Die absolute Vollbedienung: alle Nr.-1-Hits der Beatles, restauriert und remastered, plus Bonus-Features.
Man muss sich manchmal fragen, wann diese überwältigende popkulturelle Dominanz der Beatles letztlich enden wird. Wann wird diese Generation, die mit HipHop, Grimestep und was auch immer sonst man heute so hört, aufgewachsen ist, sich gegen ihre Großeltern auflehnen und ihnen sagen, in welche vertrockneten Körperöffnungen sie sich ihre gelben U-Boote schieben können?
Vielleicht nie, denn es scheint wesentlich wahrscheinlicher, dass die Fab Four in den nächsten Jahrzehnten und Jahrhunderten ihre Rolle als kulturelle Kraft eher noch intensivieren werden, während so ziemlich alles andere zu Staub und Luft zerfällt. Und sorgfältigste Restaurierungen wie diese werden ein Teil dieses Prozesses sein.
Ein Team um George Martins Sohn Giles hat die verkratzten, verblassten Aufnahmen dieser Videos Bild um Bild digital bearbeitet und die Farben aufgewertet. Und nachdem die Panorama-Effekte der Originale nicht mehr besonders wirkungsvoll klangen, wurde sie auch klanglich auf Vordermann gebracht.
Diese Sammlung beinhaltet jede einzelne Nr. 1 der Beatles und folgt so ihrer Karriere, in der sie von frischen Milchgesichtern zu bärtigen Routiniers mutierten. Dazu gibt es eine Bonusdisc mit B-Seiten und weiteren Tracks, die zwar nicht die Spitzenposition erreichten, aber dennoch eine Schlüsselrolle in der visuellen Narrative der Band spielten.
Am Anfang steht das noch wenig vielversprechende ›Love Me Do‹, am Ende das melancholische, ermüdete ›The Long And Winding Road‹, doch dazwischen liegt ein praktisch makelloses Gesamtwerk, das bis heute so intim und direkt zu uns spricht, wie das kaum sonst jemandem je gelang. Diese Frische, diese Wärme und die einzigartige Fähigkeit von Lennon und McCartney, die richtigen Gefühle auszudrücken und exakt die perfekten Akkorde und Noten zu finden, um diese so unmittelbar, unverfälscht und unausweichlich in unsere Herzen zu transportieren!
Jede dieser Singles war ein absoluter Volltreffer. Ihren Zeitgenossen und Epigonen blieb damals nichts anderes übrig, als sich verzweifelt nach der Messlatte zu recken, die diese Lieder so früh so hoch legten. ›All You Need Is Love‹ sangen die Herren in der Aufnahme jener berühmten Satellitenübertragung, die für die ANTHOLOGY-Serie 1995 nachträglich koloriert wurde, und vor allem einige der Rolling Stones sahen dabei eher skeptisch aus. Vielleicht zu recht, denn sie wussten ja, dass man weit mehr als Liebe brauchte, und selbst davon gab es ja nicht genug. Doch Liebe scheint bei den Beatles auf vielfältige Weise durch: die Liebe für das Leben, die Liebe zueinander, die Liebe für ihre Kunst und, eine Zeitlang, für die Menschen, zu denen sie geworden waren und wo sie sich befanden. Eine Liebe, die im Pop nie wieder so perfekt wie von den Fab Four zum Ausdruck gebracht wurde.
Während die Songs natürlich bestens bekannt und unsterblich sind, trifft das auf die dazugehörigen Videos nicht immer zu, z. B. die weniger bekannte Fassung von ›Help!‹, die 1965 in den Twickenham Studios gedreht wurde, oder der Promofilm von 1970 zu ›Let It Be‹, der von der Fassung aus dem gleichnamigen Film abweicht. Das umfangreiche Buch erklärt dabei die Hintergründe und Umstände zu jedem dieser Clips, den Locations und den Geschichten dazu – eine wahrhaft unglaubliche Schatztruhe für Beatlemaniacs.
Sich diese filmischen Dokumente in chronologischer Reihenfolge anzusehen, ist auch auf einer tieferen Ebene erhellend, nämlich hinsichtlich des Verhältnisses der Beatles zu Live-Auftritten, das tatsächlich kein einfaches war. Von der Konzerterfahrung der 50er waren sie, wenn auch teils freiwillig, ausgeschlossen geblieben. Geboren in einer Zeit, als eine Gegenkultur noch nicht wirklich existierte und der Pop als Anhängsel des Showbiz wahrgenommen wurde, präsentierten sie sich der Welt hauptsächlich in Fernsehshows oder altmodischen Gaumont-Theatern und Sälen.
Wenn sie mal vor einem Massenpublikum auftraten, dann im entnervenden Kontext des Shea Stadium oder der Hollywood Bowl, wo sie vor Abertausenden Teenagern standen, die sich mehr für die trommelfellzerfetzende Euphorie der Beatlemania interessierten als für das, was diese vier Briten weit weg auf der Bühne da eigentlich spielten. Das Erlebnis, bei Festivals vor einer riesigen Fanschar zu stehen, die aufmerksam und ergeben ihre Helden feiert, blieb ihnen verwehrt.
Bei ihren Video-Performances gab es dagegen immer ein künstliches Element, das sie entweder offen persiflierten oder für einen kunstvollen Effekt einsetzten – oder beides. Auf ›I Feel Fine‹ stellen sie bewusst die lächerlichen Aspekte des Singens zu Playback in den Vordergrund, indem Ringo wild auf einem Standfahrrad strampelt, statt sein Schlagzeug zu spielen, und George in einen Boxsack singt. Eine reine Inszenierung körperlicher Anstrengung eben. Bei ›We Can Work It Out‹ verbringt John Lennon (erfolgreich) die meiste Zeit damit, sich Grimassen schneidend am Keyboard tot zu stellen, um Paul zum Lachen zu bringen, während sein Songwriting-Partner das rehäugige Mimen fortsetzt.
Auf ›Rain‹ hatten die vier 1966 einen Höhepunkt erreicht: Sie waren noch nicht komplett in den Psychedelic-Modus übergegangen, sahen aber schon so aus, als würden sie 30 Jahre in die Zukunft blicken (vor allem Lennon in seiner bunten Sonnenbrille), während sich alle um sie herum, inklusive George Martin, immer noch im Jahr 1956 zu befinden scheinen. Dazu bewegt Lennon noch sarkastisch die Lippen zu den rückwärts abgespielten Textpassagen am Ende des Songs. Oasis bauten ihre gesamte steile Karriere auf diesem Lied auf.
›Eleanor Rigby‹ ist durch einen Clip aus dem Film „Yellow Submarine“ vertreten, dessen Animation die von Monty Pythons Terry Gilliam vorweg nimmt. ›Strawberry Fields Forever‹, der seltsamste und vielleicht auch größte Moment der Beatles, der nie die Nr. 1 erklimmen konnte, ist besonders gut restauriert worden. Im Knole Park in Kent unter der Regie von Peter Goldmann gefilmt, ist es ein Prototyp für die gesamte Musikvideo-Ära und ein hervorragendes Transkript des gemächlichen, traumartigen, lysergisch-bunten Bewusstseinsflusses dieser Nummer.
Auf ›Penny Lane‹ wiederum geht es deutlich alberner zu: Die vier Herren steigen auf Pferde, eine Beschäftigung, die für Paul und Ringo schmerzhaft ungewohnt war, wie sie im Audiokommentar bestätigen.
In den späteren Jahren beschleicht einen dann das Gefühl, dass die Band das Gefühl hat, nicht nur der Banalität der Showbiz-Fassade entwachsen zu sein, sondern auch der beinahe würdelosen Existenz des Beatle-Seins an sich. McCartney ist immer noch mit vollem Einsatz dabei, aber Lennon kann seine Verachtung für ›Hello Goodbye‹ kaum verbergen, zu dem sie die SGT. PEPPER-Kostüme tragen. Am Beginn scheint er offen zu gähnen und seine Laune bessert sich erst, als am Ende die Hula tanzenden Mädchen auftauchen. Auf ›Revolution‹, das hier in einer mitreißenden Fassung vorliegt, fährt er schon auf seinem ganz eigenen Kurs verzerrter, optimistischer Wut, ebenso wie auf ›Hey Bulldog‹, das uns einen seltenen Einblick hinter die Kulissen in den Abbey Road Studios gewährt. Es sieht aus, als würden sie in einem riesigen Karton aufnehmen.
Bei ›Something‹ ist die Entfremdung der vier Mitglieder voneinander dann schon mehr als offensichtlich – jeder der Fab Four wurde separat gefilmt. Für ›Don‘t Let Me Down‹ hingegen finden sie noch mal für einen Live-Auftritt auf dem Dach des Apple-Gebäudes zusammen, dem einzigen Ort, an dem sie fernab von der Hysterie auf der Straße wie ein Haufen normaler Musiker jammen konnten.
Hier zeigt sich ihre anhaltende Abhängigkeit von einander – denn egal wie sehr sie dachten, sie seien über die Beatles hinausgewachsen, als Solokünstler versiegten ihre kreativen Energien innerhalb einiger Jahre mehr oder weniger vollständig. Das einzige, was damals wirklich gewachsen war, waren ihre Bärte. Um ihr Bestes zu geben, brauchten sie einander – und mussten sie im Herzen der 60er Jahre verweilen, also jenes Jahrzehnts, das sie so unumstößlich zu dem ihren gemacht hatten.
The Beatles
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APPLE/UNIVERSAL
10/10