Ein wenig zu groß wirkt das Sakko zur Hose in gedeckten Farben. Zumal der einstige Inbegriff von elegantem Schick sein Hemd ohne Krawatte trägt. Einen Hauch zu nachlässig frisiert der nunmehr an den Schläfen ergraute, noch immer volle Haarschopf. Wieder intakt sind Bryan Ferrys Stimmbänder, die vergangenen Herbst den Abbruch der Europatournee herbeiführten. Alles wieder paletti für den 70-jährigen Briten. Einzig die Fangemeinde signalisiert Widerspruchsgeist, teilt sich die Anhängerschaft, seit Ferrys Solokarriere ab Mitte der achtziger Jahre mit dem Platinwerk BOYS AND GIRLS eine Wende zum Gefälligeren nahm, doch in zwei Lager: Auf der einen Seite stehen die Befürworter von Roxy Musics experimenteller Frühphase, auf der anderen die Wohlklangfanatiker, die erst in der Yuppie-Ära Zugang zum ehemaligen Kunstlehrer fanden. Roxy Musics dunkle Art-Rock-Hymne ›Ladytron‹ von 1972 lässt in notengetreuer Wiedergabe mit Ferrys Einsatz am E-Piano noch immer Avantgarde-Bewusstsein erkennen. ›Slave To Love‹ wiederum von 1985 besitzt außer glattem Ohrwurmgewese nichts, was auf Tiefgründigkeit schließen ließe. So oszilliert Ferry, der mit zwei Songs von der aktuellen CD AVONMORE den aufgeweckten Karrierequerschnitt startet, und zwei weitere später folgen lässt, zwischen beiden Polen. Als Ausnahmen, die die Regel bestätigen, nehmen sich Interpretationen seines Komponistenfavoriten Bob Dylan aus. Sowohl bei ›Bob Dylan’s Dream‹ als auch bei ›Don’t Think Twice, It’s All Right‹ greift Ferry zur Mundharmonika. Da liegt ein Hauch von Schwitzigkeit in der Luft. Zumal das exzellente zehnköpfige Begleitensemble Kantenlosem wie ›Bête Noire‹ (’87) ein etwas ausgeprägteres Profil verleiht. Davon profitiert auch das seichtere Spätwerk von Roxy Music wie ›Avalon‹ und ›More Than This‹ (’82). Doch gelingt es erst den auf Glam Rock geeichten Frühwerken mit der Diskothekengranate ›Love Is The Drug‹ als Startsignal im letzten Konzertdrittel, das Publikum aus der Reserve zu locken. John Lennons balladeskes ›Jealous Guy‹ sorgt noch einmal für Besinnlichkeit. Mit ›Virginia Plain‹, ›Do The Strand‹ und finalem ›Editions Of You‹ von 1972/73 unterstreicht Bryan Ferry in vehementer Wucht noch einmal seine Stärken.
Bryan Ferry: Frankfurt, Alte Oper (18.09.15)
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