Spielerische Zerstreuung und Gitarrenlärm
Knapp zwei Wochen vor der geplanten Show stellte sich die Frage, ob der Meister überhaupt zum Sprung über den großen Teich ansetzen würde. Denn sein langjähriger Freund, Manager und Weggefährte Elliot Roberts war völlig unerwartet mit 76 Jahren verstorben. Ein herber Verlust, nicht nur für Young selber. Überpünktlich marschieren Onkel Neil und seine Sprösslinge von Promise Of The Real dann aber bereits fünf nach halb acht auf die Bretter der Waldbühne zu Berlin. Auch wenn der Veranstalter extra eine halbe Stunde Zeit bei der Stadt nach hinten heraus geschlagen hatte und man durchaus bis halb elf hätte musizieren dürfen.
Um es vorwegzunehmen – heute gibt es weder ›Powderfinger‹ noch ›Like A Hurricane‹, kein ›Love To Burn‹, kein ›Cinnamon Girl‹ und, am schlimmsten von allen, leider auch kein ›Cortez The Killer‹ (allesamt standen sie den Abend zuvor in Dresden noch auf der Setliste). Da kann man als Verfasser dieser Zeilen schon mal ungehalten werden. Doch was für fast alle anderen Künstler ein Todesstoß wäre, ist bei Neil Young bestens eine Randnotiz. Denn er verfügt selbstverständlich auch ohne die angesprochenen Nummern über hinreichend Material der Spitzenklasse, die die 125 Minuten Spielzeit zu einer launigen nostalgischen Reise werden lassen.
„Vermutlich muss man neben den wunderbaren Wilco und Pearl Jam/Eddie Vedder nur noch Uncle Neil live sehen, den Rest kann man sich sparen.“
Der jüngste Song ist 25 Jahre alt, der Rauserwerfer ›Piece Of Crap‹ von SLEEPS WITH ANGELS. ›Country Home‹ (von RAGGED GLORY) macht den Einstand, gefolgt von ›Everybody Knows This Is Nowhere‹. Die Fans sind unruhig, reden viel – es ist einfach noch viel zu leise, der Druck fehlt. Aber Young und seine Mannen spielen sich schnell warm, was bereits die dritte Nummer, das gut fünfzehnminütige ›Over and Over‹ (erstmals seit 2012 wieder im Repertoire und zum ersten Mal mit Promise Of The Real überhaupt), lautstark unter Beweis stellt. ›Mr. Soul‹ (von Buffalo Springfield) und ›Helpless‹ (von Crosby, Stills, Nash & Young) kommen als nächstes, bevor es mit diversen Einspielern von HARVEST (das umjubelte ›Heart Of Gold‹, ›Old Man‹ und ›Words (Between The Lines Of Age)‹) und COMES A TIME (›Field Of Opportunity‹ und ›Lotta Love‹) etwas akustischer wird. ›Walk On‹ von ON THE BEACH ist neben 25 Minuten ›Love And Only Love‹ (auch von RAGGED GLORY) das Highlight.
Auch ›Dangerbird‹ feiert sein Promise-Of-The-Real-Livedebüt, ›Hey Hey, My My (Into The Black)‹ und der letzte Song vor der Zugabe, das etwas abgenudelte ›Rockin´ In The Free World‹, werden sehr beklatscht. Der Zuschlag ist mit zwei Tracks etwas kurz bedacht, um halb zehn ist leider schon Schluss, obgleich so viel mehr Songs und Zeit zur Verfügung gestanden hätten. Und wie war das noch mit ›Cortez The Killer‹?
Vermutlich muss man derzeit neben den wunderbaren Wilco sowie Pearl Jam/Eddie Vedder nur noch Uncle Neil live sehen, den Rest kann man sich sparen.