Er ist das „S“ in Crosby, Stills, Nash & Young. Und er hatte die Ehre, mit Hendrix zu jammen, mit den Beatles abzuhängen und mit Neil Young in Saitenteam zu bilden. Was für eine Karriere…
Stephen Stills erlebt gerade einen zweiten Frühling: Er ist 64 Jahre alt, hat soeben eine Compilation mit raren Manassas-Mitschnitten veröffentlicht und parallel dazu eine Live-Aufnahme seines 2008er-Gigs im Londoner „Shepherd’s Bush Empire“ auf den Markt gebracht. Zudem ist er auf der hoch gelobten Crosby, Stills & Nash-Zusammenstellung DEMOS zu hören, die Graham Nash produziert hat. Und mehr noch: Nash ist gerade dabei, ein eigenes Boxset für Stills zu konzipieren, auf dem sowohl Aufnahmen aus dessen Zeit bei den Au Go-Go’s und Buffalo Springfield als auch aktuelle Recordings enthalten sein sollen. Und obwohl Stephen Stills in jüngster Vergangenheit des Öfteren mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen hatte, rockt er immer noch mit seinen beiden alten Weggefährten – im Moment arbeiten die Drei gemeinsam mit dem Produzenten Rick Rubin an einem Album, außerdem kommen sie im Sommer auf Europa-Tournee.
All das wäre eigentlich schon genug Arbeit, doch Stills kann einfach keinen Gang zurückschalten. Daher will er unbedingt noch die Jam-Session veröffentlichen, bei der er und Jimi Hendrix sich Ende der Sechziger beeindruckende Saitenduelle geliefert haben – sollte er die Freigabe dafür bekommen, ist hier mit einer baldigen Veröffentlichung zu rechnen.
Die vielen Aktivitäten scheinen Stills zu beflügeln: Im Gespräch mit CLASSIC ROCK wirkt er frisch und voller Energie – und diesen ersten Eindruck bestätigt Stills nur zu gerne: „Ich will mich nicht mehr auf meinen Lorbeeren ausruhen. Denn die sind inzwischen ziemlich angestaubt.“
Stephen, dein PIECES-Album, auf dem du rare Aufnahmen von Manassas zusammengestellt hast, wird mit Lob über-schüttet. Wie fühlt sich das für dich an?
Ich habe zu viel Zeit mit euch Journalistenvolk verbracht, um den Fehler zu machen, mir selbst öffentlich auf die Schulter zu klopfen. Das bringt nur Ärger. Aber dennoch hat es natürlich Spaß gemacht, einige der alten Song-Schätze hervorzukramen, zu entstauben und kleinere Unsauberheiten zu beseitigen. Außerdem war es eine große Freude für mich, Chris „Curly“ Hillman, Joe Lala und Al Perkins beim Spielen zuzuhören – das habe ich lange Zeit nicht mehr getan. Dabei waren wir die erste Country-Rock-Bluegrass-Steel-Latin-Band überhaupt. Und eine verdammt gute noch dazu!
1972 hast du mit Manassas im Londoner „Rainbow“-Club gespielt. Stimmt es, dass du zu dieser Zeit permanent in England gelebt hast?
Nur teilweise, ich bin nie komplett aus den USA übergesiedelt. Aber ich hatte damals gerade für 100.000 Pfund Ringo Starrs Anwesen in Brookfields erworben, das ihm zuvor von Peter Sellers verkauft worden war. Die Zeit in Surrey war einfach eine der besten Phasen meines Lebens. Ich habe das Landleben geliebt: den Geruch von frisch gemähtem Gras, die klare, reine Luft… Und ich bin sogar zum Cricket-Spieler geworden – die Regeln kenne ich heute noch. Manchmal schaue ich mir sogar wichtige Wettkämpfe auf Sky TV an.
Ansonsten habe ich viel Zeit damit verbracht, in meinem Bentley die Gegend zu erkunden – aber nur, wenn die Straßen leer waren. Und immer wenn ich nach London musste, bin ich ins Bag O’Nails oder ins Ronnie Scott’s gegangen. Kurz gesagt: Ich war ein glücklicher Mann, und das spiegelte sich auch in meinen Songs wider. Aber meine Kollegen hatten auch unter mir zu leiden, denn ich konnte arg anstrengend sein. Manchmal habe ich einen Koch kommen lassen und danach das Haus hermetisch abgeriegelt, um in aller Ruhe an neuen Stücken arbeiten zu können. Die Jungs mussten proben und proben und proben, bis ich zufrieden war. Ich lag auch häufig im Bett und konnte nicht schlafen – also bin ich aufgestanden und habe die anderen aufgeweckt, um weiter an den Nummern zu feilen. Ab und zu sind sie allerdings schon vor mir wach gewesen…
Du hast einmal gesagt, dass du Manassas nur gegründet hast, weil du genug von dem ganzen Crosby, Stills, Nash & Young-Brimborium hattest. Doch nach einer Weile fehlte es dir dann doch, nicht wahr?
Zuerst war ich überfordert von den Ausmaßen, die das Projekt Crosby, Stills, Nash & Young angenommen hatte. Ich musste einfach Abstand gewinnen und etwas Neues ausprobieren. David Crosby war da ganz anders drauf – er hat es genossen, ein Star zu sein und im Mittelpunkt zu stehen. Schließlich war es genau das, auf das er sein Leben lang hingearbeitet hatte. Ich erinnere mich noch daran, dass wir mit der Band nach England kamen und in der Royal Albert Hall auftraten: Damals stelle ich fest, dass jeder von den Jungs wesentlich berühmter war als ich. Aber es störte mich nicht, im Gegenteil: Nur daher hatte ich überhaupt noch Luft zum Atmen.
Also hast du dich in Surrey niedergelassen. Mit welchen anderen Musikern bist du zu dieser Zeit in engem Kontakt gewesen?
Ich bin mit viel George Harrison, Ringo Starr und Eric Clapton abgehangen, als ich an meinem ersten Soloalbum gearbeitet habe. Eric kam oft auf ein Schwätzchen vorbei. Und dadurch, dass wir zwei Jahre lang ständig bei Ronnie Wood zu Hause gefeiert haben, konnte ich jede Menge Ideen sammeln und mich mit anderen Musikern austauschen.
Vor allem die Ratschläge der Beatles haben mir viel bedeutet. Sie sagten zu mir: „Mach dein eigenes Ding und lass dir nicht drein-reden!“ Aber von ihnen kam auch der Tipp: „Sieh zu, dass du nicht zu viel Erfolg hast. Denn das Musikgeschäft ist hart, und an der Spitze wird die Luft sehr, sehr dünn!“
Sowohl Jimi Hendrix als auch Eric Clapton wirken auf deinem Solodebüt mit – sie sind in ›Old Times, Good Times‹ beziehungsweise ›Go Back Home‹ zu hören. War es schwierig, sie zu überreden?
Nun, in Kalifornien war es üblich, dass jeder auf den Alben eines anderen Musikers mitspielen konnte, wenn er das denn wollte. Für mich war es zwar nicht immens wichtig, die beiden auf der Platte zu haben, denn mein Ruf war inzwischen ja etabliert. Insofern war das Ganze nicht geplant, sondern wirklich spontan. Eines Abends kam Eric vorbei, und wir haben uns stundenlang Variationen von The Champs’ ›Tequila‹ ausgedacht. Danach sind wir ins Studio und haben den Song aufgenommen. Es ging alles unglaublich schnell über die Bühne. Er hat seine Gitarre eingestöpselt und losgelegt. Wir konnten den ersten Take verwenden, denn sein Sound war einfach fantastisch. Ich weiß nicht, ob es wirklich das beste Solo ist, das er je eingespielt hat, aber es hat mich definitiv inspiriert. Und Jimi Hen-drix? Der war einfach ein Gott. Punkt. Ich habe ihn mehrfach live gesehen, mit unterschiedlichen Musikern, und es war jedes Mal ein beeindruckendes Erlebnis. Seltsamerweise hatte ich allerdings den Eindruck, dass er selbst die Magie, die auf seinen Platten zu spüren ist, nie wirklich wahrgenommen hat…
Du hast zu Beginn deiner Karriere mit Buffalo Springfield, dann Crosby, Stills, Nash & Young und deinen ersten Soloalben große Erfolge gefeiert. Mit Manassas ging es dann in kommerzieller Hinsicht bergab. Woran lag das deiner Meinung nach?
Mir ist der Ruhm wohl etwas zu Kopf gestiegen, um ehrlich zu sein. Mit Manassas haben wir es schlichtweg übertrieben. Die Musik an sich war völlig in Ordnung, und ich bin mir sicher, dass wir damit auch gute Verkäufe hätten erzielen können, wenn nur die Texte nicht so absolut dämlich gewesen wären. Sie waren lächerlich – und ich meine damit nicht lächerlich-cool wie etwa bei Monty Python…
Als ich nach der Zeit in England in die Staaten zurückgekehrt bin, ging es richtig hoch her bei mir. Ich habe gefeiert, was das Zeug hält. Geld spielte keine Rolle, und ich dachte nicht eine Sekunde über die möglichen Konsequenzen meines Handelns nach. Es war wie im Schlaraffenland – alles war im Überfluss vorhanden. Es ist mir nicht einmal aufgefallen, dass unser Management Kohle unterschlagen hatte – schließlich war genug davon vorhanden. Noch dazu habe ich einige falsche Entscheidungen getroffen. Und dann kam Neil Young und stahl mir die Show, aber wer will schon über den reden…
Nun ja…
Ist gut, ich weiß schon, dass ihr das wollt. Ist auch kein Problem, denn ich liebe ihn. Er ist ein toller Gitarrist, der die verrücktesten, abgefahrensten Dinge spielen kann. Ironischerweise war er bei Buffalo Springfield immer derjenige, der sich auf der Bühne keinen Millimeter bewegt hat, während ich wie ein Wilder rumgesprungen bin. Und jetzt hat er noch all seine Energie, während ich mich mit etlichen Zipperlein herumplagen muss. Ich schätze, ich muss nun den Preis dafür zahlen, dass ich mich damals so verausgabt habe. Aber Neil und ich treffen uns auch heute noch ab und zu, um gemeinsam die Sau rauszulassen. Das gefällt mir, denn wir waren schon immer ein perfektes Team.