Er ist 61 Jahre alt und hat schon so manches Mal mit einem Bein im Grab gestanden.Doch Ozzy Osbourne konnte sich immer wieder aufrappeln – die Musik spielte dabei stets eine wichtige Rolle, sie gab und gibt im Kraft. Das beweist auch sein neues Album SCREAM, auf dem erstmals der 2009 eingestiegene Gitarrist Gus G. zu hören ist.
Text: Thorsten Zahn
Das Dorchester Hotel im noblen Londoner Stadtteil Mayfair gehört zu den besten Häusern der Stadt. Es herrscht gediegene Opulenz, barockes Mobiliar und goldener Stuck bestimmen die Optik. Die livrierten Angestellten sprechen mit ge-dämpfter Stimme und lesen ihren Gästen jeden Wunsch von den Augen ab. Tradition verpflichtet schließlich: General Dwight Eisenhower logierte bereits hier. Heute geht die Hollywood-Prominenz dort ein und aus. Von Richard Burton und Marlene Dietrich über Johnny Depp, Michael Jackson bis hin zu Britney Spears und Lady GaGa – die Liste der Stars ist lang. Und nun Ozzy Osbourne. Der „Madman“, wie er gerne genannt wird – wahlweise auch „Prince Of Darkness“. Dabei ist Osbourne alles andere als ein verrücktes Monster. Er erinnert eher an einen liebenswerten Patenonkel, so wie er sich mit seinem Kaffeebecher in den Sessel kauert und bedächtig den Fragen lauscht. Ab und an nimmt er einen Schluck – aber da seine Hände zittern, ist die Tasse vorsichtshalber nur halbvoll eingeschenkt worden, damit sich Ozzy nicht vollkleckert. Während des Gesprächs ist der Sänger nie allein: Stets wuseln mindestens drei Plattenfirmenangestellte durch den Raum, und im Hintergrund ist Tony Dennis zur Stelle, Ozzys langjähriger Assistent, den der ehemalige Black Sabbath-Frontmann gerne als seinen „besten Freund“ bzeichnet. Von Sharon und dem Rest des Osbourne-Familienclans ist nichts zu sehen, und auch seine Musiker sind zu Hause in den USA geblieben. Ozzy will sich ohne Unterstützung seiner Mit-Rocker ins Gespräch über das neue Album SCREAM stürzen. Viel Zeit bleibt nicht für einen Plausch, denn der Termin dauert gerade mal eine Viertelstunde…
Ozzy…
Warte mal. Bist du wirklich allen Ernstes für ein 15-minütiges Interview extra von Deutschland nach London geflogen?
Ja, klar. Ich wäre auch für fünf Minuten gekommen…
Oh, das ist aber nett.
Danke, kein Problem. Aber lass uns doch die Zeit nutzen und schnell über dein neues Album SCREAM sprechen. Du hast 2009 einen neuen Gitarristen in deine Band aufgenommen, Gus G. von Firewind. Hat er dazu beigetragen, dass sich SCREAM von deinem letzten Album BLACK RAIN unterscheidet?
Ich finde nicht, dass es große Unterschiede zwischen den Platten gibt. Schließlich habe ich wieder mit demselben Produzenten zusammengearbeitet, Kevin Churko. Aber wenn man auf die Details achtet, entdeckt man Elemente, die es auf BLACK RAIN nicht gab. Für mich persönlich hören sich einige Passagen stark nach Black Sabbath an, woran auch immer das liegen mag. Wir sind mit SCREAM einfach unserem Instinkt gefolgt, ein anspruchsvolles Album zu machen – es gab kein Kalkül.
War es dennoch anders für dich, nicht mehr mit Zakk Wylde, sondern mit Gus G. zu rocken?
Gus hat ja nicht alles allein gemacht, die meiste Arbeit hat der Produzent Kevin Churko geleistet. Von ihm stammen die meisten Gitarrenspuren und damit die Basis des Albums. Gus hat nur noch die Schnörkel drangesetzt. Ich weiß, dass Zakk Wylde große Schuhe hinterlassen hat, in die er nun schlüpfen muss. Aber man sollte ihm eine Chance geben! Ich brauchte einfach mal frischen Wind in der Band und auch in meinem Sound, deshalb haben wir uns auf die Suche nach einem neuen Gitarristen gemacht. Das war nicht leicht, es dauerte Monate. Deshalb haben sich auch die gesamten Arbeiten an SCREAM so ewig lange hingezogen. Wenn ich mich recht erinnere, haben wir insgesamt 18 Monate gebraucht, bis die elf Songs komplett fertig waren.
Hat dich Gus G. inspiriert, immerhin ist er jung und sehr talentiert?
Ja, er hat mich angespornt und motiviert. Seine Arbeit im Studio war fabelhaft, das hört man dem Ergebnis auch an. Ich war natürlich noch nicht auf einer langen Tour mit ihm, also kann ich nicht sagen, wie das werden wird. Mit Zakk lief es live immer fantastisch. Überhaupt war Zakk mehr als nur ein Gitarrist für mich: Er ist ein wundervoller Mensch und ein Freund. Es wurde viel geschrieben darüber, wie wir auseinander gegangen sind, aber ich kann dir sagen: Nichts davon ist wahr. Ich habe ihn angerufen und gesagt, dass ich einen neuen Gitarristen angeheuern möchte, und er hat es verstanden. Unser Verhältnis geht weit über die Musik hinaus. Zakk Wylde ist ein Teil meiner Familie.
Und er spielt mit Black Label Society auf der kommenden Ozzfest-Tour – da kann der Abschied nicht so schlimm gewesen sein.
Richtig. Ich werde Zakk immer in allem unterstützen, was er tut. Und wenn wir noch mal auf Gus zurückkommen: Er versucht nicht, der nächste Zakk Wylde zu werden. Gus ist Gus, und wir hatten in meiner Band schon weitaus krassere Wechsel. Ich kann mich noch daran erinnern, als Jake E. Lee das erste Mal vor mir stand, um den verstorbenen Randy Rhoads zu ersetzen.
SCREAM zeichnet sich vom Sound her durch seine metallische Schwere und seine düstere Stimmung aus. In den Texten stellst du öfter als sonst eine Verbindung zu Gott und Jesus her. Wie passt das zusammen?
Ich sehe einfach keine Hilfe von oben. Besonders deutlich wird das im Song ›Diggin’ Me Down‹: Alle warten auf den Erlöser. Aber wo ist er denn? Wann kommt er denn aus seinem Himmelreich auf die Erde und rettet uns alle? Die Zustände auf der Erde werden immer schlimmer, doch Gott oder Jesus lassen sich nicht sehen. Wir sind auf uns selbst gestellt, aber das haben immer noch nicht alle kapiert. Sie warten weiterhin auf ein Wunder.
Wer oder was hat dich beim Schreiben von SCREAM inspiriert?
Kevin Churko und ich schrieben den Titelsong ›Let Me Hear You Scream‹ direkt nach dem Tod von Michael Jackson. Erst wussten wir nicht genau, in welche Richtung wir thematisch gehen sollten und rätselten ein bisschen herum: Ein Song mit dem Titel ›Peter Pan Is Dead‹? Nein, gefiel uns nicht. ›Superman Is Dead‹? Auch keine gute Idee. Dann half uns Michael Jackson posthum auf die Sprünge, seine frühere Energie hat uns inspiriert.
Überhaupt lief bei den Aufnahmen von SCREAM vieles ganz klassisch ab, so wie früher bei Black Sabbath. Die Band traf sich im Studio, und es wurde Stück für Stück erarbeitet. Wir haben gejammt, dann eine Melodielinie ge-funden, anschließend weiter rumprobiert. Ich habe dann ein paar Songzeilen dazu geschrieben. Wir wollten schließlich ein organisch klingendes Album, kein Stückwerk. Ich finde, das ist uns aufgrund der guten Zusammenarbeit zwischen allen Beteiligten auch gelungen. Den ganzen Technik-Quatsch haben wir außen vor gelassen. Ich hasse das. Schließlich bin ich der totale Technik-Amateur, das Gefummel inspiriert mich in keinster Weise. Die Arbeit mit Menschen spornt mich an, dort bekomme ich die Kraft, um ein Album wie SCREAM zu schreiben.
Eigentlich müsstest du dir den Stress doch nicht mehr antun. Du bist Rock-Superstar, TV-Star und hast deine Kinder erfolgreich groß ge-zogen. Warum hörst du nicht auf?
Ich kam vor 42 Jahren das erste Mal intensiv und bewusst mit Musik in Berührung – damals war ich noch ein junger, knackiger Kerl (lacht). Doch auch heute fühle ich beim Singen immer noch das gleiche Feuer in mir wie früher. Wenn meine Stimme nicht mehr so mitmacht, wie ich das gerne hätte, würde ich am liebsten im Erdboden versinken und bin tierisch genervt. Denn es gibt für mich nichts Besseres, als eine perfekte Rock’n’Roll-Show zu spielen. Ich liebe es, für meine Fans zu spielen, das ist alles, worum es geht. Das kann man mit nichts auf der Welt vergleichen, und darum will auch niemand freiwillig damit aufhören!
Die Zeiten haben sich aber auch für jemanden wie Ozzy Osbourne verändert. Was vermisst du heute im Vergleich zu früher?
Früher war die Rock-Community kleiner, und die Zeit schien nicht langsamer zu vergehen. Heute ist alles so riesig und unübersichtlich geworden, es gibt einfach unglaublich viele Bands. Jede Woche werden mindestens 500 Newcomer unter Vertrag genommen. Ich kann mich noch an meine erste Goldene Schallplatte erinnern, das war ein Mega-Spektakel für mich. Mittlerweile sind solche Auszeichnungen für viele Bands scheinbar keine große Sache mehr. Es hat sich viel verändert in den letzten 40 Jahren. Beim Ozzfest merke ich immer, wie lang ich schon dabei bin. Manche Musiker werfen sich vor mir auf den Boden und sagen, dass sie nicht würdig seien, mit mir die Bühne zu teilen. Geht’s noch? Sicher, speziell Black Sabbath haben viele Menschen geprägt, aber es ist trotzdem nur eine Band. Darum rate ich allen jungen Leute: Geht auf die Bühne, nehmt das Mikrofon und schreit rein! Auch ihr könntet die nächsten Black Sabbath sein!
Während jede Menge Nachwuchstalente bereitstehen, um den Rock-Olymp zu erobern, treten auch etliche ab. Manche sterben, manche möchten schlicht ihren Ruhestand genießen. Hast du je darüber nachgedacht, wie du deine Karriere am liebsten beenden würdest?
Ich hoffe, dass ich irgendwann auf der Bühne sterbe, am besten am Ende des Zugabenteils. Und selbst dann kann es gut sein, dass mich Sharon in einem Rollstuhl zurück auf die Bretter schiebt, mit einer Bandmaschine auf dem Rücken!
Du willst also nicht schrittweise in Pension gehen, wie es die Scorpions gerade tun?
Mann, das ist kein Job wie in einer Fabrik! Im Rock’n’Roll gibt es keine Rente! Es ist das Einzige, was mich am Leben hält. Ich kann mich noch ganz genau an den Tod meines Vaters erinnern. Er wollte nie in den Ruhestand gehen, denn die Arbeit beflügelte ihn – sie machte etwas aus ihm. Als er schließlich gezwungenermaßen in Rente ging, starb er kurze Zeit später. Sein Körper hatte sich so sehr an Arbeit gewöhnt, dass er es nicht verkraften konnte, plötzlich nichts mehr zu tun. So will ich nicht enden. Ich sage immer zu Sharon, dass ich noch so lange weitermachen möchte, wie die Leute mich sehen wollen. Sollte das nicht mehr der Fall sein, würde ich mich zurückziehen – aber erst dann!
Dann kann dein Karriere-Ende noch ein bisschen auf sich warten lassen, immerhin bist du in den letzten Jahren als Solo-Künstler immer erfolgreicher geworden – hohe Chartplatzierungen und gute Verkäufe belegen das.
Exakt! Ich bin jetzt 42 Jahre im Geschäft und habe vor kurzem in Deutschland eine Goldene Schallplatte für die Single ›Dreamer‹ erhalten. Der Track ist nach ›Close My Eyes Forever‹, dem Duett mit Lita Ford, der zweite Song, mit dem ich bei euch richtig erfolgreich war.
Was bedeutet es für dich, dass du unzählige Künstler und Bands beeinflusst hat?
Berühmtheit interessiert mich nicht. Ich bin froh, dass ich noch atme! Schließlich habe ich mir im Laufe meiner Karriere so viele Drogen reingezogen, dass allein das schon an ein Wunder grenzt.
Mittlerweile hast du dem ja abgeschworen und bist unter die Gesundheitsfanatiker gegangen. Wie hältst du dich fit?
Mit Gymnastikübungen und Radfahren. Als ich vor wenigen Tagen in London ankam, war mein Körper durch den langen Flug aus den USA in solch schlechter Verfassung, dass ich erstmal ein paar Trainingseinheiten machen musste. Das hat mir auch über den Jetlag hinweggeholfen.
Als Ausgleich zu dieser körperlichen Anstrengung hast du dich auch geistig betätigt – nämlich beim Schreiben deiner Autobiografie „I Am Ozzy“ , die im Herbst 2009 erschienen ist. Wie kamst du auf die Idee?
Ich wollte das schon lange machen. Chris Ayres, der Autor des Buches, hat mir geholfen, das Projekt zu vollenden. Ich habe ihm in etlichen Gesprächen Geschichten aus meinem Leben erzählt, und immer wenn er einen Part für interessant hielt, hat er mich so lange dazu befragt, bis ich mich wieder an alles erinnern konnte – egal, ob es um meine Heimat, meine Familie oder meine Band ging. Mir war wichtig, dass das Buch einen humorvollen Unterton bekommt. Nur wenn man über sich selbst lachen kann, wird die Welt mit einem lachen.
Gibt es denn auch Phasen in deiner Karriere, die du völlig vergessen hast?
Klar, aber frag mich jetzt nicht nach Details – die weiß ich schließlich nicht mehr (lacht). Nach der Fertigstellung von „I Am Ozzy“ haben wir allerdings festgestellt, dass ich noch so viele Geschichten auf Lager habe, dass wir da-raus locker ein zweites Buch schreiben könnten. Zu-mindest der Titel stünde schon fest: „I Am Still Ozzy“.
Hat deine Frau Sharon deine Biografie gelesen?
Ja. Und sie hat die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen. Da sie aber selbst schon ein Buch geschrieben hat und meine Kinder auch, war es nichts Besonderes für meine Familie. Sänger, TV-Star, Buchautor: Jetzt fehlt nur noch, dass ich Schauspieler werde. Das ist mein nächstes Projekt – ein Film über mein Leben.
Stimmt es, dass du Johnny Depp für die Rolle des Ozzy Osbourne vorgeschlagen hast?
Nein, das wurde mir angedichtet. Ich habe zwar größten Respekt vor Johnny Depp, aber ich lasse mich bestimmt nicht von einem Amerikaner spielen. Ich möchte, dass mich jemand aus Birmingham spielt. Schließlich bin ich Engländer, kein US-Bürger…
Was geht dir durch den Kopf, wenn du heute deine Heimat Birmingham besuchst?
Bei meinem letzten Besuch dort habe ich mich zu dem Haus fahren lassen, in dem ich aufgewachsen bin. Der Besitzer bat mich herein. Ich habe sofort an meine Kindheit zurückgedacht: Damals, als ich noch ein kleiner Junge war, kam mir das Haus riesig vor, die Steinwände fühlten sich so massiv wie die einer Burg. Doch nun kam mir alles vor wie ein verdammter Schuhkarton, es ist ein klitzekleines Haus. Und da haben wir mit acht Leuten gelebt? Sechs Kinder und meinen Eltern! Unfassbar.
Gibt es noch Freunde oder Bekannte von dir, die in Birmingham wohnen?
Nein, da leben mittlerweile nur noch alte Leute. Heute ist Tony, mein Assistent, mein bester Freund. Im Grunde genommen eigentlich schon seit fast 30 Jahren.
Hast du eigentlich ein Lebensmotto?
Ich versuche, zu überleben… Ja, das wird es wohl sein. Und ich möchte aus jedem neuen Tag einen besseren machen, als es der vorherige war. In meinem Alter ist es außerdem enorm wichtig, Stress zu vermeiden, denn der bringt einen auf Dauer um.
Aber ein Ozzy Osbourne lässt sich doch nach so vielen Jahren im Musikbusiness nicht mehr stressen, oder?
Doch, sicher! Jede Plattenveröffentlichung ist für mich der pure Stress. Promo machen, um die Welt reisen und ein Album zu bewerben, das ist Wahnsinn! Ich habe gestern insgesamt 23 Interviews gegeben. Außerdem leide ich immer noch unter Lampenfieber. Jeder Auftritt treibt mich an den Rand der Verzweiflung. Jedes Mal bekomme ich Panik, dass mir die Stimme wegbleibt.
Trainierst du deine Stimme denn noch?
Logisch, denn das wird im Alter immer wichtiger. Ich arbeite daher schon mehrere Wochen vor einer Tour mit meinem persönlichen Gesangslehrer in Los Angeles ein spezielles Programm aus.
Letzte Frage: Was siehst du, wenn du dich morgens im Spiegel anschaust?
Mein Gesicht. Doch leider muss ich zugeben, dass ich meinen Babyface-Teint inzwischen verloren habe. Aber ich bin ja auch nicht mehr der Jüngste…