Zurück in der Realität: Bowies formidables Spätwerk.
David Bowie hat im Laufe von 50 Karrierejahren schon unzählige Rollen gespielt. Ab der zweiten Hälfte der 90er Jahre konnte der Meister der tausend Maskeraden und Stile zumindest weite Teile seiner einstmals unantastbaren Reputation zurück erobern, die er seit Kommerzliebäugeleien in Kreativniederungen wie LET’S DANCE, TONIGHT und NEVER LET ME DOWN so schmählich vernachlässigt hatte. Auf REALITY, letztes kreatives Lebenszeichen vor der durch Herzinfarkt induzierten Zwangspause von immerhin zehn Jahren (bis sich 2013 mit THE NEXT DAY überraschend doch noch ein Comeback-Werk anschloss!), vereint Bowie in Co-Produktion mit Langzeitweggefährte Tony Visconti seine Tugenden: knappe, nicht am Trend, sondern an facettenreicher Persönlichkeit und Eklektizismus ausgerichtete Song-Vignetten. Luftig produziert zwischen Pop, Rock, Club und Experiment mit beeindruckendem Aplomb. Ausgestattet mit satirischer Selbstironie, etwa im Auftakt ›New Killer Star‹, aber auch in ›The Loneliest Guy‹, ›Never Get Old‹ und dem verrockten Titelsong. Vergessen der hohle Pomp, der es in den 80er Jahren der puristischen Fangemeinde so schwer machte die Pop-Ikone noch wertzuschätzen. Bowies und Viscontis Intention beweist sich auch noch elf Jahre später: Sämtliche elf Tracks demonstrieren lässig Zeitlosigkeit. Selbst die Coverversionen, ›Pablo Picasso‹ von The Modern Lovers, das allerdings von John Cales Version übertrumpft wird, und George Harrisons Dreivierteltakter ›Try Some, Buy Some‹, entstanden als Hommage an den ein Jahr zuvor verstorbenen Ex-Beatle, bilden da keine Ausnahme. Mit finalem ›Bring Me The Disco King‹, einer Komposition, deren Ursprünge bis weit in die 70er Jahre zurück reicht, liefert Bowie im reduzierten Arrangement mit Pianist Mike Garson und Schlagzeuger Matt Chamberlain eine knapp achtminütige Studie in Sachen feinem Cocktail-Jazz. Zuletzt in ähnlich intensiver Weise zu hören auf ›Lady Grinning Soul‹ und im Titelsong von ALADDIN SANE aus dem Jahre 1973.