike Rutherford und Tony Banks die Geschichte ihres fünften Albums.

Im späten Frühling 1973 hatten Genesis ihre zweite US-Tournee hinter sich und beendeten sämtliche Live-Aktivitäten, um sich auf das Schreiben ihres fünften Albums zu konzentrieren. Sie probten an denselben beiden Orten, die sie schon für FOXTROT benutzt hatten: Una Billings School Of Dance im Londoner Stadtteil Shepherds Bush und das Haus eines Arztes in Chessington. Im August waren sie dann im Studio, um die Platte mit Hilfe von John Burns aufzunehmen, dem Tontechniker, der ebenfalls schon am Vorgänger FOXTROT mitgearbeitet hatte und nun zum Co-Produzenten befördert worden war. Wie schon bei früheren Werken arbeiteten Genesis mit einigen vorab formulierten Ideen, die dann im Proberaum zu konkreten Versionen ausgeformt wurden. Das kontinuierliche kreative Wachstum der ganzen Band ging Hand in Hand mit ihrer Fähigkeit, frei und intuitiv zu improvisieren. Was das Songwriting betrifft, entstanden bis auf ›Firth Of Fith‹ (Tony Banks) und ›More Fool Me‹ (Mike Rutherford) sämtliche Stücke als Resultat kollektiver Interaktion der gesamten Gruppe bzw. von Teams aus mindestens zwei oder drei Mitgliedern. Nach der ersten Passage von ›Dancing With The Moonlit Knight‹, komplett von Peter Gabriel geschrieben, folgt der Instrumentalpart, hauptsächlich aus der Feder von Steve Hackett, Phil Collins und Tony. Steve schrieb das Riff, das die Basis von ›I Know What I Like‹ bildet, doch ein Song wurde daraus erst durch Peters Strophe und Tonys Refrain. ›The Battle Of Epping Forest‹ stellt Tonys Musik (bei deren Zwischenpassagen Mike aushalf) neben Peters expressiven Gesang. ›After The Ordeal‹ ist ein von Steve verfasstes Instrumental, aber mit einer Passage von Mike, während ›The Cinema Show‹ aus zwei Teilen besteht: zunächst dem akustischen Part, geschrieben von Mike, auf den dann der elektische folgt, der bei einer Jamsession von Mike, Phil und Tony entstand. Bei den Texten jedoch hatte Gabriel eindeutig die Oberhand.

Abgesehen von dem honigsüßen Liebeslied ›More Fool Me‹ arbeiteten Tony und Mike (mit fragwürdigem Ergebnis) zusammen an den Worten auf ›Firth Of Fifth‹ und ›The Cinema Show‹. Den Rest überließen sie ihrem Frontmann, also ›Dancing With The Moonlit Knight‹, ›I Know What I Like‹, ›The Battle Of Epping Forest‹ und ›Aisle Of Plenty‹ – echte Geniestreiche von beeindruckender verbaler Agilität. Gabriels Fähigkeiten als Texter waren denen vieler Zeitgenossen weit überlegen, nicht nur innerhalb der Band. Seine Inspirationsquellen waren etwa Zeitungsartikel (wie schon zuvor bei ›The Return Of The Giant Hogweed‹ von NURSERY CRYME) und sein Stil ist so raffiniert wie ausgeklügelt. Auf SELLING ENGLAND BY THE POUND traten die üblichen Bezüge zu Mythologie und Literatur in den Hintergrund und machten Platz für historische Referenzen und Gesellschaftskritik. In verwobenen Wortspielen, wie man sie von den Engländern kennt, bilden die Texte hier das Gerüst für das wohl „britischste“ Album, das Genesis je geschrieben haben, vor allem dank der fantastisch ausgearbeiteten Charaktere, die dann später auf der Bühne zum Leben erweckt wurden.

Paradoxerweise, wenn mehr oder weniger individuelle Kompositionen geschrieben wurden (obwohl auf der Hülle wie üblich die gesamte Gruppe als Autoren genannt wurde), erwies sich SELLING ENGLAND BY THE POUND als erstes Genesis-Werk, das man tatsächlich zu jeweils 20 Prozent jedem einzelnen Mitglied zu schreiben konnte. Die ersten beiden Platten entstanden aus zwei Songwriting-Paaren (Banks/Gabriel auf der einen, Phillips/Rutherford auf der anderen Seite). NURSERY CRYME und FOXTROT hingegen waren im Wesentlichen von Banks und Rutherford komponiert worden, mit Unterstützung und Beiträgen von den Neulingen (ein bisschen von Hackett, noch weniger von Collins). Bei SELLING ENGLAND … hingegen erreichten Genesis zum ersten Mal ein perfektes kreatives Gleichgewicht. Zudem kristallisierte sich bei den Aufnahmesessions eine besondere Synergie zwischen Tony und der Rhythmussektion aus Phil und Mike heraus – dem Trio, das dann später die zweite und kommerziell erfolgreichere Phase der Band antrieb. In einer Formation, in der Improvisation, abgesehen von den instinktiveren Steve und Phil, ein völlig fremdartiges Konzept gewesen war, entwickelten diese Drei ein beneidenswertes Niveau des gegenseitigen Verständnisses, in dem Tony die Triebfeder und der Schöpfer origineller Melodien war, beflügelt von fantastischen und kreativen Rhythmen.

Der beeindruckendste Fall, dessen Vorgänger in der „Apocalypse In 9/8“-Passage von FOXTROTs epischem Track ›Supper’s Ready‹ zu hören war, ist der lange Instrumentalpar t in ›The Cinema Show‹. Trotz der Anlaufschwierigkeiten und der Tatsache, dass auch die drei Vorgänger schon außergewöhnliche Werke waren, erklärt dieses Gemeinschaftsgefühl vielleicht, warum SELLING ENGLAND BY THE POUND oft als das Album gilt, auf dem Genesis ihre vollendete Form erreichten. Ihre Evolution folgte weiterhin einem logischen und scheinbar unaufhaltsamen Weg. Auf ihrem Debüt FROM GENESIS TO REVELATION von 1969 zeigten sie erste zögerliche Songwriting-Gehversuche, TRESPASS aus dem Folgejahr offenbarte dann ihre progressive Seite, auch wenn es dank der Zwölfsaiter-Gitarrenparts von Mike und dem ersten Gitarristen Anthony Phillips immer noch in der Folk-Tradition verwurzelt blieb.

NURSERY CRYME (1971) litt wiederum an noch fehlender Synergie innerhalb des neuen Line-ups, nachdem zwei Mitglieder ersetzt worden waren (Phillips und John Mayhew gingen, Hackett und Collins kamen). FOXTROT (1972) erwies sich dann als erfolgreiche Veröffentlichung einer nun endlich gefestigten und technisch versierten Formation. Der künstlerische Wert von SELLI NG ENGLAND BY THE POUND ist umso bemerkenswerter, da es zu einer Zeit erschien, in der der Prog-Rock seinen Zenit überschritten zu haben schien und an Bedeutung verlor. Die neuen Werke, die 1973 von den prominentesten Gegenspielern von Genesis veröffentlicht wurden, stellten eindeutig einen Richtungswechsel dar. THE DARK SIDE OF THE MOON von Pink Floyd oder LARKS’ TONGUES IN ASPIC von King Crimson sind zwar ohne jeden Zweifel Meilensteine der Rockgeschichte, belegen aber beide, dass diese Bands ihre reine Prog-Phase bereits hinter sich ließen.

Floyd hatten auf MEDDLE kaum noch damit zu tun gehabt, während King Crimson ein paar Jahre nach ihrer ersten Auflösung mit ihrer Rückkehr eine wesentlich härtere Richtung einschlugen und die romantischen Momente nur noch gelegentlich aufflackerten. Und dann waren da noch die anderen Prog-Giganten: Emerson, Lake & Palmer (mit ihrem passablen BRAIN SALAD SURGERY), Yes (mit dem anstrengenden TALES FROM TOPOGRAPHIC OCE ANS) und Rick Wakemans gleichsam schwerver-dauliches Soloalbum THE SIX WIVES OF HENRY VIII bestätigten, dass pompöser Übermut das Genre vereinnahmt hatte, das sich einfach im Sand zu verlaufen schien und zunehmend ungenießbar wurde. Im Prog-Folk-Bereich wiederum ernteten Jethro Tull mit ihrem prätentiösen A PASSION PLAY vernichtende Kritiken. Hin und wieder gab es innovative Funken, wenngleich aus unerwarteten Richtungen. Mike Oldfields TUBULAR BELLS blieb ein Einzelfall, doch die Fusion auf BIRDS OF FIRE von Mahavishnu Orchestra war laut Collins und Hackett eine Inspiration für Genesis in jener Zeit, während die elektronischen Experimente auf Fripp & Enos NO PUSSYFOOTING sich nur ein Jahr später auf sie auswirken sollten. Unterdessen war aber auch der Glam-Rock (mit dem Gabriels Theatralik oft unfairerweise in Verbindung gebracht wurde) mit David Bowies ALADDIN SANE, Roxy Musics FOR YOUR PLEASURE und T. Rexs TANX auf seinem Zenit. In diesem künstlerischen Umfeld wurde SELLING ENGLAND BY THE POUND zum perfekten Prog-Rock- Album – das höchste Niveau, das eine Band dieses Genres zu jener Zeit erreichen konnte. (Mario Giametti)

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